Interview mit Jan Beermann: Konflikte frühzeitig lösen

Solarthemen 520. Der promovierte Politikwissenschaftler und ausgebildete Mediator Dr. Jan Beermann arbeitet als Konfliktberater im Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) in Berlin. Zuvor war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin tätig. Er ist seit über zehn Jahren in den Themenfeldern des Naturschutzes und der erneuerbaren Energien aktiv.

Solarthemen: Seit dem Jahr 2016 gibt es das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende. Wie häufig werden Sie bei Konfliktfällen im Bereich erneuerbarer Energien hinzugezogen?

Jan Beermann: Wir haben mittlerweile mehr als 50 Erneuerbare-Energien-Projekte im gesamten Bundesgebiet in Konfliktfällen beraten. Das sind zum großen Teil Windenergie-Vorhaben, aber auch Freiflächen-Photovoltaik-, Wasserkraft-, Bioenergie-, Erdwärme- und Netzausbau-Projekte. Generell kann man feststellen, dass die Häufigkeit und Intensität von Konflikten zwischen Naturschutz und Energiewendevorhaben in den vergangenen Jahren zugenommen haben. Die Aufgabe des KNE ist es, in diesen Fällen Debatten vor Ort zu versachlichen und zwischen den Unternehmen, Natur­schutz­verbänden, Kommunen und Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln.

Solarthemen: Aber eigentlich sollte doch diese Kommunikation im Rahmen einer guten Planung stattfinden. Dies ist auch gesetzlich in den Planungsverfahren vorgesehen. Warum braucht man dann noch das Kompetenzzentrum?

Beermann: Wir werden vor allem angefragt, wenn das formale Planungs- und Genehmigungsverfahren an seine Grenzen stößt. Wir stellen in unseren Beratungen immer wieder fest, dass die formellen Verfahren für Laien nur schwer nachvollziehbar sind. Private Belange von Anwohnenden, wie Sorgen um die Gesundheit durch Schall und Schattenschlag, werden außerdem zu einem Zeitpunkt in den Raumordnungs- und Bauleitplanungen berücksichtigt, zu dem die meisten noch gar nicht mitbekommen, dass überhaupt geplant wird. Dies führt zu großen Frustrationen bei den Menschen über die von ihnen empfundene Machtlosigkeit bei Planungsvorhaben. Immer häufiger und immer effizienter organisieren sie sich dann in Bürgerinitiativen, die Projekte mit allen rechtlichen und politischen Mitteln verhindern wollen.

Solarthemen: Wenn ich die Situation aus dem Blickwinkel eines Unternehmers, zum Beispiel eines Windkraftprojektierers, betrachte, wo könnte Ihr Angebot für ihn einen Nutzen bieten?

Beermann: Generell stehen wir nicht nur Unternehmen, sondern allen Akteuren gleichermaßen als neutraler und unabhängiger Ansprechpartner zur Verfügung. Dabei gilt: Je früher wir hin­- zugezogen werden, je früher man also in die Konfliktklärung einsteigt, desto größer sind die Erfolgswahrscheinlichkeiten. Das liegt daran, dass Verhandlungen in einer frühen Projektphase viel mehr Möglichkeiten eröffnen. Die Planungen sind noch nicht so konkret und bieten größere Spielräume für Kompromisse. Je später der Zeitpunkt liegt, desto weniger Spielräume gibt es und desto schwieriger werden gute Lösungen. Wenn etwa schon ein Genehmigungsantrag eingereicht wur­de, sind Projektierer in der Regel nicht mehr willens, über die Anzahl oder Höhe der Anlagen zu verhandeln. Verhandlungsspielräume gibt es dann eher noch bei der Ausgestaltung der naturschutzrechtlichen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen.

Solarthemen: Sie bieten da eine Art Dienstleistung an. Was kostet die einen Projektträger?

Beermann: Als Geschäftsstelle des KNE arbeiten wir für die Konfliktparteien kostenfrei. Wir beginnen mit einer Erstberatung und umfassenden Konfliktanalyse, in der wir gemeinsam mit den Anfragenden die Konfliktsituation vor Ort analysieren und erste Schritte zur Verbesserung der Kommunikation zwischen den Akteuren abstimmen. Bei Bedarf bieten wir auch Moderationen von Gesprächsrunden und öffentlichen Informationsveranstaltungen an. Wenn es aufwändiger wird und Moderationen für größere Veranstaltungen oder Mediationen angefragt werden, können wir das als Kompetenzzentrum allein nicht abdecken. Für diese Fälle haben wir den KNE-Mediatoren-Pool aufgebaut. Der Pool besteht aus 52 erfahrenen Mediatorinnen und Mediatoren, die im gesamten Bundesgebiet tätig sind und von uns speziell für das Konfliktfeld Naturschutz und Energiewende geschult wurden. Kommen sie zum Einsatz, kostet das ein Honorar. Wobei wir einen kleinen Fonds eingerichtet haben, mit dem wir Prozesse finanziell unterstützen, deren Finanzierung noch nicht geklärt werden konnte, aber wo dringender Handlungsbedarf besteht.

Solarthemen: Wo sehen Sie denn derzeit die größten Konfliktfelder?

Beermann: Der Fokus der an uns herangetragenen Konflikte liegt überwiegend im Bereich des Naturschutzes. Da geht es insbesondere um Flächenkonkurrenzen bei raumbedeutsamen Projekten wie Windparks und großen Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen. Bei der Windenergie bestehen etwa Sorgen um Schwarzstorch-, Rotmilan- oder Fledermauspopulationen. Generell gibt es viel Widerstand bei Windenergievorhaben im Wald. Bei großen Solarprojekten können unter Artenschutz stehende Eidechsen gefährdet werden. Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Naturschutz steht oft zunächst im Vordergrund der Konflikte vor Ort. In der vertieften Konfliktanalyse wird dann aber deutlich, dass es auch um Ängste vor Infraschall, vor einem Wertverlust von Immobilien oder vor Einbußen im Tourismus geht. Da diese privaten oder wirtschaftlichen Belange jedoch zu einem späten Zeitpunkt im Verfahren nicht mehr gegen ein Vorhaben ins Feld geführt werden können, stellen Kritikerinnen und Kritiker naturschutzrechtliche Themen in den Vordergrund ihres Protestes. Eine Kernaufgabe von uns Konfliktberaterinnen und Konfliktberatern ist es, diese komplexe Gemengelage von Naturschutz- und Anwohnerinteressen zu entzerren. Denn einen Konflikt kann man nur beilegen, wenn klar ist, um welche Interessen es tatsächlich geht.

Solarthemen: Wenn es objektiv Konflikte bzw. unterschiedliche Interessen gibt, welche Lösungen können Sie dafür finden?

Beermann: Die Lösungsmöglichkeiten, die wir in der Konfliktberatung anbieten, liegen im Aufbau von Dialog und Kommunikation vor Ort. Wir beginnen mit der Konfliktanalyse und schlagen dann Formate vor, die problemorientiert in die jeweilige Konfliktsituation passen. Sehr häufig empfehlen wir zunächst nicht-öffentliche Treffen der wichtigen Stakeholder. Da spielen oft die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister eine wichtige Rolle. Sie sind sehr wichtige Ansprechpartner für uns, da sie als Vertreter des Gemeinwesens selbst eine Vermittlerrolle zwischen Konfliktparteien einnehmen. Teilweise sind Bürgermeisterinnen und Bürgermeister auch selbst als Befürworter oder Gegner von Projekten an den Konflikten beteiligt. In den Gesprächsrunden geht es darum, einen geschützten, vertraulichen Raum zu schaffen, in dem Informationen und Anliegen offen ausgesprochen und mit Hilfe einer starken, lösungsorientierten Moderation ausgehandelt werden können. Ein wichtiges Ziel ist es auch, den persönlichen Austausch zwischen den Konfliktparteien zu fördern, um Vertrauen aufzubauen.

Solarthemen: Können Sie ein positives Beispiel nennen, wo ein umstrittenes Projekt letztlich auch mit Zustimmung vorheriger Gegner realisiert werden konnte?

Beermann: Sehr gerne. Ich mache das anonymisiert, da wir unseren Gesprächspartnern Vertraulichkeit zusichern. In diesem Fall hat uns ein Bürgermeister kontaktiert. Es ging um den Widerstand vor Ort gegen die Erweiterung eines Windparks. Wir haben mit dem Bürgermeister gemeinsam einen Prozess mit drei Konfliktgesprächen vorbereitet, zu denen wir den Projektierer und die Projektgegner eingeladen haben. In der ersten Runde haben wir die Anliegen geklärt. Jeder hatte Zeit, seine Perspektive darzustellen, ohne von den anderen unterbrochen zu werden. In der zweiten Runde haben wir gemeinsam entschieden, was die wesentlichen Konfliktpunkte sind und dazu Arbeitsgruppen gebildet. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen wurden in der dritten gemeinsamen Sitzung vorgestellt. Der Prozess mündete in einen städtebaulichen Vertrag, der anschließend beschlossen wurde. Der Windpark konnte erweitert werden. Den Anliegen der Gegner wurde im Vertrag über Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, Messverfahren zu eventuellen Lärmbelästigungen und eine finanzielle Kompensation der Gemeinde entsprochen.

Solarthemen: Hier ist der Konflikt intern in der Gemeinde gelöst worden. Wie ist das bei sozusagen importierten Konflikten, die über externe Gruppen in eine Kommune hineingetragen werden?

Beermann: Wir haben es schon häufiger erlebt, dass sich Bürgerinitiativen überregional koordinieren und bei lokalen Veranstaltungen präsent sind. Ganz wichtig ist, dass wir diesen Protest nicht ausschließen oder wegmoderieren, sondern handhabbar in die Diskussion einbinden. Die Voraussetzung ist, dass sich jeder Akteur gesprächsbereit zeigt und es nicht nur darum geht, eine Veranstaltung zu stören oder zu verhindern. Die Herausforderung für die Moderation besteht dann darin, die Diskussion am umstrittenen Projekt vor Ort zu halten und Grundsatzdiskussionen etwa zur Energiewende oder alternativen Technologien zu vermeiden. Es geht um das Lösen konkreter Konflikte.

Solarthemen: Das gerade vorgelegte Klimaschutzprogramm der Bundesregierung sieht vor, den Abstand von Windkraftanlagen zur Wohnbebauung auf 1000 Meter auszudehnen. Gleichzeitig sollen sich Kommunen davon befreien lassen können und sollen dafür finanziell sogar belohnt werden. Wie kann eine Kommune an diesen Prozess herangehen?

Beermann: Es spricht vieles dafür, dass die Rolle der Städte und Gemeinden bei der Planung und Umsetzung von Windenergieprojekten künftig noch wichtiger wird. Durch eine proaktive kommunale Planung und eine frühzeitige Einbindung von Vorhabenträgern, örtlichen Naturschutzvertretern und Anwohnenden kann Konflikten vorgebeugt werden. Auch dafür steht das KNE selbstverständlich gerne als Ansprechpartner und Berater zur Verfügung.

Das Interview führte Andreas Witt.

Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende

Das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) wurde am 1. Juli 2016 durch die damalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks eröffnet. Es arbeitet in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH in der Trägerschaft der Umweltstiftung Michael Otto (Hamburg) und im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Bereits im 2013er Koalitionsvertrag von Union und SPD wurde die Einrichtung eines solchen Kompetenzzentrums vorgesehen. Zur Zielsetzung erklärten die Parteien im Koalitionsvertrag: „Wir wollen die Energiewende naturverträglich gestalten und zugleich die hierfür notwendigen Verfahren und dafür geeigneten Strukturen schaffen.” Sie folgten damit auch einem Vorschlag von Umweltorganisationen, die bereits im Jahr 2012 eine solche Einrichtung angeregt hatten. Das KNE beschäftigt heute 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es bereitet Studien auf und erstellt themenspezifische Dossiers. Vor allem soll es laut eigener Aussage Naturschutzkonflikte bearbeiten und als unabhängiger und neutraler Ansprechpartner zur Verfügung stehen, um Debatten zu versachlichen und gemeinsam tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Konfliktparteien bietet das KNE eine individuelle Beratung bis hin zur Vermittlung spezialisierter Mediatorinnen und Mediatoren an.

www.naturschutz-energiewende.de

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