Vollbremsung bei der Energiewende? Interview mit Dietmar Schütz und Jörg Mayer zu aktuellen Solar-Themen

Vor allem in den Leitmedien schneidet die Photovoltaik oft nicht besonders gut ab und wird gegenüber dem Endverbraucher häufig als Kostentreiber der Energiewende dargestellt. Merkel, Altmaier und andere Volksvertreter bremsen derzeit, wo es nur geht. Die Solar-Branche ist nach wie vor verunsichert. Gespräche auf der PVSEC in Frankfurt ergaben teilweise ein düsteres Bild. Dabei ist […]

Vor allem in den Leitmedien schneidet die Photovoltaik oft nicht besonders gut ab und wird gegenüber dem Endverbraucher häufig als Kostentreiber der Energiewende dargestellt. Merkel, Altmaier und andere Volksvertreter bremsen derzeit, wo es nur geht. Die Solar-Branche ist nach wie vor verunsichert. Gespräche auf der PVSEC in Frankfurt ergaben teilweise ein düsteres Bild. Dabei ist das Hauptproblem nicht die sinkende Förderung der Einspeisevergütung, sondern eher die mangelnde Verlässlichkeit und Stabilität der politischen Bedingungen.
Im Solar-Interview geben Vertreter der Branche Auskunft zu aktuellen Themen wie der Weiterentwicklung des EEG, zur Überlastung der Netze. Sie sprechen über die Sonderstellung energieintensiver Betriebe, die Zukunft großer Solarstromanlagen und über Speichertechnologien.
Im ersten Interview geben Jörg Mayer, Geschäftsführer BSW-Solar, und BEE-Präsident Dietmar Schütz entsprechende Antworten und Einschätzungen.

Die aktuelle politische Diskussion über den Ausbau der erneuerbaren Energien und das EEG machen es der Branche schwer, mittel- und langfristig zu planen. Wie wird sich das EEG entwickeln? Welche Auswirkungen sehen Sie bei einer weiteren Senkung der Einspeisevergütung oder bei der völligen Abschaffung, so wie es von einigen Politikern gefordert wird?
Schütz: Wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien erfolgreich fortgesetzt werden soll, müssen wir an den Eckpfeilern des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) festhalten. Eine völlige Abschaffung der Einspeisevergütung würde das Ende der gerade erst begonnenen Energiewende einläuten.
Um das EEG sinnvoll weiterzuentwickeln, müssen wir zunächst einmal das Kernproblem eines immer weniger funktionierenden Strommarktes lösen. Unsere Branche diskutiert das derzeit intensiv und wird erste Anregungen für den Strommarkt der Zukunft zum Jahresende in die Diskussion einbringen.
Mayer: Das EEG ist weitaus mehr als nur eine Förderung. Über den Einspeisevorrang liefert es die Voraussetzung für den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Die kostendeckende Vergütung sichert ihre Refinanzierung, solange mit den heutigen Marktmechanismen am „Energy-Only“-Markt die Refinanzierung der fluktuierenden EE unmöglich ist.
Direktvermarktung und Eigenverbrauch sind gute Elemente für bestimmte Marktsegmente, aber eben nicht für alle. Deshalb zielt jede Forderung nach einer „Abschaffung des EEG“ auf eine Vollbremsung der Energiewende. Es ist daher wesentlich, dass wir über eine sichere Refinanzierung hinaus auch weiterhin einen Einspeisevorrang, eine Abnahmepflicht und eine Netzanschlusspflicht für die EE haben. Mittelfristig müssen wird es sicher auch zusätzliche Marktinstrumente geben, die benötigte Investitionen in fossile und regenerative Kapazitäten sicher stellen. Hier wird auf vielen Ebenen geforscht und entwickelt, auch bei den EE-Verbänden und dem BSW-Solar.


Umweltminister Altmaier hatte eigentlich einen guten Start. Nach gerade einmal vier Monaten argumentiert Altmaier nun wie sein Vorgänger Röttgen, um den rasanten Ausbau der Photovoltaik zu bremsen. Die Beschränkung des Ausbaus bei der Windkraft ist sogar zur Chefsache der Kanzlerin geworden. Sind unsere Netze tatsächlich nicht für diese Energiemengen ausgerüstet oder hat die Lobby der Energieversorger andere Intentionen?
Mayer: Das Beispiel der Photovoltaik zeigt, dass Netzengpässe häufig ein vorgeschobenes Argument sind, die Energiewende verlangsamen zu müssen. Unsere feinmaschigen Verteilnetze sind hervorragend dafür geeignet, große Mengen dezentraler Energie aufzunehmen, ohne dass dafür in erheblichem Umfang in Netzausbau investiert werden muss. Unsere Gutachten zeigen, dass eine installierte PV-Leistung von 70 GW eine Erhöhung der Netzentgelte lediglich um 0,11 Cent / KWh zur Folge hätte, in der Summe ca. 1,1 Mrd. Euro.
Richtig ist aber auch, dass andere erneuerbaren Energien nicht so nah am Verbrauch installiert werden wie die Photovoltaik, z.B. die Offshore-Windenergie. Dann müssen die Strommengen über größere Distanzen transportiert werden. Dies macht den Ausbau des Übertragungsnetzes in gewissem Umfang erforderlich. Es ist aber unbedingt darauf zu achten, dass die Netzbetreiber den ohnehin erforderlichen Ausbau nicht auch noch den Erneuerbaren Energien zur Last legen. Sogar die Bundesnetzagentur hat hier jüngst eine Ermahnung ausgesprochen. Gemessen am Nutzen der Energiewende sollten wir nicht vor ihren Infrastrukturkosten zurückschrecken.
Schütz: Es ist für unsere Branche völlig unverständlich, dass der für erneuerbare Energien zuständige Bundesminister nun auch auf Bremserkurs ist und die Erneuerbaren deckeln will. À la longue ist ein schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien nicht nur kostengünstiger, er ist auch die einzige Möglichkeit, um die vereinbarten Klimaziele noch zu erreichen.
Was den Netzausbau betrifft, haben wir in der Tat einen erheblichen Nachholbedarf. Aber nicht alle Kilometerzahlen, die in dieser Debatte durch den Raum schwirren, sind aus unserer Sicht seriös. Meine Position ist: Lassen Sie uns erst mal mit den drängendsten Projekten beginnen. Dann haben wir schon viel gewonnen.

Die Zahl der energieintensiven Betriebe, die von der EEG-Umlage befreit sind, wächst von Jahr zu Jahr und beschert dem Endverbraucher dadurch höhere Kosten. Mittelständische Unternehmen planen eigene Solarstromanlagen, um den produzierten Strom selbst zu nutzen und nehmen dadurch weniger von den Energieversorgern ab. Wie wirkt sich das auf den Endkunden aus?
Schütz: Die Industriebefreiung schlägt immer stärker auf die EEG-Umlage durch. Nach unseren Berechnungen wird sie im kommenden Jahr schon rund ein Viertel der Umlage ausmachen. Wenn die Bundesregierung eine Befreiung in dieser Größenordnung für richtig hält, muss sie das über steuerliche Maßnahmen regeln und nicht über die Stromrechnung der übrigen Verbraucher.
Mayer: Es ist richtig, die Zahl der nicht-privilegierten Letztverbraucher sinkt, d.h. immer weniger Schultern tragen die Mehrkosten der Energiewende. Wir müssen daher eine gute Balance finden zwischen dem Schutz von energieintensiven Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, und der nötigen solidarischen Beteiligung auch von Industrie und Gewerbe an den Kosten der Energiewende.
Die aktuelle Befreiung geht sehr weit und berücksichtigt nicht, dass die Industrie gleichzeitig vom so genannten Merit-Order-Effekt und neuen Geschäftsfeldern aus dem Bereich der erneuerbaren Energien profitiert.

Verschiedene Stimmen in der Branche sagen, dass in Zukunft kaum noch große Photovoltaik-Freiflächenanlagen in Deutschland gebaut werden. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Schütz: Diese Ansicht teile ich nicht. Gerade die großen Anlagen sind bei den Kosten schon nah an der Wettbewerbsfähigkeit. Hier wird es sicher weitere Bewegung geben.
Mayer: Die aktuellen Förderbedingungen für große Anlagen sind in der Tat sehr schwierig. Der Einspeisetarif ist auf ein extrem niedriges Niveau gesenkt worden und sinkt monatlich weiter. Außerdem gibt es nur noch wenige Flächen, die vergütungsfähig sind. Gleichzeitig war die Freifläche immer der Vorreiter in Sachen Kostensenkung. Die aktuelle Situation kann daher nicht zufriedenstellend sein. Nicht zuletzt deshalb verlagern viele Firmen aus dem Freiflächensegment ihre Aktivitäten ins Ausland.

Zahlreiche Unternehmen beschäftigen sich zunehmend mit Speichertechnologien für die gesamte Bandbreite der verschiedenen Anlagengrößen. Diese werden jedoch noch kaum eingesetzt. Wie sehen Sie hier die Entwicklung?
Mayer: Die Batteriespeicher-Technologie ist gut entwickelt, die Geschäftsmodelle sind vorhanden, und die Unternehmen stehen in den Startlöchern. Was nun noch fehlt, ist ein gewisser Zuschuss des Staates, damit der Markt in Gang kommt und die Kosten sinken.
Batteriespeicher sind multifunktionale Energiedienstleister: Sie stabilisieren das Netz, reduzieren Netzausbau und liefern Ausgleichsenergie. Für den Betreiber erhöhen sie den Eigenverbrauch. Wir freuen uns daher, dass der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert hat, ein Förderprogramm zu entwickeln, das den noch fehlenden Marktanreiz liefert. An dessen Entwicklung beteiligen wir uns gerne.
Schütz: Es ist gut, dass Forschung und Unternehmen an diesem Thema verstärkt arbeiten. Denn ab 2020 brauchen wir erhebliche Speicherkapazitäten für den fluktuierenden Strom aus Solar- und Windenergie. Ich bin überzeugt, dass wir hier technologisch und auch bei den Kosten in den nächsten Jahren noch erhebliche Fortschritte machen werden.

Das Interview mit Dietmar Schütz und Jörg Mayer führte Björn-Lars Kuhn (Proteus Solutions GbR)

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