Drachen für die Stromerzeugung
Eine fünfköpfige Forschungsgruppe „Airborne Wind Energy Systems“ an der TU Berlin befasst sich mit fiegenden Windkraftanlagen. Die Technologie steckt nach Aussage der Wissenschaftler noch in den Kinderschuhen, berge aber ein großes Potenzial und könne sogar bestehende Windkraftanlagen ablösen.
„Diese Technologie könnte in naher Zukunft Millionen von Menschen klimaneutralen Strom liefern – kostengünstig und quasi unabhängig vom Standort“, sagt Alexander von Breitenbach. „Das wäre ein evolutionärer Schritt in der Geschichte der Windkraft.“ Er forscht am Fachgebiet Experimentelle Strömungsmechanik von Prof. Oliver Paschereit an der Fakultät V Verkehrs- und Maschinensysteme der TU Berlin.
Seit den 1990er Jahren ist Windenergie fester Bestandteil des deutschen Strommixes. 2018 lieferte sie rund 20 Prozent des hierzulande erzeugten Stroms. Doch der weitere Ausbau stößt an seine Grenzen. „Die windintensivsten Standorte Deutschlands sind bereits erschlossen und die Giganten können auch nicht unbegrenzt in windigere Höhen wachsen“, so Alexander von Breitenbach. Abhilfe könnten fliegende Windkraftanlagen schaffen, sogenannte „Airborne Wind Energy Systems“. Derzeit liegen die Naben der dreiblättrigen Windradanlagen, die heute weite Landschaftsteile in Europa überziehen und Menschen von fossilen Energieträgern wie Kohle, Gas oder Erdöl unabhängig machen sollen, in etwa 130 Metern Höhe. Doch da die Winde mit dem Abstand zum Erdboden zunehmen und stabiler sind, könnten fliegende Windkraftanlagen, die Höhen zwischen 300 und 700 Metern erreichen, eine sehr viel höhere und stabilere, ganzjährig verfügbare Energieausbeute bringen.
Bei der an TU Berlin betrachteten Technologie schraubt sich ein Drachen mit dem Wind in die Höhe, wickelt dabei das Halteseil ab und treibt den Generator in der Bodenstation an, der auf diese Weise Strom erzeugt. In luftiger Höhe fliegt der Drachen Kurven in unterschiedlichen Höhen, steigt dabei immer wieder auf und erzeugt per Seilverbindung immer weiter Strom.
Ein weiterer Vorteil aus Sicht von von Breitenbach: Flugwindkraftanlagen versprächen immense Einsparungen bei Material und Investitionen. Die tonnenschweren Rotorblätter, massiven Türme und Fundamente aus Stahlbeton, die die an der Rotorfläche entstehenden aerodynamischen Kräfte aufnehmen, machen derzeit mehr als 50 Prozent der Investitionskosten aus. Sie werden überflüssig, denn die Bodenstation einer Flugwindkraftanlage mit dem Generator muss nicht größer sein als ein LKW und kann zudem mobil und damit standortunabhängig sein. Die fliegenden Anlagen könnten laut von Breitenbach auf eine jährliche Volllast von 75 Prozent kommen, während konventionelle Anlagen derzeit nur bei etwa 35 Prozent liegen. Im Off-Shore-Bereich könnten sogar die Fundamente der derzeitigen Windanlagen wiederverwendet werden.
Die fliegenden Windkraftanlagen, seien es Drachen, Zeppeline oder andere Luftschiffe, stecken heute noch in den Kinderschuhen“, sagt Christian Nayeri, der die „Airborne Wind Energy Systems“-Gruppe leitet. „Wir schaffen vor allem wissenschaftliche Grundlagen für diese Zukunftstechnologie.“ Dazu gehören die aerodynamische Optimierung, die Auslegung und Berechnung der optimalen Flugrouten, Computersimulationen und Experimente mit Modellen in den Windkanälen der TU Berlin und – unter Wasser – in der 250 Meter langen Schlepprinne der TU Berlin, die zu einem der größten wissenschaftlichen Schleppkanäle Europas gehört, sowie vor allem auch die Auslegung der automatisierten Selbststeuerung der fliegenden Anlagen, die selbstständig Höhen oder ihre Ausrichtung zum Wind regulieren müssen.
18.9.2019 | Quelle: TU Berlin | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH