Photovoltaik im Moor: viel Potenzial, kaum Erfahrungen

Eine Solarmodulreihe steht in einer teilweise überfluteten Moor-Wiese mit typischer FeuchtwiesenvegetationFoto: Wattmanufactur GmbH & Co. KG
Die PV-Anlage in Lottorf, Schleswig-Holstein, die auf einer wiedervernässten Moorwiese steht, ist ein Beispiel, das Schule machen soll.
In der vorigen Woche haben sich das Europäische Parlament und der Rat der Mitglieds­län­der im Trilogverfahren auf ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur geeinigt. Jeweils 20 Prozent der Landgebiete und Meere sind aus Klimaschutzgründen zu renatu­rieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Wiederver­nässung landwirtschaftlich genutz­ter Moorböden. Moor-Photovoltaik könnte für Deutschland eine Schlüssel­rolle spielen. Vom EEG 2023 ermöglicht, ist Moor-PV aber noch unbe­kanntes Terrain für Pionier:innen.

Seit Anfang 2023 ist die Errichtung von Photovoltaik-Freiflächenanlagen (PV-FFA) auf entwässerten und landwirtschaftlich genutzten Moorböden nach EEG förderfähig, sofern diese Flächen dauerhaft wie­der­vernässt werden. Doch bislang gibt es hierzulande noch kein einziges Freiflächen-Kraftwerk, das nach den EEG-Regeln als Moor-PV-Anlage gefördert wird.

Moor-Photovoltaik Pionieranlage in Lottorf

Gleichwohl existiert schon mindestens eine große Solaranlage im Moor, auf die sich zurzeit alle Augen von Wissenschaft, Politik und interessierten Branchenvertreter:innen richten. Der Solarpark – vor zwei Jahren im Wahlkampf vom heutigen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eingeweiht – erstreckt sich über einen Korridor neben den Eisenbahnschienen südwestlich des schleswig-holsteinischen Ortes Lottorf. Betrieben wird die Anlage von der Wattmanufaktur GmbH & Co. KG. Ihre Modulfläche ist in einem zweiten Bauabschnitt inzwischen auf die stolze Peakleistung von 20 Megawatt gewachsen.

Dass in Lottorf schon vor der gesetzlichen Verankerung des Moor-PV-Gedankens im EEG Pionierarbeit geleistet wurde, sei einem Mitarbeiter der zuständigen Naturschutzbehörde geschuldet, erinnert sich Wattmanufactur-Flächenentwickler Thies Jensen. Obwohl die avisierte Fläche unmittelbar neben einer zweispurigen Bahnstrecke liege, habe die Behörde zunächst abgewunken. Aus Naturschutzgründen sei dieses Gelände für eine PV-Anlage tabu. Das sehe anders aus, wenn die zuvor als Intensivgrünland genutzte Fläche auf trocken gelegtem Moorboden wiedervernässt werden könne. So entstand vor zwei Jahren aus dieser Idee eine solare Freiflächenanlage mit Win-win-win-Effekt. Als Nummer eins profitiert die Biodiversität, weil auf dem nunmehr nassen und nicht mehr gedüngten Moorboden eine reichhaltige Flora und Fauna entsteht. Zweitens werden die andauernden Treibhausgasemission durch die biologische Zersetzung des ausgetrockneten Moorbodens gestoppt. Und zum Dritten wird auf der Fläche Solarstrom gewonnen, der fossile Energie ersetzt.

„Wir haben unendlich viel bei dem Projekt gelernt“, sagt Thies Jensen. Allein schon mit der Gründung der Anlage auf gerammten Stahlfundamenten betrat die Wattmanufaktur Neuland. Die verzinkten Stahlpfosten wurden durch den bis zu zwei Meter starken Moorkörper bis in den darunter liegenden festen Untergrund gerammt. Denn eine Verankerung im schwammigen Torfboden schien ausgeschlossen: „Unser Statiker hat gesagt, für ihn sei Torf wie Luft“, berichtet Jensen.

Moorboden stellt besonderen Anforderungen an die PV-Gestelle

Um gegen erhöhte Korrosionsgefahr an den Grenzflächen zum sauren Untergrund gefeiht zu sein, erhielten die Pfosten zusätzlich eine Epoxidbeschichtung. Als weitere Besonderheit ist die PV-Anlage in Lottorf einachsig nachgeführt. Für die bewegten PV-Module hat man sich aber weniger wegen des höheren Lichteinfalls auf deren Oberfläche entschieden, sondern wegen der besseren Hell-Dunkel-Verteilung unter den Modultischen. Denn Moor ist für gewöhnlich Offenland, weshalb die typischen Moorpflanzen, die sich zwischen und unter den Modulreihen entwickeln sollen, ausreichend Licht brauchen.

„Pflanzen sind als Abdeckung für den Torf wichtig“, betont Monika Hohl­bein vom Greifswald Moor Centrum (GMC). Fehle die Pflanzenschicht, so trockne der Torf oberflächlich aus und die CO2-Emission gehe trotz der Wiedervernässung weiter.

Die Wissenschaftlerin betont, wie wenig man bisher über die Wechselwirkung von Photovoltaik und Moor wisse. Inwieweit und wie bald der durch Trockenlegung degenerierte Moorboden bei einer Wiedervernässung in Kombination mit einer PV-Anlage sein öko­logi­sches Potenzial entfalten kann, darüber gebe es noch keine Erfahrungen, sagt Hohlbein. Bislang nämlich wurden Moore nur wie­dervernässt, um der Natur ihre Freiräume zurückzugeben, etwa in Naturschutzgebieten. Daneben ist aber in wissenschaftlichen Kreisen die Idee einer Doppelnutzung wiedervernässter Flächen entstanden, um Nutzungskonflikte mit der Landwirtschaft zu entschärfen. Das Stichwort heißt Paludikultur. Prominenteste Variante ist der Anbau bestimmter Schilfarten, aus denen sich Dämmstoffe herstellen lassen. Das bringt einen doppelten Klimaeffekt. Gewissermaßen die Steigerung davon heißt Moor-Photovoltaik.

Europaweit Moor wiedervernässen

Aufwind könnte die Idee jetzt aus Brüssel bekommen. Denn die Einigung, die Vertreter des EU-Parlaments in der vergangenen Woche mit den Mitgliedsländern erzielt haben, hat es in sich. Sofern das Trilog-Ergebnis final abgesegnet wird, sollen jeweils 20 Prozent der Meeres- und Landfläche der EU renaturiert werden. Das lange umstrittene Gesetz zur Wiederherstellung der Natur gilt als Kernbestandteil des vor vier Jahren von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausgerufenen Green Deal. Die Wiedervernässung landwirtschaftlich genutzter Moorböden schreibt Europa im Gesetz weit oben auf die Agenda.

Und das mit Recht. Nicht nur speichern Moorböden im intakten und feuchten Zustand große Mengen an Kohlendioxid. Viel wichtiger ist der Umkehrschluss: Moorböden, die trocken sind, zersetzen sich in einem fortlaufenden Prozess und entschwinden dabei als CO2 in die Atmosphäre.

In einem moorreichen Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern wird die kontinuierliche CO2-Abgabe trocken gelegter Moore vom Greifswald Moor Centrum auf 30 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen des Bundeslandes beziffert. Das ist weit mehr, als jeder andere Bereich in dem dünn besiedelten Bundesland emittiert, sei es Verkehr, Haushalte, Industrie oder Landwirtschaft.

Moor muss nass

„Moor muss nass“ heißt deshalb ein Slogan der Greifswalder Moorwissenschaftler:innen. Wie nass, darüber musste sich auch die Bundesnetzagentur (BNetzA) mithilfe von Ex­pert:innen einen Kopf machen, bevor sie im Juli 2023 die technischen Kriterien für Moor-PV-Anlagen gemäß EEG veröffentlicht hat. Demnach sind in Moor-PV-Parks Mindestwasserstände von zehn Zentimeter unter Flur im Winter und 30 Zentimeter unter Flur im Sommer „anzustreben“.

Einen verbindlichen Mindestwasserstand nennt die BNetzA nicht, weil eine zentimetergenaue Einhaltung auf der gesamten Fläche schwierig zu erreichen und kaum zu kontrollieren wäre. Außerdem sei schwer abzuschätzen, welche Folgen eine Wasserstandsanhebung auf Nachbarflächen habe, erklärt Hohlbein. Die genannten Wasserstände sollten PV-Projektierer aber auch nicht als bloße Empfehlungen missverstehen, betont sie: „Ein hydrologisches Gutachten zu beauftragen, macht immer Sinn.“

Wiedervernässung auf enormen Flächen?

Aber schon an erfahrenen Gutachtern könnte es bald mangeln, wenn man die technischen Potenziale der Moor-PV auch nur ansatzweise realisieren will. 440 bis 880 Gigawatt hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energieversorgung (ISE) unter Einsatz Geografischer Informationssysteme (GIS) für Deutschland ermittelt. Und das ist nur ein kleiner Teil jener 50.000 Hektar, die Deutschland nach Ansicht der Moorwissenschaft jährlich (!) wiedervernässen müsste, um bis zur Jahrhundertmitte klimaneutral zu werden. Die Idee liegt also nahe, möglichst sämtliche Gigawatt, die nach den Zielen der Bundesregierung an Freiflächen-PV-Anlagen für die Energiewende nötig sind, auf wiedervernässten Moorböden zu installieren. Würden doch damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Den Ansatz findet auch Tobias Keinath charmant. Ganz so einfach sei das allerdings nicht, erklärt der Umweltwissenschaftler aus der Agrivoltaics-Forschungsgruppe am Fraunhofer ISE. „Ja, wir sollten Flächen doppelt nutzen, sei es mit Agri-Photovoltaik oder mit Moor-PV“, sagt Keinath. Allerdings sei das differenzierter zu betrachten. Denn die Errichtung von Moor-PV-Anlagen sei absehbar mit deutlich höheren Kosten verbunden als die heute üblichen PV-Parks auf trockenen Flächen. Unter anderem deshalb, weil man aus Moorschutzgründen weniger Leistung auf der gleichen Fläche unterbringe. „Wir rechnen mit einer Leistungsdichte von etwa 0,2 bis 0,6 Megawatt pro Hektar – ähnlich wie bei der Agri-PV “, sagt Keinath.

Welche Montagetechnik für Photovoltaik im Moor?

Hinzu kommt, dass die technischen Optionen für die Montagegestelle noch nicht ausgereift sind. Einfach durch den Moorkörper hindurchzurammen wie in Lottorf hält Thies Jensen höchstens bis zu einer Moorstärke von drei Metern für sinnvoll. Es gibt allerdings wesentlich mächtigere Torfschichten. Dafür könnten sich schwim­mende Konstruktionen, ähnlich wie bei der Floating PV, eignen. Allerdings würden die zwangsläufig viel Fläche bedecken, auf der eigentlich Pflanzen wachsen sollten.

Am Fraunhofer ISE hat man deshalb eine dritte Option ersonnen, für die es noch nicht einmal einen Prototypen gibt: Es könnten senkrechte Schwimmfundamente, ähnlich geformt wie Seetonnen, in den Moorkörper eingesetzt werden (s. Grafik). Damit ließe sich neben dem Auftrieb wohl auch die Hafteigenschaft des feuchten Moores ausnutzen. Jeder, der mal mit Gummistiefeln tief im Matsch festgesteckt habe, kenne das, erklärt Keinath.

Schematische Zeinung einer Moor-PV-Unterkonstruktion, bei der das Ständerwerk schwimmend im Untergrund befestigt wird.
Ideenskizze einer schwimmenden Unterkonstruktion für Moor-PV-Anlagen vom Fraunhofer ISE.

Damit die höheren Kosten nicht von vornherein PV-Projektierern den Spaß an der Moor-PV verderben, will die Bundesregierung mit dem laufenden Gesetzgebungsverfahren für das Solarpaket ab 2024 eine neue finanzielle Basis schaffen. Zusammen mit den anderen besonderen Solaranlagen, also Agri-PV, Floating PV und Parkplatz-PV, soll die BNetzA Moor-Photovoltaik künftig in den normalen EEG-Ausschreibungen bevorzugt bezuschlagen. Die maximale Gebotshöhe in diesem Bereich ist weniger streng. Von zunächst bis zu 500 Megawatt 2024 soll das privilegierte Segment der besonderen Solaranlagen schrittweise auf drei Gigawatt 2029 anwachsen. Ob sich unter diesen Voraussetzungen eine Konkurrenz von Moor- mit Agri- und Floating-PV entwickeln wird und welche Technologie dabei das Rennen machen würde, ist offen.

16.11.2023 | Autor: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH

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