Internationale Energiepolitik nach Fukushima: Interview mit Hans-Josef Fell (MdB)

Der Atomunfall in Fukushima hat fast überall auf der Welt zusätzliche Aufmerksamkeit auf die erneuerbaren Energien gelenkt. In Deutschland demonstrierten viele Menschen wieder gegen die Atomenergie. Die Ablehnung der Kernenergie (“Atomkraft? Nein Danke!”) nimmt in der Bevölkerung immer mehr zu und scheint auch auf die politische Landschaft in Deutschland Einfluss zu nehmen. Allerdings fällt die […]

Der Atomunfall in Fukushima hat fast überall auf der Welt zusätzliche Aufmerksamkeit auf die erneuerbaren Energien gelenkt. In Deutschland demonstrierten viele Menschen wieder gegen die Atomenergie. Die Ablehnung der Kernenergie (“Atomkraft? Nein Danke!”) nimmt in der Bevölkerung immer mehr zu und scheint auch auf die politische Landschaft in Deutschland Einfluss zu nehmen.
Allerdings fällt die Reaktion auf die Gefahren der Atomenergie in vielen Ländern anders aus, darunter auch im Iran. Dort wurde sogar noch am 9. April der „Nationaltag der Atomenergie“ gefeiert, als sich die Katastrophe von Fukushima bereits voll entfaltete. Dieser Widerspruch wirft einige Fragen auf.Für den Solarserver sprach der aus dem Iran stammende Journalist Mohammad Hassan Ghafouri mit Hans-Josef Fell (MdB), Sprecher für Energie- und Technologiepolitik der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und einer der "Väter" des Erneuerbare-Energien-Gesetzes über die internationale Energie- und Technologiepolitik.
Solarserver: Lassen Sie uns damit anfangen, dass fast alle Parteien im Iran die Atomenergie befürworten und ihre Nutzung als Recht des Irans empfinden – von konservativ geprägten Politikern wie Ahmadi-Nejad bis hin zu den Oppositionsführern der grünen Bewegung. Was halten Sie davon?Hans-Josef Fell: Jeder weiß, dass der Iran das Recht hat, Atomenergie zu nutzen, aber dieses Recht stellt noch lange keine Notwendigkeit dar. Wenn Sie sich die Risiken der Kernenergie anschauen, kommen Sie meiner Meinung nach schnell zu dem Schluss, dass der Iran nicht auf Atomenergie setzen sollte.
Wir wissen doch, was gerade in Fukushima passiert, und wir erinnern uns doch auch, was in Tschernobyl geschehen ist. Jedes Land, das in Atomenergie investiert – darunter natürlich auch Iran – setzt sich großen Gefahren der radioaktiven Strahlung aus und ermöglicht damit auch die Verbreitung von Atomwaffen. Atomenergie ist nirgends auf der Welt eine gute Idee, nicht im Iran und auch nirgendwo sonst. Auch wenn der Iran darauf ein Recht hat, die Atomenergie zu nutzen, sollte von diesem Recht kein Gebrauch gemacht werden.
Solarserver: Der Iran verfügt über große Öl- und Erdgasreserven (die drittgrößten Ölreserven und die zweitgrößten Gasreserven in der Welt), aber durch die steigende heimische Nachfrage ist selbst im Iran die Energieversorgung nicht gesichert. Auch kommt 80% des öffentlichen Haushalts vom Ölexport, sodass die Regierung eher am Export als an der heimischen Nutzung dieser Ressourcen (zB. In den Erdgaskraftwerken) interessiert ist. Daher möchte die Regierung einen Teil der heimischen Energienachfrage durch die Atomkraft decken.
Hans-Josef Fell: Iran hat hohe Reserven an fossilen Brennstoiffen wie Öl und gas, allerdings hat Iran noch weit mehr eneuerbare Ressourcen wie Wind, Sonne, Bioenergie und geothermale Energie. Iran hat viele Erneuerbarequellen und diese Quellen haben mit Ausnahme der Bioenergien kostenlose Brennstoffe.
Ich denke, dass der Ölexport dem iranischen Finanzhaushalt eher schadet, denn der Iran exportiert das Rohöl billig und importiert dann sehr teueres Benzin und andere fertige Produkte, die mit vielen staatlichen Subventionen für die Verbraucher wieder billig gemacht werden. So kommt der iranische Staatshaushalt in immer höhere Defizite und Verschuldungen. Der Ölexport ist sicherlich nicht der beste Weg, um für den öffentlichen Haushalt Einnahmen zu generieren. Das ganze Geschäft rund ums Öl birgt insgesamt mehr Nach- als Vorteile.
Solarserver: Die Atomenergie anderseits bringt dem Iran politische Probleme, da die internationale Gemeinschaft Sanktionen gegen den Iran verhängt.
Hans-Josef Fell: Wenn der Iran hingegen auf erneuerbare Energien setzen würde, könnten diese politischen Spannungen abgebaut und die Beziehung mit der internationale Gemeinschaft wesentlich verbessert werden. Länder, die in erneuerbare Energien investieren, helfen dem Klimaschutz und leisten einen Beitrag im Kampf gegen die Erderwärmung, wovon auch andere Länder profitieren. Ein anderer wichtiger Punkt ist, dass erneuerbare Energien ein wichtiger Industriesektor sind, der Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand für weite Teile der Bevölkerung generieren kann.
Solarserver: Welche Rolle können die internationale Gemeinschaft oder einzelne Länder wie Deutschland spielen, um dem Iran zu helfen, in erneuerbare Energien zu investieren?
Hans-Josef Fell: Ich habe ein Papier namens “Ein Solarprogramm für den Iran” verfasst (im Mai 2006 veröffentlicht), in dem ich argumentierte: „Schon hier und jetzt steht es der Weltgemeinschaft offen, dem Iran aktiv anzubieten, dessen Entwicklungswünsche massiv mit Erneuerbaren Energien zu unterstützen. Dafür braucht es nicht einmal einen Beschluss der UNO. Auch einzelne Akteure, wie die EU, ja selbst nationale Staaten wie Deutschland, könnten ein solches Angebot machen. Jedenfalls kann ein solches Angebot heute nicht mehr mit dem Argument abgelehnt werden, es sei nicht-realisierbar.“
Solarstrom schon jetzt billiger ist als Elektrizität aus neuen Kernkraftwerken
Ich schrieb damals: „Erneuerbare-Energien können schneller und kostengünstiger die Stromausbauwünsche des Iran erfüllen, als die Atomenergie. Das Argument, dass die Entwicklung des Iran nur mit Atomenergie möglich sei, ist falsch und leicht widerlegbar.“
Vor kurzem habe ich auch eine wissenschaftlichen Arbeit der Duke University in den USA erhalten, laut der aus neuen Solarzellen gewonnene Elektrizität ab jetzt billiger ist als Elektrizität aus neuen Kernkraftwerken.
Solarserver: Was ist mit dem Planungshorizont? Dauert es nicht länger, große Mengen an Energie aus erneuerbaren Quellen zu generieren?
Hans-Josef Fell: Schauen Sie sich doch an, wie lange es im Iran braucht, Energie aus Atomkraftwerken zu gewinnen. Die Bemühungen gehen nun schon Jahrzehnte und es gibt immer noch keinen Atomstrom!
Solarserver: Das könnte auch an politischen Problemen liegen.
Hans-Josef Fell: Ja, aber der Aufbau vom Atomenergieanlagen dauert immer lange. Wenn Sie einen Reaktor planen, kann der Bau bis ein Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Die Technik muss geprüft werden und ist, wie wir gerade in Japan sehen, trotzdem nicht sicher. Wenn Sie hingegen ein Windkraftwerk planen, können Sie ein Jahr später schon Strom zeugen. Erneuerbare Energien sind mittlerweile die schnellste Technologie, um Strom zu erzeugen. Den Strom aus Solarzellen zum Beispiel können Sie ja sofort nutzen.
Solarserver: Also sind Sie überzeugt, dass man schnell von konventionellen zu erneuerbaren Energien übergehen kann. Muss das Stromnetz für erneuerbare Energien umgerüstet werden?
Hans-Josef Fell:  Ja, aber selbiges gilt auch für den Umstieg auf Kernenergie. Eine riesige Menge an Strom wird an einem Ort produziert und muss dann transportiert werden. Also muss das Energieverbundnetz in jedem Falle verbessert werden.
Solarserver: Was hat es mit der Fluktuation bei erneuerbaren Energien auf sich? Zum Beispiel ist bei Solarenergie die Stromgewinnung doch mittags am höchsten und fällt dann nachts komplett ab.
Hans-Josef Fell: Wir müssen es mit anderen Stromquellen wie Wasserkraft kombinieren und geeignete Mechanismen zur Speicherung nutzen. Bei der Atomkraft sind wir jedoch ebenfalls auf solche Strategien angewiesen. Die Strommenge, die erzeugt wird, ist zwar konstant, aber die Nachfrage schwankt stundenbedingt. Anders ausgedrückt, erfordert sowohl die Umstellung auf Atomstrom als auch die Umstellung auf Strom aus erneuerbaren Quellen Ausgleichsenergie zu erzeugen und zu speichern. Allerdings ist die Struktur bei erneuerbaren Energien eher dezentral und erfordert deshalb ein andere Infrastruktur als die Atomenergie.
Solarserver: Es steht außer Frage, dass die Entwicklung in Deutschland maßgeblich durch das Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien begünstigt wurde. Im Iran wurde ein solches Gesetz vor einigen Jahren eingeführt und 2008 nochmals verbessert. Es hatte jedoch bislang keine große Wirkung. Sie haben das Erneuerbare-Energien-Gesetz entworfen und damit das erste Einspeisetarifsystem der Welt geschaffen. Welche Faktoren sind für den Erfolg eines EEG maßgebend?
Hans-Josef Fell: Das EEG besteht nicht nur aus der für Strom aus erneuerbaren Energien festgelegten Vergütung, sondern es spielen eine Vielzahl von Aspekten eine wichtige Rolle. Erzeuger erneuerbaren Stroms brauchen einen bevorzugten Zugang zum Energieverbundnetz. So darf es beispielsweise keine Begrenzung der zulässigen Menge oder Uhrzeit für in das Netz eingespeisten Solarstrom geben. Investoren in erneuerbare Energien müssen den Strom absetzen können, sonst rentiert sich ihre Investition ja gar nicht.
Zweitens muss die festgelegte Vergütung hoch genug sein, damit die Investitionen in diese neuen Technologien aufgehen. Drittens muss den Anlagebetreibern ein ausreichend langer Zeithorizont der Vereinbarung zugesagt werden – mindestens 20 Jahre – damit sie langfristig planen können. Und viertens muss die Vergütung an die jeweilige Stromart angepasst sein – zum Beispiel ist die Stromerzeugung aus Wind derzeit noch billiger als aus Solarenergie, so dass die festgelegte Vergütung für Anlagebetreiber von Windparks auch entsprechend niedriger sein sollte als für Betreiber von Solarparks. Wenn sich diese Verhältnisse dann über die Jahre durch neue Technologien ändern, muss die festgelegte Vergütung für neue Anlagen entsprechend angepasst werden.
Wenn einer dieser Aspekte in einem Gesetz für erneuerbare Energien nicht beachtet wird, kann das Gesetz auch nicht richtig funktionieren.
Solarserver: Im jetzigen EEG im Iran ist der Stromerzeuger für den Netzzugang selbst verantwortlich. Die zulässige Strommenge aus erneuerbarer Energie kann vom Betreiber des Stromnetzes festgelegt werden, so dass Stromerzeuger womöglich nicht ihren ganzen Strom aus erneuerbaren Energien absetzen können. Außerdem müssen Stromerzeuger ein Bußgeld zahlen, wenn sie mehr Strom in das Netz einspeisen als vorher festgelegt. Die Vergütung ist für alle Arten von erneuerbaren Energien gleich hoch, was sich bei der Windenergie lohnt aber die für die Solarenergie. Die Dauer der Vereinbarungen beträgt 20 Jahre, was lang genug erscheint.
„Green Washing Law“
Hans-Josef Fell: Wenn ein solches Gesetz so fehlerhaft entworfen wird, also wenn es nicht alle Faktoren, die ich gerade angesprochen habe, ausreichend berücksichtigt werden, dann ist es ein „Green Washing Law“. Solche Gesetze schaffen positive Schlagzeilen in den Zeitungen, aber um wirklich etwas zu verändern taugen sie nichts. Diese Gesetze werden von den Interessen der großen Unternehmen, die konventionelle Energie erzeugen, verwässert. Die erneuerbaren Energien, die ja für diese Firmen eine echte Bedrohung darstellen, sollen nicht gefördert werden.
Solarserver: Im Iran gibt es eigentlich keine großen Privatunternehmen, die von konventionellen Energien profitieren und Investitionen in erneuerbare Energien verhindern möchten.
Hans-Josef Fell: Im Iran ist es nicht anders als anderswo. Die großen Unternehmen, staatlich oder privat, haben den besten Draht zur Regierung und ins Parlament. Sie können neue Gesetzesentwürfe entsprechend beeinflussen – und sie tun es auch.
Daher erleben wir Umweltkatastrophen wie globale Erwärmung und Atomunfälle. Die Leute denken, sie hätten keine andere Wahl, als das alles zu akzeptieren. Wieso verstehen nur wenige an den Schaltstellen der Macht, dass erneuerbare Energien eine echte Alternative darstellen? Erneuerbare Energien werden doch  immer günstiger und sie funktionieren überall.
Solarserver: Sie haben das EEG erfolgreich gemacht. War für diesen Erfolg neben der Mehrheit im Bundestag auch die Unterstützung durch die deutsche Bevölkerung notwendig?
Hans-Josef Fell: In Deutschland haben wir eine lange Tradition von umweltbewegten Menschen. Die Gesellschaft, die Wähler, haben gedrängt. Sie wollen erneuerbare Energien.
Solarserver: Wieso interessieren sich die Menschen in Deutschland so sehr für erneuerbare Energien? Ein derartiges Engagement sehen wir in anderen Ländern kaum.
Hans-Josef Fell: Wir haben selbst sehr viel über diese Themen nachgedacht, statt einfach den Interessen der Unternehmen zu folgen. Die Klimaprobleme wie zum Beispiel globale Erwärmung und auch Atomunfälle haben die Leute dazu gebracht, sich in Nichtregierungsorganisationen zusammenzuschließen. Ich selbst komme aus so einer Nichtregierungsorganisation. Die Grünen wurden auch aus einem aktiven Interesse an Umweltthemen gegründet. Gemeinsam haben wir die öffentliche Meinung beeinflusst.
Die Leute haben angefangen, alternative Energien zu verlangen. 1998 kamen die Grünen das erste Mal in die Regierung und wir haben diese Chance zu nutzen gewusst. Ich habe den Gesetzesentwurf für den erneuerbarer Energien verfasst und einige Verbündete im Bundestag gefunden, wie etwa Hermann Scheer (SPD). Uns Abgeordneten galt die Devise: „Wir machen das Gesetz, nicht die Bundesregierung!“
Erneuerbare Energien haben die Kraft, eine Gesellschaft weiter zu bringen,
Wir haben uns von den Interessen der großen Energieunternehmen befreit. Sie haben natürlich versucht, Argumente wie etwa höhere Strompreise vorzuschieben, an denen die Bevölkerung leiden würde  – im Grunde genommen dieselben Argumente damals wie noch heute. Aber wir haben ihre Argumente nicht akzeptiert und weiterhin an erneuerbare Energien geglaubt. Erneuerbare Energien haben die Kraft, eine Gesellschaft weiter zu bringen, die Gefahren und Schäden der Kernenergie und der Energie aus fossilen Brennstoffen zu vermeiden und zudem viele gute neue Arbeitsplätze zu schaffen. Heute stellen erneuerbare Energien in Deutschland den zweitgrößten Wirtschaftszweig dar und dadurch wurden 370.000 Jobs geschaffen.
Solarserver: Herr Fell, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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