Im Interview Harry Lehmann vom Umweltbundesamt: Bioenergie ist keine Option

Solarthemen 460. Harry Lehmann ist Leiter des Fachbereiches Umweltplanung und Nachhaltigkeitsstratgien im Umweltbundesamt (UBA), zu dem auch die erneuerbaren Energien zählen. Das UBA hat sich sehr klar gegen den Einsatz von Bioenergie positioniert. Die Solarthemen sprachen mit Lehmann über die Gründe für die ablehnende Haltung.

Solarthemen: Bioenergie gilt bislang als eine Säule der Energiewende und gerade im Wärmebereich deckt sie einen größeren Teil der regenerativ gewonnenen Energiemenge. Welche Rolle kann sie künftig spielen?

Harry Lehmann: Für uns ist Anbaubiomasse zu kostbar für die bloße energetische Nutzung. Es gibt eine Flächenkonkurrenz. Diese werden gebraucht für Nahrungsmittel, für Materialien und auch die chemische Industrie. Daher war für uns die Bioenergie nie eine Säule der Energiewende. Sie war ein Teil des Ganzen, aber nie eine Säule. Für uns sind die Säulen, gerade wenn man sich die Flächeneffizienz anschaut, eher Windkraft und Solarenergie.

Welche Konsequenzen sind denn aus diesen Erkenntnissen zu ziehen? Sollten wir die Nutzung von für energetische Zwecke angebauter Biomasse komplett stoppen?

Langfristig ja. Für uns ist klar, dass Anbaubiomasse mit ihren Produktionsfaktoren – Land, Wasser, Böden, Phosphor – nicht nachhaltig ist. Hier müssen wir den Nutzungsdruck und die Konkurrenz senken. Wir müssen auch die über den Weltmarkt vermittelte Konkurrenz im Ernährungssektor ernst nehmen – und dies nicht nur aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive entscheiden. Dann müssen wir auch den Nachfragedruck von globalen Acker- und Grünlandflächen nehmen. Dabei haben wir im Bereich der Energieversorgung sehr viele Alternativen zur Bioenergie mit einer wesentlich höheren Flächeneffizienz.

Nun gibt es auch andere Sichtweisen. So sieht der Bundesverband Bioenergie noch ein gewissen Flächenpotenzial und verweist zum Beispiel auf brach liegende Ackerflächen in Russland von 22 Millionen Hektar. Ist es denn nicht sinnvoll solche Bereiche zu nutzen, wenn sie denn zur Verfügung stehen?

Häufig wird ja argumentiert, wir bräuchten die Bioenergie im Verkehrssektor. Aber hier ist sie keine nachhaltige Option, auch keine Übergangslösung. Man muss natürlich die Energieversorgung des Verkehrssektors um­- stellen. Aber wir brauchen andere postfossile Treibstoffe. Das ist die direkte Nutzung von Strom, vor allem bei Eisenbahnen und im Nahverkehr, und wir müssen möglichst bald auf Power-to-Gas und Power-to-Liquid übergehen. Und wenn wir uns zudem die Schifffahrt und den Luftverkehr ansehen, dann sehen wir, dass die Bioenergie keine Lösung darstellt. Wenn wir auf 2050 blicken, reichen, selbst wenn wir optimistische Flächenpotenziale für die Bioenergie unterstellen, die Flächen selbst nur für den Luftverkehr nicht aus. Der zweite Teil der Antwort ist: Natürlich gibt es irgendwo in der Welt Flächen, die brach liegen oder die eventuell im Zuge des Klimawandels fruchtbar werden. Aber gleichzeitig haben wir Flächen, die wegen des Klimawandels wegfallen. Das heißt, wir müssen möglichst sparsam mit Flächen umgehen, um Biomasse für die Ernährung und andere stoffliche Anwendungsbereiche bereitstellen zu können. Und umso mehr Konkurrenzdruck wir auf die Flächen bringen, desto weniger werden wir eine nachhaltige Nutzung erreichen. Die Flächen für die Biomasse sind kostbar. Daher plädieren wir für eine Kaskadennutzung. Die Priorität liegt neben der Nahrungsmittelproduktion bei der stofflichen Nutzung. Ganz am Ende steht die energetische Nutzung.

Aber muss man nicht Zeitphasen unterscheiden? Wir haben jetzt möglicherweise eine andere Situation als 2050 mit einer gewachsenen Weltbevölkerung und damit verbunden einem größeren Flächenbedarf. Gibt es da keinen Unterschied in der Betrachtung der Bioenergie?

Nein, denn es sind gestrandete Investitionen. Nehmen wir wieder den Flugverkehr als Beispiel. Es gibt einige Länder, die Bioenergie gerne dafür verwenden wollen. Das sind die Länder, die etwa Ethanol auf dem Weltmarkt anbieten. Das bedeutet aber, dass man große Monokulturen hinnehmen müsste. Für uns heißt das aber, dass es keine Übergangsphase gibt. Wir müssen jetzt gegen die sichtbare Problematik der Biomasse angehen, um andere Strukturen aufzubauen.

Allerdings wird derzeit im Wärmebereich Holz eingesetzt. Dies spielt auch eine Rolle in der gerade publizierten Strategie der Regierung für mehr Energieeffizienz im Gebäudebereich. Müsste man hier stattdessen eine Ausstiegsstrategie fahren?

Es geht auch hier um die Nutzungskaskade. In der Holzwirtschaft fallen Abfälle an. Diese kann ich erst stofflich und dann energetisch nutzen. Ein Teil wird auch nur energetisch nutzbar sein. Aber einen Wald anzubauen, nur um ihn für den Wärmebedarf zu verbrennen, das ist nicht die Lösung. Unsere Position ist klar: Anbaumasse ist zu wertvoll für die direkte energetische Nutzung. Im Wärmebereich geht es um die Sanierung von Gebäuden und Power-to-Heat, sprich Wärmepumpen.

Das wird aber noch Zeit brauchen.

Ja, das ist richtig. Es ist auch so, dass wir bei Power-to-x jetzt starten und lernen müssen. Bestimmte Stadtviertel kann ich relativ einfach mit Wärmepumpe und Wärmespeicher beheizen und habe so auch relativ schnell die Chance zum Wandel. Da kann ich viel mehr erreichen als bei einem vermehrten Einsatz von Holzheizungen.

Nun wären aber Landwirte von einem Ausstieg aus der Bioenergie stark betroffen.

Da muss man Übergangsstrategien schaffen. Und man muss sich auch klarmachen, wenn wir die Landwirtschaft nachhaltiger gestalten wollen, wenn wir die Landwirtschaft auch so gestalten wollen, dass sie ökologischer wird, dann ist sowieso ein Wandel in der Landwirtschaft angesagt. Und das muss man dann mit einer auf die Landwirte angepassten Strategie verbinden.

Gibt es denn überhaupt direkte energetische Nutzungen für Biomasse, die vertretbar sind?

Sicherlich wird es in Entwicklungsländern Lösungen geben, wo Teile der Ernte genutzt werden, so etwa Purgiernusshecken in Afrika, die Energielieferant sind und weitere Funkt­ionen erfüllen. Aber wir sehen keine Optionen im industriellen Maßstab.

Interview:Andreas Witt

Beliebte Artikel

Schließen