Das hat ja nicht der Staat verfügt, sondern das sind privatrechtliche Regeln, die in dem Moment, wo ich beispielsweise Gas billiger aus Italien oder aus Frankreich beziehen kann,
sicherlich den einen oder anderen Anbieter nachdenklich machen, ob er eigentlich mit seinen jetzigen Verträgen wettbewerbsfähig ist.
Solarserver:
Wie sieht es mit Biogas von deutschen Landwirten aus?
Trittin:
Das würde ich sehr begrüßen, wobei ich dazu sage: Es muss dann sichergestellt sein, dass an den Einspeisungsstellen eine dem Erdgas vergleichbare, konstante Qualität geliefert
wird. Dieses Problem scheint noch nicht ganz gelöst zu sein. Aber die Ausweitung von Biogas käme unserem Ansatz natürlich sehr zupass, weil wir auf diese Weise unsere Bemühungen,
Erdgas in der Mobilität stärker zu nutzen, mit einer erneuerbaren Komponente verbinden könnten.
Tony Blair - ein wichtiger Partner beim Klimaschutz
Solarserver:
Wir verlassen vorübergehend den Bereich der Energiewirtschaft, der in engem Zusammenhang mit dem zweiten riesigen Problem steht: dem Klimawandel, der immer drängender auf uns
zukommt. Deutschland versucht, beim Klimaschutz vorne zu sein. Nun kommt Unterstützung aus Downing Street No. 10. Tony Blair hat erst vor wenigen Wochen in einer wichtigen Rede
darauf aufmerksam gemacht, dass er die Führerschaft in Europa und in der G8 im Bereich Klimaschutz übernehmen möchte. Führt Blair den Klimaschutz im Munde, ohne zu erkennen, dass
dafür eine Energiewende notwendig ist, oder ist er ein verlässlicher Partner für Deutschland?
Trittin:
Ich begrüße es sehr, dass das Vereinigte Königreich seine EU- und G8-Präsidentschaft mit dem Schwerpunkt Klimaschutz ausstatten wird. Das ist das Kontrastprogramm zum letzten
Jahr, um es einmal deutlich zu sagen. Die Briten werden uns im sportiven Wettbewerb um den ehrgeizigsten Klimaschutz immer an ihrer Seite haben. In der Tat haben wir eine
Situation, die auch in den USA langsam Nachdenklichkeit auslösen wird. Wir hatten in diesem Jahr zum ersten Mal in kürzesten Abständen vier schwere Hurrikane, die über Florida
hinweggegangen sind. Wir haben allein in Florida versicherte Schäden in der Größenordnung von 25 Milliarden US-Dollar. Das allein ist halb so viel, wie weltweit an
Entwicklungshilfe geleistet wird. Wer weiß dagegen schon, dass Georgetown, die Hauptstadt von Grenada, zu 90 % zerstört worden ist? Da stehen keine Fernsehkameras wie in Miami
Beach.
Die Herausforderung ist global. Wenn wir das Problem nicht in den Griff bekommen, können wir uns viele Dinge in der Entwicklungspolitik, für mehr Sicherheit und bei der
Armutsbekämpfung abschminken. Deshalb werden wir als Europäer gut beraten sein, den Klimaprozess über 2012 hinaus fortzuführen. Deutschland hat den Vorschlag gemacht, die EU solle
die festgesetzten acht Prozent ihrer Treibhausgase bereits bis 2012 einsparen, bis 2020 wären dann sogar 40 % möglich. Ich glaube, mit einer solchen Zielsetzung können wir das
wirklich in den Griff bekommen, wenn wir katastrophale Ausmaße des Klimawandels verhindern wollen.
Solarserver:
Ihre großen Ziele sind die Energiewende und der Klimaschutz. Sehen die Briten den Zusammenhang zwischen Energiewende und Klimaschutz?
Trittin:
Wir haben mit den Briten wenig Streit, was daran liegt, dass die Briten gut sind beim Klimaschutz. Die EU hat netto von den acht Prozent CO2-Emissionen, die sie reduzieren sollte,
knapp vier geschafft. Diese Reduktionsleistung beruht zu zwei Dritteln auf Einsparungen in Deutschland und zu einem Drittel auf Einsparungen in Großbritannien. Deswegen haben wir
zu den Kollegen auf der Insel ein gutes Verhältnis.
Solarserver:
Bleiben wir bei der deutschen Energiewende: Wie weit sind Sie nach sechs Jahren im Amt und nach zwei Jahren mit der Zuständigkeit für erneuerbare Energien mit ihren Zielen
gekommen?
Trittin:
Sehr weit! Die Eckpunkte für die Erneuerung der Energieversorgung Deutschlands stehen nicht nur auf dem Papier, sondern sind inzwischen in Gesetzesform verabschiedet. Erstens: Wir
haben sichergestellt, dass abgeschriebene Atomanlagen nur noch in einer kalkulierbaren Frist laufen, danach erlischt automatisch ihre Betriebserlaubnis. Wir haben zweitens ein
konkretes Ziel für die erneuerbaren Energien genannt, also einen Anteil von 20 % des deutschen Strombedarfs bis 2020. Und wir haben mit dem Emissionshandel ein neues Instrument
eingeführt, das 2005 anfängt zu wirken, zu mehr Effizienz führen wird und den Neubau von hoch effizienten Gaskraftwerken und von effizienteren Braunkohlekraftwerken fördern wird.
Nach Einführung der Energieeinsparverordnung für Gebäude und den Energiesparprogrammen der KfW bleibt noch eine große Aufgabe: Die Menschen auch dazu zu bringen, beim Kauf von
Unterhaltungselektronik, wo der Strombedarf wächst, genauso auf den Energieverbrauch zu achten, wie sie es heute schon beim Kauf ihrer Waschmaschine tun. Die EU arbeitet zur Zeit
an einer Richtlinie zur Einführung von Verbrauchsstandards. Zweitens gibt es ein wachsendes Sparpotenzial beim Stromverbrauch der Industrie. Wenn wir, wie fast alle Experten,
davon ausgehen, dass mittelfristig nicht nur der Erdölpreis ansteigen wird, sondern auch die Stromerzeugungskosten, dann ist es höchste Zeit, aus ökologischen, aber auch aus
Gründen der Wettbewerbsfähigkeit, auf Energieeinsparung zu setzen. Das ist möglich, denn mit Drehzahlreglern könnte die deutsche Wirtschaft schon heute 10 % ihres Strombedarfs
einsparen.
Solarserver:
Energiesparung ist das Eine, die Energieproduktion das Andere. Das weltweit erfolgreichste Instrument auf dem Weg zur Energiewende ist unbestritten das
Erneuerbare-Energien-Gesetz, das gerade novelliert wurde. Dieser Erfolg der Erneuerbaren provoziert auch Neid: Im März titelte der Spiegel den "Windmühlen-Wahn", dann kamen die
"schillernden Landschaften", womit Solarstromanlagen im Megawatt-Bereich gemeint sind. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass Erfolge im Klimaschutz und bei der Schaffung von
Arbeitsplätzen relativiert oder ausgebremst werden könnten?
Trittin:
Offensichtlich ist das immer ein bisschen abhängig von der Vorurteils-Brille des Chefredakteurs. Windmühlen stören ihn, Biomasseanlagen freuen die Nachbarn seines
Wochenendhäuschens, also ist er dann dafür. Ich würde mich davon nicht abhängig machen.
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien hat in Deutschland eine riesige Mehrheit hinter sich. Fast zwei Drittel der Bevölkerung wollen sogar mehr Windkraft. Wenn Sie in Sachen
Photovoltaik nachfragen, sieht das noch viel besser aus. Insbesondere jüngere Leute unterstützen den Ausbau. Selbst drei Viertel der FDP-Wähler haben die Zeichen der Zeit erkannt.
Einige davon vielleicht aus finanziellen Gründen, weil man damit Geld verdienen kann. Es kann sich auch niemand ernsthaft hinstellen und sagen, die erneuerbaren Energien hätten
keine Arbeitsplätze gebracht. Mir muss erst mal einer erklären, welche Arbeitsplätze mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien in letzter Zeit verloren gegangen sind.
Die großen Entscheidungen zum Abbau von Arbeitsplätzen in der Braunkohle wurden getroffen von der Regierung Kohl. In der Atomindustrie, wo immer noch 30.000 Menschen tätig sind,
sind selbst bei der Stilllegung von Stade keine Arbeitsplätze verloren gegangen. Dagegen stehen aber 120.000 Arbeitsplätze bei den erneuerbaren Energien, die in den letzten Jahren
entstanden sind. Da ist netto gleich brutto.
Und denken Sie an die Chancen, die sich daraus ergeben, dass sich China bei der diesjährigen Konferenz für erneuerbare Energien in Bonn verpflichtet hat, bis zum Jahre 2010 zehn
Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien zu beziehen. Dann wissen Sie, dass ein gigantischer Exportmarkt auf uns wartet. Wenn wir diesen Exportschatz heben, dann rechne ich
damit, dass das drei- bis vierfache an Arbeitsplätzen in Deutschland entstehen kann. Ich glaube, dass diejenigen ziemlich große Probleme bekommen werden, die den Versuch machen,
gegen diese real existierenden und sich entwickelnden Arbeitsplätze zu argumentieren und Politik zu machen.
Umbau der Stromnetze nicht nur wegen Einspeisung erneuerbarer Energien erforderlich
Solarserver:
Dennoch wird von den Gegnern erneuerbarer Energien immer wieder ins Feld geführt, dass Sonne und Wind nicht konstant Energie liefern, und das Stromnetz auf Dauer überfordert sei.
Hier stellt sich die Frage, wo der Vorrang erneuerbarer Energien in der Energiewirtschaft beginnt und wo er endet. Weshalb werden die Kapazitäten der Pumpspeicherkraftwerke in
Deutschland nicht zur Regulierung von Über- und Unterangeboten beim Wind- und Solarstrom, sondern zum Ausgleich von überschüssigem nächtlichen Braunkohlestrom verwendet?
Trittin:
Ich glaube nicht, dass wir es hier mit einem wirklich unlösbaren Problem zu tun haben. Das behauptet von der Industrieseite auch niemand ernsthaft. Selbst der Vorstandsvorsitzende
von RWE ist davon ausgegangen, dass es im Jahre 2020 möglich ist, die 20 % des Stroms aus erneuerbaren Quellen ins Netz einzuspeisen. Auch ist ja nicht jede Form der erneuerbaren
Energien ständig von den Schwankungen des Windes und der Sonne abhängig. Das gilt für den gesamten Bereich von Biomasse, die mittellastfähig ist. Es gilt für die Wasserkraft und
auch für die Geothermie, die beide grundlastfähig sind. Das ist alles lösbar. Man muss sich über eines im Klaren sein: Wir müssen unser Netz verändern; aber nicht nur wegen der
Erneuerbaren. Das ist nur einer von mehreren Gründen. Das Netz ist erstens alt, über 40 Jahre. Zweitens brauchen wir eine dezentralere Netzstruktur. Wir brauchen eine größere
Nachfrageorientierung. Und nicht ein permanentes Überangebot in Form der Grundlast, was ökonomisch wie ökologisch unvernünftig ist.
Dezentralere Netze bringen neben der Effizienz auch mehr Wettbewerb. Für all das ist das alte Netz nicht mehr geeignet, das von wenigen zentralen Orten der Stromerzeugung und
vielen dezentralen Punkten des Stromverbrauchs ausging. Wegen des Stromhandels, der stärkeren Nachfrageorientierung, der Dezentralisierung der Netze und der erneuerbaren Energien
erwächst ein Bedarf, das Netz insgesamt zu erneuern. Deshalb glaube ich nicht, dass die Netzumlagekosten und die Preise so stark nach unten gehen können, wie wir das vom Telefon
gewohnt sind. Dann wäre in der Tat keine Substanz mehr da, um den notwendigen Erhaltungs- und Umbauprozess des Netzes hinzubekommen.
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