Umfrage: Energiewende wird unterstützt, sollte aber schneller und sozialer werden

Grafik: dynamis
Nach dem zum zweiten Mal erstellten "Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer zur Energiewende" der Forschungs-Partnerschaft dynamis steht eine große Mehrheit der Bevölkerung weiterhin hinter der Energiewende. Kritisiert wird allerdings die langsame und wenig soziale Steuerung durch die Bundesregierung.

Die hohe Zustimmung geht laut der Studie quer durch alle Bildungs-, Einkommens- und Altersgruppen. Die Befragten schätzen die Energiewende als Gemeinschaftsaufgabe ein, an der sie selbst mitwirken möchten. Über 6500 Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sind für die Studie befragt worden. Erstellt wurde sie vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS), der 100 prozent erneuerbar Stiftung und der innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft erstellt, die gemeinsam die Partnerschaft dynamis bilden. 
Im Vergleich mit dem ersten Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer der Energiewende von 2017 sei bemerkenswert, so das IASS, dass mehr Menschen in Deutschland die Energiewende als Gemeinschaftsaufgabe betrachten. Ein großer Anteil der Bevölkerung wünscht sich, dass es beim Klimaschutz schneller vorangeht, aber auch, dass soziale Gerechtigkeit stärker als bisher berücksichtigt wird. Drei Viertel der Befragten bewerten die Energiewende allerdings als „teuer“, über die Hälfte als „chaotisch“ und „ungerecht“.
Skepsis gibt es bei der Bereitschaft, mehr für den Klimaschutz zu zahlen, eine relative Mehrheit möchte dafür eine Entlastung. Bei der Zustimmung zur Elektromobilität und der Investition in eine eigene Wind- oder Solaranlage herrscht Zurückhaltung vor. 
Ortwin Renn, geschäftsführender Direktor am IASS sagt zu den Ergebnissen: „Die Menschen in Deutschland wollen die Energiewende und sie haben ein feines Gespür für ein ökologisches, sozial gerechtes Energiesystem und nachhaltigen Klimaschutz. Mit der Umsetzung der Energiewende verbinden jedoch viele inzwischen ein zu wenig abgestimmtes und geordnetes Vorgehen der Parteien – die kritische Sicht auf die Energiepolitik der Parteien hat stark zugenommen. Bemerkenswert ist, dass es vielen schlicht und ergreifend mit der Energiewende nicht schnell genug vorangeht. Gleichzeitig wollen sie aber, dass diejenigen, die unter den möglichen Belastungen der Energiewende leiden, auch solidarisch von den anderen unterstützt werden.“
Daniela Setton, Autorin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin am IASS, sagt: „Es ist fast der Hälfte der Befragten wichtig, dass der Windausbau an Land nicht gegen die vor Ort betroffene Bevölkerung durchgesetzt wird. Und die Einführung von CO2-Preisen dürfte nur mit einem für die Mehrheit überzeugenden und sichtbaren Kompensationsmechanismus ausreichend Akzeptanz finden.“
René Mono, geschäftsführender Vorstand 100 prozent erneuerbar Stiftung, sagt: „Diejenigen, die von der Energiewende betroffen sind, müssen sich als Gewinner der Energiewende fühlen können, nicht als Leidtragende."
Stephan Muschick, Geschäftsführer innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft sagt: „Eine dezentrale, auch auf neuen technologischen Lösune, einige Ergebnisse des Barometers sollten als Weckruf verstanden werden, "mehr zu werben und mehr Vertrauen zu schaffen für heute noch ungewohnte Anwendungen, inklusive einer verantwortungsvollen Nutzung von Daten.“
Einige Ergebnisse der Studie:
• 90 Prozent der Bevölkerung befürworten die Energiewende, quer durch alle Bildungs-, Einkommens- und Altersgruppen, gleichermaßen auf dem Land wie in den Städten. Das sind zwei Prozentpunkte mehr als bei der Befragung 2017.
80 Prozent der Bevölkerung sehen die Energiewende als Gemeinschaftsaufgabe, zu der jeder in der Gesellschaft einen Beitrag leisten sollte. Dies ist eine leichte Steigerung gegenüber dem Vorjahresergebnis (+5). Dem stimmen auch 76 Prozent (+ 6) der einkommensschwächeren Haushalte zu.
• Die kritische Sicht auf die Umsetzung der Energiewende hat deutlich zugenommen. 47 Prozent der Befragten bewerten den Stand Energiewende in Deutschland unterm Strich mehrheitlich als negativ. Dies entspricht einer deutlichen Steigerung um 14 Prozentpunkte im Vergleich zur Vorjahresbefragung, bei der noch eine positive Einschätzung überwog.
• Mehr als die Hälfte der Bevölkerung (61 Prozent) ist mit der Politik der Bundesregierung im Hinblick auf die Umsetzung der Energiewende unzufrieden, dies ist eine deutliche Steigerung um zwölf Prozentpunkte im Vergleich zur Befragung 2017. Auch die Mehrheit der Anhänger der Regierungsparteien ist in Sachen Energiewende mit der Bundesregierung unzufrieden. Als einen der wichtigsten Gründe für die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung nennen 58 Prozent derjenigen, die mit der Energiewende unzufrieden sind, eine zu langsame Umsetzung der Energiewende und damit fehlende Wirksamkeit beim Klimaschutz. Knapp über die Hälfte (52 Prozent) stört, dass die soziale Gerechtigkeit nicht ausreichend Berücksichtigung findet.
• Erneut kann keine der im Bundestag vertretenen Parteien die Bevölkerung bei der Umsetzung der Energiewende mit großer Mehrheit von sich einnehmen: Fast jeder Dritte (31 Prozent) ist von keiner der Parteien überzeugt, wenn es um Umsetzung der Energiewende geht, dies ist eine Steigerung um acht Prozentpunkte.
Den höchsten Kompetenzwert bei der Energiewende erreichen Bündnis 90/Die Grünen mit 27 Prozent. Aber auch die Grünen können in Sachen Energiewende nur etwa ein Viertel der Bevölkerung überzeugen. 
• Bundesweit liegt die Zustimmung zum Kohleausstieg bei knapp zwei Dritteln der Bevölkerung (64 Prozent, + 1). Damit hat der Ausstieg aus der Kohle inzwischen eine gleich hohe Zustimmung wie der Atomausstieg (64 Prozent, -4). Insgesamt 13 Prozent (+2) lehnen den Kohleausstieg ab, davon 4 Prozent strikt.
In den besonders betroffenen Regionen und Bundesländern zeigt sich ein differenzierteres Bild. Trotz einer weiterhin vorhandenen Mehrheit für den Ausstieg ist die Ablehnung in allen Braunkohleländern gestiegen. In der zweitgrößten deutschen Braunkohleregion, der Lausitz, sind 43 Prozent gegen den Kohleausstieg. 
• Eine Mehrheit von 87 Prozent der Bevölkerung steht hinter den deutschen Klimaschutzzielen bis 2020 und will diese trotz eines voraussichtlichen Verfehlens nicht aufgeben. Dies gilt einkommens- und parteiübergreifend.
Die Hälfte (51 Prozent) der Befragten ist jedoch dafür, die Ziele zeitlich aufzuschieben, um den betroffenen Regionen und der Industrie mehr Zeit zur Umstellung zu lassen. Knapp über ein Drittel (36 Prozent) will hingegen, dass die Bundesregierung unbedingte Priorität auf schnellen Klimaschutz legt, auch wenn es in den Regionen zu Belastungen kommt.
• Eine Mehrheit von 54 Prozent findet moderat steigende Energiepreise gerechtfertigt. Allerdings ist diese Haltung bei einkommensstarken Haushalten mit 64 Prozent der Befragten öfter anzutreffen. Jeder Fünfte hält solche Preisveränderungen für nicht gerechtfertigt (22 Prozent). Ebenso würden einkommensstärkere Haushalte mehr für das Autofahren oder Fliegen bezahlen (45 Prozent), während der Anteil bei einkommensschwächeren Haushalten bei 23 Prozent rangiert.
In Kombination mit Entlastungen an anderer Stelle akzeptieren fast die Hälfte (46 Prozent) höhere Preise für mehr Klimaschutz bei Wärmeversorgung oder Mobilität. Der Wunsch nach einer Entlastung ist bei Autobesitzern (48 Prozent) am stärksten verbreitet. Unter den Personen ohne eigenes Auto sprachen sich 31 Prozent dafür aus. 
• Über die Hälfte der Befragten (55 Prozent) befürwortet den Ausbau der Elektromobilität in Deutschland, während 15 Prozent dies ablehnen. Vor allem Jüngere zwischen 18 und 29 Jahren stehen dem Ausbau der Elektromobilität positiv gegenüber: 67 Prozent dieser Zielgruppe befürworten dies. Etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung (54 Prozent) lehnt ein Verbot des Verbrennungsmotors bis 2030 ab; dies gilt weitestgehend parteiübergreifend.
• Nur 5 Prozent lehnen den Ausbau von Solardächern ab, während sich 81 Prozent der Bevölkerung klar für Solaranlagen auf Dächern aussprechen, selbst in stark besiedelten Gebieten (80 Prozent). Damit nehmen Dachanlagen den Spitzenplatz unter den erneuerbaren Technologien ein. Denn im Gegensatz dazu lehnen wiederum 22 Prozent der Bevölkerung den Ausbau von Windanlagen an Land ab, sieben Prozent sogar strikt.
• Auch bei großer Betroffenheit von Windanlagen im unmittelbaren Wohnumfeld (unter fünf Kilometer) fühlen sich die Menschen davon mehrheitlich nicht gestört. Dies ändert sich aber, wenn sich die Anlagen in geringer Entfernung vom Wohnhaus stark häufen. Auch sinkt dann die Akzeptanz: 69 Prozent der Personen, die sich von einer Windanlage in ihrer Nähe gestört fühlen, lehnen den weiteren Ausbau von Windanlagen an Land ab. Diese Bevölkerungsgruppe beurteilt die Energiewende zugleich öfter als ungerecht (80 Prozent) und elitär (69 Prozent) als diejenigen, die sich nicht gestört fühlen.
• Eine Mehrheit von 86 Prozent spricht sich für die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am Planungsprozess von Windanlagen aus, Betroffene sollen sogar die letzte Entscheidung darüber haben, ob in einer Region weitere Windanlagen gebaut werden (55 Prozent). Bezogen auf die Gesamtbevölkerung finden fast die Hälfte, dass eine Bürgerbeteiligung wichtiger sei als ein schneller Ausbau. 
• Wer bisher in eine Solar- oder Windenergieanlage investiert hat, ist in der Regel Eigenheimbesitzer (93 Prozent). Lediglich vier Prozent sind Mieterinnen und Mieter. Jeder Fünfte wäre grundsätzlich bereit, innerhalb der kommenden zwei Jahre in eine eigene Solar- oder Windanlage zu investieren, während sich dies mehr als die Hälfte (62 Prozent) nicht vorstellen können. 41 Prozent begründen ihre fehlende Investitionsbereitschaft damit, dass sie in einem Mietverhältnis leben, jeweils 28 Prozent geben an, dass es sich für Sie nicht lohne oder zu teuer sei.
• Im Hinblick auf die Nutzung von Waschmaschine und Geschirrspüler gibt eine Mehrheit der Haushalte an, beim Stromverbrauch flexibel zu sein. Das Interesse an der Nutzung flexibler Tarife mit schwankenden Strompreisen ist aber gering und liegt bei nur 8 Prozent der Befragten. Sollte es flexible Stromtarife geben, dann würden die meisten Befragten (42 Prozent) eine digitale Anzeige wählen – das sogenannte Ampelmodell – das den Haushalten die Strompreise anzeigt, aber ihnen die Entscheidung überlässt, ob sie ihren Stromverbrauch anpassen oder nicht. Etwa drei Viertel (74 Prozent) lehnen es ab, dass der Energieversorger von außen den Stromverbrauch der Haushaltsgeräte nach der Preisentwicklung steuert. 
25.2.2019 | Quelle: IASS | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH

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