Blockchain als neue Option für Solarenergie

Solarthemen 484. Digitale Prozesse – Blockchains – könnten die Abrechnung in der Energiewirtschaft vereinfachen. In den USA handeln so mittlerweile private Erzeuger von Solarstrom miteinander. Verbraucherschützer hoffen auf neue Optionen für Prosumenten auch in Deutschland.

Es hat alles vor zwei Jahren in einer umgebauten Garage in Amsterdam begonnen. Zusammen mit seinen Kollegen Lars Falch und Rico Ligtvoet hat Michiel Ooms nicht locker gelassen. Ihre Idee ist es, das Internet und die erneuerbaren Energien miteinander zu koppeln: „Uns schwebte eine Plattform vor, mit der beispielsweise Besitzer von Solaranlagen ihren selbsterzeugten Ökostrom an die Nachbarschaft verkaufen können.“ Powerpeers heißt diese Plattform mittlerweile und ist schon seit Ende Juni dieses Jahres online. Das Start-up versteht sich nicht als klassischer Energieversorger, sondern als IT-Plattform. „Wir verkaufen keine Kilowattstunden, sondern bringen Ökostrom-Produzenten und Kunden zusammen“, erklärt Ooms. Powerpeers-Nutzer zahlten deshalb eine Nutzungsgebühr. Für alle Prozesse nutzen Ooms und seine Kollegen, die als Ausgründung von Vattenfall finanziell vom schwedischen Staatskonzern unterstützt werden, noch eine Cloud-basierte Plattform. „Der nächste Schritt wäre sicherlich, die Blockchain-Technologie zu nutzen“, sagt der Niederländer. Blockchain – diese Vokabel entwickelt sich gerade zum neuen Schlagwort in der Energiewirtschaft, fast keine Woche vergeht derzeit ohne eine Veranstaltung dazu. Technisch gesehen ist die Blockchain, englisch für Block-Kette, ein digitales Protokoll, um Geschäfte sicher online abzuwickeln. Dabei erfolgt eine chronologische, kettenartige Verknüpfung der Datenblöcke. Dass all die Transaktionen nicht über einen zentralen Rechner laufen, soll die Datensicherheit erhöhen und vor Manipulationen schützen. Ohne Zwischenhändler Der eigentliche Clou ist aber: Die Geschäftspartner brauchen dafür keine traditionelle Zwischeninstanz – weder eine Bank noch eine Börse. Und, so die Conclusio, auch keinen Energieversorger. Was irgendwie nach Anarchie auf dem Strommarkt klingt. Angesichts der ohnehin seit Jahren sinkenden Erlöse vieler Energieversorger und des massiven Strukturwandels, der schon seit längerer Zeit im Gange ist, fabulierte der österreichische Standard jüngst schön prosaisch: „Neue Technologie versetzt E-Wirtschaft den Stromstoß“. Was wie Todesstoß klingt. Auf alle Fälle hat Blockchain nach Einschätzung von Kirsten Hasberg vom Berliner Netzwerk BlockchainHub das Potenzial, die Energiewelt zu revolutionieren: „Die Blockchain-Technologie passt in die Zeit: Die Energiewirtschaft ist geprägt durch eine zunehmend dezentralere Erzeugung und durch die Digitalisierung. Beide Entwicklungen können durch Blockchain verbunden werden.“ Hasberg spricht vom „missing link“, der bislang die Energiewende und die zunehmende Zahl von Prosumern technologisch zusammenbringt. Bundesweit gibt es allein mehr als anderthalb Millionen PV-Anlagen, das Gros in privater Hand. Mit dem eigenen Solarstrom vom Dach Nachbarn und Freunde zu beliefern, den Wunsch hegten viele Prosumer. „Kein anderes Land in Europa wie Deutschland verfügt bereits über solch dezentrale Strukturen bei der Energieerzeugung. Deshalb ist es prädestiniert für die Blockchain-Technologie“, so Hasberg. Vorbild für die Blockchain-Aktivisten ist das „Brooklyn Microgrid“-Projekt in New York. Längs der President Street versorgen Bürger von der einen Seite der Wohnblocks einige Mieter auf der anderen Seite seit diesem April mit selbsterzeugtem Solarstrom von ihren Dächern. Die Abrechnung und Bezahlung untereinander läuft über die Blockchain-Technologie. „Das Beispiel zeigt, dass sich vor allem für Solaranlagenbesitzer ganz neue Möglichkeiten für den Vertrieb eröffnen“, sagt Expertin Hasberg: „Auch unabhängige Mieterstrommodelle, die es nach wie vor wirtschaftlich schwer haben, können davon profitieren.“ Verbraucher für Blockchain Angetan von den Möglichkeiten, die Blockchain bietet, ist auch Udo Sieverding von der Verbraucherzentale NRW. Die Technologie könne dafür sorgen, dass auch Stromkunden bei der Energiewende auf der Gewinnerseite stehen könnten, so der Energieexpert: „Blockchain kann für private Haushalte zu enormen Kosteneinsparungen und zu einer neuen Souveränität führen. Möglich ist eine Emanzipation von den Energieversorgern, deren finanzieller Effekt mit der Einführung des Online-Handels vergleichbar sein dürfte.“ Mit Blockchain verbindet Sieverding die Option zu mehr als reinen Peer-to-Peer-Kontrakten für Ökostrom. Der klassische Strom-, Gas- und Fernwärmevertrieb, die Elektromobilität, Transaktionen rund um Netze und Messdienstleistungen sowie Ablese- und Abrechnungsverfahren können nach seiner Einschätzung künftig teilweise oder vollständig über eine Blockchain abgebildet werden. Um die Chancen für die Energieverbraucher und Herausforderungen für Wirtschaft und Politik dank Blockchain ausloten zu lassen, hatte der Verbraucherschützer im Sommer die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) mit einer Expertise [www.verbraucherzentrale.nrw/blockchain] beauftragt. PwC-Projektleiter Axel von Perfall dürfte so nach wie vor den besten Überblick darüber haben, was sich derzeit in Sachen Blockchain in der nationalen und internationalen Energiewirtschaft tut. „Die Technologie steht in der Energiewirtschaft noch am Anfang, hat aber das technologische und konzeptionelle Potenzial, zu einer ernstzunehmenden Größe zu werden.“ Blockchain könne jedenfalls den Trend zu mehr Dezentralität „anfeuern“, meint der PwC-Mann. Derzeit nicht vorhersehbar sei, in welchem Zeitraum das geschehen könne. Eine „Massenbewegung“ werde Blockchain aber nicht auslösen, so von Perfall: „Es wird regionale und bestimmte Kundensegmente geben.“ In nächster Zeit müsse Blockchain in der Energiewirtschaft „erwachsen werden.“ Zu diesem technologischen Reifeprozess zählt für von Perfall ein Mehr an Daten- und Manipulationssicherheit. Ein heißes Eisen. Die Bankenwelt, die nach dem Finanzkrisenjahr 2008 begann, mit der Kryptowährung Bitcoin die Blockchain-Technologie zu nutzen, durchlief Anfang August Schockwellen: Betrüger konnten rund 58 Millionen Euro an der Digital-Börse Bitfinex abzweigen, der bislang zweitgrößte Bitcoin-Diebstahl in der Geschichte der Tauschbörsen. Anders als zuletzt bei den erneuerbaren Energien oder einer stärkeren Kundenorientierung zeigen sich große Energiekonzerne wie RWE oder Vattenfall bei Blockchain wesentlich ausgeschlafener. Was die Energie-Professorin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nicht verwundert: „Dass auch die Energiekonzerne die Blockchain-Technologie nutzen, ist für mich unausweichlich. Blockchain wird ihnen helfen, neue Geschäftsmodelle zu schaffen.“ Noch sind Unternehmen wie beispielsweise Vattenfall nach eigenem Bekunden in der Trial-&-Error-Phase. „Wir sehen derzeit noch keine kommerziellen Projekten, halten aber Blockchain für eine Technologie, die viele Bereiche von uns betreffen und verändern kann“, sagt Claus Wattendrup, Geschäftsführer der Vattenfall Europe Innovation GmbH. Blockchain sei ein Trend, „den Vattenfall nicht verschlafen will.“ Mit powerpeers in den Niederlanden habe das Unternehmen eine Art Testballon begonnen: „Auch wenn wir dort noch keine Blockchain, sondern klassische Abrechnungssysteme nutzen, wollen wir auf die zunehmende dezentralere Einspeisung und die damit verbundenen Kundenwünsche reagieren.“ Hierzulande wird Vattenfall demnächst mit einem Startup-Unternehmen ein erstes Blockchain-Projekt starten, lässt Wattendrup durchblicken. Seit einigen Monaten ist der erste Partner des RWE-Konzern in Sachen Blockchain bekannt: Slock.it aus dem sächsischen Mittweida. Wohl Ende des Jahres wollen beide Partner in Berlin in einem Pilotvorhaben ein neues Bezahlmodell für Elektroauto-Strom testen. „Über unsere Blockchain-App lässt sich für jeden Ladevorgang der günstigste Anbieter auswählen und der Bezahlvorgang managen“, kündigt Slock.it-Gründer Christoph Jentzsch an. Das sei „nur der Anfang“. Bedingungen müssen passen Bevor die schöne, neue Energiewelt via Blockchain so richtig Wirklichkeit wird, sind noch eine Menge Hürden aus dem Weg zu räumen: „Es müssen die regulatorischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Da sehe ich den Gesetzgeber gefordert“, sagt DIW-Expertin Kemfert. Nicht nur sie, sondern auch Verbraucherschützer Sieverding: „Je mehr Start-up und Energieversorger auf Blockchain zugreifen, desto größer wird der Druck für den Gesetzgeber zu handeln.“ Bei dem Tempo, mit dem Blockchain derzeit anfängt, die Energiewelt durcheinander zu wirbeln, dürfte das nicht allzu lange dauern. Was eine Mitte November veröffentlichte Studie der Deutschen Energie-Agentur und der European School of Management and Technology in Berlin unterstreicht: Die Hälfte der im Rahmen der Studie befragten 70Führungskräfte aus der Energiewirtschaft gab an, bereits mit der Blockchain-Technologie zu experimentieren oder das zu planen. Text: Ralf Köpke Foto: @nt/ninog/fotolia.de, Montage: Andreas. Witt

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