Energiepaket: EU-Kommission will Energiemärkte umkrempeln

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Solarthemen 485. Die Europäische Kommission hat am 30. November ein ganzes Bündel von energiepolitischen Richtlinien-Vorschlägen vorgelegt, die einen massiven Einfluss auf die Energiemärkte in Europa haben werden. Angesichts des sehr komplexen Vorhabens stellt sich die Frage, ob die selbst gesetzten Ziele erreichbar sind oder ob sich der Wunsch der Kommission, möglichst viele Regeln auf europäischer Ebene harmonisieren zu wollen, am Ende kontraproduktiv für die Energiewende und den Klimaschutz auswirken kann.

Derzeit wird in vielen Abgeordnetenbüros in Brüssel noch mit den Achseln gezuckt, wenn Journalisten nach den genauen Inhalten des Maßnahmenpakets und den möglichen Kritikpunkten ­– gerade in den Details – fragen. Kein Wunder: die Energie- und Umweltpolitiker diskutieren gerade über die Reform des Emissionshandels, derren Beschluss von ihnen in die nächste Woche geschoben wurde. So wurde das energiepolitische Paket zwar zur Kenntnis genommen, doch im Europäischen Parlament wird es erst im Januar 2017 offiziell ankommen. Diese Richtlinienvorschläge stehen auf der Agenda: • Erneuerbare-Energien-Richtlinie, • Energieeffizienzrichtlinie, • Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, • Richtlinie zum Elektrizitätsmarkt, • Richtlinie zur Vorbereitung auf Risiken im Energiesektor, • Richtlinie zur Regierungsführung. Alle diese europäischen Gesetze stehen in Verbindung zueinander. Und hinzu kommen noch eine Reihe weiterer, von der EU-Kommission vorgelegte Dokumente, so zum Beispiel Vorschläge zur Fortentwicklung der Ecodesign-Richtlinie: Die Kommission möchte einige neu aufgenommene Produkten stärker unter den Aspekt der Energieeffizienz betrachten, darunter Solarmodule und Wechselrichter. Radikale Veränderungen Starke Auswirkungen auf die Strukturen in den europäischen Energiemärkten werden allerdings die genannten Richtlinien haben. In der Vergangenheit haben Kommission, Rat und Parlament über jede einzelne dieser Richtlinien lange und hart diskutiert. Nun kommt die Kommission mit einem gebündelten Novellenkanon – und in vielen Fällen handelt es sich nicht um eher kleine Korrekturen, sondern um grundlegend neue Weichenstellungen. Entsprechend anspruchsvoll wird die Debatte sein. In ihrem Entwurf für die Erneuerbare-Energien-Richtlinie betont die EU-Kommission, es sei ausschlaggebend die Sicherheit für Investoren zu stärken. Daher sei dies eine der besonderen Zielsetzungen des Vorschlags. Rainer Hinrichs-Rahlwes, Europaexperte im Vorstand des Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), kritisiert jedoch: „Durch die jetzigen Rahmenbedingungen für Fördersysteme fehlen Investoren Investitions- und Rechtssicherheit. “ Besonders problematisiert der BEE, dass der Einspeisevorrang für erneuerbare Energien in der Elektrizitätsmarkt-Richtlinie eingeschränkt werde. Die BEE-Meinung wird vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) geteilt. Stefan Kapferer, Vorsitzender der BDEW-Hauptgeschäftsführung, erklärt. „Es muss sichergestellt werden, dass den Erneuerbaren ein vorrangiger Netzzugang, also der physische Vorrang für die Abnahme, Übertragung und Verteilung des Stroms garantiert wird. Wenn Einspeisung von Strom aus Erneuerbaren zeitweise abgeregelt werden muss, sollten die Entschädigungsregelungen so gefasst werden, dass die Anlagenbetreiber sich nicht gezwungen sehen, Risikoprämien einzupreisen.“ Wie in den schon vorher bekannt gewordenen ersten Entwürfen zur geplanten neuen Elektrizitätsmarktrichtlinie, so will die Kommission auch in ihrem jetzt vorgelegten Entwurf Einspeiseprivilegien für erneuerbare Energien und effziente Kraft-Wärme-Kopplung möglichst weit einschränken. Bei neuen Anlagen soll dies nur bis zu einer Leistung von zunächst 500 kW erlaubt sein, ab 2026 bis 250 kW. In Ländern, in denen Erneuerbare und KWK 15 Prozent der Stromerzeugungsleistung erreichen, soll die Grenze sofort auf 250 kW und ab 2026 auf 125 kW reduziert werden. Hier befindet sich die EU-Kommission also im Widerspruch zu Verbänden wie dem BEE und dem BDEW. Vorschläge umstritten Auch der Europaabgeordnete Jo Leinen (SPD) mahnt mit Blick auf den Vorschlag: „Das Energiepaket der EU-Kommission darf den Ausbau Erneuerbarer Energien nicht ausbremsen. Unternehmen, aber auch private Nutzer und Bürgergenossenschaften brauchen mehr Klarheit für Investitionen in Erneuerbare-Energie-Anlagen“. Der Marktzugang solle nicht erschwert werden. Auch müsse das Ausbauziel für erneuerbare Energien von 27 Prozent bis 2030 deutlich angehoben werden. Peter Liese, Europaabgeordneter der CDU, lobt am Energiepaket der Kommission, es sei richtig, die Energieeffizienz ganz nach vorn zu stellen. Doch allein damit seien Klimaschutz und die Reduzierung von Importabhängigkeit nicht zu schaffen. „Wir brauchen zusätzlich die erneuerbaren Energien. Hier ist der Vorschlag der Kommission relativ schwach und aus deutscher Sicht müssen wir ihn sicher im Parlament und im Ministerrat nachbessern.“ Liese betont zudem, es müsse vermieden werden, das europäische Ziel für einen höheren Anteil erneuerbarer Energien vor allem durch Staaten wie Deutschland erreichen zu wollen. „Auch Länder wie Polen müssen in Zukunft statt auf Kohle, auf erneuerbare Energien setzen“, so Liese. Er spricht damit einen Paradigmentwechsel an, den die Kommission offenbar vollziehen will. Bislang sollen die jeweiligen Mitgliedsländer einen definierten Anteil erneuerbarer Energien im eigenen Land aufbauen. Dieses Prinzip möchte die Kommission künftig ersetzen durch die Selbstverpflichtung Europas, in der gesamten Union den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 auf 27 Prozent anzuheben. Die Mitgliedsländer sollen Energie- und Klimapläne erstellen und der Kommission kontinuierlich über die Fortschritte berichten. Zeige sich, dass die europäischen Ziele nicht erreicht werden, will die Kommission weitere Maßnahmen ergreifen. Die Kommission will den Ausbau erneuerbarer Energien durch deren Integration in den Energiemarkt erreichen. Dieser ist aus ihrer Sicht ein europäischer. So sollen Ausschreibungen für erneuerbare Energien möglichst grenzüberschreitend sein. National beschränkte Förderstrategien vertragen sich nicht mit den Vorstellungen der Kommission für den EU-Energiemarkt ab 2020. Die European Renewable Energy Federation (EREF) kritisiert, die starke Marktorientierung könne den Ausbau erneuerbarer Energien gefährden. Denn das Energiepaket der Kommission enthalte nach einer ersten Analyse, so EREF, keine Maßnahmen, um offene und versteckte Subventionen für nukleare und fossile Energien abzubauen oder externe Kosten zu internaliseren. Mehr Rechte für Prosumenten Anregen will die Kommission die Produktion erneuerbarer Energien auf der lokalen Ebene. Die Rechte von Prosumenten will sie stärken. Es soll leichter werden, auf dem eigenen Gebäude Energie zu erzeugen und auch im eigenen Viertel mit anderen Energie zu teilen. Mieterstromprojekte und genossenschaftliche Projekte sind im Interesse der Kommission. Für eine quartiersbezogene Energieversorgung sollen auch Dritte als Dienstleister eingesetzt werden können. Regenerative Wärme Voranbringen will die Kommission das Heizen und Kühlen mit erneuerbaren Energien. Bis 2030 soll deren Anteil an der jeweiligen nationalen Wärme- und Kälteversorgung jährlich um 1 Prozentpunkt steigen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen die Mitgliedsstaaten ausdrücklich die Lieferanten von Treibstoffen zu Maßnahmen heranziehen können. Auch sollen lokale Erzeuger von regenerativer Wärme künftig das Recht erhalten, in lokale Wärmenetze einzuspeisen. Das derzeitige Monopol der Betreiber von Wärmenetzen, ihre Kunden ausschließlich mit Wärme aus den eigenen Anlagen beliefern zu dürfen, würde also aufgebrochen. Von den Details wird es jedoch abhängen, wie dann die Investition in Wärmenetze abgesichert werden kann. Manches Stadtwerk wird zurückhaltender investieren, wenn zudem jeder Hausbesitzer vom derzeit häufig bestehenden Anschluss- und Benutzungszwang dank europäischer Richtlinie befreit wäre – sofern die Energieerzeugung im eigenen Haus effizienter erfolgt als durch die Wärmelieferung. Genau diese Option will die Kommission für Hausbesitzer vorsehen. In jedem Fall eröffnet die von der Kommission vorgesehene Maßnahme in der Erneuerbare-Energien-Richtlinien ganz neue Geschäftsmöglichkeiten für Erzeuger von regenerativer Wärme, wenn ihnen die Wärmenetze generell diskriminierungsfrei offenstehen sollen. So sind große solarthermische Anlagen häufig bereits eine wirtschaftlich nutzbare Alternative zu Öl- und Gaskesseln. Die Betreiber von Wärmenetzen sollen lediglich dann den Zugang verweigern dürfen, wenn die Kapazititäen des Netzes bereits durch Wärme aus Erneuerbare-Energien-Anlagen, aus hocheffizienter KWK oder aus der energetischen Nutzung von Abfällen ausgeschöpft sind. Andreas Witt Text: Andreas Witt Foto: Foto: @nt, gertrudda/fotolia.de – Montage: Andreas Witt

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