DLR-Länderszenarien: Knapp 100 beziehungsweise 90 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien in der Schweiz und Polen möglich

Die Schweiz kann bis zum Jahr 2050 etwa 98 Prozent ihres Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen decken, in Polen sind es knapp 90 Prozent. Langfristig ist eine nachhaltige Energieversorgung beider Länder möglich. Dies zeigen Energieszenarien, die DLR-Forscher im Auftrag von Greenpeace erstellt haben.

Nach einem 2012 veröffentlichten globalen Energieszenario erstellt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR; Köln) derzeit mehrere Länderstudien, die aufzeigen, wie eine nachhaltige Energieversorgung auf nationaler Ebene möglich ist und der CO2-Ausstoß drastisch gesenkt werden kann.
Die Szenarien zeigen Entwicklungspfade auf, wie die Energieversorgung in einzelnen Ländern mit den dort vorhandenen Ressourcen nachhaltig gestaltet werden kann.
"Wir berechnen dabei, mit welchen Investitionen ein Umstieg auf erneuerbare Energien gelingen kann und welche Kosten und Einsparungen dabei auf die Volkswirtschaft zukommen", beschreibt Thomas Pregger, Projektleiter beim DLR-Institut für Technische Thermodynamik die Arbeit der Systemanalyse. Die Studien zeigen zudem auf, welches Potenzial zur Steigerung der Energieeffizienz in den jeweiligen Ländern steckt.
"Die Länderszenarien bieten eine gute Möglichkeit, den nationalen Entscheidern zu verdeutlichen, dass eine nachhaltige Energieversorgung nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll ist", sagt Sven Teske von Greenpeace International.
"Auch in Ländern wie Polen, dessen Energieversorgung bisher sehr von fossilen Energiequellen abhängt, ist das möglich." Neben dem DLR arbeitet Greenpeace in den Ländern jeweils mit nationalen Experten für erneuerbare Energien zusammen.

Schweiz: Natur- und landschaftsnaher Mix aus erneuerbaren Energien; schneller Ausbau der Photovoltaik
Schon heute – dank der reichlich vorhandenen Wasserkraft – versorgt sich die Schweiz zu knapp 57 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energien. Bis zum Jahr 2050 kann dieser Anteil, so das „Energie[R]evolution“-Szenario der DLR-Systemanalyse, bei 98 Prozent liegen. Dies gelingt durch einen schnellen Ausbau der Photovoltaik und einen maßvollen, natur- und landschaftsnahen  Ausbau von Windkraft, Geothermie, Wasserkraft und Biomasse. Zudem sieht das Szenario einen begrenzten Import von Windstrom aus dem Norden und Solarstrom aus dem Süden vor. Ein Ausstieg der Schweiz aus der Kernkraft ist für das Jahr 2025 vorgesehen.

Stromüberschuss durch Photovoltaik-Anlagen im Sommer; Ausgleich von Stromerzeugung und –bedarf erforderlich
Im Auftrag von Greenpeace haben die Forscher die Stromversorgung in der Schweiz stundengenau simuliert. Dabei zeigt sich, dass tagsüber, während der Sommermonate durch den großen Anteil an Photovoltaik-Anlagen ein Überschuss an Strom vorhanden sein wird. Kapazitäten von Pumpspeicherkraftwerken sind in der Schweiz zwar reichlich vorhanden, aber nicht ausreichend, um diesen Überschuss aufzunehmen. Ein Teil des Stromüberschusses kann in die Nachbarländer der Schweiz exportiert werden, ein Teil lässt sich durch Lastmanagement in Bedarfszeiten verlagern.

Solarstrom für Elektro-Autos und Wärmeerzeugung
"In Überschusszeiten kann der Strom verstärkt zum Aufladen von Elektro-Autos und für die Wärmeerzeugung verwendet werden", erläutert Thomas Pregger.
"Aus erneuerbarem Strom können zudem synthetische Energieträger wie Wasserstoff hergestellt werden, die dann im Verkehr und in der Industrie fossile Energieträger ersetzen können. So können Überschüsse nicht nur vom Tag in die Nacht, sondern auch vom Sommer in den Winter übertragen werden."

Verstärkte Nutzung von Erdwärme und Solarthermie
Auch die Wärmeversorgung, die heute zu knapp 75 Prozent auf fossilen Energien beruht, muss für das Erreichen der Klimaziele umgebaut werden. Erneuerbare Energien decken heute rund 21 Prozent des Wärmebedarfs in der Schweiz, wobei heimisches Holz den größten Beitrag leistet. Im Energie[R]evolution-Szenario wird der Wärmebedarf stark verringert. Durch eine verstärkte Nutzung von Erdwärme und Solarthermie kann die Wärmeversorgung im Jahr 2035 zu 66 Prozent und im Jahr 2050 bereits zu 97 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen abgedeckt werden.

Strom kann wichtigste Energiequelle im Verkehr werden
Bei Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung muss auch der Verkehr miteinbezogen werden. Das Szenario sieht vor, den öffentlichen Verkehr auszubauen, der Individualverkehr wird aber weiter die größte Rolle spielen. Bis 2050 kann Strom mit 54 Prozent zur wichtigsten Energiequelle im Verkehr werden. Der Stromverbrauch des Verkehrs wächst dadurch im Energie[R]evolution-Szenario von heute elf auf rund 54 Petajoule pro Jahr, was im Jahr 2050 rund 25 Prozent des Strombedarfs entspricht.
Was sich auf dem Verkehrssektor ändert, ist der Mix an Straßenfahrzeugen: Ergänzend zu Fahrzeugen mit Elektroantrieb werden Benzin und Diesel durch Biogas, flüssige Biokraftstoffe und synthetische erneuerbare Kraftstoffe wie Wasserstoff ersetzt. Durch den Umbau der Fahrzeugflotten sinkt der Endenergieverbrauch des Verkehrs dramatisch um etwa 60 Prozent gegenüber heute.

Polen: Ökostrom 2050 mit 3,6 Cent pro Kilowattstunde günstiger als Kohlestrom
Polens Energieversorgung basiert – ganz anders als die der Schweiz – derzeit zu 90 Prozent auf Braun- und Steinkohle. Die Studie zeigt, selbst bei einer solchen Ausgangssituation kann der Anteil regenerativer Energien von derzeit knapp sieben Prozent (im Jahr 2010) auf knapp 90 Prozent bei der Stromerzeugung und von derzeit knapp elf auf über 75 Prozent bei der Wärmeenergie steigern.
Langfristig ist dies sogar ökonomisch sinnvoll: Zwar steigen im Vergleich zu einem Referenzszenario, bei dem Energiemix und Verbrauch in Polen den aktuellen Trends folgen, die Erzeugungskosten für Strom beim Energie[R]evolution-Szenario bis 2020 leicht an. Im Jahr 2050 liegen die Kosten für die Stromerzeugung dann aber um 3,6 Cent pro Kilowattstunde niedriger als im Referenzszenario.

Eingesparte Brennstoffkosten decken in Polen fast drei Viertel der zusätzlichen Investitionen
Durch einen Umstieg auf erneuerbare Energien kann das Land bis 2050 insgesamt 98 Milliarden Euro an Brennstoffkosten für die Stromerzeugung sparen. Diese Einsparungen decken fast drei Viertel der zusätzlichen Investitionen, die für den Ausbau der Erneuerbaren Energien notwendig sind.
"Obwohl Polen keine einzelne herausragende Quelle für erneuerbare Energien hat – die Sonneneinstrahlung ist nicht besonders hoch und auch das Potenzial für die Windkraft an Land oder in der Ostsee ist nicht so hoch wie zum Beispiel in Großbritannien – ist die Umstellung des Energiesystems auf weitgehend regenerative Versorgung möglich. Voraussetzung ist, dass ein breiter Mix an erneuerbaren Energiequellen genutzt und gleichzeitig die Potentiale für die Effizienz ausgeschöpft werden", sagt DLR-Forscher Tobias Naegler, der das Länderszenario für Polen federführend bearbeitet hat.

Steigender Strombedarf
Im Referenzszenario nehmen die Forscher einen Anstieg des Endenergieverbrauches in Polen um 11 Prozent bis 2050 an. Im Energie[R]evolution-Szenario gehen sie hingegen davon aus, dass dieser um 32 Prozent gedrosselt werden kann.
"Möglich wird das unter anderem durch Dämmung von Gebäuden und eine deutliche Effizienzsteigerung bei Elektrogeräten und in der Industrie", beschreibt Tobias Naegler. Anders beim Bedarf an elektrischer Energie: Auch im Energie[R]evolution-Szenario gehen die Forscher davon aus, dass Wirtschaftswachstum und Lebensstandard in Polen steigen werden. Hinzu kommt, dass auch der Stromeinsatz im Wärme- und im Verkehrssektor steigt. Beides führt zu einem starken Anstieg des Strombedarfs von 119 auf 214 Terrawattstunden pro Jahr.
"Da der Strom aus erneuerbaren Quellen in dem Szenario jedoch fossile Brenn- und Kraftstoffe ersetzt, wird so insgesamt der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert", erläutert Tobias Naegler.

Studien im Internet
Die komplette Studie für Polen mit einer Zusammenfassung (Englisch) ist veröffentlicht unter www.energyblueprint.info Das Szenario für die Schweiz wurde von Greenpeace in deutscher Sprache veröffentlicht, es ist im Internet zugänglich unter www.greenpeace.org/switzerland.

25.11.2013 | Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH

Beliebte Artikel

Schließen