Atomkraft-Störfall in Schweden: Verbände fordern Konsequenzen in Deutschland
Die Umweltorganisation Greenpeace schätzt den Störfall in dem schwedischen Atomkraftwerk Forsmark am 25. Juli 2006 als „schwerwiegend“ ein und begrüßte das Vorgehen der Staatlichen Kernkraftinspektion in Schweden (SKI), die vier bauähnlichen Atomkraftwerke sofort vom Netz zu nehmen. Ein früherer Direktor der SKI habe am 02.08.2006 selbst davon gesprochen, dass es „nur mit purem Glück nicht zu einer Kernschmelze gekommen sei, heißt es in der Greenpeace-Pressemitteilung. „Das Atomkraftwerk ist durch den Störfall fast zwanzig Minuten lang im Geisterbetrieb gefahren, bis die Belegschaft den Betrieb des Kraftwerks manuell wieder in den Griff bekam“, erklärt Heinz Smital, Atomexperte bei Greenpeace. Als Reaktion auf den Störfall fordert Greenpeace die Überprüfung der Notstromversorgung der deutschen Atomkraftwerke.
Grünen-Sprecher Fell: Risiko einer Atomkatastrophe allgegenwärtig
Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher von Bündnis 90/ Die Grünen, forderte von der Bundesregierung sofortige Aufklärung. „Eine Kernschmelze hätte katastrophale Konsequenzen für ganz Nord- und Mitteleuropa haben können. Daher brauchen wir eine vollständige Aufklärung über die Vorgänge der nur knapp verhinderten Kernschmelze im schwedischen AKW“, so Fell. Es sei auch zu klären, warum die deutsche Öffentlichkeit nicht offiziell über das BMU aufgeklärt worden sei, sondern über die Medien darüber informiert wurde, so Fell. „Gibt es bei solch gravierenden Störfällen Probleme im innereuropäischen Informationsaustausch der Aufsichtsbehörden oder hat das BMU diesen ernsten Störfall einfach verschwiegen?“, fragt der Grünen-Sprecher.
„Die Vorgänge bestätigen ein weiters Mal: der Atomausstieg ist alternativlos. Das Risiko einer Atomkatastrophe ist allgegenwärtig. Wie verheerend die Konsequenzen sind hat uns der 20te Jahrestag von Tschernobyl grade erst wieder vor Augen geführt. Die Bundesregierung muss die Energiewende ins solare Zeitalter noch engagierter fortsetzen anstatt sich im Dauerstreit um den Atomausstieg weiter zu lähmen“, fordert Fell.
Bundesumweltministerium: Detaillierte Untersuchungen nötig
„Das Bundesumweltministerium ermittelt den genauen Sachverhalt im Atomkraftwerk Forsmark und wird so schnell wie möglich klären, ob die zugrunde liegenden sicherheitstechnischen Mängel auch in deutschen Atomkraftwerken vorliegen können. Für eine seriöse und sicherheitsorientierte zielgerichtete Vorgehensweise sind detaillierte Untersuchungen nötig“, erklärte eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums (BMU). Das BMU werde bei seinen Arbeiten unterstützt von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS), dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und den Atomaufsichtsbehörden der Länder. Die Atomaufsichtsbehörden der Länder seien aufgefordert worden, so schnell wie möglich zu berichten, ob in den Atomkraftwerken in ihrem Zuständigkeitsbereich die Notstromsysteme oder Komponenten der Notstromsysteme von AEG geliefert wurden, die in Schweden möglicherweise Ursache der gravierenden Auswirkungen des Kurzschlusses waren.
„Sicherheitstechnisch ernstes Ereignis“
Weiterhin habe das Bundesumweltministerium die Betreiber über die Länder aufgefordert dem Bund zu berichten, ob und welche Erkenntnisse vorliegen, dass die Übertragbarkeit des Störfalls auf deutsche Anlagen möglich erscheint. Der Ausfall der elektrischen Versorgungen im Atomkraftwerk Forsmark stellt nach Auffassung des Bundesumweltministeriums ein sicherheitstechnisch ernstes Ereignis dar.
Greenpeace: Probleme des Notstromsystems von AEG seit langem bekannt
Bei einem Stromausfall im AKW Forsmark versagte laut Greenpeace die Notstromversorgung. Vier starke Batterien hätten in einem solchen Fall von vier Dieselgeneratoren gespeist werden müssen und die Steuerzentrale des AKWs versorgen sollen. In Forsmark hätten aber zwei dieser vier Stromsysteme nicht funktioniert, so dass für einen Zeitraum von zwanzig Minuten die elektronische Überwachung des Reaktors ausgefallen war. Erst danach sei es der Belegschaft gelungen, die Notstromversorgung wieder komplett in Gang zu setzten. „So etwas darf in einem Atomkraftwerk nicht passieren“, sagt Greenpeace-Experte Smital. Probleme dieses speziellen Notstromsystems von AEG seien seit langem bekannt. In Deutschland habe es am 3. März 2004 im AKW Isar 2 eine kurzfristige Unterbrechung der Notstromversorgung gegeben. Smital: „Auch in Deutschland gibt es Atomkraftwerke mit diesem Typ von Notstromsystem. Wir nehmen zwar an, dass hierzulande nach dem Vorfall 2004 Nachrüstungen erfolgt sind, die man in Schweden unterlassen hat. Trotzdem muss die deutsche Atomaufsichtsbehörde umgehend klären, ob eine ähnliche Gefahr bei den hiesigen Atomkraftwerken droht.“
SPD-Sprecher Bülow: Jeder Tag, an dem wir uns dem unvermeidbaren Atom-Risiko aussetzen, ist ein Tag zu viel
Marco Bülow, umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, erklärte zu dem Störfall: „Die schwedischen Atomkraftwerke haben einen immens hohen Technologiestandard. Trotzdem hat der Zwischenfall deutlich gemacht, dass die Atomkrafttechnologie doch nicht beherrschbar ist.“. Atomreaktoren seien mit einer Reihe von Sicherheitssystemen ausgerüstet, um zu verhindern, dass die bei der Kernspaltung entstehenden radioaktiven Stoffe in die Umwelt gelangen. Doch kein Atomkraftwerk sei völlig sicher, betont Bülow. Der Zwischenfall in dem schwedischen Atomkraftwerk habe deutlich gemacht, wie riskant Atomkraftwerke sein könnten. Laut Bülow bezeichnen Experten diese Störung als den schwersten Zwischenfall seit Tschernobyl und Harrisburg.
Die SPD-Bundestagsfraktion setze sich deshalb weiterhin für den Atomausstieg in Bundesrepublik ein. Es dürfe nicht darüber diskutiert werden, AKW-Laufzeiten zu verlängern, so Bülow. „Jeder Tag, an dem wir uns dem unvermeidbaren Risiko, das jedes Atomkraftkraftwerk mit sich bringt, aussetzen, ist ein Tag zu viel. Ein schwerer Störfall im dicht besiedelten Deutschland würde zu einer Katastrophe führen, die unermesslichen Schaden anrichten und ganze Landstriche für lange Zeit unbewohnbar machen würde. Wir müssen uns verstärkt auf den Einsatz der erneuerbaren Energien und die Steigerung der Energieeffizienz und das Energiesparen konzentrieren“, so der SPD-Sprecher.
BUND: Biblis Neckarwestheim und Brunsbüttel sofort abschalten
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat die Bundesregierung aufgefordert, den Atomausstieg zu beschleunigen und die gefährlichsten deutschen Atomreaktoren in Biblis, Neckarwestheim und Brunsbüttel sofort abzuschalten. Der Störfall im schwedischen AKW Forsmark habe die Störanfälligkeit aller Atomanlagen erneut deutlich gemacht, heißt es in der BUND-Pressemitteilung. „Der Beinahe-Gau in Schweden führt die rosaroten Träume der Atomindustrie über ihre angeblich sichere Technik ad absurdum. Wir fordern die Stromkonzerne auf, sich aus der Atomkraft zurückzuziehen. In den nächsten vier Jahren müssen zunächst die riskantesten vier Reaktoren vom Netz“, so Dr. Brigitte Dahlbender, stellvertretende Vorsitzende des BUND. Eine längere Laufzeit für ein einziges deutsches AKW wäre ein Bruch des mit der Bundesregierung vereinbarten Atomkonsenses, so Dahlbender. „Die Zukunft liegt bei erneuerbaren Energien und effizienten Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen, nicht in veralteten Dinosauriertechnologien“, erklärte die stellvertretende BUND- Vorsitzende.
07.08.2006 Quelle: Greenpeace e.V., Hans-Josef Fell (Mdb), BMU, SPD-Bundestagsfraktion; BUND Solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH