100 Gigawatt Nachfrage und der kommende Wendepunkt im US-Solarmarkt

Richard Keiser ist Präsident des Solar-Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Keiser Analytics. Vor dessen Gründung war er Chefanalyst bei Sanford Bernstein, einem Finanzanalyse-Unternehmen in New York, wo er das Team für Technologie-Strategien mit Schwerpunkt auf neuen Technologien leitete. Keiser hat am MIT promoviert. In der Rubrik Solar-Standpunkt fasst Keiser eine Anaylse zusammen, laut der die in den […]

Richard Keiser ist Präsident des Solar-Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Keiser Analytics. Vor dessen Gründung war er Chefanalyst bei Sanford Bernstein, einem Finanzanalyse-Unternehmen in New York, wo er das Team für Technologie-Strategien mit Schwerpunkt auf neuen Technologien leitete. Keiser hat am MIT promoviert.


In der Rubrik Solar-Standpunkt fasst Keiser eine Anaylse zusammen, laut der die in den USA installierte Photovoltaik-Leistung in den nächsten fünf Jahren leicht die 100 GW-Marke überschreiten könnte.Nichtlineare Systeme sind oft schwer zu verstehen. Das berühmte „Pfennigspiel“ ist ein gutes Beispiel dafür. In diesem Gedankenspiel erhält eine Person am ersten Tag einen Pfennig (oder Eurocent), am zweiten Tag zwei, am dritten Tag vier usw. Dann soll sie den Gesamtwert schätzen, den sie nach einem Monat bekommen hat. Sehr Wenige liegen mit ihrer Schätzung richtig: es sind 21 Millionen US-Dollar. Und kaum jemand erkennt, dass 75 % dieser Summe an den letzten beiden Tagen erzielt werden.

Die nichtlineare Dynamik der Solar-Industrie
Wie das Pfennigspiel wird auch die Solar-Industrie von einer nichtlinearen Dynamik bestimmt. Zunächst sinken bekanntlich die Preise nichtlinear: Der Modulpreis fiel (für einen Projektentwickler) seit letztem Jahr von etwa 2 US-Dollar pro Watt auf 1 Dollar je Watt. Und der Modulpreis selbst weist mehrere Facetten nichtlinearer Dynamik auf: Polysilizium-Preise verändern sich nichtlinear. Ebenso verhalten sich die Polysilizium-Verwendung, die Verarbeitungskosten, die nichts mit Polysilizium zu tun haben – und vor allem die Gewinnspannen der Hersteller. In letzter Zeit waren diese Entwicklungen für Photovoltaik-Produzenten sehr negativ.
Zum Glück verhält sich auch die Nachfrage nach Photovoltaik-Produkten nichtlinear. Das schafft ein sehr großes Potenzial für die Solarindustrie, vor allem in den USA. Wir haben kürzlich auf Basis lokaler Strompreise und lokaler Sonneneinstrahlung eine sorgfältige Analyse durchgeführt und das Marktpotenzial berechnet. Die Ergebnisse sind verblüffend. Bei Installationskosten von 4 US-Dollar pro Watt – für Gewerbe und Endverbraucher – könnten dezentrale Photovoltaik-Anlagen in den USA 46 Milliarden Kilowattstunden Solarstrom liefern. Das entspricht 33 Gigawatt installierter Leistung. Bei 3 US-Dollar pro Watt – einige gewerbliche Anlagen sind jetzt bereits auf diesem Preisniveau – steigt die verfügbare Strommenge auf 440 Milliarden kWh. Das entspricht über 300 Gigawatt Leistung.
Für viele Leser scheint dieses Ergebnis unglaublich hoch, so wie das Ergebnis des Pfennigspiels. Daher möchte ich Ihnen einige Besonderheiten des US-Strommarktes erklären.

Übersicht über den US-Strommarkt

Die USA sind der zweitgrößte Stromverbraucher der Welt. Jährlich werden dort rund 4 Billionen (4×1012) Kilowattstunden Strom verbraucht. Das ist mehr als in ganz Europa. Die Verteilung des Stromverbrauchs in den USA ähnelt einer Glockenkurve, die ihr Maximum bei $ 0,10/kWh (s. Grafik 1) erreicht. Nähert man sich der Mitte der Kurve von rechts, also von höheren Preisen, steigt der Stromverbrauch ab $ 0,18/kWh exponentiell. Da die Verteilung sich stark in der Mitte konzentriert, ist die verbrauchte Strommenge bei jedem Preis unter $ 0,18/kWh unglaublich groß.
So werden zum Beispiel bei einem Preis von $ 0,18/kWh oder höher etwa 150 Milliarden Kilowattstunden Strom verbraucht, aber weitere 350 Milliarden kWh – das entspricht dem Stromverbrauch des ganzen Vereinigten Königreichs – werden verbraucht, wenn der Preis zwischen $ 0,15 und $ 0,17/kWh liegt.Photovoltaik-Nachfrage wird exponentiell wachsen
Zum Vergleich: bei einer Sonneneinstrahlung von 1.600 kWh/m2 entsprechen 100 Milliarden kWh einer Photovoltaik-Leistung von 75 GW. Je näher das Maximum der Kurve rückt, desto schneller steigt der Stromverbrauch: rund 800 Milliarden kWh werden bei einem Preis zwischen $ 0,13 und $ 0,15/kWh verbraucht. Das ist wesentlich mehr als der Gesamt-Stromverbrauch in Deutschland.
Da die Kosten für photovoltaisch erzeugten Strom sich diesen Preisen annähern, insbesondere dem Segment zwischen $ 0,18 und $ 0,15/kWh, wird die Nachfrage nach Photovoltaik exponentiell wachsen. Genau diese Dynamik wird stark unterschätzt. Und gerade jetzt nähern wir uns diesen Preisen.

Vergleich des Solarpotenzials der USA mit Europa
Wie aus den oben genannten Daten hervorgeht, ist es besser, das Solarpotenzial der USA mit ganz Europa zu vergleichen als mit einem einzelnen Land. Um diesen Vergleich fortzuführen: bekanntlich beträgt die durchschnittliche Sonneneinstrahlung in den USA rund 1,800 kWh/m2, also ebenfalls mehr als in Europa. Fast jede Photovoltaik-Anlage erhält den Investment Tax Credit. Diese Fördermittel (ohne Obergrenze) senken die Installationskosten um 30 % und damit auch die daraus folgenden Stromgestehungskosten.
Fast jeder Bundesstaat bietet zusätzliche Fördeprogramme. Und um schließlich einen Vergleichs der Nachfrage nach Solarstrom zu ziehen: letztes Jahr wurden in Europa rund 13 GW Photovoltaik-Leistung zugebaut, in den letzten fünf Jahren einschließlich 2011 waren es über 30 GW Zubau. Also scheinen 100 GW Zubau in den USA nun plausibler…

Zur Vorgehensweise:

Wegen der großen Datenmenge erfordert die Berechnung der möglichen Nachfrage nach Photovoltaik in den USA ein relativ differenziertes Modell. Ich möchte hier den Ansatz und die Ergebnisse zusammenfassen. Einzelheiten entnehmen Sie bitte einem Forschungsbericht, der heruntergeladen werden kann unter: www.keiser-analytics.com/research.
Unser Ansatz besteht darin, den Punkt zu berechnen, an dem alle gegenwärtigen Kosten und Ersparnisse im Zusammenhang mit einer Solar-Installation niedriger sind als die derzeitige Höhe aller Zahlungen an den Stromversorger. Da die Strompreise in den USA und die Sonneneinstrahlung stark variieren (von etwa 1,200 kWh/m2 in Alaska bis fast 2,400 kWh/m2 in Arizona), muss diese Analyse an verschiedene Märkte angepasst werden.
Um die Analyse zu verstehen, muss der Leser die wirtschaftlichen Bedingungen der Photovoltaik kennen. Die Betriebskosten einer Solarstromanlage sind erstaunlich niedrig. Daher entfallen die Hauptkosten auf die Installation und diese werden von der Sonneneinstrahlung und verfügbaren Fördermitteln beeinflusst. Bekanntlich wird dieser Zusammenhang am besten in einem Modell für Stromgestehungskosten (Levelized Cost Of Energy, LCOE) dargestellt.
Es gibt viele solche Modelle von Forschungseinrichtungen und nationalen Laboratorien. Ich bevorzuge ein einfacheres Modell, das sowohl die Betriebskosten der Anlage (eine kleine Ausgabe, die immer weniger ins Gewicht fällt) als auch steuerliche Abschreibungen (ein relativ großer Gewinn für Unternehmen) außen vor lässt. Ebenso wenig werden staatliche und örtliche Förderprogramme berücksichtigt, dafür aber die Stromgestehungskosten stärker bewertet. Somit wird eine konservative Schätzung der Kosten für Solarstrom und der möglichen Nachfrage abgegeben.
Mit diesem Modell – auf Basis einer Sonneneinstrahlung von 1.800 kWh/m2 – wird das Verhältnis zwischen den Kosten für die installierte Leistung und den Stromgestehungskosten ohne Fördermittel durch den Faktor 7 bestimmt: 4 US-Dollar Kosten je Watt installierter Leistung entsprechen etwa 28 Cent je kWh. Der Investment Tax Credit senkt die Stromkosten um etwa 30 %. In unserem Beispiel wären das 19 Cent je kWh. Dieser Zusammenhang wird in Grafik 2 dargestellt (s. unten; für Einzelheiten lesen Sie bitte den ganzen Report.) Aus dem Schaubild geht hervor: Da die Kosten der Installation für Unternehmen und Privatleute etwa $ 3,50  betragen, überschneiden sich die Stromkosten allmählich mit dem Großteil des US-Stromverbrauchs. Und in der dadurch entstehenden Schnittfläche wird die Nachfrage nach Photovoltaik exponentiell wachsen. Einige Anlagen haben diesen Punkt bereits erreicht.Wenn wir nun den Zusammenhang von Strompreisen, Sonneneinstrahlung und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verstanden haben, ist die Analyse relativ unkompliziert. Der erste Schritt besteht darin, den momentanen Wert aller künftigen Zahlungen an den Stromversorger zu berechnen. Das wäre das Basis-Szenario. Im nächsten Schritt wird der derzeitige Wert aller künftigen Kosten und Ersparnisse im Zusammenhang mit der Installation zu berechnen. Diese Zahlen enthalten die fortlaufenden (niedrigeren) Zahlungen an den Stromversorger; Ersparnisse durch den photovoltaisch erzeugten und selbst verbrauchten Strom; Einkünfte nach Steuer durch den überschüssigen Strom, der ggf. an den Stromversorger verkauft wurde; alle Kosten für den Bau der Anlage und alle möglichen Fördergelder (wir haben nur den ITC in unserem Modell erfasst).
Alle Variablen hängen vom Marktsegment ab, mit Ausnahme der Installationskosten, welche die dominierende Variable sind. Da die Anlagekosten zurückgehen, erhöht sich die Menge des wirtschaftlich erzeugten Stroms. Das hängt von der Sonneneinstrahlung und dem Strompreis beim Endverkauf ab. Wir haben diese Analyse für den kompletten Stromverbrauch der USA durchgeführt.
Diese Ergebnisse werden in Grafik 3 zusammengefasst. Bei angenommenen $ 5,50 pro Watt installierter Leistung – das ist ein vernünftiger Wert für dezentrale Anlagen 2011 – ist die Strommenge, die wirtschaftlich mit Photovoltaik bereitgestellt werden kann, sehr gering: Nur 4 Milliarden kWh, das entspricht 2 – 3 GW installierter PV-Leistung. Da jedoch die Installationskosten zurückgehen, wächst die Strommenge, die wirtschaftlich erzeugt werden kann, bei $ 4,00 je Watt exponentiell auf 46 Milliarden kWh, das entspricht einer Leistung von 33 GW. Bei $ 3,00 je Watt können sogar über 400 Milliarden kWh wirtschaftlich erzeugt werden, was einer Leistung von 300 GW entspricht.Natürlich ist “potenziell” etwas anderes als “tatsächlich“. Aus praktischen Gründen wurden einige wichtige Randbedingungen ausgelassen. Dennoch zeigen die Daten, dass die in den USA installierte Leistung in den nächsten fünf Jahren leicht die 100 GW-Marke überschreiten könnte.
Dieser Artikel beschreibt einige Ergebnisse der umfassenden Analyse „300GW At $3.00 Per Watt?  Calculating The U.S. Solar Potential Using Electricity Prices“. Sie kann heruntergeladen werden unter http://keiser-analytics.com/research.html . Die Ergebnisse werden in etwa zehn Tagen in einer Telefonkonferenz diskutiert.

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