Große Verunsicherung in der Windbranche

Solarthemen 495. In der deutschen Windbranche stehen die Zeichen auf Sturm. Nach den Ergebnissen der beiden ersten Aus­schrei­bungs­run­den ist die Branche verunsichert und fürchtet spä­tes­tens in zwei Jahren einen Ein­bruch beim Ausbau in Deutschland.

Während Sturmtief Sebastian am zweiten Messetag der Husum Wind mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 140 Kilometer pro Stunde über Husum hinwegtobte, rückte die Windbranche eng zusammen. Vier Leichtbau-Messehallen waren mittags vorsorglich evakuiert worden, so dass es in den verbleibenden zwei Gebäuden eng bis kuschelig wurde. „Wir rücken zusammen“ gaben die Messeveranstalter als Motto auf YouTube aus. Ansonsten scheint es mit der Wohlfühl-Atmosphäre in der deutschen Windbranche für die nächsten Jahre aber vorbei zu sein. Die ersten beiden Ausschreibungsrunden haben die Branche in Alarmstimmung versetzt. Die Hersteller stehen unter Preis- und somit Rationalisierungdruck. Schon allein Produktivitätsfortschritte gepaart mit dem politisch festgesetzten Ausbaudeckel können zu einer Entlassungswelle führen. Die Angst um Arbeitsplätze geht in vielen Unternehmen um – spätestens seit Senvion seine Standorte in Husum und Trampe geschlossen und Nordex kurz vor der Messe die Entlassung von bis zu 500 Leuten angekündigt hat. Den Trend belegt auch eine Umfrage der IG Metall Küste unter Betriebsräten aus Unternehmen der Windindustrie. 41 Prozent gehen von einer negativen Marktentwicklung in den kommenden zwei Jahren aus. In mehr als einem Viertel der Betriebe sehen die Arbeitnehmervertreter einen Beschäftigungsabbau im laufenden Jahr, während bei der Vorgängerumfrage 2016 noch kein einziger Betriebsrat Entlassungen erwartete. Immerhin gehen auch nach der aktuellen Studie weiterhin 23 Prozent der Betriebsräte von einer Zunahme der Beschäftigung in ihrem Betrieb aus. Auftragsdelle ab 2019 Daran zeigt sich auch, dass die Unternehmen im Moment noch reichlich zu tun haben. Anlagen, die bis Ende 2016 genehmigt waren, können noch gebaut werden, ohne sich an Ausschreibungen beteiligen zu müssen. Spätestens nach 2019 dürften sich allerdings, so der Tenor auf der Husumwind, die Auswirkungen der aus Sicht der meisten Branchenvertreter vermurksten Ausschreibungsbedingungen des Jahres 2017 in den Zubauzahlen niederschlagen. In den ersten beiden Ausschreibungsrunden haben zu mehr als 95 Prozent so genannte Bürgerwindgesellschaften nach EEG-Definition einen Zuschlag bekommen, die ihr Privileg genutzt haben, keine immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorweisen zu müssen. Der Gesetzgeber gesteht ihnen außerdem eine verlängerte Realisierungszeit von vier Jahren zu. Diese Bedingungen werden auch noch in der nächsten Ausschreibung im November gelten, bevor zunächst für die ersten zwei Runden 2018 nur noch genehmigte Projekte zugelassen werden, deren Realisierungsfrist zwei Jahre beträgt. Ab 2019 erwarten gleichwohl die meisten Hersteller wegen verzögerter oder fraglicher Realisierung vieler Windparks eine Auftragsdelle. Johannes Schiel von Vestas sagt bezogen auf die gesamte Branche: „Gegenüber der bisherigen Planung wird sich die Delle auf etwa 1000 Megawatt belaufen.“ Diese addiere sich zu dem aufgrund des Übergangs zum Ausschreibungsmodell ohnehin kalkulierten Rückgang um ein Drittel, erläutert Norbert Giese von Senvion. Genehmigung für alle Während andere Branchenverbände mit Rücksicht auf die Bundestagswahl bislang noch auf heikle Forderungen verzichten, ist nun das Hamburger Cluster EEHH in einem Positionspapier vorgeprescht. Dessen wichtigste Forderung: „BImSchG-Genehmigung für alle“. Die Rücknahme dieses Privilegs, die vor der Sommerpause vom Bundestag lediglich als Moratorium für die beiden Ausschreibungen im Februar und Mai 2018 eilig beschlossen wurde und danach zunächst evaluiert werden soll, müsse schon vor der ersten Ausschreibung im Februar 2018 dauerhaft im EEG festgeschrieben werden, so EEHH. Zugleich müssten aber die Kriterien und die weiteren Ausnahmen für Bürgerenergiegesellschaften überprüft und so angepasst werden, dass das Ziel der Akteursviefalt erreicht werde, so das Papier. Desweiteren müssten die Höchstpreisregeln für die Ausschreibungen ab 2018 überarbeitet werden. Denn ab dem kommenden Jahr bestimmt sich der Höchstpreis einer Ausschreibung jeweils auf Basis der drei vorausgegangenen Ausschreibungsergebnisse. Durch die Verzerrung der diesjährigen Ausschreibungsrunden wird der Höchstpreis 2018 somit massiv sinken. Die Befürchtung: Die auf Basis heutiger Anlagentypen geplanten Projekte mit einer bereits vorliegenden BImSchG-Genehmigung hätten unter dieser Bedingung möglicherweise auch im kommenden Jahr keine Chance auf einen Zuschlag. Genehmigungen, die jeweils 500000 Euro und mehr kosten können, würden damit wertlos. Konsens in der Branche scheint auch die Forderung zu sein, dass ausgeschriebene Megawattmengen, die nicht innerhalb der Realisierungsfrist gebaut werden, von der Bundesnetzagentur erneut ausgeschrieben werden müssten. Selbst wenn die Politik diesen Branchenforderungen entsprechen würde, dürfte aber das Jahr 2017 die Branche noch lange beschäftigen. Giese: „Die Ergebnisse der ersten und zweiten Ausschreibung sind industrie- und energiepolitisch eine Katastrophe.“ Bürgerwind vor Imageproblem Auch für die traditionellen Bürgerwindparks, so wie sie bisher verstanden wurden, scheinen die für sie vom Gesetzgeber gemachten Sonderregelungen eher nach hinten loszugehen – zumindest kommunikativ. Der Sprecher des Bürgerwindbeirates im Bundesverband Windenergie (BWE), Horst Leithoff, sagt: „Wir müssen den Begriff Bürgerenergiegesellschaft wieder positiv besetzen. Er ist gerade dabei, in Verruf zu geraten.“ Jörg Tiemann, Geschäftsführer des Bürgerwindparks Hollich Sellen im Kreis Steinfurt, erklärt: „Der Begriff wird inflationär missbraucht. Durch die Ergebnisse der ersten und zweiten Ausschreibungsrunde hat die Debatte darum einen Turbo bekommen.“ Stein des Anstoßes für Vorkämpfer der Bürgerenergiebewegung sind die Projekte, mit denen einige große Projektierungsunternehmen in den ersten beiden Ausschreibungsrunden erfolgreich waren. Hatten mit Enertrag verbun­dene Bürgerbeteiligungsgesellschaften der ersten Runde einen 20-prozentigen Anteil des gesamten Ausschreibungsvolumens ergattert, so erreichten UKA-Bürgerwindfirmen im August in der zweiten Ausschreibung sogar einen Anteil von zwei Dritteln der ausgeschriebenen Leistung. 37 Gebote mit einem Umfang von 660 Megawatt entfallen auf GmbH & Co. KGs, deren gemeinsame Komplementärin UKA ist. Alle diese Gesellschaften sind am UKA-Sitz in Meißen gemeldet. UKA-Sprecher Henrik Oliver von Oehsen bestätigt, die Windparks sollten zumeist jeweils aus sechs Anlagen mit zusammen 18 kW Leistung gebildet werden und zwischen 10 und 17 Kommanditisten aus dem jeweiligen Landkreis des Standortes haben. Von Oehsen wendet sich gegen den Verdacht, hier seien von UKA lediglich Strohleute eingesetzt worden und die Standorte seien nur fiktiv, weil das EEG eine Verschiebung innerhalb eines Landkreises zulässt: „Es stehen hinter jedem Park konkrete Bürger und Landeigentümer und konkrete Standorte. Wir haben auch nicht gezockt, sondern knallhart kalkuliert. Wir gehen davon aus, dass alle von UKA betreuten Windenergieprojekte, die einen Zuschlag erhielten, auch verwirklicht werden können.“ Von Oehsen stellt aber auch klar: „Wir sind nicht glücklich über die Bedingungen, unter denen wir erfolgreich waren.“ Auch UKA setze sich dafür ein, dass künftig die Genehmigung nach dem Bundesemissionsschutzgesetz zur generellen Teilnahmevoraussetzung für Ausschreibungen gemacht werde.“ Innerhalb des BWE wird derweil um Empfehlungen und Qualitätslabels für „faire“ bzw. „echte“ Bürgerwindprojekte diskutiert und gefeilscht. Der Sprecher des BWE-Anlegerbeirates, Martin Hundhausen, plädiert sogar dafür, Projektierer wie UKA von Seiten des BWE-Vorstandes zu rügen, weil sie sich seines Erachtens nicht wie ehrbare Kaufleute verhalten, indem sie die Bürgerenergieprivilegien nutzten, die offensichtlich nicht für sie gemacht seien. So weit will der BSW-Vorstand allerdings nicht gehen. Vorstandsmitglied Martin Grundmann sagte in Husum: „Ich finde das Verhalten von UKA und anderen nicht moralisch verwerflich, aber es ist für mich keine Bürgerenergie. Es ist nur eine Form, sich erfolgreich an Ausschreibungen zu beteiligen.“ Für BSW-Präsident Hermann Albers steht offenbar höher auf der Agenda, sich um eine Anhebung der Ausbauziele, ergo Auktionsmengen, zu kümmern, um des grundsätzlichen Problems mit den Ausschreibugen Herr zu werden. Die Politik möge sich auf das Ziel von Paris besinnen, plädiert er. Dafür sei es wichtig, die Fachkräfte in der Windbranche zu halten: „Wir brauchen diese Leute dringend. Denn wir brauchen mit Blick auf das Klimaziel von Paris einen Ausbau um 5000 Megawatt pro Jahr.“ Wir brauchen keinen Schutzschirm Auf der Husum Wind tauchte Albers am Rednerpult mit einem Regenschirm in allen Farben des politischen Spektrums auf. Lange genug habe die Branche einen solchen politischen Schutzschirm gebraucht, sagte er. Inzwischen sei sie stark genug, sich dem Markt zu stellen. Aber, so Albers: „Dieser Markt muss als Plattform für alle Akteure fair und gerecht gestaltet werden. Dafür bildet eine Bepreisung des klimaschädlichen CO2 die Grundlage. Darauf aufbauend sehen wir eine ausreichende Basis für marktwirtschaftliche Konzepte, die unseren Mitgliedsunternehmen wirtschaftliche Spielräume eröffnen.“ Mindestens auf regionaler Ebene tut die Politik derzeit jedoch einiges, um Spielräume der Windbranche einzuschränken. So hat die schwarz-gelbe Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in der vergangenen Woche ihren neuen Windkrafterlass vorgelegt. Der Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien (LEE NRW), Jan Dobertin, betont zwar, dass der Erlass nur weiche Empfehlungen enthalte. Das Investitionsklima in der Branche sei aber allein schon durch die Diskussion darum verdorben. Der LEE-Vorsitzende Reiner Priggen beklagt, in dem zuletzt ausbaustärksten Binnenland NRW drohe nach
2019 ein Fadenriss für die regional ausgerichtete mittelständische Windbranche: „Schon jetzt müssen die Unternehmen überlegen, was sie mit ihren Mitarbeitern machen. Text: Guido Bröer Foto: Guido Bröer    

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