Tschernobyl-Jahrestag: Kontroverse Standpunkte zum Atomausstieg

Zum 20. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sind die Auseinandersetzungen um die Atomreaktoren in Deutschland schärfer geworden: Die Union will „bis auf weiteres“ an der Nutzung der Kernenergie festhalten, der FDP-Umweltminister von Niedersachsen, Hans-Heinrich Sander, spricht sich gegen den Atomausstieg aus. Bundesumweltminister Gabriel (SPD) betont, eine zukunftsweisende Energiepolitik verzichte auf Atomkraft, denn die Atomenergie sei […]

Zum 20. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sind die Auseinandersetzungen um die Atomreaktoren in Deutschland schärfer geworden: Die Union will „bis auf weiteres“ an der Nutzung der Kernenergie festhalten, der FDP-Umweltminister von Niedersachsen, Hans-Heinrich Sander, spricht sich gegen den Atomausstieg aus. Bundesumweltminister Gabriel (SPD) betont, eine zukunftsweisende Energiepolitik verzichte auf Atomkraft, denn die Atomenergie sei mit prinzipiellen Sicherheitsrisiken verbunden und deshalb „nur noch für begrenzte Zeit verantwortbar“. Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, vergleicht die Option Atomkraft und fossile Energieträger mit „Wahl zwischen Pest und Cholera“ und setzt auf Effizienzsteigerung.  Die Umweltschutzorganisation Greenpeace demonstriert in Berlin und weiteren deutschen Städten unter dem Motto „Atomkraft ist todsicher“ für die weltweite Abschaltung der Atomkraftwerke. EUROSOLAR-Präsident Hermann Scheer, erinnert daran, dass der Anteil erneuerbarer Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung an der deutschen Stromerzeugung bis 2020 schon bei über 50% liegen kann und unterstreicht, dass mit dem Atomausstieg und einer auf erneuerbare Energien und die Steigerung der Energieeffizienz ausgerichteten Strategie umfassende wirtschaftliche, ökologische und kommunale Zukunftschancen eröffnet werden.

CDU will „bis auf weiteres“ an der Nutzung der Kernenergie festhalten – und erwägt Zukunftsfonds für neue Energien

Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Katherina Reiche, hat ein neues Förderprogramm für regenerative Energien ins Gespräch gebracht. „Ich denke schon darüber nach, dass man einen Zukunftsfonds einrichten kann, aus dem dann gespeist wiederum in alternative Quellen und Forschung investiert werden kann“, sagte Reiche in der Sendung „Unter den Linden“ des Fernsehsenders PHOENIX. Gleichzeitig betonte Reiche aber auch, dass man bis auf weiteres an der Nutzung der Kernenergie festhalten wolle.

Bundesumweltminister Gabriel (SPD): Zukunftsweisende Energiepolitik verzichtet auf Atomkraft

Mit einer Absage an die Nutzung der Atomenergie hatte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel am 24.04.2006 die zweitägige Tagung „Tschernobyl 1986-2006: Erfahrung für die Zukunft“ eröffnet. „Für die Zukunft unseres Energiesystems kommt, gemeinsam mit einer besseren Energieeffizienz, den erneuerbaren Energien eine zentrale Rolle zu. Atomkraft sei ein „Auslaufmodell“ und keine Zukunftstechnologie, denn sie verhindere Innovation. Die Atomenergie sei mit prinzipiellen Sicherheitsrisiken verbunden und deshalb „nur noch für begrenzte Zeit verantwortbar“, so Gabriel.

Niedersächsischer Umweltminister Sander (FDP): „Atomausstieg wäre falsch“

20 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat sich der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP ) gegen den Atomausstieg ausgesprochen. „Das Anlagenkonzept deutscher Kernkraftwerke ist mit dem vom Typ Tschernobyl überhaupt nicht vergleichbar“, sagte Sander dem Radiosender NDR Info. Er halte es für falsch, dass man jetzt dieses tragische Ereignis heranziehe, um damit Ängste zu schüren, so der FDP-Politiker weiter. Auch unter Versorgungsgesichtspunkten ist die Nutzung von Kernenergie aus Sicht von Hans-Heinrich Sander weiter notwendig: „Wir werden die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre nicht auf die Kernenergie verzichten können, erst dann sind wir in der Lage, die erneuerbaren Energien unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten anzuwenden.“

Grüne zu Atomkraft und fossilen Energien: Wahl zwischen Pest und Cholera

Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Fritz Kuhn, übte in der PHOENIX-Sendung scharfe Kritik an der Haltung der Union: „Wenn ich die Wahl habe zwischen Pest und Cholera – Pest die Unsicherheit der Atomkraft, Cholera die Klimaschutzfrage bei der Verbrennung fossiler Energiestoffe – dass die CDU dann kommt und sagt, jetzt machen wir mal als Übergangstechnik die Pest. Es gibt einen Weg ohne Pest und Cholera und der heißt Effizienzsteigerung!“, so Kuhn. Es sei nicht richtig „unverantwortbaren Mist“ zuzulassen, wenn es gleichzeitig Alternativen gebe, betonte der Grünen-Chef.

Greenpeace: Atomkraft ist todsicher

Mit einem Glockenschlag 23 Minuten nach jeder vollen Stunde erinnert Greenpeace seit dem 25.04.2006 vor dem Brandenburger Tor in Berlin an den schlimmsten Unfall in der Nutzung der Atomenergie. Um 1.23 Uhr explodierte in der Nacht zum 26. April 1986 in Tschernobyl der Atomreaktor und verstrahlte in der Folge riesige Gebiete der nördlichen Erdhalbkugel. Die Umweltschützer haben in Berlin Kerzen in Form eines Radioaktivitätszeichens angezündet und halten ein Banner mit der Aufschrift: „Tschernobyl zeigt: Atomkraft ist todsicher. Abschalten!“. Insgesamt finden rund um den Jahrestag in 70 Städten Deutschlands Mahnveranstaltungen und lokale Protestaktionen von Greenpeace-Gruppen statt. „Tschernobyl hat der Welt vor Augen geführt, dass Atomkraft nicht beherrschbar ist. Heute, nach 20 Jahren, muss endlich die Lehre daraus gezogen werden. Weltweit müssen die Atomkraftwerke abgeschaltet werden“, fordert Jörg Feddern, Energieexperte von Greenpeace.

EUROSOLAR: Erneuerbare Energien statt Atomenergie

„Der Anteil erneuerbarer Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung an der deutschen Stromerzeugung kann bis 2020 schon bei über 50% liegen“, betont EUROSOLAR-Präsident Hermann Scheer. „Mit der Realisierung des Atomausstiegs und einer auf erneuerbare Energien und die Steigerung der Energieeffizienz ausgerichteten landespolitischen Schwerpunktstrategie werden umfassende wirtschaftliche, ökologische und kommunale Zukunftschancen eröffnet“, so Scheer weiter. Der Atomstromersatz sei schnell, vielseitig und dezentral realisierbar, so Scheer.

26.04.2006   Quelle: NDR Norddeutscher Rundfunk (NDR Info); PHOENIX, BMU, EUROSOLAR e.V.   Solarserver.de   © EEM Energy & Environment Media GmbH

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