Interview: Sebastian Lovens-Cronemeyer: „EEG ginge auch leichter“

Portraitfoto Sebastian Lovens-CronemeyerFoto: Gronvald Rechtsanwälte
Sebastian Lovens-Cronemeyer
Dr. Sebastian Lovens-Cronemeyer ehemaliger langjähriger Leiter der Clearingstelle EEG/KWKG analysiert im Interview mit dem Infodienst Solarthemen aktuelle Entwicklungen im Recht der Erneuerbaren Energien.
Solarthemen: Als ehemaliger langjähriger Leiter der Clearingstelle sind Sie sozusagen per Du mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Muss das EEG eigentlich so kompliziert sein?

Sebastian Lovens-Cronemeyer: Bedauerlicherweise lautet die Antwort: vermutlich ja. Das EEG ist ein gewachsenes Gesetz, das seit 2000 viele Wand­lungen erfahren hat. Und erstaunlicherweise waren sogar viele Regelungen schon mal komplizierter, als sie es jetzt sind. Viele Regelungen beruhen aber auch auf dem berechtigten Vertrauensschutz der Anlagenbetreiberinnen und -betreiber, sodass aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht jede neue Gesetzesidee für alle Anlagen umgesetzt werden kann und darf. Darüber hinaus führen die vielfältigen Vermarktungsformen im EEG zur Komplexität. Letzteres ist allerdings eine politische Entscheidung. Das müsste man nicht so machen.

Wo gäbe es denn Stellschrauben, um es einfacher zu machen?

Die Übergangsregelungen sind kompliziert – da müsste man auf jeden Fall mal ran. Man könnte sie sicherlich einfacher strukturieren. Und es wäre, ohne den Vertrauensschutz zu verletzen, möglich, das EEG sprachlich zu überarbeiten. Ich bin skeptisch, ob man das ganze Gesetz kürzer machen kann. Das wäre ein Trugschluss. Aber man kann es verständlicher machen.

Ist das EEG eventuell umständlicher geworden, als die Bundesnetzagentur anfing, es zu interpretieren? Beispiel: der Leitfaden zum Eigenverbrauch.

Diese Interpretation des Gesetzes durch die Bundesnetzagentur ist nichts, was das EEG selbst fordert, aber die Anwendung des Gesetzes deutlich komplizierter macht. Und das liegt an einem Webfehler der derzeitigen Rechts­anwendungspraxis. Das EEG ist im Grunde ein privatrechtsgestaltetes Gesetz, wie Juristen das nennen. Es ordnet die Rechtsverhältnisse zwischen privaten Akteuren. Und ein eherner Grundsatz des EEG, nämlich dass es nicht behördlich vollzogen wird, ist in den letzten Jahren und massiv mit dem Nachteil einer verminderten Rechtsklarheit dadurch aufgeweicht worden, dass die Bundesnetzagentur als Behörde versucht, Deu­tungshoheit über das EEG zu erhalten. Dabei sollen etwa die Leitfäden Orientierung bieten. Sie sind aber kein verbindlicher Rechtsakt. Und sie geben auch nicht immer das wieder, was Energierechtsexpertinnen und -experten aus dem EEG herauslesen. Das führt zu Rechtsunsicherheit und macht die Praxis komplizierter.

Sie sagen, dass das EEG private Beziehungen regeln soll. Allerdings haben schon immer andere Ziele das EEG mitbestimmt. So wurde im EEG definiert, was gute Biomasse ist. Ist es hilfreich, Detailfragen im EEG zu regeln?

Was wäre die Alternative? Natürlich kann man auch anders vorgehen. Dann würde man eine Art grundgesetzliches EEG formulieren und Detailfragen, wie den Einbau intelligenter Messsysteme oder Schätzungsfragen, in Verordnungen auslagern. Man muss sich aber klarmachen, dass Verordnungen durch Ministerien erlassen werden – ein Grund-EEG plus vieler Verordnungen würde wesentlich behördennäher. Ich möchte in diesem Zusammenhang zwar nicht direkt von einem Demokratiedefizit sprechen, aber Gesetze, die durch Parlamente beschlossen werden, haben die höchste Legitimation. Und die möchte ich dem EEG weiterhin gönnen. Zudem möchte ich auf einen weiteren Punkt hinweisen, weil mich als Gründungsleiter der Clearingstelle EEG die Frage der Komplexität und des Umfangs des EEG sehr intensiv beschäftigt. Ich möchte mich schützend davorstellen, dass das EEG so umfangreich geworden ist. Dies sollte man ihm nicht per se zum Vorwurf machen.

Warum nicht?

Zum Start des EEG als Nachfolger des Stromeinspeisungsgesetzes waren die erneuerbaren Energien ein Nischenthema. Das EEG konnte zu diesem Zeitpunkt kurz sein, weil es wenig zu regeln gab. Das ist jetzt anders. Erneuerbare Energien haben großen Anteil an unserer Energieversorgung und daher steigt der Regelungsbedarf.

Das führt aber dann auch zu der Frage, ob ein einzelnes EEG überhaupt noch passend ist. Müsste man nicht eine Art integriertes Energierecht schaffen, also das EEG, EnWG und eventuell weitere Energiegesetze in einem Energiegesetzbuch vereinen?

Das greift einen ganz alten Traum von mir auf. Ich komme ursprünglich sowohl aus dem Verfassungsrecht als auch dem Umweltrecht. Und da haben wir seit Jahrzehnten die Debatte, ob wir nicht so etwas wie ein Umweltgesetzbuch, ein UGB, brauchen. Denn in diesem Sektor gibt es eine ungeheure Vielzahl an umweltrechtlichen Einzelgesetzen, wie das Immissionschutzrecht, das Naturschutzrecht, das Altlastenrecht und so weiter. Aber die Diskussionen um ein Umweltgesetzbuch dauern schon deutlich über 20 Jahre an.

Persönlich würde ich es für sehr sinnvoll halten, ein Energiegesetzbuch zu schaffen. So spielt zum Beispiel das Verhältnis zwischen EEG und Energiewirtschaftsgesetz eine immer größere Rolle. Beide sind inzwischen faktisch gleich wichtig. Beide müssen geradezu notwendigerweise zusammenwachsen. Dabei sollten möglichst auch andere Gesetze, wie das Messstellenbetriebsgesetz und das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, integriert werden. Wir werden in eine Situation hineinkommen, wo idealerweise fast nur noch Erneuerbare-Energien-Anlagen in Deutschland betrieben werden. Spätestens dann ist die Materie faktisch eine einheitliche. Aber wie der Traum vom Umweltgesetzbuch zeigt, darf man darauf derzeit wohl nicht allzu sehr hoffen.

Vielleicht wäre es dafür auch noch zu früh, weil jetzt das EEG letztlich den Ausbau stärker vorantreiben und dieses politische Ziel fokussieren soll. Dafür sollen auch im neuen EEG Zielmarken zum Anteil Erneuerbarer definiert werden. Geht der Gesetzgeber hier aus Ihrer Sicht den richtigen Weg?

Schon mit dem EEG 2017 hat der Gesetzgeber an diesem Punkt die Lage für die erneuerbaren Energien deutlich verschlechtert. Denn in den früheren Gesetzesfassungen vor 2017 gab es als Ziel immer Mindestvorgaben. Die wurden immer erreicht oder sogar übererfüllt. Mittlerweile haben wir Ausbauziele mit Korridoren, die ein oberes Limit enthalten. Im EEG 2021 wird es wohl sogar eine Festzielmarge geben. Und das halte ich für grundsätzlich falsch. Warum sollen wir zum Beispiel ein Ziel von nur 65 Prozent bis 2030 festschreiben? Energiepolitisch ist das falsch und klimapolitisch fatal. Wir sollten wieder zu Mindestvorgaben zurückkommen, also mindestens 65 Prozent.

Die Basis für das EEG war das Stromeinspeisungsgesetz – und der Name war hier Programm. Doch insbesondere bei den kleinen Anlagen könnte es zunehmend attraktiver werden, sich ganz abzukoppeln, um dem Regelungsdickicht zu entkommen. Schafft das EEG sich so selbst ab und wird ungewollt zum Stromautarkiegesetz?

Ich bedaure, darauf keine wirklich eindeutige Antwort zu haben. Natürlich liegt es nahe, Kleinstanlagen von der Regelungsdichte zu befreien. Das ist ein sympathischer Ansatz. Und solche de-minimis-Regelungen gibt es auch häufiger. Aber ganz so einfach ist es nicht. Denn wir müssen hier mit dem Gesetz der großen Zahlen rechnen. Wenn wir wirklich ein intelligentes Stromsystem haben wollen, das die Angebots- und Nachfrageseite monitort, dann wirkt zwar ein einzelnes kleines Modul als egal. Aber in der Gesamtheit von einigen Millionen ist es das eben nicht mehr. Daher sollten wir die kleinen Anlagen nicht komplett aus den Regelungen des EEG entlassen. Aber man darf natürlich nicht übersehen, dass die jetzt mit dem EEG gewachsene Komplexität für Betreiber kleiner Anlagen und auch Installateure möglicherweise zu hoch geworden ist. Und das darf natürlich nicht sein.

Kommen wir aufgrund der wachsenden Komplexität in eine Situation hinein, dass sich Anlagenbetreiber komplett vom System verabschieden wollen? Wie kann man dem begegnen? Wäre es eine Option, das EEG aufzu­gliedern und spezielle Regelungen für kleine Anlagen auf der einen und zum Beispiel die große Offshore-Windkraft auf der anderen zu schaffen, die auch für Laien als solche erkennbar sind?

Das ist ein hochgradig interessanter Gedanke. Dazu müsste man einen Vorschlag aufgreifen, den ich seit Jahren immer wieder anbringe. Der setzt an beim Anlagenbegriff des EEG. Im Kern verwendet das EEG immer noch eine Anlagendefinition für sämtliche Erneuerbare-Energien-Anlagen. Diesen Weg halte ich seit über einem Jahrzehnt für falsch. Wenn man sich eine kleine PV-Anlage und dann eine große Windkraftanlage ansieht, wird einem sehr schnell deutlich, dass diese beiden Energieerzeugungseinheiten unmöglich mit einem Begriff belegt werden können. Das stimmt mit der Realität nicht überein.

Daher könnte man natürlich überlegen, dass man das EEG anhand bestimmter Kriterien aufgliedert. Ich bin ein großer Freund insbesondere von energieträgerspezifischen Anlagenbegriffen im EEG, dass man die einzelnen Anlagen mit ihren speziellen technischen Voraussetzungen sowie in Größenklassen definiert. Dadurch wird es nicht unbedingt komplizierter. Denn die Frage, ob auch kleinere oder zusammenhängende Anlagen bestimmten Regelungen unterliegen, haben wir ja sowieso. Siehe zum Beispiel die Frage der unmittelbaren räumlichen Nähe an verschiedenen Stellen des Gesetzes. Es wäre nicht per se so, dass das EEG durch die Bildung von Anlagenkategorien, zum Beispiel von Klein- oder Kleinstanlagen, komplizierter würde. Es könnte dadurch auch für alle Beteiligten deutlich leichter werden. Klar.

Dr. Sebastian Lovens-Cronemeyer, LL.M.
war als Jurist Gründungsleiter der Clearingstelle EEG und stand ihr 12 Jahre vor. Seit 2020 ist er Gründungspartner von Gronvald Rechtsanwälte. Außerdem ist er Dozent für Bürgerliches Recht und Energierecht an mehreren deutschen Hochschulen.

16.10.2020 | Interview: Andreas Witt
© Solarthemen Media GmbH

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