Die Energiewende und die Macht der Industrie – Rösler und Röttgen als Mittel zum Zweck?

Seit der Unfallserie in Japan, die als Nuklearkatastrophe von Fukushima in die Geschichte einging, sind gerade einmal 12 Monate vergangen. Die Katastrophe war ausschlaggebend für den Atomausstieg in Deutschland. Mittlerweile zeichnet sich jedoch wieder genau ab, wer in Deutschland das Sagen hat, stellt Björn-Lars Kuhn von der Proteus Solutions GbR (Spaichingen) im aktuellen Solar-Standpunkt fest. […]

Seit der Unfallserie in Japan, die als Nuklearkatastrophe von Fukushima in die Geschichte einging, sind gerade einmal 12 Monate vergangen.

Die Katastrophe war ausschlaggebend für den Atomausstieg in Deutschland. Mittlerweile zeichnet sich jedoch wieder genau ab, wer in Deutschland das Sagen hat, stellt Björn-Lars Kuhn von der Proteus Solutions GbR (Spaichingen) im aktuellen Solar-Standpunkt fest.

Der erste Atom-GAU: Tschernobyl 1986
Der Reaktorunfall vom 26. April 1986 in Tschernobyl ist sicher noch einigen in Erinnerung. Damals begann die politische Debatte über die Gefahr, die von Atomkraftwerken ausgeht.
Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) sprach sich auch im Namen seiner Fraktion im Bundestag in der Zukunft für eine Senkung des Anteils der Kernenergie an der Energieversorgung (1985: rund 31 %) aus, für einen baldigen Ausstieg komme dies aber nicht in Frage, da dieser weder notwendig noch machbar sei. Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) nannte die Kernenergie eine Übergangsenergie, und nach Tschernobyl gelte es konsequent über eine Energiepolitik nachzudenken, die langfristig der Kernenergie nicht bedürfe. Die FDP bezeichnete die Kernenergie auf ihrem Bundesparteitag 1986 in Hannover ebenfalls als eine Übergangsenergie, auf deren Verzicht als Bestandteil der Energieversorgung hingearbeitet werden müsse. (Quelle: Wikipedia).
Bis heute vertritt die Atom-Lobby die Ansicht, dass es keinen kausalen Zusammenhang zwischen vermehrt auftretenden Krebserkrankungen in der betroffenen Region und dem Reaktorunfall gebe. "Die gesunkenen Geburtenraten in den kontaminierten Gebieten könnten auf die Ängste der Bevölkerung und auf den Wegzug vieler jüngerer Menschen zurückzuführen sein" (Quelle: Wikipedia).
Ähnliche Aussagen gab es auch letztes Jahr nach Fukushima. Politische Allgemeinplätze und Bekenntnisse sind von Deutschlands Volksvertretern schnell unter das Volk gebracht worden. Dennoch wurde der Atomausstieg dieses Mal schneller angegangen.

Der Streit um den Atomausstieg ab 2000

Bereits im Juni 2000 wurde mit der „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen“ der Atomausstieg beschlossen. 2002 wurde das Atomgesetz entsprechend geändert, jedoch 2010 mit der Laufzeitverlängerung im Sinne der Atomwirtschaft schon wieder modifiziert.
Fukushima war dann der Ausschlag gebende Faktor für den Wechsel in der Atom- bzw. Energiepolitik Deutschlands. Am 6. Juni 2011 vollführte die Regierung Merkel die Kehrtwende und beschloss die Abschaltung von acht Atomkraftwerken und den stufenweisen Ausstieg bis 2022. Am 30. Juni 2011 wurde durch Abstimmung des Bundestages (513 Stimmen) das „13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes“ beschlossen, das den Ausstieg aus der Kernenergie und die Beschleunigung der Energiewende regelt.
Der Energieversorger Vattenfall kündigte laut Bericht des Handelsblatts an, gegen die Schließung seiner Atomkraftwerke juristisch gegen die Bundesrepublik vorzugehen und diese auf Schadensersatz in Milliardenhöhe zu verklagen. Die Bevölkerung steht jedoch laut einer im Herbst 2011 durchgeführten Umfrage mit 80% immer noch hinter dem Atomausstieg.

Über eine Dekade kräftiges Wachstum der Photovoltaik
Bereits seit über einem Jahrzehnt werden in Deutschland Photovoltaik-Anlagen gebaut. Die erste Fassung des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wurde bereits im März 2000 verabschiedet. Da die erneuerbaren Energien anfänglich noch recht hohe Investitionskosten bedeuteten wurde durch das EEG sowohl das Recht der Einspeisung ins öffentliche Netz, als auch eine Einspeisevergütung für die produzierte Leistung garantiert.
Schon 2004 wurden erste Reduzierungen bei Windkraft vorgenommen, da es in dieser Zeit einen recht hohen Zubau an Windkraftanlagen gab. Durch kontinuierlichen Zubau und deutlich gefallene Preise bei Solarmodulen konnten die Investitionskosten trotz sinkender Einspeisevergütungen in den letzten Jahren extrem gesenkt werden. In den letzten zwei Jahren erreichte Deutschland Rekordwerte beim Zubau von Photovoltaik-Anlagen.

Die 2. Energiewende?
2012 war dann das Maß für die vier großen Energieversorgungsunternehmen in Europa wohl voll. Völlig überraschend kündigten der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Philipp Rösler, und der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Norbert Röttgen, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz tiefgreifende Änderungen in Bezug auf die Einspeisevergütung und das EEG an.
Damit sah sich die gesamte Branche vor den Kopf gestoßen. Laufende Projekte wurden teilweise mit sofortiger Wirkung ausgesetzt, und bei vielen der kleinen Unternehmen macht sich nackte Angst vor der Insolvenz breit.
Die Solar-Branche, eine Industrie mit mittlerweile über 100.000 Mitarbeitern, konnte in der Vergangenheit immer auf entsprechende Kürzungen reagieren. Wenn diese allerdings mit nur wenigen Wochen Vorlauf verabschiedet werden, ist Planbarkeit kaum mehr gegeben.
Trotz kurzfristiger Aktionen wie Demonstrationen, offene Briefe oder Protestschreiben ließen sich die Ministerien nicht beirren. Mittlerweile hat der Bundestag die Novelle des EEG abgenickt.

Lobbyarbeit und Macht

Was hier in Deutschland passiert, ist kaum richtig nachvollziehbar. Dass zwei Minister per Ermächtigungsverordnung unter Ausschaltung des Bundesrates künftig im Monatszyklus die Einschnitte in der Energiepolitik beschließen wollen, ist wohl eine neue Erfahrung. Zugleich drängt sich der Verdacht auf, dass der Druck von Seiten der Energieversorger immens sein muss.
Die Energieversorgungsunternehmen (EVU) haben ja ein starkes Interesse daran, die Konkurrenz der erneuerbaren Energien möglichst klein zu halten. Bei verschiedenen Veranstaltungen hörte man bisweilen Wortfetzen wie "Minister gekauft", "bestochen" oder "haben die in der Hand". Durchaus mögliche Szenarien, wie ja auch der Blick auf unseren ehemaligen Bundespräsidenten zeigt.
Aber es geht nicht nur die Solarstrom-Einspeisevergütung. Die gesamte Branche der erneuerbaren Energien ist den großen Industriekonzernen ein Dorn im Auge, weil diese die Renditen schmälert. EVUs und Mineralölkonzerne setzen alles dran, um die Energiewende zu verhindern, wie auch Hans-Josef Fell, MdB (Bündnis 90 / Die Grünen) in seinem Wochenreport schreibt:
"Ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima hat die Bundesregierung offensichtlich kein Interesse mehr die ungewollte Energiewende zum Erfolg zu führen. Im Strombereich wird die Solarindustrie kaputt gemacht, im Wärmesektor werden die Mittel für die Gebäudesanierung und das Marktanreizprogramm zusammengestrichen und im Mobilitätssektor wird die Besteuerung der Biokraftstoffe ab 2013 auf 45 Cent pro Liter erhöht."
Wie die Branche der erneuerbaren Energien in diesem schrumpfen wird, ist noch nicht abzusehen. In den ersten zwei Monaten des Jahres gab es schon einige Insolvenzen. Trotzdem werden vermutlich einige Unternehmen gestärkt aus der Krise hervorgehen und den Kampf wieder aufnehmen.
Werden Themen wie Eigenstromversorgung und Speicherlösungen erst mal den Endkunden erreichen, so könnte sich das Blatt wieder wenden. Jede Kilowattstunde, die dann selbst verbraucht wird, muss nicht beim Energieversorger gekauft werden.
Wir werden sehen, ob dann die EVUs Kleinanlagen zum Eigenbedarf verbieten lassen. Spätestens dann sollten die Initiatoren darüber nachdenken, ob der Mob nicht durch die Strassen ziehen könnte.
Man kann nur hoffen, dass die Kollegen aus dem Bereich des investigativen Journalismus lange und beharrlich genug graben, um entsprechende Unstimmigkeiten ans Licht zu bringen.

Die Akteure:Norbert Röttgen, geboren am 2. Juli 1965 in Meckenheim, trat 1982 in die CDU ein. Seit 1994 ist Röttgen Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 28. Oktober 2009 ist er Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Röttgen absolvierte ein Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Bonn und ist seit 1993 als Rechtsanwalt zugelassen.

Bereits Anfang 2007 geriet Röttgen in die Schlagzeilen, weil er Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) werden sollte, sein Mandat als Abgeordneter jedoch parallel weiterführen wollte. Durch die zunehmende Kritik an seiner geplanten Doppelrolle zog Norbert Röttgen am 21. Juli 2006 seine Zusage für die Übernahme des Postens des Hauptgeschäftsführers beim BDI zurück.

Der politische Werdegang zeigt damit schon detailliert die Verbindungen zur Industrie.

Auf den Seiten des BMU ist ein Interview mit dem Focus (FOCUS 47/2009 vom 16. November 2009) veröffentlicht, in dem folgende Passage vorkommt:
FOCUS: Sie wollen sich also nicht festlegen, ob Energie teurer oder billiger wird?
Röttgen: Preise bilden sich am Markt und werden nicht von der Politik festgelegt. Philipp Rösler, geboren am 24. Februar 1973 [amtlich festgelegt] in Khánh Hung, Südvietnam, trat 1992 der FDP bei.

Von Februar bis Oktober 2009 war Rösler Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sowie Stellvertretender Ministerpräsident des Landes Niedersachsen im Kabinett Wulff II. Von 2009 bis 2011 war er Bundesminister für Gesundheit.

Seit Mai 2011 ist Rösler Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Bundesvorsitzender der FDP und deutscher Vizekanzler.

Rösler trat 1992 als Sanitätsoffizieranwärter in die Bundeswehr ein und wurde für ein Studium der Humanmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover freigestellt. 1999 begann er eine Facharztausbildung zum Augenarzt und promovierte 2002 zum Dr. med. 2003 verlies er die Bundeswehr vorzeitig, brach die Facharztausbildung ab um sich mehr um die Arbeit als FDP-Landespolitiker in Niedersachsen zu kümmern.

Auf dem Dreikönigstreffen der FDP im Januar in Stuttgart sagte Rösler:
“Wer aus der Kernenergie aussteigen will, der muss auch in fossile Kraftwerke einsteigen. Alles andere wäre unseriös. Ich erwarte von denjenigen, die in den letzten 20, 30 Jahren gegen Kernenergie demonstriert haben, dass sie jetzt fest an meiner Seite stehen, wenn wir neue Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke und 4500 Kilometer neue Netze bauen.“
Philipp Rösler war im April 1986 zum Zeitpunkt der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gerade mal 13 Jahre alt.

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