Regional differenzierte Solarthermie-Potenziale für Gebäude mit einer Wohneinheit

Der Gebäudebestand mit einer Wohneinheit trägt mit seinem Wärmebedarf knapp 14 % des gesamten Endenergiebedarfs über alle Sektoren und Anwendungsarten. Im Rahmen einer Potenzialermittlung kann gezeigt werden, dass solarthermische Anlagen in diesem Gebäudebestand bis zu 280 PJ (25 %) Endenergie substituieren bzw. bis zu 20 Mio. Tonnen CO2 vermeiden können. Die entwickelte Methodik bildet einen […]

Der Gebäudebestand mit einer Wohneinheit trägt mit seinem Wärmebedarf knapp 14 % des gesamten Endenergiebedarfs über alle Sektoren und Anwendungsarten. Im Rahmen einer Potenzialermittlung kann gezeigt werden, dass solarthermische Anlagen in diesem Gebäudebestand bis zu 280 PJ (25 %) Endenergie substituieren bzw. bis zu 20 Mio. Tonnen CO2 vermeiden können. Die entwickelte Methodik bildet einen regional differenzierten Gebäudebestand ab, der nach verschiedenen Kriterien wie Gebäudetyp, wärmetechnischer Qualität sowie Wärmebedarf für Raumwärme und Warmwasser unterscheidet.
Über solarthermische Simulationen – inkl. einer bundesweiten Analyse von Dachflächen-Orientierungen – werden drei Solarthermie-Ausbauszenarien entwickelt. Hierüber können nach 12.278 Gemeinden differenziert Aussagen zum technischen sowie – um ausgewählte einschränkende Kriterien reduziert – realisierbaren Potenzial der Solarthermie für Wärmeanwendungen im Gebäudebestand mit einer Wohneinheit getroffen werden.
Motivation

Der Energieaufwand für Raumwärme und Warmwasser im Sektor Haushalte verursachte im Jahr 2011 rund 20 % des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland. Im Zuge der angestrebten Energiewende der Bundesregierung soll der Wärmebedarf der Gebäude bis 2020 um 20 % und bis 2050 um 80 % gesenkt werden. Diese Ziele sind nur mit einem intensiven Umbau der Energieversorgung für Wärmeanwendungen erreichbar.
Ausgehend von einer Neubauquote für Wohngebäude um 0,5 %, ist es unumgänglich, im Gebäudebestand aktiv Modernisierungsmaßnahmen herbeizuführen. Diese erfordern neben Maßnahmen zur Reduktion des Wärmebedarfs der Gebäude durch z.B. Dämmmaßnahmen oder Austausch der Fenster auch Modernisierungen der eigentlichen Wärmeerzeugers bzw. Erweiterungen um regenerative Energielieferanten. Die Solarthermie, als eine der möglichen regenerativen Energiequellen im Gebäudesektor, kann hierzu einen erheblichen Anteil leisten.
Ende 2012 waren in Deutschland bereits 1,8 Mio. Solarthermie-Anlagen mit einer Kollektorfläche von 16,5 Mio. m² installiert. Die Wärmebereitstellung dieser Anlagen trägt bisher mit rund 22 PJ pro Jahr nur einen Anteil von rund 1 % des Endenergieverbrauchs für Raumwärme und Warmwasser.
Im Bereich der Einfamilien-, Reihenhäuser und Doppelhaushälften wird die Entscheidung zur Modernisierung der Heizungsanlage üblicherweise vom Eigentümer und damit auch Bewohner des Gebäudes getroffen. Fachplaner, die im Mehrfamilienhaus-Bereich Heizungsanlagen betreuen und nach wirtschaftlichen Kriterien optimieren, kommen in Gebäuden mit einer Wohneinheit üblicherweise nicht zum Einsatz. Somit obliegt die Entscheidung zur Modernisierung der Heizungsanlage häufig dem technisch interessierten Laien, der auf Selbstinformation angewiesen ist und bestenfalls über einen lokalen Heizungsfachbetrieb beraten wird. Ein signifikanter wirtschaftlicher Anreiz wird über die aktuelle Förderung durch das Marktanreizprogramm nicht ausgelöst, da die Förderquote zu gering und vor allem zu volatil ist.
Zielsetzung und Vorgehen

Es wird gezeigt, dass für Gebäude mit einer Wohneinheit erhebliche Potenziale zur Bereitstellung solarthermischer Energien bestehen. In bereits durchgeführten Studien wurden Solarthermie-Potenziale meist nur mittels Fortschreibung historischer Trends bzw. auf Basis von Dachflächenpotenzialen mit Standardfaktoren für den flächenspezifischen solaren Ertrag ermittelt. Regional aufgelöste Potenzialstudien bis zur Gemeindeebene wurden nur punktuell für kleine Teilgebiete durchgeführt.
Daher wird eine Methodik entwickelt, die neben dem nach 12.278 Gemeinden differenzierten Gebäudebestand – klassifiziert in unterschiedliche Gebäudetypen mit Wohn-, Stell-, und Dachflächen – auch die energietechnische Seite der Gebäude mit einbezieht. Der Gebäudebestand wird hierfür unter Berücksichtigung der wärmetechnischen Qualität der Gebäude, der Beheizungsart, sowie der lokalen klimatischen Bedingungen und solaren Einstrahlung gemeindespezifisch klassifiziert.
Jedes Referenz-Typgebäude – definiert durch die Kombination aus Gebäudetyp, Baualtersklasse und Heizungsanlage – erhält in Abhängigkeit des Standortes einen wohnflächenspezifischen Wärmebedarf für Raumwärme zugeordnet. Zusätzlich wird den Gebäuden ein Wärmebedarf zur Warmwasserbereitstellung unabhängig vom jeweiligen Standort oder dem Baualter zugewiesen. Hierbei wird sichergestellt, dass die Summe über alle Gebäude und der auf die Gebäude verteilten Wärmemengen konsistent zur Eingangsstatistik bleiben.
Auf dieser Grundlage werden für 30 Referenz-Typgebäude – die Kombination aus zehn Baualtersklassen und drei Gebäudetypen – solarthermische Simulationen für drei Solarthermie-Ausbau-Szenarien an fünf Referenz-Standorten durchgeführt. Ergänzt wird dies um eine Dachflächen-Orientierungs-Analyse für Gebäude mit einer Wohneinheit und hierzu errechneten orientierungsabhängigen Minderungsfaktoren für den solarthermisch nutzbaren Ertrag. Unter Berücksichtigung der örtlichen klimatischen Bedingungen können Aussagen zum gemeindlich differenzierten technischen Potenzial der Solarthermie getroffen werden.
Für das technische Potenzial wird unterstellt, dass alle Gebäude mit einer Wohneinheit unabhängig einer potenziellen Wirtschaftlichkeit eine Solarthermie-Anlage je nach gewähltem Ausbau-Szenario erhalten. Ergänzt wird diese technische Potenzialermittlung um eine Abschätzung des praktischen Potenzials unter Berücksichtigung ausgewählter einschränkender Kriterien.
Ergebnisse

Eine umfassende Datenaufbereitung, –differenzierung und –synthese schafft eine fundierte und zu allen statistischen Eingangsdaten konsistente Grundlage für Aussagen zum Gebäudebestand. Hierbei werden vielfältige Informationen zur Anzahl der Gebäude, dem Gebäudetyp, der Baualtersklasse sowie den Größen von Grund- und Wohnflächen für Deutschland regional differenziert aufbereitet. Eine Analyse der gemeindlichen Durchdringung von Gebäuden mit einer Wohneinheit, sowie deren Nutzenergiebedarf und Endenergieverbrauch – getrennt nach Wärmeanwendungen – ermöglicht Aussagen zum Wärmeeinsatz für diese Gebäude differenziert nach Gemeinden.
Ergänzend werden solarthermische Simulationen im Kontext verschiedener Ausbau-Szenarien, Standorte, Gebäude-Baualtersklassen und –typen, sowie den variierenden Wärmebedarfen der Gebäude durchgeführt. Unter Berücksichtigung der Größe und Orientierung von Dachflächen, sowie der daraus resultierenden solarthermischen Minderträge, ermöglicht letztlich diese Methodik bis auf Gemeindeebene differenzierte Solarthermie-Potenziale für Gebäude mit einer Wohneinheit zu bewerten.Die Ergebnisse für das technische, gemeindespezifisch differenzierte Potenzial sind aufgrund der Fülle der Einzeldatensätze als Kartogramme dargestellt, in denen die Höhe des Potenzials in Form farblicher Abstufungen visualisiert werden. Die Analyse liefert für Gebäude mit einer Wohneinheit je nach Gemeinde und betrachtetem Szenario ein technisches Potenzial zur Substitution von Endenergie von 28 bis 52 kWh je m² Wohnfläche und Jahr. Summiert über das gesamte Bundesgebiet wird ein solarthermisches Endenergie-Substitutions-Potenzial von 203 bis 280 PJ pro Jahr ausgewiesen.
Bezogen auf den Endenergieverbrauch von Gebäuden mit einer Wohneinheit für Raumwärme und Warmwasser von 1.144 PJ für das Jahr 2011 entspricht dies einem substituierbaren Endenergieanteil von bis zu 25 %. Das Primärenergie-Vermeidungspotenzial ergibt sich je nach Szenario zu 227 bis 312 PJ pro Jahr. Das CO2-Vermeidungspotenzial beträgt zwischen 14,6 und 20,1 Mio. t CO2 pro Jahr.
Zusätzlich werden Auswertungen erstellt, die das solarthermische Potenzial differenziert nach Bundesländern oder den zehn definierten Baualtersklassen ausweisen. Durch Einschränkung des technischen Potenzials ergibt sich über einen konservativen Ansatz, ein praktisches Potenzial bei dem vermietete oder bereits mit einer Solarthermie- oder Photovoltaik-Anlage ausgestattete Gebäude ausgeschlossen werden. Die Anzahl der zubaubaren Solarthermie-Anlagen auf Gebäuden mit einer Wohneinheit reduziert sich von 16,7 auf rund 10,5 Mio. Anlagen.
Weitere Faktoren wie Einflüsse von Marktakteuren, Demographie, Kaufkraft, Image und Wertewandel werden ausschließlich qualitativ diskutiert. Aufgrund der Datenlage zum Bestand solarer Anlagen wird das praktische Potenzial auf Bundeslandebene ausgewiesen und ergibt sich je nach Szenario zu 30 bis 47 kWh pro m² Wohnfläche und Jahr. Für das gesamte Bundesgebiet reduziert sich das oben dargestellte Potenzial um knapp 38 % zu 127 bis 174 PJ pro Jahr. Der Anteil der solarthermisch substituierbaren fossilen Endenergiemenge für Raumwärme und Warmwasser sinkt auf 15 %. Die praktischen Vermeidungspotenziale für Primärenergie betragen je nach Szenario 141 bis 194 PJ und für CO2 zwischen 9,1 und 12,5 Mio. Tonnen pro Jahr.
Anschließend werden unterschiedliche Treiber und Hemmnisse für den Zubau der Solarthermie beleuchtet. Als am stärksten Einfluss nehmender Faktor wird das bestehende Förderinstrument – das Markt-Anreiz-Programm – identifiziert. Über einen Investitionszuschuss je m² Kollektorfläche sollen finanzielle Anreize zur Installation einer Solarthermie-Anlage geschaffen werden. Dieses Programm unterliegt jedoch erheblicher Volatilität, so dass es häufig als Hemmnis statt als Treiber für den Zubau wirkte. Innerhalb von 12 Jahren wurden die Bedingungen 20 mal verändert – kurz- oder längerfristig angekündigt resultierten hieraus Anpassungen der Fördersätze im Bereich zwischen 45 und 167 € pro m² Kollektorfläche.
Vorübergehende oder auf unbestimmte Zeit ausgesprochene Förderstopps verhinderten über in Summe zwölf Monate eine Förderung gänzlich. Ab 2009 wurde die Förderung für Warmwasser-Anlagen vollständig und für Kombi-Anlagen auf ab 2009 erbauten Gebäuden eingestellt. Die Reaktionen des Zubaus durch Verunsicherung und abwartende Haltung von Solarthermie-Interessenten waren gleichermaßen volatil. Im Vergleich zu alternativen Instrumenten mit beispielsweise ertragsabhängigen Vergütungen, kann das derzeitige Förderinstrument (Markt-Anreiz-Programm) nur als unzureichend eingestuft werden, einen verstärkten, nachhaltigen und stetigen Zubau von Solarthermie-Anlagen herbeizuführen.
Identifizierter Treiber für den Zubau ist ein allgemeiner Wertewandel der Gesellschaft hin zu nachhaltigeren Verhalten, geprägt von Umweltschutzgedanken und Energierationalität. Der Solarthermie wird allgemein ein positives Image zugesprochen. Energie auf dem eigenen Dach zu erzeugen und anschließend in Form von Raumwärme oder Warmwasser auch direkt selbst wieder zu verbrauchen, generiert positive Emotionen. Gestärkt werden kann diese Wahrnehmung durch Visualisierungssysteme für die solar erzeugten oder eingesparten fossilen Energiemengen über Web-gestützte Systeme oder Apps für Pad-Rechner und Smartphones.
Die Potenziale sind lokal differenziert aufgezeigt, Treiber und Hemmnisse sind identifiziert, ebenso wie mögliche Maßnahmen, bestehende Hemmnisse abzubauen. Geringe Anpassungen der Förderinstrumente mit einer zwingend notwendigen Verstetigung können, gepaart mit dem positiven Image der Energie-Eigenerzeugung, deutliche Anteile der identifizierten Potenziale heben und einen signifikanten Beitrag zur Energiewende im Wärmesektor leisten.

Zur komplettem Dissertation von Roger Corradini

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