DUH: Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg rechtlich nicht möglich

Der von der rot-grünen Bundesregierung im Einvernehmen mit den Kernkraftwerksbetreibern vereinbarte Ausstieg aus der Atomenergie ist laut Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH ) faktisch nicht mehr umkehrbar. Das belege eine von der Deutschen DUH in Auftrag gegebene gutachterliche Stellungnahme des Berliner Atomrechtsexperten Reiner Geulen. Danach würde eine Betriebsverlängerung an neuen, nicht erfüllbaren Genehmigungserfordernissen nach den Terroranschlägen […]

Der von der rot-grünen Bundesregierung im Einvernehmen mit den Kernkraftwerksbetreibern vereinbarte Ausstieg aus der Atomenergie ist laut Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH ) faktisch nicht mehr umkehrbar. Das belege eine von der Deutschen DUH in Auftrag gegebene gutachterliche Stellungnahme des Berliner Atomrechtsexperten Reiner Geulen. Danach würde eine Betriebsverlängerung an neuen, nicht erfüllbaren Genehmigungserfordernissen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 scheitern, berichtet die DUH in einer Pressemitteilung.   Kürzlich habe Siemens-Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer in seiner Funktion als Innovationsberater der Union vorgeschlagen, die laufenden Anlagen 60 Jahre, also die jüngsten unter ihnen, bis etwa 2050, weiter zu betreiben.

DUH will gegen Verlängerung der Restlaufzeiten klagen

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch kündigte an, „jeden Versuch, den Betrieb von Atomkraftwerken über die im Ausstiegskonsens vereinbarten Restlaufzeiten hinaus zu verlängern, auf dem Klagewege zu bekämpfen“. „DUH-Anwalt Geulen kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die von der derzeitigen Opposition vehement eingeforderte „Verlängerung der Betriebszeiten der deutschen Atomkraftwerke aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist“, so Resch. Die AKW-Betreiber hätten in der Ausstiegsvereinbarung vom Juni 2000 auf die bis dahin unbefristeten Betriebsgenehmigungen ihrer Reaktoren verzichtet, betont Resch. Die Regierung habe im Gegenzug jedem Meiler eine „Reststrommenge“ zugebilligt, die noch erzeugt werden dürfe. Danach erlösche die Genehmigung automatisch. Diese Vereinbarung habe Eingang in das heute geltende Atomausstiegsgesetz gefunden. Die Vorstellung von Union und FDP, der Gesetzgeber könne diesen Prozess per Federstrich rückgängig machen, nennt Geulen „rechtlich unhaltbar“.

Schutz gegen Terrorangriffe „technisch ausgeschlossen oder wirtschaftlich nicht darstellbar“

Vielmehr könnten Anwohner oder Kommunen in der Umgebung der Meiler entweder gegen die geplanten Verlängerungen der Betriebsdauer oder schon gegen die zugrunde liegende Änderung des Atomgesetzes klagen, betont die DUH. Die Erfolgsaussichten seien entscheidend höher als in der Vergangenheit, weil die erforderliche Neugenehmigung nun an Schutzmaßnahmen gegen Terrorangriffe islamistischer Selbstmordattentäter gebunden wäre. Ein solcher Schutz sei aber – gerade bei den vier in der bevorstehenden Legislaturperiode zur Abschaltung anstehenden älteren Anlagen – entweder technisch ausgeschlossen oder wirtschaftlich nicht darstellbar. Bis zu den Terrorangriffen des 11. September 2001 in den USA seien mögliche zufällige Flugzeugabstürze dem so genannten Restrisiko zugerechnet worden. Dagegen mussten deutsche Atomkraftwerke wegen der extrem geringen Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse nicht geschützt sein. Diese Situation habe sich grundlegend geändert, so Geulen. Lege man die Risikoabschätzungen des Bundesinnenministeriums der atomrechtlichen Betrachtung zu Grunde, „lässt sich nicht mehr ernsthaft vertreten, dass das Risiko einer Kernschmelze dem Restrisiko zuzuordnen wäre“, betont der Atomrechtsexperte. Vielmehr habe sich die Wahrscheinlichkeit eines Super-GAUs mit der realen Möglichkeit von Terrorangriffen nach dem Muster des 11. September um etwa einen Faktor tausend erhöht. Dies müsse bei jeder Laufzeitverlängerung berücksichtigt werden.

Scharfe Kritik an Kanzlerkandidatin Merkel

Geulen gab sich überrascht, dass die Debatte „offenbar vom Zaun gebrochen wird, ohne auch nur einen ernsthaften Gedanken an die rechtlichen Realisierungsmöglichkeiten zu verschwenden.“ DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch erklärte, er habe „keinen Zweifel, dass Union und FDP im Fall eines Wahlsiegs mit ihren Atomplänen Schiffbruch erleiden werden“. Unter Hinweis auf eine bis heute amtlich geheim gehaltene Untersuchung der Kölner Gesellschaft- für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS), griff Resch Kanzlerkandidatin Angela Merkel scharf an: „Wer in einer solchen Zeit das Risiko bewusst verlängert, statt die Reaktoren so schnell wie möglich aus der Schusslinie zu nehmen, beweist, dass ihm die Zuneigung der Stromkonzerne mehr am Herzen liegt, als die Zukunft des Landes“. Die GRS-Studie, für die Luftschläge mit Passagiermaschinen auf fünf exemplarische Atomkraftwerke in Deutschland hunderte Male simuliert worden seien, habe insbesondere ergeben, dass die vier nach gegenwärtiger Rechtslage in den kommenden Jahren stillzulegenden Reaktoren besonders verwundbar seien. Für alle erwarteten die Gutachter bei entsprechenden Angriffen aus der Luft die „großflächige Zerstörung des Reaktorgebäudes“ und in der Folge eine „frühe Radioaktivitätsfreisetzung“. Die von den Reaktorbetreibern seit Jahren propagierte Idee, die Reaktoren im Ernstfall kurzfristig mit Hilfe einer Kaskade von Nebelwerfern blitzartig unsichtbar zu machen, nannte Resch lächerlich. „So etwas in Zeiten satellitengestützter Navigationssysteme vorzuschlagen, grenzt an Volksverdummung“. Jeder Windstoß könne darüber hinaus dafür sorgen, dass dieser so genannte Schutz versage.

Geulen: drei Viertel der Bevölkerung wollen den Atomausstieg

Vor allem aber habe die erschütternde Tatsache, dass heute auch in Mitteleuropa Selbstmordattentäter operieren, die mit ihrem irdischen Leben abgeschlossen haben, die möglichen Anschlagszenarien enorm erweitert. Die Bedrohungslage könne sich in Deutschland zusätzlich verschärfen, wenn der Atomkonflikt mit dem Iran weiter eskaliere und am Ende von Amerikanern oder Israelis mit gezielten Luftangriffen gelöst werde, womöglich unter dem Beifall einer Regierung Merkel. Resch: „Ich glaube nicht daran, dass unsere Phantasie mit der zu allem entschlossener Attentäter Schritt halten kann“, so Geulen. Er frage sich, wie lange Angela Merkel in dieser Sache „gegen mehr als drei Viertel der Bevölkerung durchregieren will, die den Atomausstieg wollen“. Der unter Rot-Grün tatsächlich eingetretene politisch ungestörte Betrieb deutscher Atomkraftwerke werde „an dem Tag zu Ende gehen, an dem eine Bundeskanzlerin Merkel den Ausstiegskonsens der Gesellschaft real aufkündigt“.

„Wort- und Vertragsbruch“ der Stromkonzerne

Der politische Leiter der Deutschen Umwelthilfe, Gerd Rosenkranz, warf den Stromkonzernen, deren führende Vertreter immer unverblümter die Rückkehr zum „Status quo ante“ forderten, „Wort- und Vertragsbruch“ vor. In der Atomkonsens-Vereinbarung hätten Bundesregierung und Kraftwerksbetreiber im Juni 2000 wörtlich erklärt: „Beide Seiten werden ihren Teil dazu beitragen, dass der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird“. Die Bundesregierung habe sich auch nach dem 11. September 2001 „bis nahe an die Selbstaufgabe an diese Verabredung gehalten“. Der Dank der Konzerne bestehe nun darin, die erste Gelegenheit zur Aufkündigung des Konsenses zu nutzen. Rosenkranz hielt den Unternehmen vor, es gebe seit Jahren praktisch keine Presse- oder sonstige Erklärung, „in der die Konzernherren von der Politik nicht ultimativ Planungssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen einfordern, um investieren zu können“.“ Die gegenwärtige Regierung habe dies auf zwei zentralen Feldern umgesetzt. Mit dem Atomausstiegsgesetz auf der einen und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz auf der anderen Seite sei in den vergangenen Jahren auf zwei zentralen Feldern der Energiepolitik ein fester Rahmen über 2020 hinaus geschaffen worden: „Die Wirtschaft ergreift die erste Gelegenheit, um beides wieder einzureißen“, so Rosenkranz. Der Gipfel dieser Entwicklung seien die Äußerungen des frischgebackenen Innovationsberaters der Unionskanzlerkandidatin, Heinrich von Pierer. Er habe vorgeschlagen, Atomkraftwerke wie die in Biblis – entwickelt in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und gebaut Anfang der siebziger, als die Computer mit Lochkarten gesteuert wurden – noch bis 2035 am Netz zu halten. Natürlich verfolge der Siemens-Aufsichtsratsvorsitzende dabei keinerlei Eigeninteresse, so Rosenkranz: „Da offenbart sich eine fast biblische Innovationskraft. Glücklich das Land, das solche Berater vorzuweisen hat“, stellt Rosenkranz fest.

05.09.2005   Quelle: Deutsche Umwelthilfe e.V.   Solarserver.de   © EEM Energy & Environment Media GmbH

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