Interview mit Prof. Claudia Kemfert: CO2-Preise würden wirken

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Claudia Kemfert ist seit 2016 Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen und leitet seit 2004 die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Es legte vor kurzem im Auftrag des Bundesumweltministeriums eine Studie zur sozialverträglichen Bepreisung von CO2-Emissionen vor (siehe Seite 3). Wir sprachen mit Frau Kemfert über die Wirkungen, die CO2-Preise für die Energiewende haben können.  

Solarthemen: Die jetzt vorgelegten Modellrechnungen für eine sozialverträgliche CO2-Bepreisung beschränken sich auf die Bereiche, die nicht vom Emissionshandel betroffen sind, also Verkehr und Wärme. Ist es sinnvoll, den Strom hier außen vor zu lassen?  

Claudia Kemfert: Der Strom wird ja schon über den EU-Emissionsrechtehandel CO2-bepreist, an dem die Energiewirtschaft und die Industrie teilnehmen. Zu Beginn war der CO2-Preis aufgrund der Überallokation der Emissionszertifikate gering. Mittlerweile hat man ihn repariert und der CO2-Preis ist auf über 20 Euro pro Tonne CO2 gestiegen. Dies gibt eine zaghafte erste Lenkungswirkung weg von Kohle hin zu mehr erneuerbare Energien.  

Wenn nun im Wärmebereich ein CO2-Preis von zunächst 35 Euro je Tonne verlangt werden soll, der auf bis zu 180 Euro steigt, führt dies nicht zu Fehlwirkungen, zum Beispiel einer Wiederbelebung der Nachtstromspeicherheizung?  

Im Wärmebereich werden noch im­mer zu überwiegenden Teilen Öl- und Gasheizungen genutzt. Die Heizkosten dieser Anlagen werden sich durch die höheren CO2-Preise erhöhen. Wir starten absichtlich mit einem vergleichsweise niedrigen CO2-Preis, der im Zeitablauf stark ansteigt. Dies gibt eine ausreichende Lenkungswirkung, sodass künftig nicht mehr in fossile Energien, sondern eher in das Energiesparen und klimaschonende Technologien investiert wird. Gerade im Wärme-, aber auch im Verkehrsbereich gibt es lange Pfadabhängigkeiten. Beispielsweise eine Heizung, die heute ausgetauscht wird, wird die kommenden Jahrzehnte genutzt werden. Dadurch, dass alle wissen, dass sich CO2 stark verteuern wird, gibt es Planungssicherheit für alle Investoren, in CO2-freie Technologien oder Güter zu investieren. Außerdem schlagen wir vor, dass sich der Strompreis durch die Senkung der Stromsteuer und/oder EEG-Umlage vermindern kann. Dies kann Anreize geben, dass vermehrt auch Strom im Gebäudebereich eingesetzt wird, aber hier vor allem für Wärmepumpen in Kombination mit erneuerbaren Energien und der energetischen Gebäudesanierung. Nacht- ­speicherheizungen sind aufgrund ihres sehr geringen Wirkungsgrads und der damit gegebenen Ineffizienz und vergleichsweise hohen Kosten keine dauerhafte Lösung, und diese werden ja auch kaum noch genutzt. Eine Wiederbelebung ist daher unwahrscheinlich.

Bei einem geringen CO2-Preis im Stromsektor werden fossile Energien bevorzugt, denn erneuerbare Energien können ihren Vorzug einer geringen Klimabelastung nicht ausspielen. Wie kann man dem dann entgegenwirken?

Man könnte sich wie in anderen Ländern auch für einen Mindestpreis entscheiden. Dies würde in der Tat dann ausreichend Anreizwirkung gegen Kohlekraft und für mehr erneuerbare Energien geben. Der EU-Emissionsrechtehandel wurde ja durch die Einführung der Marktstabilitätsreserve repariert, sodass es derzeit zumindest unwahrscheinlich ist, dass der Preis stark sinkt. Mit dem Kohleausstieg in Deutschland wird es aber notwendig sein, dass Zertifikate in gleichem Umfang stillgelegt werden. Dies hat ja auch die Kohlekommission vorgeschlagen.

Es gibt auch die Idee, mit einem CO2-Preis für alle Emittenten zu einem einheitlichen Instrument zu kommen. Im Gegenzug soll die Stromsteuer, die auch die erneuerbaren Energien belastest, wegfallen und die EEG-Umlage zumindest reduziert werden. Manche Befürworter gehen so weit, das EEG für neue Anlagen abschaffen zu wollen, weil die Anlagen dann in Verbindung mit Power Purchase Agreements, kurz PPAs, sehr konkurrenzfähig sein könnten. Würde diese Rech­nung aufgehen?

Ein einheitlicher Preis ist grundsätzlich problematisch, da es sehr unterschiedliche Vermeidungskosten in den einzelnen Sektoren gibt. Ein CO2-Preis von über 30 Euro pro Tonne macht viele Steinkohlekraftwerke unwirtschaftlich. Im Verkehrssektor führt er hingegen zu Null Lenkungswirkung. Eine Entlastung über den Strompreis durch Senkung der Stromsteuer und/oder EEG-Umlage ist nur begrenzt möglich. Bei hohen CO2-Preisen hätte man nur eine geringe Entlastungsmöglichkeit, da die Stromsteuer nur begrenzt gesenkt werden kann. Die EEG-Umlage kann aus juristischen Gründen niemals ganz über den Staatshaushalt finanziert werden. Dies wäre dann eine Beihilfe. Eine Senkung wäre aber möglich. Eine komplette Abschaffung ist künftig möglich, da sich neue Geschäftsmodelle schon heute entwickeln, vor allem durch die Möglichkeit, „mit dem Nachbarn“ Strom zu handeln, oder aber durch PPAs. Hier sind wir noch in der Anfangsphase.

Was bedeutet das derzeit für das EEG?

Heute ist es durchaus noch sinnvoll, über die jetzigen Förderungen den Ausbau zumindest auf einen über 65-prozentigen Anteil ansteigen zu lassen. Dafür müssen aber Ausbaudeckel wegfallen und mehr Mengen lastnah, dezentral und systemdienlich ausgeschrieben werden.

Wo liegen die Beschränkungen eines Systems von CO2-Preisen, wenn es darum geht, Emissionen weitgehend zu reduzieren und die Energie- sowie Verkehrswende zu schaffen?


Im Verkehrssektor gibt es sehr hohe Vermeidungskosten. Man hat heute ja schon Energiesteuern, die in CO2-Preisen ausgedrückt bei etwa 280 Euro pro Tonne CO2 beim Benzinpreis liegen. Die Lenkungswirkung ist dennoch gering. Man bräuchte somit nochmals mindestens 100 Euro pro Tonne CO2 obendrauf, damit wir kleine Lenkungswirkungen sehen. Der Umstieg zu klimaschonenden Antrieben erfordert noch höhere CO2-Preise. Daher ist es sinnvoll, auf eine Vielzahl von Maßnahmen gerade im Verkehrssektor zu setzen, angefangen von einer Quote für E-Fahrzeuge bis hin zum Ausbau der Ladeinfrastruktur, Stärkung des Schienenverkehrs und ÖPNV sowie Fahrrad und Fußverkehr in Ballungszentren. Ein CO2-Preis kann flankierend wirken, aber niemals allein die notwendigen Anreize geben

Die drei jetzt vorgelegten Gutachten befassen sich mit einem Klimabonus für Haushalte in Höhe von 80 Euro pro Kopf und Jahr oder etwas mehr. Der soll als Kompensation für höhere CO2-Preise ausgezahlt werden. Alternativ dazu oder in Kombination könnte die Stromsteuer gesenkt oder ganz abgeschafft sowie die EEG-Umlage reduziert werden. Welche Idee halten Sie für die sinnvollste?

Beides ist sinnvoll, auch in der Kombination. Die Senkung des Strompreises würde vor allem die stromintensive Industrie aber auch die Wirtschaft insgesamt entlasten. Die Klimaprämie entlastet vor allem einkommensschwache Haushalte, die ohnehin keinen großen Fußabdruck haben, aber auch die Pendler und Familien mit Kindern. Somit wäre eine Sozialverträglichkeit gegeben, die auch die Akzeptanz erhöht und keine Gelbwesten auf die Straße treibt.

Der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Miterfinder des EEG, Hans-Josef Fell wendet sich gegen CO2-Preise, weil sie die Energiewende aus seiner Sicht nicht ausreichend antreiben können. Sie würden die Atomenergie stützen, aber nicht von selbst ausreichende Anreize für erneuerbare Energien bieten. Denn aufgrund der hohen Anfangsinvestitionen sei es vor allem wichtig, den Investoren Sicherheit zu geben. Hat er damit Recht?

Wenn man nur auf CO2-Preise setzen würde – und das fordern ja einige Ökonomen, dann wäre diese Sorge absolut berechtigt. Aber das sollte auf keinen Fall geschehen. Man sollte das eine tun, ohne das andere zu lassen, sprich, eine CO2-Bepreisung einführen bzw. ergänzen und gleichzeitig die erneuerbaren Energien, die Elektromobilität und den nachhaltigen Verkehr sowie das Energiesparen fördern. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist weit fortgeschritten, die Kosten sinken immer weiter. Wir zeigen in einer aktuellen Studie, die in Kürze veröffentlicht werden wird, dass Atomenergie exorbitant teuer ist und nie wettbewerbsfähig war und sein wird. Sie kann nur revitalisiert werden, wenn massive Subventionen gezahlt werden. Es ist unwahrscheinlich, dass dies in vielen Ländern gelingen wird – auch in Deutschland nicht, selbst bei einem hohen CO2-Preis. Die Atomenergie hat ausgedient, wir sind am Anfang einer unumkehrbaren globalen Energiewende hin zu mehr erneuerbare Energien. Heute konkurrieren erneuerbare Energien in erster Linie mit Gas und Kohle. Die wirft man mit dem CO2-Preis weitestgehend aus dem System und schafft so die Chancen auf eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien.

Wäre es nicht besser, die erhobenen CO2-Preise nicht direkt zu kompensieren, sondern die Mittel einerseits für eine Entlastung nur von Menschen mit geringen Einkommen zu verwenden und andererseits die eingenommenen Gelder in gute Förderprogramme für den Klimaschutz zu stecken? Würde man so nicht die Wirkung erhöhen, indem man einerseits Preise für fossile Energien erhöht und andererseits Alternativen attraktiver macht?

Ja, dies ist sinnvoll, allerdings würde das Geld bei niedrigen CO2-Preisen erst einmal vollkommen rückerstattet. Bei höheren CO2-Preisen ist es durchaus möglich und auch vorgesehen, dass Gelder zusätzlich in Fördermaßnahmen zur Finanzierung der Verkehrs- und Wärmewende fließen sollen.

Andere Kritiker der CO2-Bepreisung sehen sie nicht als gutes Mittel, weil der Staat Preise festlege, aber die Wirkung nur zum Teil in der Hand habe und dauernd an der Preisschraube drehen müsste. Es sollte lediglich die Emissionsmenge – so wie derzeit beim europäischen Emissionshandel – festgelegt und der Rest dem Markt zu überlassen werden. Würde man es sich damit nicht viel einfacher machen?

Nein, man macht alles viel schwerer und komplizierter. Wenn man den Emissionsrechtehandel auf alle Sektoren ausweitet und die Emissionsminderung um 80 Prozent bis 2050 bindend macht, würde der Preis in der Tat sehr stark ansteigen. Der Grund liegt in den sehr hohen CO2-Vermeidungskosten im Verkehrssektor. Abgesehen davon, ob es tatsächlich umsetzbar wäre, da es juristisch aufwendig ist und im EU-Rahmen ein Jahrzehnt dauern kann, bis eine solche Erweiterung möglich werden würde – würden wirklich alle EU-Staaten zustimmen, wäre es dennoch fraglich, ob es umsetzbar und zielführend wäre. Ein einheitlicher CO2-Preis wäre sehr hoch. Aber es gibt unterschiedliche Vermeidungskosten in den einzelnen Sektoren. Hohe CO2-Preise sind für die Industrie problematisch, die dann tatsächlich Gefahr läuft, entweder in die Pleite zu gehen oder aber ins Ausland abzuwandern. Daher ist es durchaus sinnvoll, unterschiedliche CO2-Bepreisungen zuzulassen.

Die Bekenntnisse zum Klimaschutz mehren sich, die Jugend scheint Gehör zu finden. Und auch CO2-Preise scheinen in der Beliebtheitsskala zu steigen. Andererseits gibt es Kritik und irgendwie wird es für die Politik auch unbequem sein, eine neue Abgabe oder Steuer einzuführen. Sie haben einen guten Draht in die Berliner Politik. Wie ist Ihre Einschätzung: Wie hoch stehen die Chancen zur Einführung von CO2-Preisen in Deutschland?

Schwer zu sagen. Ich würde sagen, die Chancen stehen recht gut. Höher jedenfalls als noch vor einem Jahr.

Interview: Andreas Witt, Foto: Marc Darchinger

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