Solarthermie wird Teil von „Smart Energy“

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Solarthemen 502. Große, netzgebundene Solarthermieanlagen spielen nicht mehr nur die Rolle eines „Fuel Savers“ in Fernwärmenetzen. Vielmehr wird Solarwärme zum Schlüsselelement von loka­len „Smart Energy Systems“, die Strom und Wärme­ verbinden.

Sehr deutlich wurde diese Entwicklung während der fünften Internationalen Konferenz für solare Wärmenetze in der vergangenen Woche im österreichischen Graz. Schon allein die auf 350 verdoppelte Teilnehmerzahl aus über 30 Ländern ist ein Indiz dafür, dass die Technologie an Bedeutung gewinnt. Aktuell ist eine zwiespältige Situation entstanden: Einerseits konkurrieren die Hersteller – gerade in Deutschland – noch um die wenigen Aufträge für erste Referenzanlagen. Denn die Branche, die europaweit immerhin mehr als 300 Anlagen realisiert hat, kämpft immer noch darum, dass ihre Technologie bei Fernwärmeunternehmen und -planern wahr- und ernstgenommen wird. Andererseits entstehen bereits ganz neue Rollen für die Solarthermie innerhalb von hochkomplexen Wärme-Strom-Systemen, und es wachsen auch auf politischer Ebene die Erwartungen an ihren Beitrag zur Energiewende. Einschlägige Solarhersteller, die sich in Deutschland in der Initiative Solare Wärmenetze zusammengefunden haben, leiten aus diesem Widerspruch zwei strategische Stoßrichtungen ab. Einerseits werben sie für die Rolle der Solarthermie innerhalb komplexer Strom-Wärme-Systeme. Dabei wollen sie andererseits dem Merksatz des schwedischen Solarwärme-Nestors Jan-Olof Dalenbäck treu bleiben. Der hatte schon vor vielen Jahren gefordert, Solarthermie für Wärmenetze möge geplant werden wie ein Kuss – „like a KISS: Keep It Simple and Smart“. Außerdem: möglichst groß und somit preiswert. Groß und einfach Von dänischen Dimensionen, wo in Silkeborg die mit 157000 Quadratmetern größte Solarthermieanlage seit einem Jahr in Betrieb ist, sind andere Länder zwar noch weit entfernt. Doch auch die größte deutsche Anlage in Senftenberg mit ihren 8300 Quadratmetern Kollektorfläche steht in der Tradition von Dalenbäcks Leitsatz. Die Anlage ist in der Lage, in den 85 bis 105 Grad Celsius heißen Vorlauf des Senftenberger Wärmenetzes einzuspeisen und agiert somit aus Sicht der Stadtwerke weitgehend wie ein „normaler“ Wärmeerzeuger. Die Solarthermieanlage hat sich im wirtschaftlichen Wettbewerb gegen andere Erzeugungsoptionen durch­gesetzt, wie Stadtwerke-Leiter Detlef Moschke betont. Dies belegen auch die Ergebnisse des ersten Betriebsjahres, die die Stadtwerke Senftenberg und der Hersteller Ritter jetzt auf dem Solarserver (www.solarserver.de) veröffentlicht haben: In den ersten 12 Monaten speiste die Anlage 4,1GWh und damit rund 8 Prozent mehr Wärme ins Fernwärmenetz ein, als ihr maximal zugetraut wurde. Die Ertragsgarantie wurde damit bereits sechs Sommerwochen vor Ablauf des ersten Be­triebsjahres erfüllt. Zwischen April und September erreicht die Anlage, gemessen an der auf die Kollektorfläche eingestrahlten Energie, Tagesnutzungsgrade von mehr als 50 Prozent; im Jahresmittel waren es 42,3 Prozent. Während in Senftenberg und anderswo der Wert der Solarthermie nur an der direkten Brennstoffeinsparung gemessen wird, ist man in Dänemark, wo bereits 112 Fernwärmenetze solar unterstützt werden, schon einen Schritt weiter. Solarthermieanlagen werden dort nicht nur immer größer, so dass Kommunen mittlerweile dank saisonaler Speicher im Jahresverlauf bis zu 60 Prozent mit Solarwärme versorgt werden. Sie sind auch eingebunden in ein komplexes Wärmeerzeugungsmanagement, das von den Schwankungen des Strompreises gesteuert wird. Neben stromgeführten Blockheizkraftwerken und Elektrokesseln werden auch elektrische Großwärmepumpen integriert, die das Temperaturniveau der Solarthermie bei geringer Einstrahlung anheben können oder die Temperaturschichtung im Speicher verbessern. Zusatzgewinne am Strommarkt würden in solchen komplexen „Smart Energy Systems“ erst durch die Solarthermieanlagen mit ihren riesigen Wär­mespeicherbecken ermöglicht, be­tont Flemming Ulbjerg vom Planungsbüro Rambøll: „In den großen Anlagen mit mehr als 50 Prozent solarem Deckungsgrad erreichen wir mittlerweile 20 Euro pro Megawattstunde für die Energie aus dem Kollektorfeld und 10 Euro für den Speicher, somit einen Gesamtpreis für die Solarwärme von 30 Euro.“ Daraus ergeben sich laut Ulbjerg vielfältige Zusatznutzen durch Regelenergie- oder Strombörsengeschäfte. So können etwa bei hohem Windaufkommen und deshalb extrem niedrigen Börsenstrompreisen Elektroboiler zugeschaltet werden. Es können aber auch die in den vergangenen Jahren geschrumpften wirtschaftlichen Laufzeiten der stromgeführten BHKW laut Ulbjerg verdoppelt werden. Und zwar indem diese Eigenstrom für die Wärmepumpen liefern, was wiederum die Effizienz der Solarthermieanlagen liftet. Ulbjerg: „So ebnet die Solarthermie den Weg für die Integration weiterer zusätzlicher und preisgünstiger Energiequellen. Aus Perspektive des Stromnetzes sieht eine solche Kommune aus, als halte sie den Weltrekord im Lastmanagement und als verfüge sie über eine gigantische Batterie. Das Geheimnis ist jedoch keine Batterie, sondern ein smartes Energiesystem.“ Umbau in Schritten Auch das Fernwärmenetz von Graz verfügt mit dem jüngst eingeweihten Projekt „Helios“ über ein – allerdings deutlich kleineres – System dieser Art. Auf dem Gelände einer stillgelegten Hausmülldeponie kombiniert Helios eine zunächst 2000 m2 große Solarthermieanlage, die noch um 10000 m2 erweitert werden soll, mit zwei Deponiegas-BHKW und einem 2500 Kubikmeter großen Wärmespeicher. Dieser puffert nicht nur die Energie aus dem Kollektorfeld und dem fluktuierenden Deponiegasaufkommen. Er dient im Wärmenetz der Stadt Graz, das von derzeit 75 Prozent Kohleanteil schrittweise auf 100 Prozent erneuerbare und Industrieabwärme umgestellt werden soll, auch als Backup. Der Speicher wurde so groß ausgelegt, dass er die Solarenergie über eine Woche sammeln kann, um am Wochenende die Abwärme eines Industriebetriebes für das Fernwärmenetz zu ersetzen. Laut Christian Stadler vom Solar­hersteller Arcon Sunmark, der die Helios-Anlage schlüsselfertig geliefert hat, kann der Speicher direkt ohne Wärmetauscher pro Stunde bis zu 250 Kubikmeter Wasser mit dem Netz austauschen, und er kann dabei zwischen mehr als 30 Betriebsmodi wechseln. Für Boris Papousek, Geschäftsführer des Versorgers Energie Graz, ist das Helios-System zwar für die Konversion des Grazer Wärmenetzes nur ein relativ kleiner Baustein. „Aber es ist ein sehr wegweisender Teil“, sagt Papousek und beschreibt dabei eine Herausforderung für solare Wärmenetze: „Im Gespräch mit Wärmekunden, Politikern und Unternehmen geht es jetzt darum, Vertrauen zu gewinnen. Dieses Vertrauen schafft man über solche konkreten Projekte wie Helios.“ An Vertrauen gewonnen hat die Solarthermie inzwischen bei Fernwärme-Funktionären. So nannte Werner Lutsch, Geschäftsführer des deutschen Fernwärmeverbandes AGFW und Präsident der europäischen Lobbyvereinigung Euroheat & Power, vor der in Graz versammelten Solarcommunity klare Zielvorgaben. Demnach soll sich das europäische Wachstum netzgebundener Kollektorfelder von 35 Prozent im Schnitt der vergangenen fünf Jahre verstetigen. Euroheat & Power erwartet, dass im Jahr 2018 Solarwärme erstmals mehr als eine Terawattstunde zur gesamten europäischen Fernwärme beitragen wird. Und dieser Anteil soll laut Lutsch bis zum Jahr 2050 auf 240 Terawattstunden bzw. 15 Prozent des gesamten Fernwärmeverbrauchs wachsen. Text: Guido Bröer, Foto: Energie Graz  

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