Interview: Winfried Hoffmann – Speicherkosten fallen rasant

Foto: Guido Bröer
Solarthemen 437. Dr. Winfried Hoffmannhat die Industrialisierung der Photovoltaik wesentlich mitgestaltet. Seit 1979 forschte der Physiker bei der NUKEM an Photovoltaik. Er leitete seit 1994 die Geschäfte der daraus hervorgegangenen PV-Hersteller ASE, RWE Solar und Schott Solarsowie seit 2007 die Technologieentwicklung bei Applied Materials. Lange Jahre war Hoffmann in Branchenverbänden aktiv, unter anderem als Präsident der EPIA. Heute ist er mit seiner Firma ASE – Applied Solar Expertise ein gefragter Berater.

Solarthemen: Herr Hoffmann, beim Forum Solarpraxis in Berlin haben Sie in der vergangenen Woche vorausgesagt, dass man Strom im Jahr 2030 für 5 Cent pro Kilowattstunde speichern wird. Wie kommen Sie auf die Zahl?

Winfried Hoffmann: Ich bediene mich eines Instrumentes, das sich für viele Produkte als sinnvoll erwiesen hat, aber dessen Vorhersagekraft oft unterschätzt wird: Preis-Erfahrungskurven. Diese wurden von Boston Consult in Anlehnung an die bekannte Kosten-Lernkurve entwickelt.

Wie funktioniert’s?

Das Prinzip kennt jeder, der mal eine Selbstbau-Kommode mit 6 Schubladen auf­gebaut hat. Bei der ersten Schublade tut man sich noch schwer, bei der zweiten, dritten, vierten geht es immer schneller und bei der fünften und sechsten ist man richtig flott. Das Ganze funktioniert bei jeder Firma, die ein Produkt herstellt. Wenn man dann die Herstellkosten über der kumulierten Menge der hergestellten Stückzahl doppelt logarithmisch aufträgt, ergibt sich eine Gerade. Aus deren Steigung können Sie ablesen, um wieviel Prozent die Kosten bei Verdopplung der hergestellten Menge sinken. Boston Consult hat gezeigt: Was bei individuellen Produkten und den entsprechenden Firmen funktioniert, das funktioniert auch preislich bei einem international gehandelten Produkt.

Zum Beispiel Photovoltaik …

Das Verfahren hat der amerikanische Branchenkenner Paul Maycock für Photovoltaikmodule schon vor mehr als 20 Jahren angewendet. Heute ist allgemeiner Konsens, dass PV-Modulpreise bei Verdoppelung der Produktion um etwa 20 Prozent fallen. Wohlgemerkt: Hier rede ich von Preisen. Da geht natürlich eine Vielzahl von Parametern ein. Der Markt kreiert manchmal Preise, die nichts mit den Kosten zu tun haben. Aber langfristig müssen natürlich – damit sich überhaupt ein stabiler Markt entwickeln kann – die Kosten leicht unter den Preisen liegen.

Darf man Preis-Erfahrungskurven wie eine Art Naturgesetz verstehen?

Das ist kein Naturgesetz. Es ist ein Instrument – ein recht sinnvolles –, aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass viele Parameter die Preise bestimmen, damit man die Ergebnisse nicht falsch interpretiert. Wenn zum Beispiel bei der Photovoltaik mal für ein paar Jahre die Werte über oder unter der empirisch ermittelten Kurve liegen, dann sagen fleißige Leute: Aha, dann verschiebt sich diese Gerade wohl nach oben oder nach unten. Mich wollten auch schon manche Forscher überzeugen, man könne die Steigung der Kurve verändern, indem man mehr forscht. Das ist alles Unsinn. Wir brauchen natürlich die Forschung, um über­haupt auf dieser Gerade voran zu kommen. Aber Ursache und Wirkung muss man genau auseinanderhalten.

Also dann: Unter welcher Voraussetzung gilt Ihre Aussage, dass Preise für Batteriespeicher bis 2030 auf umgerechnet 5 Cent pro gespeicherte Kilowattstunde fallen werden?

Wir müssen dafür eine Annahme treffen über das Wachstum pro Jahr, um im Jahr 2030 auf ein Volumen zu kommen, zu dem ich dann aufgrund der Preis-Erfahrungskurve sagen kann, dass sich ein Preis für Lithium-Ionen-Speicher in Höhe von 100 Dollar pro Kilowattstunde Batteriekapazität ergibt. Wie schnell ich auf diesen Preis komme, hängt von dem Wachstum ab. Beispiel: Ende der 90er Jahre habe ich als Vorstand von BSW und EPIA so eine Kurve gemacht, um den damaligen Politikern ein Instrument an die Hand zu geben, wohin wir uns in der Photovoltaik bewegen. Als ich das Ende der 90er Jahre getan habe, hatte ich natürlich meine Wachstumszahlen aus den 80er und 90er Jahren angenommen, die damals bei 20 Prozent lagen. Tatsächlich hatten wir dann ein Wachstum von jährlich 50 Prozent. Aufgrund meiner Preis-Erfahrungskurven habe ich logischerweise für das Jahr 2010 Preise genannt, die sich bei 20 Prozent Wachstum ergeben hätten. Diese Unsicherheit hat man immer, wenn man in die Zukunft schaut mit solchen Preis-Erfahrungskurven.

Bei Lithium-Solarbatterien hat man aber noch kaum Erfahrungswerte.

Darum habe ich die Batteriekosten von Elektroautos und von Batterien für Handys und Laptops als Basis für eine Preis-Erfahrungskurve genommen. Sie hat einen Preis-Erfahrungsfaktor von ungefähr 20 Prozent. Das heißt: Verdoppelung der kumulierten Menge – Preisre­duktion um 20 Prozent. Dann muss man aber aus der Zelle noch ein fertiges Modul machen mit Gehäuse und allem Drum und Dran. Wenn ich diese Dinge berücksichtige und dann den Preis pro Kilowattstunde über die nutzbare Kapazität und die Zyklenzahl umrechne, so lande ich bei etwa 5 Eurocent pro Kilowattstunde.

Ist das auf Photovoltaik-Batteriespeicher direkt übertragbar?

Man muss schon genau auf die Anwendung schauen. Für den Photovoltaik-Eigenverbrauch benötige ich auch ein Steuergerät und es fallen Installationskosten an. Diese Kosten sind im Elektroauto schon Teil des Autos. Der Unterschied zwischen Autobatterie und Stand-Alone-Speicher entspricht Faktor zwei. Die häusliche Speicherung von Solarstrom könnte also 2030 bis zu 10 Cent pro Kilowattstunde kosten.

Was impliziert dieser Preis für die Photovoltaikbranche?

Zunächst mal: Es ist sehr wichtig, dass wir einen kostengünstigen Speicher bekommen. In Deutschland haben wir jetzt 38 Gigawatt Photovoltaik installiert. Damit machen wir etwa 34 Terawattstunden Strom, etwa 7 Prozent unseres Jahresverbrauchs. Das ist zwar noch nicht sehr viel, aber wir wissen auch: An einem sonnigen Sommertag haben wir plötzlich 35 Gigawatt am Netz und brauchen am Wochenende mittags nicht mehr als 40 Gigawatt. Wenn ich also in Richtung 70 und 150 Gigawatt gehen will, dann werden wir mittags so viel Strom erzeugen, wie wir niemals per Lastkurve abnehmen können. Es ist wichtig, dass wir diesen Strom nicht wegwerfen, sondern nutzen. Dazu brauchen wir Speicher. Bei den Stromgestehungskosten im Einfamilienhaus liegt die Photovoltaik aktuell bei 13 bis 14 Cent. Als Stromkunde zahle ich 28 bis 29 Cent. Ich habe also im Moment 15 Cent zur Verfügung, die ich ausgeben kann, um meinen Eigenverbrauch nach oben zu bringen. Gehe ich als Privatmann über die Intersolar und frage einfach mal nach, was ich für einen Speicher bezahlen muss, dann lande ich eher bei 30 bis 35 Cent pro Kilowattstunde. In fünf bis sechs Jahren bin ich aber mit den Speicherkosten bei den 15 Cent. Dann wird das Ganze sehr interessant. Dann könnten wir Photovoltaik „ohne Grenzen“ ausbauen. Denn wir brauchen dafür keine großen Übertragungsnetze. All diesen Solarstrom werden wir – idealerweise – zu 100 Prozent im Niederspannungsnetz selbst verbrauchen.

Wird künftig jede PV-Anlage gleich mit Batteriespeicher verkauft?

Ja, selbstverständlich! Nur dann hat ja der Kunde wirklich die Möglichkeit, seine rund 30 Cent pro Kilowattstunde, die er ansonsten bezahlt, zu reduzieren. Denn wenn er seinen Überschuss einfach ohne EEG ins Netz einspeist, kriegt er künftig nur ein paar Cent, also viel zu wenig.

Wir haben heute schon eine Belastung des Eigenverbrauchs mit der EEG-Umlage. Werden dann nicht weitere Begehrlichkeiten entstehen?

Mit Sicherheit. Ich würde aber prognostizieren, wenn der Fiskus und entsprechende Kräfte immer neue trickreiche Abschöpfungsmaßnahmen erfinden würden, dann könnte das dazu führen, dass engagierte Bürger sich mit ihrem Stadtwerk zusammentun, um in ihrer Region eine 100-Prozent-Selbstversorgung zu machen und sich ganz abzukoppeln. Dann hört das Abschöpfen auf, denn dann ist dies eine Strominsel. Und eine Insel hätte ja auch heute schon keine Eigenverbrauchs-Umlage zu zahlen. Wenn die Politik die Daumenschrauben zu sehr anzieht, kann das zu ganz anderen Lösungen führen, die zunehmend realistisch werden – und zwar auch kommerziell realistisch.

Interview und Foto: Guido Bröer

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