Elektromobilität: Gefahr für die Stromnetze?

Im Hintergrund ein Mehrfamilienhaus, vorn Elektrofahrzeuge mit Ladestationen, die unter einem Carport mit Photovoltaikmodulen stehen.Foto: slavun / stock.adobe. com
Der Zuwachs der Elektromobilität wird und muss sich auch auf die Stadtplanung auswirken. Andernfalls werden bei einer steigenden Zahl an E-Autos die Kapazitäten des Stromnetzes nicht ausreichen.

Mittlerweile kosten die elektromobilen Autotypen aufgrund der Zuschüsse weniger als ihre fossilen Pendants. Es ist also nicht verwunderlich, wenn die Zahl der E-Fahrzeuge nun wächst. Damit steigen nun allerdings auch die Herausforderungen der Elektromobilität an die Stromnetze.

Hundertausende neue E-Ladestationen

So weist Annika Magdowski, die in der Abteilung Innovationsprojekte bei Stromnetz Hamburg tätig ist, auf die etwa 220.000 E-Auto-Ladestationen hin, die der Bund über die KfW Bank mit je bis zu 900 Euro fördert. Auf dieses neue, Ende November gestartete Programm gab es einen so großen Ansturm, dass er in den ersten Tagen zu einer Überlas­tung der KfW-Antragsseite für Wallbo­xen im Internet führte. Auch dies zeigt das stark zunehmende Interesse an Elektrofahrzeugen. Mit entsprechenden Auswirkungen auf das Netz.

Zum Vergleich: Eine kleine Wallbox kommt auf eine Ladeleistung von 11 Kilowatt (kW), eine größere auf bis zu 22 kW. Dies ist deutlich mehr als die übliche Leistung, die ein normaler Haushalt abruft – jedenfalls über eine längere Zeit. Und tatsächlich gibt es auch Fahrzeuge, die die maximale Leistung ab­rufen. Hat ein Haushalt nun zwei oder auch drei E-Autos, die alle gleichzeitig zu laden wären, käme er in einen Leistungsbereich, der so in der Regel nur von – leistungsgemessenen – Unternehmen beansprucht wird. Und stellt man sich dies vervielfältigt vor, so ist klar, dass dies zu Fragen an den Zustand der kommunalen Stromnetze führt.

Manche Netze schon bereit

Die kann Magdowski für das Netz von Hamburg positiv beantworten. Aller­dings handele es sich auch um einen großen Netzbetreiber, der sich bereits seit einigen Jahren mit der Elektromobilität befasse und sich zum Beispel auch eine eigene Abteilung für Innovationsprojekte leiste. Ein kleines Stadt­werke, so Magdowski, könne nicht da­rauf zurückgreifen. Und auch die Infrastruktur sei in Hamburg lange nicht an der Belastungsgrenze. „Unser Netz ist schon gut ausgebaut”, so die Expertin: „Und wenn der Boden sowieso mal offen ist, werden die Kabel verstärkt.” Stromnetz Ham­burg rechne daher nicht damit, darüber hinausgehend in den nächsten zehn Jah­ren eingreifen zu müssen.

Auch im Süden Deutschlands bereiten sich einzelne Netzbetreiber auf die elektromobile Zukunft vor. So übte eine Straße im baden-württembergischen Ostfildern bereits mit Start eines Pilotprojektes im Juni 2018, wie der Zuwachs von Elektrofahrzeugen zu organisieren ist. Netze BW, eine Tocher der EnBW AG, wollte hier unter dem Titel „E-Mobility- Allee“ (Abschlussbericht hier) herausfinden, was passiert, „wenn auf einmal alle Bewohner ein und derselben Straße, die über einen Stromkreis mit Energie versorgt wird, auf Elektrofahrzeuge umsteigen”.

E-Mobility-Allee

Daher stattete das Unternehmen zehn Haushalte mit E-Autos und Ladeinfrastruktur aus. Im Rahmen des wissenschaftlich begleit­e­ten Projektes testete es unterschied­liche Optimierungsoptionen, u.a. zum gesteuerten Laden. Und es sichertes sich ab. Allein mit dem bestehenden Netz wollte Netze BW die neue Herausforderung nicht wagen. Daher sollte die Netzstabilität durch Batteriespeicher verbessert werden. „Wir wollen uns nicht allein auf theoretische Berechnungen und Prognosen verlassen, sondern live beobachten und testen”, sagte Martin Konermann, technischer Geschäftsführer der Netze BW, zu Beginn des Experiments.

Es war ein Erfolg, denn Probleme mit dem – aufgepeppten – Netz stellten sich nicht ein. „Das bundesweit ein­malige Projekt hat die Elektromobilität für die Menschen erlebbar gemacht und so zur Akzeptanz dieser Antriebstechnik in der Bevölkerung beige­tra­gen“, sagte Baden-Württembergs Umwelt- und Energieminister Franz Untersteller. Die E-Mobility-Allee habe gezeigt, dass die Herausforderungen des Hochlaufs der Elektromobilität für die Verteilnetzbetreiber zu bewältigen sind.

Geringe Gleichzeitigkeit

Eine wichtige Erkenntnis des Projektes: „Die oft geäußerte Befürchtung, wo­nach alle E-Autos nach Feierabend gleichzeitig laden und dadurch das Netz überlasten, scheint nach dieser Erfah­rung nicht realistisch zu sein“, so Projektleiterin Selma Lossau von Netze BW. Bei den Eingriffsmöglichkeiten für den Netzbetreiber habe sich gezeigt, dass vor allem das „intelligente Lademanagement großes Potenzial habe: „Durch die elektronische Zuteilung von Ladezeiten konnten Engpässe vermieden werden, ohne dass sich die Teilnehmer davon beeinträchtigt fühlten.” Als weitere sinnvolle Option erwiesen sich verschiedene Typen von Batteriespeichern, die das Netz entlasteten.

Das Beispiel von Ostfildern zeigt, dass auch ein starker Zuwachs an E-Fahrzeugen von den Stromnetzen verkraftet wird. Die Stromnetzbetreiber sollten dies aber auch nicht einfach auf sich zukommen lassen, sondern sich auf die neue Situation einstellen.

Auch das Fraunhofer-Institut für Solarenergie (ISE) befasst sich in einigen Forschungsprojekten mit den Auswir­kun­gen der Elektromobilität auf die Stromnetze.

Laststeuerung immer wichtiger

Wie Robert Kohrs, der Leiter der Abteilung für intelligente Netze am ISE, erklärt, werde das Energiemanagement zur Steuerung der Last bzw. des Verbrauchs in dem Maße wichtiger, wie die Zahl an möglichen Ladevorgängen steigt. Je nach Ladekonstellation sollte sich dieses Management aber unterscheiden. So seien die Anforderungen zum Beispiel andere, wenn bei einem Unternehmen zu bestimmten Zeiten Elektroautos Strom tanken sollen oder wenn in einer Wohnsiedlung mehrere Eigentümer Elektrofahrzeuge betrei­ben. Ein wesentlicher Faktor ist hier, wie viele Fahrzeuge tatsächlich gleichzeitig und mit welcher Leistung laden.

Das ISE hat festgestellt, dass aus Sicht von Unternehmen oder Kom­munen als Strombezieher die Ladeleistung nicht unbedingt eine phy­sisches Problem darstellt. Sondern die Herausforderung ergibt sich aus den Lieferverträgen. Laden viele E-Fahr­zeu­ge gleichzeitig, so erhöht das die Spitzenlast und die Kosten steigen. Hier kann ein Energiemanagement eingrei­fen und das Laden steuern. Dabei sollte es auch möglich sein, Prioritäten festzulegen. Dies begrenzt die Auswirkungen auf das Netz und führt zur Kostenoptimierung bei den Stromkunden.

Auswirkungen in Wohngebieten

In einem Projekt mit dem Freiburger Energieversorger Badenova hat das ISE die Auswirkungen der Elektromobilität in einem Wohngebiet näher betrachtet. Hier gehe es um Fragen des Abrech­nens und Steuerns, so Kohrs. Bei priva­ten Haushalten werde jedoch nicht das E-Fahrzeug als einzelner Verbraucher adressiert, sondern der Gesamt­haus­halt. Im Rahmen von „LamA-connect“ wur­den Haushalte in Freiburg mit Smart-Meter-Gateways ausgestattet, um die Auswirkungen von Ladevorgängen auf das Netz besser einschätzen zu können.

Dies ist auch eine erste Voraussetzung, damit der Netzbetreiber steuernd eingreifen könne. Das Gateway wird in diesen Fällen mit einer Steue­rbox verbunden. Wie der einzelne Haushalt auf das Signal einer Lastreduktion reagiert, können sie dann selbst entscheiden. Allerdings, sagt Kohrs, sind die intelligenten Messsysteme allein noch nicht geeignet, um steuernd eingreifen zu können. Andererseits hat sich auch bei diesem Projekt bestätigt, dass gleichzeitige Ladevorgänge von vielen Fahrzeu­gen in einer Siedlung zumind­est bislang nicht in dem Maße vorkommen, wie es befürch­tet worden sei. Daher seien sie jedenfalls derzeit für die Netze nicht problematisch.

PV und E-Mobilität im Netz

Beim Projekt C/sells steht die fluktuierende Einspeisung von erneuerbaren Energien im Fokus. Es verfolgt dabei die Idee von Zellen, die sich zunächst selbst versorgen und die Stromlasten steuern. Das können einzelne Areale sein oder auch größere Verteilnetze. In diesem Zusammenhang kann auch die Elektromobilität eine wichtige Rolle spielen, wenn sie netzdienlich zum Einsatz kommt. Das Projekt habe gezeigt, dass Elektromobilität und Photovoltaikan­la­gen im Verbund die Netze sogar ent­lasten können, berichtet Kohrs. Das gelte aber nicht für jede Konstellation. Die Entlastung finde sich vor allem in netztechnisch besser ausgebauten städtischen Arealen.

Dagegen können in länd­­lichen Regionen, deren Gebäude eventuell nur über eine Stichleitung verbunden sind, sowohl die Photovoltaik als auch die Elektromobilität zu Problemen im Netz führen. In allen Fällen sei ein intelligentes Energiemanagement wichtig, um die Systeme zu optimieren und beim Ausbau von Netzkapazität sparsam vorgehen zu können.

Standardisierung erforderlich

Technische Kommunikation werde immer wichtiger, bekräftigt Magdowski. Doch sei die Standardisiserung noch nicht weit genug fortgeschritten. Hier seien die Politik und die Normungsgremien gefragt.

Cornelius Biedermann von der TU Braunschweig befasst sich vor allem mit der Qualität des Stroms in den Net­zen. Die Spannungsqualität könne leiden, insbeson­dere wenn die Fahrzeuge nicht drei­phasig laden. Daher bringe eine Wall­box im Vergleich zur Steckdose schon einen Vorteil. Es hänge aber auch von den Fahrzeugen ab. Insofern sind die E-Auto-Hersteller für das Strom­netz verantwortlich, aber auch Stadt­pla­ner*in­nen. Sie sollten künftig mehr da­rauf achten, wo Trafostationen in der Stadt einen Platz finden. Kurze Wege zur Ladeinfrastruktur helfen dem Netz und der Stromqualität.

11.1.2021 | Autor: Andreas Witt
© Solarserver / Solarthemen Media GmbH

Dieser Artikel ist original in der Ausgabe 1/2021 der Zeitschrift Energiekommune erschienen. Energiekommune ist der Infodienst für die lokale Energiewende. Er erscheint monatlich. Bestellen Sie jetzt ein kostenloses Probeabonnement mit drei aktuellen Ausgaben!

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