Michael Geißler: Mieterstrom – Beschleunigen statt bremsen!

Kommentar von Michael Geißler, Geschäftsführer der Berliner Energieagentur GmbH
Bis zur letzten Minuten wurde innerhalb der Großen Koalition über das neue Mieterstromgesetz verhandelt. Heute hat es der Deutsche Bundestag beschlossen. Ausgerechnet bei einem Vorhaben, das im Vergleich zu vielen anderen komplexen und kostspieligen Thematiken des Klimaschutzes ziemlich überschaubare Dimensionen hat, lieferten sich Ministeriale und Abgeordnete quer durch die Fraktionen der Großen Koalition fast ein […]

Bis zur letzten Minuten wurde innerhalb der Großen Koalition über das neue Mieterstromgesetz verhandelt. Heute hat es der Deutsche Bundestag beschlossen.
Ausgerechnet bei einem Vorhaben, das im Vergleich zu vielen anderen komplexen und kostspieligen Thematiken des Klimaschutzes ziemlich überschaubare Dimensionen hat, lieferten sich Ministeriale und Abgeordnete quer durch die Fraktionen der Großen Koalition fast ein Jahr lang ein Gerangel, als stünde erstens die Architektur der gesamten Energiewende und zweitens der deutsche Sozialstaat auf dem Spiel. Es wurde der Eindruck erweckt, Mieterstrom führe schnurstracks in die Zwei-Klassen-Energieverbrauchergesellschaft, in der die Mehrheit zur Kasse gebeten wird, um einigen Wenigen teure Privilegien zu ermöglichen.

An diesem Zerrbild haben insbesondere starke Interessenverbände hinter und vor den Kulissen ganz kräftig mitgezeichnet, allen voran der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) . Energiewirtschaftliche Strukturen von gestern sind dort immer noch en vogue. Dezentralität und Anbietervielfalt bleiben vorwiegend Lippenbekenntnisse, wenn im Ernstfall konkrete, neue Ansätze mit schwerem Geschütz torpediert werden.

Beim neuen Mieterstromgesetz haben sie sich darauf eingeschossen, dass nunmehr für alle „nicht-privilegierten“ Stromverbraucher die Netznutzungsentgelte unverhältnismäßig steigen würden. Der BDEW verstieg sich zu der populistischen Behauptung, das Gesetz führe zu einer „erheblichen Umverteilung zwischen den Mietergruppen“, wie es Hauptgeschäftsführer Stefan Kapferer zuspitzte. Mittels einer Auftragsstudie ließ man fiktive Zahlen so lange hochrechnen, bis man für Großstädte wie Berlin auf eine Steigerung der Netznutzungsentgelte für normale Stromkunden auf bis zu 30 Prozent kam. Dank medialer Verbreitung war dann im Zusammenhang mit dem Mieterstromgesetz schnell von einem neuen „Absurdistan der Energiewende“ die Rede.

Auch der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) warnte davor, dass in sogenannten „Mieterstrom-Schwerpunktgebieten“ die Netznutzungsentgelte unverhältnismäßig steigen könnten. Da inzwischen einige Stadtwerke selbst Mieterstrom im Portfolio haben, sprach sich VKU-Hauptgeschäftsführerin Katharina Reiche zwar grundsätzlich für das Gesetz aus. Zugleich drängte der Verband aber darauf, dem Mieterstrom einen Ausbaudeckel zu verordnen. So ist es leider nun auch geschehen.

Angesichts der Realität, dass Photovoltaik in Städten und auf Mehrfamilien-Wohnhäusern ein sehr mühsames Unterfangen ist und nur schleppend vorankommt, waren die Hinweise auf stark steigende Netznutzungsentgelte zwar irreführend, stießen aber bei etlichen Parlamentariern auf fruchtbaren Boden. Dabei sieht selbst das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, das der Förderung von PV-Mieterstrom bekanntlich kritisch gegenüberstand, nur eine potenzielle Mehr-„Belastung“ aller Stromkunden von 3,50 Euro pro Haushalt – pro Jahr! Und das auch nur unter der Annahme, dass ein sogenannter „moderater Ausbaupfad“ wirklich erreicht wird.

Der „moderate Ausbaupfad“ ist in Wahrheit bereits ein optimistischer Ausbaupfad. Bricht man ihn zum Beispiel auf Berlin herunter, dann würden allein hier jährlich mindestens 6.500 Wohnungsnutzer in den Genuss von Mieterstrom-Angeboten kommen. Das würde bedeuten, dass praktisch auf jedem neuen Wohngebäude eine PV-Anlage errichtet wird. Wer mit der Thematik Gebäude-Energieeffizienz einigermaßen vertraut ist, der weiß, wie hochgegriffen eine solche Annahme ist.

Der BDEW ging in eigenen Berechnungen weit darüber hinaus und ließ ein Horrorszenario drastisch steigender Netznutzungsentgelte unter der völlig realitätsfremden Annahme errechnen, es könne eine Marktdurchdringung von 20 bzw. 40 Prozent geben. Bezogen auf Berlin wären das 400.000 bis 800.000 Wohnungen, die über Photovoltaik vom eigenen Dach beliefert werden. Aktuell sind es gerade mal einige hundert Wohnungen!

Leider hat die kalkulierte Aufplusterung eines praktisch nicht vorhandenen Problems ihre Wirkung erzielt. Auf dem langen Weg durch die Instanzen ist das Förderinstrument „Mieterstromgesetz“ immer mehr zurechtgestutzt worden. Dazu gehören restriktive Vorgaben zur Größe der förderfähigen PV-Anlagen (max. 100 kWp) ebenso wie zur Laufzeit von Stromlieferverträgen (max. ein Jahr). Beides ist nicht nachvollziehbar und eigentlich nur so zu verstehen, dass dieses Modell von Anfang an mit eingebauter Bremse ausgestattet werden soll. Immerhin haben sich die Regierungsfraktionen dank des unermüdlichen Engagements einiger Abgeordneter von SPD und CDU/CSU in letzter Minute darauf verständigt, dass Mieterstromprojekte auch gebäudeübergreifend realisiert werden können.

Wie unaufgeregt man mit einem solchen Vorhaben umgehen kann, haben übrigens einige andere Verbände gezeigt, denen die Interessen der beteiligten Gruppen per se ein Anliegen sind. Der Bundesverband Deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), der Deutsche Mieterbund und der Bundesverband Verbraucherzentralen haben sich unisono für ein schlagkräftiges Mieterstromgesetz ausgesprochen. Eine bisher einmalige Konstellation. Obwohl auch in diesen Verbänden das Umlagesystem bei den Stromnebenkosten durchaus bekannt sein dürfte, haben sie – aus Erfahrung! – das Risiko steigender Netznutzungsentgelte als relativ gering eingestuft. Und alle drei Verbände sind wirklich unverdächtig, dass sie nur eine bestimmte privilegierte Mieterklientel im Auge haben könnten.

Immerhin. Mit dem Mieterstromgesetz kommt die dezentrale Energiewende in den Städten zumindest ein kleines Stück voran. Sollte der Photovoltaik-Zubau aufgrund der gesetzlichen Einschränkungen jedoch weit hinter dem „moderaten Ausbaupfad“ zurückbleiben, dann muss die zukünftige Bundesregierung nacharbeiten und einige der jetzt installierten Ausbauhemnisse beseitigen. Und es ist gut und richtig, dass einige Bundesländer wie Berlin jetzt mit eigenen Förder- oder Bürgschaftsprogrammen draufsatteln wollen, damit das Mieterstromgesetz wirklich einen Schub für eine dezentrale Energiewende in den Städten auslöst.

Der Autor, Michael Geißler, ist Geschäftsführer der Berliner Energieagentur GmbH. Die Agentur, die jeweils zu einem Viertel der Stadt Berlin, der KfW, der GASAG und Vattenfall gehört, hat bislang fünf Dutzend Mieterstromprojekte zumeist als Contractor realisiert. In bislang Projekten sind Photovoltaikanlagen integriert, drei weitere sind im Bau.

29.6.2017 | Quelle: Michael Geißler | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH i. Gr.

Beliebte Artikel

Schließen