Interview: Gunter Rockendorf – Perspektive Wärmewende

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Solarthemen 458. Gunter Rockendorf, der Abteilungsleiter Solare Systeme am Institut für Solarenergieforschung Hameln (ISFH), ist einer der Autoren des neuen Positionspapiers „Erneuerbare Energien im Wärmesektor“ des Forschungsverbundes Erneuerbare Energien. Im Solarthemen-Interview plädiert Rockendorf für effiziente Sofortmaßnahmen, steigende Besteuerung von fossilen Brennstoffen und langfristig klare politische Rahmenbedingungen.

Solarthemen-Abonnenten lesen hier die Langfassung des in der gedruckten Solarthemen-Ausgabe Nr. 458 leicht gekürzten Interviews.

Solarthemen: Die Förderung ist so hoch wie nie, die EnEV geht erstmals den Kesselbestand an. Trotzdem werden immer weniger Regenerativ-Heizungen verkauft. Was läuft da falsch?

Gunter Rockendorf: Bei Hausbesitzern herrscht große Unsicherheit darüber, was sie tun sollen – angesichts der vielen technischen Möglichkeiten. Außerdem haben wir im Moment eher sinkende als steigende Brennstoffpreise.

Können Sie als Wissenschaftler etwas gegen die Orientierungslosigkeit der Verbraucher tun?

Ich kann raten, bestimmte Maßnahmen auf jeden Fall durchzuführen: Zum Beispiel Altkessel auszutauschen, bevor sie kaputt gehen. Und ich kann dem Verbraucher raten, die aktuell für ihn komfortablen Energiepreise nicht als Dauerzustand anzusehen.

Und was rät der Wärmeexperte dem geneigten Einfamilienhausbesitzer, der sich einfach nicht entscheiden kann, ob Pellets, Wärmepumpe oder Brennwertkessel mit Solar?

Grundsätzlich gilt: Je mehr Brennstoffe ich einspare, desto besser ist es. Die Brennstoffe werden mittel- und langfristig für ganz andere Dinge benötigt. Das Optimum wäre daher, nichts mehr zu verbrennen, sondern auf eine Wärmepumpe überzugehen, die man möglichst noch Solar unterstützt.

Die Wärmepumpe ist für Sie die Ultima Ratio?

Mittel- bis langfristig ja. Sie muss sich aber in das lokale und übergeordnete Energiesystem optimal integrieren und daher mit den regenerativen Erzeugern zusammenpassen.

Aber gerade Wärmepumpen schaffen doch im Winter zusätzliche Stromlasten im Netz. Dafür müsste man fossile Kraftwerke teuer in Reserve halten.

Richtig. Wir werden höhere Investitionskosten haben. Entweder für Reservekraftwerke – möglichst dezentrale Blockheizkraftwerke – oder wir nutzen zum Beispiel bivalente Wärmepumpen-Gaskessel-Kombinationen. In einem Mehrfamilienhaus beispielsweise arbeitet dann die Wärmepumpe, solange das Stromangebot hoch ist. Bei wenig Stromangebot schaltet das System auf Gas um. Dafür braucht man also schon zwei Wärmeerzeuger. Wenn dann noch Sonnenwärme als sehr wichtige Effizienztechnologie dazukommt, hat man schon drei. Die Investitionskosten werden also steigen.

Was kann denn die Politik tun, um das Problem der höheren Investitionskosten für die Verbraucher zu mindern?

Ich denke, die Programme sind schon relativ gut ausgestattet und bieten auch viel …

… aber sie wirken offenbar nicht in dem Umfang, wie sie sollten.

Investieren muss der Verbraucher nun mal selber. Die Politik könnte dazu beitragen, die Phantasie langfristig steigender Preise für fossile Brennstoffe zu nähren – Stichwort Steuererhöhungen. Dann kann man eingenommene Gas- und Ölsteuern auch wieder in Förder- und Ausgleichsmaßnahmen zurückführen.

Gibt es einen Konsens der Forschergemeinde, dass der Staat Energie über Steuern verteuern soll?

Nein, das ist meine persönliche Meinung. Aber Konsens ist, dass es langfristig berechenbare, kontinuierliche Maßnahmen des Staates geben muss. Als Alternative kann der Staat die Regularien zum Beispiel über die EnEV verschärfen. Mein Eindruck ist aber, dass diese Regularien oft nur halbherzig eingehalten werden und eine wirksame Kontrolle schwierig ist.

Bewegt sich die EnEV denn in die richtige Richtung?

Gut ist, dass die Anforderungen regelmäßig verschärft werden. Die EnEV muss aber den Bestand eideutiger adressieren und die Anlagentechnik mehr in den Fokus rücken.

Der Wärmebedarf pro Quadratmeter ist seit den 70er Jahren deutlich gefallen. Im gleichen Maß stieg allerdings die Wohnfläche pro Kopf. Unter dem Strich hat sich nichts am Wärmebedarf pro Kopf geändert. Kann man diese Scherenbewegung beeinflussen?

Es muss geschehen – wir haben keine andere Chance. Auf den Zusammenhang hinzuweisen ist sehr wichtig. Der andere unterschätzte Effekt ist, dass wir geringere Wärmeverbräuche von Gebäuden errechnen als wir dann in der Praxis messen. Solche Mindereffizienzen und Rebound-Effekte werden wir nur mit erneuerbaren Energien ausgleichen können.

Was meinen sie mit Rebound-Effekt?

Ich wohne in einem hocheffizienten Gebäude und gewöhne mir dadurch vielleicht ein luxuriöseres Wärmeverbrauchsverhalten an oder gebe das bei den Energiekosten gesparte Geld für andere klimaschädigende Dinge aus.

Wenn Strom-, Wärme- und Mobilitätssystem zusammenwachsen und allein schon mit den heute bekannten Technologien schwer überschaubare Wechselwirkungen entstehen. Was kann die Wissenschaft politischen Entscheidern als Orientierungshilfe geben?

Grundsätzlich ist schon mal alles richtig, womit ich mit wenig Geld einen hohen Effekt erziele.

Zum Beispiel?

Das beginnt mit einfachen Effizienzmaßnahmen zur Brennstoffeinsparung, die z.B. durch geförderte hochwertige Energieberatung identifiziert werden und geht über in umfassendere wärmetechnische Sanierungen. Vieles gibt es schon bei KfW und BAFA.. Diese Effizienzmaßnahmen sind auch volkswirtschaftlich unverzichtbar. Aber das können wir nicht bis ins Unendliche steigern – ich kann beispielsweise nicht aus jedem ALtbau ein Passivhaus machen. Die erneuerbaren Energien müssen dazukommen.

Konkretes Beispiel: Kesselaustausch. Kaum eine Investition rechnet sich schneller. Freut es Sie, wenn das jemand macht, oder ärgern Sie sich, dass er dabei auf die Solaranlage verzichtet?

20 Prozent Energieeinsparung auf einen Schlag, das ist eine richtige Maßnahme. Aber man heizt mit dem neuen Kessel wieder für viele Jahre mit Gas oder Öl. Bliebe es bei der aktuellen Kesseltauschrate von 3 Prozent, wären das über 30 Jahre. Bezogen auf diese Lebensdauer reichen 20 Prozent bei weitem nicht als Einsparung. Da muss ich also zusätzlich mindestens kurzfristig eine Solarthermieanlage einsetzen oder ich muss den Kessel in Kombination mit einer Wärmepumpe betreiben. Diese langen Investitionszyklen müssen deutlich verkürzt werden. Aber da fehlt mir die Phantasie, um zu sagen, wie man das regulatorisch sinnvoll macht. Deshalb bin ich eher ein Freund davon, eine klare Perspektive dafür zu schaffen, wie sich die Brennstoffpreise nach oben entwickeln. Zur Kompensation sollte es Förderprogramme und Ausgleichsmaßnahmen geben.

Ist die alte Streitfrage „Passivhaus oder Sonnenhaus“ eigentlich inzwischen entschieden?

Der Widerspruch wird künstlich erzeugt. Wenn das Sonnenhaus ein gutes Sonnenhaus sein soll, dann muss es eine gute Gebäudedämmung haben. Und wenn das Passivhaus ein gutes Passivhaus sein soll, dann braucht es die Sonnenenergie. Ein klimaneutrales Gebäude bekommen wir also nur mit Regenerativenergie-Technologie hin.

Wie autark sind die klimaneutralen Gebäude der Zukunft?

Man muss sich überlegen, was soll dezentral im Gebäude passieren und was übergeordnet in Netzen. Der Strom für die Wärmepumpe muss ja nicht auf meinem Haus, sondern der kann auch in der Region mit Wind und Sonne erzeugt werden. Ebensogut kann die klimaneutrale Lösung auch ein Wärmenetz sein, so wie man es in Dänemark sieht. Beim Stromnetz haben wir die Infrastruktur bereits – sie muss ohnehin regelmäßig ertüchtigt werden. Wärmenetzinfrastruktur haben wir zu wenig. Die Dänen sind uns da Jahrzehnte voraus.

Kann sich angesichts der Konkurrenz hochentwickelten Stromnetze und ausgebauter Gasnetze die Investition in Wärmenetze überhaupt lohnen? Zumal mit den hocheffizenten Gebäuden auch die Wärmedichte sinkt.

Vor 15 Jahren hatten wir die Option Photovoltaik noch nicht, weil die einfach zu teuer war. Und vor 25 Jahren hatten wir auch noch keine brauchbare Windenergieoption. Mit Wärmenetzen bekommen wir aber in jedem Fall eine weitere Option. Die Dänen haben sie und können ihre Wärmenetze inzwischen einigermaßen regenerativ betreiben. Ich sehe Wärmenetze als eine wichtige Option, weil wir es nicht schaffen werden, jedes Gebäude auf höchsten Stand zu bringen. Allerdings ist ein Wärmenetz eine große Investition, die man auch objektiv bewerten muss und für die man auf jeden Fall Langfristsicherheit braucht.

Welche Frage, die ich bisher nicht gestellt habe, würden Sie zum Schluss noch gern von mir hören?

Was kann ich tun, um die Kontrolle über die Wärmewende zu haben?

Ihre Antwort?

Die Wärmewende ist wie die Energiewende insgesamt ein großes Forschungsprojekt. Wir müssen die Wirksamkeit von Einzelmaßnahmen und Systemlösungen messen, um die Erfahrung zu gewinnen, die dann wieder zu den relevanten Akteuren aus Industrie, Planern, Handwerk, Politik und Verwaltung zurückgetragen werden muss. So bekommen wir wie in einem Regelkreis in unseren Systemen ein Qualitätsmanagement hin. Dazu brauchen wir mehr Kommunikation der Forschung mit der Anwendung.

Interview: Guido Bröer
Foto: ISFH

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