VDE: Stromversorgung in Deutschland derzeit gesichert; Risiko steigt

Angesichts der guten Substanz der Stromnetze und der Sicherheitsphilosophie in Deutschland besteht laut VDE kein Grund zur Panikmache in Sachen Versorgungssicherheit. Allerdings sollten die Stromausfälle in den USA und Italien nach Ansicht der VDE-Experten zum Anlass genommen werden, eine langfristig tragfähige Energiestrategie zu entwickeln.  Wenn der Energiemix und die Netzstrukturen nicht bald auf die Herausforderungen […]

Angesichts der guten Substanz der Stromnetze und der Sicherheitsphilosophie in Deutschland besteht laut VDE kein Grund zur Panikmache in Sachen Versorgungssicherheit. Allerdings sollten die Stromausfälle in den USA und Italien nach Ansicht der VDE-Experten zum Anlass genommen werden, eine langfristig tragfähige Energiestrategie zu entwickeln.  Wenn der Energiemix und die Netzstrukturen nicht bald auf die Herausforderungen der Zukunft eingestellt würden, könnte die Zuverlässigkeit des Stromnetzes in den nächsten 20 Jahren erheblich sinken, warnt der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. (VDE)

Blackouts wie in den USA in Deutschland unwahrscheinlich

Die VDE-Experten weisen in einer Pressemitteilung darauf hin, dass großflächige Stromausfälle zwar auch in Deutschland nicht generell ausgeschlossen, aber doch sehr viel unwahrscheinlicher seien als in den USA. Dies liege vor allem an der deutschen Sicherheitsphilosophie im Hinblick auf Netzkonfiguration, Schaltanlagen-Design, Schutz- und Leittechnik sowie Lastabwurf und Regelleistung. So sei die Netzkonfiguration – anders als in den USA – durch eine homogene Verteilung von Last und Erzeugung sowie ein dichtes Übertragungsnetz mit relativ kurzen Leitungslängen charakterisiert (in Deutschland normalerweise unter 100 km, maximal 300 km; in den USA in der Regel mehrere 100 km, maximal 1500 km). Auch in der Schutz- und Leittechnik zeigten sich erhebliche Unterschiede. Die Schutzausrüstung habe in Deutschland einen deutlich höheren Standard, und der Informationsaustausch erfolge über sichere Verbindungen (und nicht über das Internet). Ähnlich positiv für Deutschland falle der Vergleich beim Lastabwurf und bei der Regelleistung aus.

Risiken für deutsches Stromversorgungssystem steigen

Das Italien-Szenario hingegen kommt nach Auffassung des VDE der deutschen Energieproblematik näher: Von dem Stromausfall in Italien am 28. September 2003 waren 57 Millionen Menschen betroffen. Italien ist wie Deutschland Teil des europäischen Stromverbunds UCTE, sei aber gegenwärtig mit größeren Strukturproblemen konfrontiert, die bei energiepolitischer Fahrlässigkeit auch auf Deutschland zukommen könnten: zu geringe Erzeugung im eigenen Land, hohe Importabhängigkeit, häufige Netzauslastung bis an die äußerste Grenze, zu wenig Investitionen in Erzeugung und Netze. In gewisser Weise sei Deutschland als UCTE-Verbundmitglied bereits betroffen, so der VDE. Bedenklicher sei aber, dass Deutschland momentan auf ein ähnliches Szenario wie Italien zusteuere, wenngleich zum Teil aus anderen Gründen. Deutschland sei noch weitestgehend von einer verbrauchsnahen Stromerzeugung geprägt. Aber durch die großflächige Nutzung der Windkraft im Norden, die Stillegung von Kraftwerken und durch immer mehr Horizontaltransite im liberalisierten Energiemarkt finde zurzeit eine Verschiebung statt. Die Netzstabilität sei gegenwärtig noch nicht gefährdet. Die Energietechniker im VDE weisen aber darauf hin, dass Deutschlands Netze nicht für Stromtransite über große Entfernungen konzipiert und geeignet sind. Auch im Bereich Regelleistung können sich nach Ansicht des VDE Probleme auftun. Durch den wachsenden Anteil der schwankungsstarken Windleistung steigen laut VDE die Anforderungen an die Regelfähigkeit der Kraftwerke, an die Spannungshaltung und an die lastnahe Blindleistungsbereitstellung. Diese werde sich durch die horizontalen Transite regional erhöhen.

Energiestrategie für zukunftsfähigen Energiemix notwendig

Perspektivisch ist die Versorgungszuverlässigkeit aus VDE-Sicht deshalb in Gefahr, und zwar aus technischen, wirtschaftlichen und politischen Gründen. Ähnlich wie in den USA finde auf dem deutschen und europäischen Strommarkt ein harter Preiswettbewerb statt. Unter dem Druck, Strom zu niedrigen Preisen anzubieten, würden Investitionen zurückgestellt, Betriebszeiten von Anlagen verlängert und die Aufwendungen in Instandhaltungsmaßnahmen zurückgefahren.
Darüber hinaus nähmen die Anlagenauslastung und der Energiehandel zu, während Netze verschlankt, Netzreserven abgebaut und Erzeugungsreserven minimiert würden.

Die Zuverlässigkeit der deutschen Stromversorgung wird laut VDE auch durch drohende Leistungsdefizite in Frage gestellt. So sei geplant, zwischen 2004 und 2021 alle Kernkraftwerke stillzulegen sowie die Kohleverstromung zu reduzieren. Das damit entstehende Leistungsdefizit soll durch Erneuerbare Energien kompensiert werden. Dies stelle eine enorme technische und finanzielle Herausforderung dar. Denn um die dezentrale Energieeinspeisung im allgemeinen sowie die Übertragung von Windenergie von Nord nach Süd im besonderen erhöhen zu können, seien erhebliche Netzausbauten mit komplizierten Genehmigungsverfahren nötig.

Nach Meinung des VDE müssen die Stromausfälle in Nordamerika, England, Südschweden und Dänemark sowie in Italien gründlich analysiert werden. Auf dieser Basis gelte es, Schlussfolgerungen für das deutsche Stromversorgungssystem zu erarbeiten. Zu diesem Zweck hat die Energietechnische Gesellschaft im VDE eine Task Force eingerichtet. Bereits die bekannten Fakten zeigten klar, dass die deutsche Stromversorgung gründlich auf den Prüfstand gestellt werden müsse. Darüber hinaus sei dringend erforderlich, ein zukunftsfähiges Konzept für die Energieversorgung in den nächsten Jahrzehnten zu entwickeln und die dafür nötigen Investition zu tätigen, so das Fazit des VDE.

10.10.2003   Quelle: VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V.

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