Fabio Longo und Prof. Dr. Holger Rogall: „Solare Pflichten – Marschallplan der Städte für die Erde“

18. Dezember 2003 Die Initiatoren der Solar-Pflichten in Berlin und Vellmar, Prof. Dr. Holger Rogall und Fabio Longo, rufen die deutschen Städte dazu auf, mit solaren Vorgaben Marschallpläne für die Erde zu entwickeln. Der Professor für Umweltökonomie an der FH für Wirtschaft in Berlin, Dr. Holger Rogall, und der Vellmarer Stadtverordnete und Rechtsreferendar, Fabio Longo, […]

18. Dezember 2003

Die Initiatoren der Solar-Pflichten in Berlin und Vellmar, Prof. Dr. Holger Rogall und Fabio Longo, rufen die deutschen Städte dazu auf, mit solaren Vorgaben Marschallpläne für die Erde zu entwickeln. Der Professor für Umweltökonomie an der FH für Wirtschaft in Berlin, Dr. Holger Rogall, und der Vellmarer Stadtverordnete und Rechtsreferendar, Fabio Longo, sehen hierin neben dem Klima- und Ressourcenschutz zugleich eine große Chance für lokale Wertschöpfung und neue Arbeitsplätze in den Städten und Gemeinden.Die "Väter" der Berliner Solaranlagenverordnung, Prof. Dr. Holger Rogall (rechts) und des Vellmarer "Städtebaulichen Solarvertrags", Fabio Longo (links).Bis zur Mitte des Jahrhunderts müssen die CO2-Emissionen in den Industriestaaten um 80 % reduziert werden, soll die Klimaerwärmung erträglich bleiben. Hierzu muss der Primärenergieverbrauch durch eine Effizienzrevolution halbiert und der Anteil der Erneuerbaren Energieträger an der Energieerzeugung auf mindestens 50 % gesteigert werden. Das kann mit den bis heute eingeführten Maßnahmen nicht erreicht werden.

Verantwortung der Städte

Die Städte und Ballungsräume tragen eine besondere Verantwortung für den Durchbruch ökologischer Energiealternativen, insbesondere durch eine wirksame Koordinierung der Siedlungs- und Energiepolitik. Diesen Auftrag hat die Weltsiedlungskonferenz 1996 in Istanbul den Städten mit auf den Weg gegeben. In ihrer Habitat-Agenda fordert sie die Kommunen zu "umfassenden, mutigen und innovativen Strategien für Siedlungen" auf, die den Einsatz erneuerbarer Energien beinhalten.
Die Habitat-Agenda legt die Kommunen weltweit fest auf das Ziel nachhaltiger Siedlungen, die ihre Ressourcen gemäß der Tragfähigkeit der Ökosysteme effizient nutzen und dem Vorsorgeprinzip Rechnung tragen. Die Vereinten Nationen fordern die Städte dazu auf,
energiesparende Technologien und erneuerbare Energien für Siedlungen zu fördern und die negativen Auswirkungen der Energieerzeugung und -nutzung auf Gesundheit und Umwelt zu verringern.
Die Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Energiequellen, insbesondere vom Erdöl, stellt eine große Gefahr für die wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung der Städte dar. Es zeigt sich, dass solare Pflichten im Siedlungsbau nicht nur die globale Klimaveränderung bremsen helfen. Sie haben für Städte und Gemeinden noch einen ganz besonderen Reiz: sie verringern die Abhängigkeit vom Öl und bauen eine lokale Wertschöpfung auf, was neue Arbeitsplätze vor Ort schafft. Die Rechnung ist ganz einfach: Finanzmittel der Eigenheimbesitzer, die sie "früher" für Erdöl aus dem Nahen Osten ausgegeben haben, fließen "heute" in die Installation thermischer Solaranlagen, woran das örtliche Handwerk verdient. Doch diese Entwicklung kommt nicht von selbst. Die Städte und Gemeinden haben es in der Hand, Marschallpläne für die Erde – und ihre eigene Zukunft zu entwickeln.

Barcelona als Vorbild

Gefordert sind engagierte Kommunen, die sich nicht allein auf Maßnahmen ihrer Staaten verlassen wollen, sondern bereit sind, eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Einige europäische Städte haben hierzu bereits kommunale Bauordnungen erlassen, die den obligatorischen Einbau von Solaranlagen vorsehen. Vorreiter sind die Region Katalonien mit der Hauptstadt Barcelona und die nordhessische Stadt Vellmar bei Kassel. Die Idee für die hier durchgesetzten Baupflichten von solarthermischen Anlagen stammt aus Berlin, in der eine Solarverordnung im Zuge der Klimakonferenz 1995 gesetzlich verankert, aber noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Es gilt, jetzt kommunale Solar-Initiativen zu starten und in möglichst vielen Städten und Gemeinden umzusetzen.
Vorbild für alle Initiativen ist das Modell Barcelona mit der "ordenanza solar", einer Satzung, die für das ganze Stadtgebiet eine Solar-Pflicht für alle Neubauten und für die Altbausanierung vorschreibt. Jedes Haus, das in einem Neubaugebiet oder in einer Baulücke, etwa im Stadtkern, errichtet wird, jedes Haus, das vollständig saniert wird, muss mit einer solarthermischen Anlage zur Warmwasserbereitung ausgestattet werden. Dieses Modell steht beispielhaft für alle deutschen Städte. Doch haben nicht alle die rechtliche Möglichkeit, dieses weitreichende katalanische Konzept, einer Satzung für die ganze Stadt, einzuführen. Aber immerhin: einige deutsche Städte können mit "umfassenden, mutigen und innovativen Strategien" vorangehen und Vorreiter für den Durchbruch der Solarenergie sein.

Von Bremen über Kassel und Frankfurt am Main nach Saarbrücken?

Was haben diese deutschen Städte gemeinsam? Sie und einige andere Städte und Gemeinden haben das Recht, eine Solar-Pflicht durch ein einziges Gesetz bzw. eine einzige Satzung für das ganze Stadtgebiet einzuführen. Die Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin können dazu Klimaschutz- und Energiespargesetze erlassen, die eine solare Bauordnung direkt oder durch eine Solarverordnung schafft. Hessische Städte wie Kassel, Frankfurt am Main, Marburg, Gießen, Wiesbaden, Hanau, Darmstadt und saarländische Städte wie Saarbrücken, Homburg, St. Wendel, Völklingen haben das Recht, eine Solar-Pflicht durch eine kommunale Satzung einzuführen. In den anderen deutschen Bundesländern enthalten die Landesbauordnungen keine derartige Befugnis für die Städte und Gemeinden (siehe § 81 Abs. 2 Nr. 2 Hessische Bauordnung und § 93 Abs. 2 Nr. 3 Saarländische Bauordnung).

Und die übrigen Kommunen?

Als hessische Stadt hätte auch Vellmar – wie Barcelona – eine Satzung für das gesamte Stadtgebiet erlassen können. Da in Vellmar zur Zeit aber fast ausschließlich in dem 12-Hektar-Baugebiet "Auf dem Osterberg" gebaut wird, kann die Solar-Pflicht hier als Pilot eingesetzt werden. Den Vellmarer Weg einer Solar-Pflicht für Neubaugebiete können alle deutschen Kommunen gehen. Als Instrumente stehen der städtebauliche Vertrag (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 BauGB) und die Festsetzung im Bebauungsplan (§ 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB) zur Verfügung. Als rechtlich sicher gilt der städtebauliche Vertrag nach Vellmarer Vorbild, aber auch solare Pflichten im Bebauungsplan werden als zulässig angesehen.Die Solarenergie ist ein wichtiger Schlüssel zur Lösung der weltweiten Klima- und Ressourcenprobleme. Solare Pflichten im Siedlungsbau, richtig geplant und umgesetzt, sind Marschallpläne der Städte für die Erde und die eigene lokale Wertschöpfung. Wir schlagen für die verschiedenen Städte und Gemeinden drei Modelle vor:
· Groß- und Mittelstädte sollten das Modell Barcelona, einer Solar-Satzung für die ganze Stadt, nach Bremen, Hamburg, Berlin, Hessen und ins Saarland holen.
· Die übrigen deutschen Groß- und Mittelstädte sollten mutig vorangehen und solare Vorschriften in Bebauungsplänen für Neubaugebiete verankern.
· Kleinstädte und Gemeinden in ganz Deutschland sollten in Neubaugebieten städtebauliche Solarverträge zwischen Bauherren und Kommune zum Abschluss bringen.
In Groß- und Mittelstädten kommen Satzungen bei den Bürgern wie Bundes- oder Landesgesetze an, weil die städtische Gemeinschaft weitgehend anonym ist. Daher empfehlen wir hier, die klassischen Instrumente des Planungs- und Ordnungsrechts (Satzung, Bebauungsplan) anzuwenden. In Kleinstädten und Gemeinden bedürfen neue Maßnahmen für den Klimaschutz einer besonderen Kommunikation zwischen Gemeindevertretern und Bürgern, da hier oft noch eine wirkliche örtliche Gemeinschaft besteht. Hier empfehlen wir daher kooperative Instrumente des Planungsrechts (städtebaulicher Vertrag).

 
Lesen Sie zum Thema "Solar-Pflicht" auch:

– Die "Ordenanca Solar" finden Sie in deutscher Übersetzung auf den Internetseiten der Energieagentur von Barcelona unter www.barcelonaenergia.com

– Ein Muster des Städtebaulichen Vertrags der Kommune Vellmar kann hier heruntergeladen werden 

Warum Nachhaltigkeit (noch) nicht funktioniert: Holger Rogall zeigt die Versäumnisse von Politik und Ökonomie

Viele Kommunen in Deutschland sind reif für Solarverträge und eine Solaranlagenverordnung – Fabio Longo über den "Vellmarer Weg" zu einer Solar-Pflicht für Neubauten.

Fördern und fordern: Hessische Stadt Vellmar verwirklicht neues städtebauliches Solar-Konzept

Solarregion Nordhessen: Günstiges Klima für erneuerbare Energien und neue Impulse für die Politik

Fabio Longos Aufsatz zur Rechtmäßigkeit solarer Bebauungspläne kann eingesehen werden auf den Internetseiten von EUROSOLAR unter http://www.eurosolar.org/solarzeitalter/solarzeit_3_01-4.html

Der Aufatz von Holger Rogall "Solaranlagenverordnung: Warum Berlin scheiterte" kann auf den Internetseiten der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie eingesehen werden.

Fabio Longo: "Taten statt Warten, Herr Dr. Salomon!" Ein Appell an den OB der Solarstadt Freiburg

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