Desertec – Strom aus der Wüste: Chance oder Fehler?

Solar-Interview mit Michael Straub, Marketingleiter der DESERTEC Foundation, und Hermann Scheer, Präsident von EUROSOLARBereits im Februar 2007 hatte der Solarserver das "DESERTEC"-Konzept zur Nutzung der erneuerbaren Energien im transeuropäischen Verbund vorgestellt (s. Link am Ende des Interviews). Die Idee klingt bestechend: sauberen Strom aus einem unbegrenzten Reservoir beziehen, aus Wüsten, in denen riesige Mengen Sonnenenergie […]

Solar-Interview mit Michael Straub, Marketingleiter der DESERTEC Foundation, und Hermann Scheer, Präsident von EUROSOLARBereits im Februar 2007 hatte der Solarserver das "DESERTEC"-Konzept zur Nutzung der erneuerbaren Energien im transeuropäischen Verbund vorgestellt (s. Link am Ende des Interviews). Die Idee klingt bestechend: sauberen Strom aus einem unbegrenzten Reservoir beziehen, aus Wüsten, in denen riesige Mengen Sonnenenergie ungenutzt verstrahlen. "DESERTEC" will dies möglich machen und dabei Frieden und Entwicklung in den Wüstenländern fördern.
Bei der Umsetzung des gewaltigen Vorhabens stellen sich viele Fragen und Herausforderungen: Wer sollte das Stromnetz finanzieren? Wem würde es gehören? Kann man sich auf einen gemeinsamen garantierten Einspeisetarif für Strom aus solarthermischen Kraftwerken einigen?Wie können für Investoren attraktive Rahmenbedingungen geschaffen werden? Macht Europa damit seine Stromversorgung abhängig vom Ausland? Sind der Nahe Osten und Nord-Afrika nicht viel zu instabil für langfristige Investitionen?
Im Interview mit Eva Kohlhepp (fesa e.V.) positionieren sich Michael Straub und Hermann Scheer zu zentralen Fragen. Das Interview wurde zuerst veröffentlicht in der fesa-Publikation "SolarRegion". Der Solarserver dankt fesa für das Recht zur Veröffentlichung des Interviews.Wie bewerten Sie die Nutzung von dezentralen und die von international vernetzten Erneuerbaren Energien?
Michael Straub: Wir sind der Auffassung, dass international vernetzte und dezentrale erneuerbare Energien nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Aus Gründen des Klimaschutzes und der Strompreise sollte man in jedem Fall beide Potenziale nutzen (und man wird es auch). Sie ergänzen sich ideal, da solarthermische Kraftwerke mit ihren thermischen Speichern Strom nach Bedarf liefern können; auch nachts und wenn kein Wind weht. Auf teure und ineffiziente Stromspeicher für dezentrale Anlagen ist man somit nicht mehr unbedingt angewiesen, was die dezentrale Stromerzeugung finanziell noch attraktiver macht. Während Wüstenstrom die Stromerzeugungskosten senkt, sorgen die sinkenden Kosten für dezentrale Photovoltaik dafür, dass die Stromkonzerne mit ihrer Preisgestaltung in Schranken gewiesen werden. Eine Schlüsselrolle bei DESERTEC spielt der zügige Aufbau eines verlustarmen, von den Energieversorgungsunternehmen unabhängigen, Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsnetzes (HGÜ), ein "Supernetz". Es wird also nicht nur EINE Leitung und EIN großes solarthermisches Kraftwerk geben, sondern wie man auf unserer Karte sieht ein recht dezentrales Netz mit genügend Reservekapazitäten für den Ausfall von Leitungen und Kraftwerken. Da HGÜ-Leitungen ohne wesentliche Mehrkosten unterirdisch verlegt werden können und keine nennenswerte elektromagnetische Strahlung aufweisen, sind hier im Gegensatz zu Wechselstrom keine größeren Widerstände von Anwohnern zu erwarten.
Wenn südeuropäische Länder Einspeisegesetze für Wüstenstrom schaffen und etwa fünf Jahre später der erste Strom über das Mittelmeer importiert wird, kann der Klimaschutz in Deutschland schon vor der Fertigstellung des europäischen Supernetzes davon profitieren: Sobald deutsche Stromexporte nach Südeuropa nicht mehr benötigt werden, können alte Atommeiler und Kohlekraftwerke in Deutschland schneller vom Netz gehen. Von E.ON gibt es bereits eine aktuelle Pressemeldung in der Investitionen in solarthermische Kraftwerke in Südeuropa und Nordafrika angekündigt werden, während man sich gleichzeitig darauf einstellt die Netze abzugeben.
Hermann Scheer: Die dezentrale Nutzung erneuerbarer Energien führt zu stetigem und schnellem Ausbau. 2007 wuchs die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien um 16 Milliarden Kilowattstunden, was der Produktionsleistung von zwei Atomkraftwerken entspricht. Seit 2000, dem Jahr des Inkrafttretens des EEG, stieg der Anteil erneuerbarer Energien in der deutschen Stromversorgung von vier auf 16 Prozent. Ohne willkürliche Genehmigungsverweigerungen bei Standortsuchen könnte dieser Anteil bis 2020 auf über 60 Prozent steigen. Dies ist auch notwendig, denn Klimawandel und die Verknappung fossiler und atomarer Ressourcen und die aus ihnen resultierenden ökologischen Schäden gebieten ein schnelles Handeln. Das DESERTEC-Konzept würde hingegen zu einer unverantwortlichen Verzögerung führen. Wie lange soll es bis zur Realisierung dieses theoretischen Konzeptes dauern? Zehn oder 20 oder mehr Jahre? Dabei halten die Argumente der DESERTEC-Befürworter einer genauen Betrachtung nicht stand, so auch das Kostenargument: Wirtschaftlich ist nicht das Verhältnis von Solarstrahlung und Stromertrag die entscheidende Rechnungsgröße, sondern das zwischen tatsächlichem Gesamtinvestitionsbedarf und Stromertrag. Der unermessliche Vorteil dezentraler Stromerzeugung ist, dass dadurch Systemkosten vermieden werden können, die bei zentraler Stromerzeugung unerlässlich sind. Es wäre auch das erste Großprojekt, bei dem die am grünen Tisch errechneten Kosten mit den tatsächlichen übereinstimmen. Schon jetzt werden die Pläne für die angeblich viel effektivere Solarstromlieferung missbraucht, um die Solarstromerzeugung in Europa zu denunzieren und möglichst zu kappen: Der nächste Angriff der Stromkonzerne gegen das EEG und zur Diskreditierung der Kosten und Potenziale des dezentralen heimischen Ausbaus ist voraussehbar. Die Konzerne versuchen weiterhin die Energiewende um 30 bis 40 Jahre hinauszuzögern und die Beschaffung erneuerbarer Energien auf Kosten der Allgemeinheit zu ihren Gunsten zu organisieren. Denn DESERTEC kann nur von wenigen Großkonzernen realisiert und betrieben werden, die so auch die Strompreise bestimmen könnten.Michael Straub: Ob es dem Industriestandort Deutschland nutzt, unter enormen Mehrkosten für Strom energieautark zu sein, ist zu bezweifeln. Und selbst wenn Deutschland dieses Ziel rechtzeitig erreichen sollte, ist die Welt damit nicht gerettet. Andere europäische Länder sehen in Wüstenstrom einen günstigen Beitrag zu ihrem Energiemix, der ihre Anstrengungen für den Klimaschutz beschleunigen kann. Aufgrund der notwendigen Regelkapazität (“Strom nach Bedarf“) wäre die einzig bezahlbare Alternative zu Solarstrom-Importen der verstärkte Einsatz von Erdgas und "sauberer" Kohle, selbst wenn die verfügbaren heimischen Wasserkraft-, Geothermie- und Biomassepotenziale zur Stromerzeugung, wie von uns vorgeschlagen, ebenso weitgehend genutzt würden.
Nach Ansicht von Hans-Josef Fell, einem der Väter des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), besteht durch die Einspeisung von Wüstenstrom keine Gefahr für dieses vorbildliche Gesetz. Es müsste einfach ein weiteres Gesetz geschaffen werden, das die Vergütung der Einspeisung von Wüstenstrom regelt.
Hermann Scheer: Desertec mit seinen technischen, finanziellen und politischen Unwägbarkeiten ist keine Alternative zur Dezentralität. Die Verlagerung der Energieversorgung zurück auf die Regional- und Siedlungsebene findet hingegen heute schon beispielhaft in vielen Kommunen, Landkreisen und Regionen statt, die so in erheblichem Maße ihre regionale Wirtschaftskraft stärken. Solarstromerzeugung in der Sahara ist ein Ansatz für die dortigen Staaten. Wenn sie den Strom selber nutzen, und die EU ihnen dabei angemessen hilft, haben sie die unmittelbare Chance zu dauerhaft kostengünstiger Stromerzeugung.
Weitere Informationen zu DESERTEC: http://www.desertec.org/de/what-you-can-do/faq/
Informationen zu fesa e.V.:
www.fesa.dewww.solarregion.netwww.solarregion.eu und 
www.geothermie-suedwest.de

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