Kampf um Definitionshoheit über Prosumerrechte

Viele Dächer von Ein- und Zweifamilienhäusern, davon im Vordergrund ein Dach mit einer blauen PhotovoltaikanlageFoto: Guido Bröer
Eine größere EEG-Novelle hat das Bundeswirtschaftsministerium für den Herbst 2020 angekündigt. Ob dann auch grundsätzlich neue Modelle für den Betrieb kleiner Photovoltaik-Anlagen, für Prosumer und für Bürgerenergie-Gemeinschaften auf die Agenda der Großen Koalition gehoben werden, ist fraglich. Gründe dafür gäbe es genug.

Allein schon das Auslaufen der EEG-Vergütung für etwa 18.000 Photovoltaikanlagen der Baujahre bis 2000 zum Ende dieses Jahres wäre Grund genug, das Thema anzufassen (vgl. Solarthemen 525). Für sie gibt es nach heutigem EEG keine legale und rentierliche Weiterbetriebsoption, bei der Strom jenseits des Eigenverbrauchs nicht nicht verloren ginge. Wichtig ist das Thema auch für jeden Prosumer, also einen Konsumenten, der gleichzeitig zum Beispiel in einer Photovoltaik-Anlage Strom produziert.

Ein weiterer Anlass wäre auch, wie so oft, Druck aus Europa. Denn für zwei wesentliche EU-Richtlinien endet demnächst die Frist zur Umsetzung in nationales Recht. Die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie, die insbesondere das deutsche Energiewirtschaftsgesetz betrifft, stärkt das dezentrale Energiesystem. Sie fördert unter anderem den Austausch und Handel zwischen lokalen Energiegemeinschaften und setzt den nationalen Gesetzgebern eine Frist bis Silvester 2020. Ein halbes Jahr mehr Zeit, bis zum 30. Juni 2021, haben die nationalen Gesetzgeber in den Mitgliedsländern, um die Neufassung der Erneuerbare-Energie-Richtlinie (Renewable Energy Direktive – RED II) umzusetzen. Sie ist also noch vor der nächsten Bundestagswahl fällig. Und sie soll auch die Prosumer fördern.

EU-Richtlinie als Hoffnungsträger

Dieses im Dezember 2018 in Kraft getretene Regelwerk gilt vielen Freunden der erneuerbaren Energien in Deutschland als Hoffnungsträger für prosumerfreundliche Neuregelungen eines künftigen EEG. Schließlich widmet sich der Artikel 21 über eineinhalb eng bedruckte DIN-A4-Seiten des Amtsblattes der EU ausschließlich den „Eigenversorgern im Bereich erneuerbarer Elektrizität“. Insbesondere der Passus, wonach die eigenverbrauchte Elektrizität aus Anlagen bis 30 kW Leistung, die nicht ins öffentliche Netz eingespeist wird, von „jeglichen Abgaben, Umlagen oder Gebühren“ befreit sein muss, sorgt in Deutschland für Diskussionen. Denn hier gilt oberhalb von 10 kW derzeit eine 40-prozentige EEG-Umlage auch für den Eigenverbrauch.

Diese Anlagen werden den Prosumern zugerechnet. Doch kurz vor Verabschiedung der Richtlinie hat die deutsche Bundesregierung noch eine Klausel in die Richtlinie hineingedrückt. Nach dieser sind Ausnahmen von der Befreiung durchaus möglich, wenn die eigenerzeugte erneuerbare Elektrizität im Rahmen von Förderregelungen effektiv gefördert wird und solange „die Rentabilität des Projektes und der Anreizeffekt der betreffenden Förderung dadurch nicht untergraben werden.“

Ausnahmeklauseln

Auch die Möglichkeit, als Eigenversorger bzw. Prosumer seine überschüssigen Strommengen diskriminierungsfrei nicht nur zu speichern sondern auch an Versorger oder über sogenannte Peer-to-Peer-Geschäftsvereinbarungen an andere Prosumer zu verkaufen, ohne dass Abgaben, Umlagen oder Gebühren fällig werden, garantiert die RED II. Allerdings können Mitgliedsländer auch hierfür die gleichen Ausnahmeklauseln wie für den Eigenverbrauch geltend machen.

Solange das Verfahren für eine Novellierung des EEG noch nicht einmal begonnen hat, ist deshalb fraglich, wie die deutsche Bundesregierung mit den Vorgaben aus Brüssel umzugehen gedenkt. Weder das federführende Bundeswirtschaftsministerium noch die Koalitionsfraktionen haben dazu bislang irgendwelche konkreten Pläne durchblicken lassen.

Überschätzt wird in diesem Zusammenhang mitunter die Rolle der Bundesnetzagentur (BNetzA). Denn diese Bundesbehörde ist bereits vor Monaten vorgeprescht mit eigenen Vorschlägen für ein sogenanntes „Prosumermodell“ (vgl. Solarthemen 525). Es soll nach den Vorstellungen der Autoren aus dem für erneuerbare Energien zuständigen Referat der BNetzA einer besseren Marktintegration der PV-Anlagen von Prosumern dienen. Doch das auf der Homepage der BNetzA prominent veröffentlichte und in zahlreichen Vorträgen vorgestellte Modell ist nicht mehr als ein Vorschlag – zudem ein sehr umstrittener.

Ende der Bürgerenergie?

Der Geschäftsführer des Bundesverbandes Energiespeicher (BVES), Urban Windelen, nennt das BNetzA-Modell eine „Enteignung von Photovoltaik- und Speicherbetreibern“. Der Filmemacher Frank Farenski, dessen Aussagen in den sogenannten „sozialen“ Medien ein starkes Echo gefunden haben, nennt das BNetzA-Modell das „Ende der Bürgerenergie“. Und auch sein Interviewpartner, Professor Eike Weber, ehemaliger Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, kritisiert das BNetzA-Modell scharf: „Für die Anlagenbesitzer ist es der größte Anreiz, diese PV-Anlagen zu bauen, um ihre eigene Stromrechnung zu verringern. Und die Regelungen, die jetzt (von der BNetzA) vorgeschlagen werden, würden auf eine sehr subtile Weise verhindern, dass man diesen Hauptvorteil des Aufbaus eigener PV-Anlagen zur Selbststromnutzung in Anspruch nimmt.”

Dass er die heutige Form der Eigenverbrauchsoptimierung von PV-Betreibern mit seinem Modell beseitigen will, daraus macht auch Peter Stratmann, Referatsleiter der BNetzA, keinen Hehl. Er hält Heimspeicher, von denen es mittlerweile 200.000 Stück in Deutschland geben soll, aus Sicht des Stromnetzes für unnötig. Und er hält sie gar für schädlich, weil die Speicherbesitzer – aber auch PV-Besitzer ohne Speicher – von ihrem Stromversorger mit einem Standardlastprofil beliefert werden, das dem Verbrauch eines Prosumers nicht entspricht.

Zerstörung eines Geschäftsmodells

„Eigenverbrauch und Standardlastprofil geht nicht zusammen; das ist der springende Punkt“, betont Stratmann sein Credo gegenüber den Solarthemen. Das heutige Vertriebsmodell der Speicherhersteller, das darauf beruhe, mithilfe von Speichern, den Autarkiegrad der Photovoltaikbesitzer zu erhöhen, während andere Stromverbraucher überproportional für die Netzkosten aufkommen, wä­re mit seinem Modell für Prosumer hinfällig. Speicher wären schlicht nicht mehr interessant. Denn der erzeugte PV-Strom wäre – direkt oder indirekt – entweder vollständig an den örtlichen Netzbetreiber zu verkaufen oder aber bei entsprechend großen Anlagen an einen Direktvermarkter. Für diese Stromhändler ist aber der relativ teure Strom aus einer Heimspeicheranlage heute noch nicht interessant.

Zwar werfen auch Experten des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft (bne) der BNetzA vor, mit ihren Modellen auf die Renaissance einer zunehmend überkommenen Vorstellung von einer Stromwelt hinzuarbeiten, in der zentrale Versorger und Netzbetreiber die Kontrolle über die Strom­netze haben und ihre Geschäftsmodelle verteidigen wollen. Auf einen eigenen Gegenentwurf für eine prosumerfreundliche Novelle des Energierechts haben sich die Verbände der Regenerativ-Szene allerdings noch nicht verständigt.

Wie beim Eigenverbrauchsleitfaden

Auch Urban Windelen vom Speicherverband BVES kann dergleichen noch nicht aus dem Hut zaubern. Allerdings gefällt es ihm nicht, dass es der BNetz­A wieder einmal gelungen ist, die Richtung der Debatte zu prägen. Ähnliches geschah vor Jahren mit dem umstrittenen Eigenverbrauchsleitfaden der BNetzA, dessen Formulierungen später teils 1:1 in das EEG übernommen wurden.

Auf diese Weise – zunächst über die Empfehlungen des BNetzA-Leitfadens – ist beispielsweise die strikte Auslegung der sogenannten Perso­nen­identität beim Eigenverbrauch in das EEG gewandert. Sie verhindert dort kleine Mieterstromprojekte mittels umständlicher Versorgerpflichten und der EEG-Umlage.

Auch das ist ein Punkt, der gemessen am Geiste der neuen EU-Richtlinien höchst fragwürdig ist. Denn die RED II definiert ausdrücklich „gemeinsam handelnde Eigenversorger im Bereich erneuerbare ELektrizität“, die sich in demselben Gebäude oder Mehrfamilienhaus befinden. Zwar dürfen Mitgliedsstaaten zwischen Eigenversorgern und gemeinsam handelnden Eigenversorgern unterscheiden. Allerdings müsste „jede solche Unterscheidung (…) verhältnismäßig und hinreichend begründet sein“.

BNetzA macht Marktdesign

Vor diesem Hintergrund dürfte die BNEtzA ihre definitorischen Empfehlungen im Eigenverbrauchsbereich spätestens bis zum Juni 2021 nochmal zu überarbeiten haben. Dass sich die Behörde aber nicht darauf beschränken muss, als Erfüllungsgehilfe des ihr vorgesetzen Wirtschaftsministeriums zu agieren, macht Peter Stratmann deutlich: „Ich sehe unsere Rolle schon so, dass wir die Aufgabe haben, Marktdesign zu machen.“

Und so ist dann wohl auch ein neues Speicherpapier zu verstehen, dass die BNetzA Ende April veröffentlicht hat. Darin argumentiert die Behörde vor allem gegen die Forderung der Regenerativ-Lobby, Speichern im Energierecht einen ganz eigenen Status zu geben. Bislang gelten die Geräte janusköpfig zugleich als Energieerzeuger und als Energieverbraucher. Die BNetzA möchte, dass es dabei bleibt. Demgegenüber sieht der BVES Speicher als etwas Spezielles und als vierte Säule im Energiesystem neben Erzeugung, Transport und Verbrauch.

23.5.2020 | Autor: Guido Bröer, Solarthemen | www.solarserver.de
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