Erneuerbare Fernwärme im Fit-for-55-Paket

Erneuerbare Fernwärme - Solarthermieanlage vor dem Heizkraftwerk der Stadtwerke BernburgFoto: Guido Bröer
Europa ist sich einig: Anteile erneuerbarer Energien, wie etwa der Solarthermie, an der Fernwärmeversorgung europäischer Länder müssen wachsen.
Mit dem Fit-for-55-Paket will die EU-Kommission unter anderem die grü­ne Fernwärme anschieben – solare Wärmenetze inbegriffen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Verhandlungen zwischen Kommission, Europäischem Parlament und dem Rat der Mitgliedsländer.

Seit die EU-Kommission im Juli 2021 mit dem Fit-for-55-Paket die Überarbeitung der zentralen Klima- und Energierichtlinien der EU begonnen hat, sind für zwei dieser Richtlinien – die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) und die Energieeffizienz-Richtlinie (EED) – bereits die Trilog-Sitzungen erfolgreich abgeschlossen. Für die EED gibt es seit Anfang März und für die RED III seit Ende März ein Abschlussergebnis des Trilogs, das allerdings jeweils noch in den Richtlinien-Entwurf eingearbeitet werden muss, bevor Parlament und Rat final darüber entscheiden können. Der finale Text der RED III liegt deshalb noch nicht vor (Stand 18.4.2023). Im Trilog verhandeln das Europäische Parlament, der Rat und die Europäische Kommission informell über strittige Punkte, um Kompromisse zu finden. Zur Richtlinie zur Energieeffizienz von Gebäuden (EPBD) soll der Trilog bald beginnen. Die Dekarbonisierung der Fernwärme – beispielsweise durch Abwärme, Geothermie oder Solarthermie – spielt in allen drei Richtlinien eine wichtige Rolle.

Steigerungsraten für erneuerbare Fernwärme

Während des Trilogs haben die Gremien bereits einen Kompromiss zum Sektorziel für Wärme und Kälte ausgehandelt, der indirekt auch die grüne Fernwärme betrifft. Artikel 23 der RED III sieht nun vor, dass die Mitgliedstaaten den Anteil der erneuerbaren Energien im gesamten Wärme- und Kältesektor bis 2030 im Jahresdurchschnitt um mindestens 1,1 Prozentpunkte erhöhen müssen. Dieses Ziel ist verbindlich. Und das ist ein wesentlicher Unterschied zur RED II aus dem Jahr 2018. Diese aktuell geltende Richtlinie fordert die Mitgliedstaaten lediglich unverbindlich auf, eine jährliche Steigerung von 1,3 Prozentpunkten zu erreichen.

Wesentlich höher als für den Gesamtbereich Wärme/Kälte liegt im Prinzip die neue Messlatte für die Fernwärme. Artikel 24 der RED III nennt für den Regenerativanteil eine Steigerungsrate von 2,2 Prozent pro Jahr. Aber hier bleibt die Zahl weiterhin unverbindlich – ein Erfolg der europäischen Fernwärmelobby. Die Mitgliedstaaten sollen sich laut dem Trilog-Kompromiss lediglich „bemühen“, den Anteil von erneuerbaren Quellen und Abwärme in der Fernwärme- und Fernkälteversorgung um einen Richtwert von 2,2 Prozentpunkten im Jahresdurchschnitt für den Zeitraum von 2021 bis 2030 zu erhöhen. Man kann dies dennoch als Fortschritt werten, lag doch der Vergleichswert in der RED II lediglich bei einem Prozentpunkt pro Jahr.

Nehmen Fernwärmebetreiber diese Herausforderung an, so könnte die Solarthermie durchaus erste Wahl sein. Denn während Geothermieprojekte mit einem mehr oder weniger großen Fündigkeitsrisiko verbunden sind und Wärmepumpen erst durch grünen Strom wirklich „öko“ werden, weiß man bei der großen Solarthermie inzwischen gut, was man für die Investition bekommt. Sofern sich dafür eine geeignete Fläche findet, denn dass ist bei dieser Technologie der Knackpunkt.

Third Party Access

Ein weiterer Aspekt von Artikel 24 in RED III ist Absatz 4a über den Zugang Dritter zu Fernwärmenetzen (Third Party Access). Die Europäische Kommission wollte hier ursprünglich nach dem Vorbild der Stromnetze ein Recht auf Einspeisung von erneuerbarer Energie oder Abwärme in alle Fernwärmenetze über 25 MW Wärmeleistung einführen. Das Europäische Parlament änderte jedoch die Formulierung von „verpflichtet“ in „ermutigt“.

Raphael Schenkel, Spezialist für Europapolitik beim deutschen Fernwärmeverband AGFW, verbucht das als Erfolg: „Unserer Meinung nach ist es ein guter Kompromiss, dass der Anschluss nicht verpflichtend ist. Versorgungsunternehmen, die bereits in erneuerbare oder Abwärmeerzeugungskapazitäten investiert haben, müssen die Möglichkeit haben, die Erlaubnis zur Einspeisung von Fremdwärme wirtschaftlich abzuwägen. Andernfalls wür­de es zu einem Überangebot an Wärmekapazitäten im Netz kommen, was zu technischen Problemen und höheren Preisen für die Kunden führen würde.“

Wobei ein solches Modell gerade auch im lokalen Umfeld seinen Reiz haben könnte. Ähnlich wie Bürger-Photovoltaik-Anlagen sind auch Bürger-Solarthermie-Anlagen als überschaubares, sicheres Investment denkbar. Dass hätte obendrein einen direkten Bezug zu den Verbraucher:innen, ließe sich in Kooperation mit Stadtwerken realisieren und könnte der lokalen Akzeptanz der Wärmewende entsprechend zuträglich sein.

Ökologische Kundenrechte in der Fernwärme

Ein weiterer Absatz in Artikel 24 der RED III stärkt die Rechte der Fernwärmenutzer. Die Kunden dürfen demnach den Vertrag mit ihrem Versorger kündigen, wenn das bestehende Wärmenetz die Kriterien für effiziente Fernwärme oder -kälte nicht erfüllt und ihre individuelle Versor­gung mit Wärme oder Kälte eine deutlich bessere Energieeffizienz aufweist. Schenkel sagt: „Diese Regelung setzt die Betreiber von Fernwärmenetzen unter Druck, ihre Netze zu modernisieren und ihre Wärmeerzeugungsanlagen zu dekarbonisieren, da sie sonst Wärmekunden verlieren würden.“

In der Neufassung der Effizienzrichtline EED ist die Definition von effizienten Fernwärme- und Fernkältesystemen deshalb ein Schlüsselelement. Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass ein Fernwärme- und Fernkältesystem, das gebaut oder grundlegend saniert wird, bestimmte Effizienzkriterien erfüllt. In der ersten Phase gelten Fernwärmesysteme – wie bisher – als effizient, wenn sie entweder mindestens 50 % erneuerbare Energie oder 50 % Abwärme oder 75 % Wärme aus Kraft-Wärme-Kopplung enthalten. Aber auch, wenn 50 % der Energie aus einer Kombination dieser Optionen stammt. Diese Prozentwerte nannte bereits die bisherige Richtlinie. Nach der Neufassung der EED gilt diese Definition jedoch nur übergangsweise. Von Anfang an gilt jedenfalls: Wer in Solarthermie investiert, ist auf der sicheren Seite.

Phasenmodell für grüne Fernwärme

In der zweiten Phase genügen zwar weiterhin 50 % erneuerbare Energien oder Abwärme, um die Kriterien zu erfüllen, aber KWK-Wärme muss nun 80% decken und mit einem CO2-Ausstoß von weniger als 270 Gramm pro kWh hocheffizient sein. In Brüssel feilschte man bis zuletzt über die Fristen für die erste und zweite Phase. Kommission und Rat wollten die Phase II (50%/50%/80%) bereits im Jahr 2026 beginnen, das Parlament wollte den Stichtag erst für 2028 setzen.

Kommission und Parlament sind sich hingegen einig, dass ab dem 1. Januar 2035 ein System, das mindestens 50 % erneuerbare Energien und Abwärme nutzt, wobei der Anteil der erneuerbaren Energien mindestens 20 % beträgt, die Effizienzkriterien erfüllt. Der Ratsvorschlag erlaubt hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplung mit Gas noch bis 2050. Danach müsste die KWK mit grünem Wasserstoff oder Biomasse betrieben werden. Ohnehin ist zu beachten, dass auf EU-Ebene weiterhin das Jahr 2050 als Zeitpunkt für die vollständige Dekarbonisierung der Wärmenetze gilt, während die deutsche Bundesregierung mittlerweile ihre nationale Zielmarke auf 2045 vorgezogen hat.

Der AGFW unterstützte während der Trilog-Verhandlungen das Szenario des Rates, nach dem gasbetriebene Kraft-Wärme-Kopplung bis 2050 genutzt werden kann, da diese eine wichtige Säule der heutigen Wärmeversorgung sei.

Efficiency First – Abwärme vor Erneuerbaren

Ein interessantes Detail des EED-Revisionsentwurfs des EU-Parlaments ist das sogenannte „Energy Efficiency First Principle“. Demnach könnte unvermeidbare Abwärme ab 2035 den Anteil der erneuerbaren Energien ersetzen, wenn sie andernfalls verloren ginge.
Und auch die europäische Gebäuderrichtlinie EPBD behandelt die Fernwärme, wie AGFW-Experte Schenkel erklärt: „Die EPBD ist eng mit der RED und der EED verbunden; alle drei Richtlinien sind für die Fernwärme von großer Bedeutung. Fernwärme hat eine starke Stellung in der EPBD und wird explizit als Lösung zur Wärmeversorgung für den zukünftigen europäischen Gebäudestandard Zero Emission Buildings genannt, der ab 2028 für Neubauten verpflichtend sein wird.“

Allerdings waren sich Rat, Parlament und Kommission lange nicht einig, welche Anforderungen für Fernwärmenetze gelten sollen, damit sie Wärme für Null-Emissions-Gebäude liefern können. Der Rat argumentiert, dass die Definition für effiziente Fernwärmenetze in Anlehnung an die EED ausreicht, während die Kommission nur Netze für Erneuerbare und Abwärme – ohne KWK – zulassen will.

Zeitplan für erneuerbare Fernwärme

Die Details der der Trilogergebnisse für RED III und EED werden erst abschließend beurteilen lassen, wenn die geänderten Richtlinienentwürfe schriftlich vorliegen. Das könnte sich bis in den Mai hinziehen. Der Trilog für die EPBD muss erst beginnen. Er dürfte mindestens sechs Monate dauern. Die endgültige EPBD-Richtlinie wird also frühestens Ende 2023 vorliegen. Die Mitgliedstaaten haben dann zwei Jahre Zeit, die Regelungen der EU-Richtlinien in nationales Recht umzusetzen. Dies wird also nicht vor Mitte bis Ende 2025 geschehen.

20.3.2023 – Überarbeitung 19.4.2023 | Autor:innen: Bärbel Epp, Guido Bröer
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