Thorsten Herdan im Interview: Energiewende statt Stromwende!

Foto: Guido Bröer
  Solarthemen 480. Thorsten Herdan leitet die Abteilung Energiepolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Zuvor als Geschäftsführer des VDMA tätig, kam Herdan 2014 als Quereinsteiger ins Ministerium. Solarthemen-Redakteur Guido Bröer sprach mit ihm in Senftenberg, wo in der vergangenen Woche die größte Solarthemieanlage Deutschlands eingeweiht wurde.

Solarthemen: Nachdem Sie hier in Senftenberg just Deutschlands größte Solarthermie-Anlage eingeweiht haben: In welcher Rolle sehen Sie solare Wärmenetze für die Energiewende?

Thorsten Herdan: Auf jeden Fall müssen die solaren Wärmetechnologien eine wesentlich größere Rolle spielen. Wir haben über das EEG bislang sehr stark auf die Nutzung der Sonne im Strombereich fokussiert und weniger auf die Nutzung im Wärmebereich. Natürlich kann erneuerbarer Strom auch in Wärme umgewandelt werden, aber wir sollten zunächst untersuchen, in welchen Bereichen und mit welchen Technologien es sich wirtschaftlich eher lohnt, Sonne direkt in Wärme umzuwandeln. Ich bin mir sicher, das die solare Wärme die Möglichkeit z.B. im Gebäudebereich bietet, den CO2-Fußabdruck deutlich zu verbessern und dabei wirtschaftlich zu sein. In Wärmenetzen – besonders in denen, die noch kohlebasiert sind – können wir mit solchen Anlagen wie hier in Senftenberg die CO2-Bilanz massiv verbessern und gleichzeitig Wertschöpfung vor Ort erzeugen. Damit kann ein Stück Strukturwandel im Fernwärmebereich entstehen.

Mitunter wird der Sinn von Fernwärme angesichts eines künftig klimaneutralen Gebäudebestandes angezweifelt.

Die Frage ist doch, wie wir einen klimaneutralen Gebäudebestand realisieren können. Dazu stehen uns zwei Pfade zur Verfügung. Der eine Pfad ist die Steigerung der Energieeffizienz, der andere Pfad der Ausbau der erneuerbaren Energien. Das haben wir in der Effizienzstrategie Gebäude auch sehr deutlich gemacht. Nur wenn wir beide Pfade gleichzeitig beschreiten, werden wir Erfolg haben, denn es ist völlig klar: Wenn zu einseitig in Richtung Energieeffizienz oder in Richtung erneuerbare Energien gesteuert wird, wird es zu teuer. Also werden wir zuerst den Energiebedarf der Gebäude senken und den verbleibenden Bedarf mit erneuerbaren Energien decken. Dazu stehen uns zwei Möglichkeiten offen. Entweder wird die erneuerbare Energie direkt im Gebäudebereich erzeugt, oder es wird erneuerbarer Strom aus dem Stromsektor genutzt. In verdichteten Räumen ist die gebäudenahe Erzeugung häufig schwierig. Dann bieten sich Wärmenetze an. Auch können solche Solarwärmeanlagen wie hier in Senftenberg Teil der Lösung sein.

Der Regenerativanteil von Fernwärme ist auch ein Thema bei der angekündigten Verschmelzung von EnEV und EEWärmeG. In letzter Zeit kursieren aber Meldungen, dieses Projekt der Bundesregierung für den Gebäudebereich werde in dieser Legislaturperiode womöglich nicht mehr angegangen.

Wir haben entschieden, dass wir das Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz und die Energieeinsparverordnung zusammenlegen. Dieser Ansatz wird auch von den Bundesländern unterstützt. Nun wäre es töricht, wenn wir die Zusammenlegung in dieser Legislaturperiode nicht mehr umsetzen würden, weil wir damit diese nicht aufeinander abgestimmten Gesetzeswerke noch länger bestehen lassen würden. Und weil wir nicht töricht sind, planen wir die Umsetzung zeitnah. Zudem wollen wir die Anforderungen an den baulichen Wärmeschutz, an den Primärenergieverbrauch sowie an den Einsatz erneuerbarer Energien eng miteinander verknüpfen und Optionen zur vermehrten Nutzung erneuerbaren Stroms und Wärme in Gebäuden und Quartieren einführen. Für nicht-öffentliche Gebäude werden wir den Niedrigstenergiestandard erst einführen, wenn wir die Wirkung dieser neuen Optionen genau untersucht haben. Das wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich sein. Wenn wir z.B. Quartierslösungen betrachten, müssen wir Flexibilitäten schaffen, die es ermöglichen, nicht nur einzelne Gebäude energetisch zu optimieren, sondern eben auch zum Beispiel solche solarthermischen Anlagen zu nutzen, um den Standard zu erfüllen.

Ein Knackpunkt bei dieser Novelle ist doch wohl, wie scharf der Gesetzgeber an bestehende Gebäude rangeht.

Das ist kein Knackpunkt, denn wir werden nicht an den Gebäudebestand rangehen. Das war auch nie geplant und ist auch im Koalitionsvertrag nicht so angelegt.

Aber in Altbauten wird der Großteil des Energieverbrauchs innerhalb des Gebäudesektors verbraucht.

Ja. Aber dafür haben wir einen klaren Kompass. Für den Neubau setzen wir Standards und für den Bestand stellen wir mit sehr gut ausgestatteten Förderprogrammen Anreize zur Verfügung. Wir werden aber nicht mit Ordnungsrecht im Gebäudebestand Zwang ausüben – weder im Gewerbebereich noch im Einfamilienhaus.

Kein Zwang klingt ja nett. Wenn man aber sieht, wie zum Beispiel das Marktanreizprogramm (MAP) des BAFA genutzt wird, stellt sich die Frage, ob das wirklich funktioniert. Trotz mehrfacher Anhebung der Fördersätze werden weniger regenerative Heizungsanlagen installiert als vor einigen Jahren.

Die Nachfrage nach dem MAP hat nach der Novelle 2015 massiv angezogen und die Antragszahlen sind dementsprechend gestiegen.

Dies liegt aber vor allem an der Einführung neuer Förderbereiche.

Ja, wir haben neue Förderbereiche eingeführt Aber auch dadurch sind unterm Strich mehr Anlagen realisiert worden. Allerdings setzen wir nicht nur auf das MAP, sondern für die Effizienzsteigerung im Bestand ist besonders das CO2-Gebäudesanierungsprogramm sehr attraktiv. Dort fördern wir Sanierungen mit 2 Milliarden Euro im Jahr. Das Programm erfreut sich historisch hoher Antragszahlen – es ist noch nie so nachgefragt worden wie jetzt. Ich glaube, diese Förderprogramme funktionieren gut. Man muss sich trotzdem die Frage stellen, wird man den klimaneutralen Gebäudebestand erreichen können, wenn man auf Dauer so klar differenziert: Neubau über Ordnungsrecht – Bestand über Förderung und Information. Wir sind felsenfest überzeugt, dass wir über Anreizförderung, Beratungsförderung und Aufklärung noch viel erreichen können. Letztlich müssen wir den Effizienzgedanken in der Bevölkerung verankern und zwar weil es sich lohnt – für ein besseres Wohlfühlklima im Gebäude und für den Geldbeutel. Zwang ist hingegen der falsche Weg.

Noch eine Spezialfrage zum MAP: Als Sie im Frühjahr 2015 auf der Messe ISH die ertragsorientierte Förderung für solarthermische Großanlagen vorstellten, haben Sie angekündigt, nach etwa zwei Probejahren eventuell solch eine leistungsbezogene Förderung auch auf die kleineren Anlagen übertragen zu wollen. Sind sie mit ihrer Meinungsfindung schon weiter gekommen?

Nein, die ist noch nicht abgeschlossen. Die Evaluation läuft aktuell. Fakt ist natürlich, dass wir auch im MAP die Effizienzkriterien weiterentwickeln müssen. Und wenn wir möglicherweise Innovationen verhindern durch heutige Standards, dann werden wir natürlich reagieren.

Sie machen jetzt Ihren Job im Bundeswirtschaftsministerium seit ungefähr zwei Jahren, waren damals Behörden-Quereinsteiger aus der Wirtschaft. Wo sind Sie heute schlauer als damals?

Also erstmal: Ich würde das jederzeit wieder machen. Auch wenn die Randbedingungen Menschen aus der Wirtschaft nicht unbedingt in solche Funktionen hineinziehen. Ich bin aber überzeugt, dass ein stärkerer Personalwechsel von Wirtschaft und Ministerien sehr wichtig ist. Der Wirtschaft muss stärker vermittelt werden, was Politik entscheidet und wie es dann umgesetzt wird, Ich habe festgestellt, dass viele Dinge, von denen ich früher gedacht habe, „warum machen die in Berlin das denn nicht einfach“, entweder an Haushaltsrecht, an Europarecht oder an anderen Prozeduren scheitern. Das ist oft nicht einfach und das hätte ich in dieser Form nicht erwartet. Da bin ich nun schlauer: Dies gilt es auch zu vermitteln, und letztlich ist das bei vielen Konzernen in der Wirtschaft auch nicht anders. Ich habe aber auch erfahren können, dass der Gestaltungsspielraum recht groß ist, fast noch größer, als ich gehofft habe.

Zum Beispiel? – Auf was sind Sie besonders stolz?

Wenn ich mir anschaue, wie die Effizienzpolitik mittlerweile aufgestellt ist, so bin ich schon ein wenig stolz zusammnen mit meinem Team dies erreicht zu haben. Mit einem Grünbuch Energieeffizienz, mit einem Strom-2030-Papier, das absolut kongruent ist, schlagen wir neue Kapitel in der Energiewende auf. Außerdem haben wir das Prinzip „efficiency first“ inzwischen so verankert, dass es nicht mehr von der Tagesordnung wegzudenken ist. Es geht darum, den Blick auf die Verbrauchsseite zu lenken, um festzustellen, ob neue erneuerbare Kraftwerke gebaut werden müssen, die wir vielleicht gar nicht brauchen. Ich finde schon, dass es uns gut gelungen ist, die Zwillinge Energieeffizienz und Erneuerbare als diejenigen Lösungsoptionen zu verankern, die unsere Energiewende Realität werden lassen. Und ich glaube, wir waren noch nie so gut unterwegs wie jetzt, aus der Stromwende eine Energiewende zu machen.

Was steht für die nächste Legislaturperiode ganz oben auf Ihrer Agenda?

Es wird elementar darauf ankommen, „efficiency first“ und die effiziente Sektorkopplung in einen regulatorischen Rahmen zu gießen. Mit dem Strommarktdesign, dem novellierten EEG und dem Konsultationsprozess zum Grünbuch Energieeffizienz und Strom 2030 haben wir die Grundsteine gelegt. Auf dieser Basis können wir jetzt wichtige und notwendige Debatten führen, wie etwa die Instrumentendiskussion im Bereich Energieeffizienz oder übergreifend das wichtige Thema der mittel- und langfristigen Gestaltung der Umlagesysteme.

Interview und Foto: Guido Bröer

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