Offshore-Windparks: Auf hoher See stockt die Energiewende

Großer Offshore-Windpark vor Sonnenuntergang, Offshore-WindenergieFoto: Cinematographer / stock.adobe.com
Der Ausbau der Windenergie auf See steckt europaweit in einer Pause. Insbesondere in deutschen Gewässern werden aktuell kaum neue Windkraftwerke gebaut. Bis die Initiativen der Bundesregierung greifen, werden einige Jahre vergehen. Die Offshore-Windindustrie lebt derzeit vom Export.

Zur legendären britischen Komikergruppe Monty Python hätte Giles Dickson sicherlich gut gepasst. Wie Dickson, selbst gebürtiger Brite, Grimassen schneiden und seine Stimme modulieren kann, das hat schon Unterhaltungswert. Dickson, seit September 2015 als Geschäftsführer in Diensten des Branchenverbandes WindEurope in der EU-Kapitale Brüssel, ist vor allem aber eines: ein hervorragender Lobbyist.

Was er vor kurzem wieder bewiesen hat. Die Anfang Februar veröffentlichte Analyse seiner Statistik-Abteilung zum letztjährigen Ausbau von Offshore-Windparks wies ein gut 20-prozentiges Minus im Vergleich zum Jahr 2019 auf. Die neu installierte Meerwindleistung von 2918 Megawatt (MW) ließ Dickson in der Verbandsmitteilung nicht unerwähnt, platzierte sie aber gezielt in die hinteren Passagen.

Eine andere Botschaft war ihm – gleich im ersten Absatz – viel wichtiger: „Wir haben 2020 Rekordinvestitionsentscheidungen in neue Offshore-Windparks erlebt.“ Nach Berechnungen seines Verbandes belief sich diese Summe der 2020 getroffenen Investitionsentscheidungen für Offshore-Windparks auf rund 26,3 Milliarden Euro – ein rechnerisches Plus von gut 330 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Allerdings werden die Anlagen, um die es dabei geht, erst bis zum Jahre 2025 gebaut werden.

Mittelmeer und Ostsee kommen

Und auf noch eine Entwicklung legte der auf dem Brüsseler Parkett ausgesprochen gut vernetzte Dickson einen besonderen Fokus in seiner Medienveröffentlichung: „Der Ausbau der Offshore-Windenergie konzentriert sich nicht mehr länger schwerpunktmäßig auf die Nordsee.“ So hätten unter anderem Griechenland, Spanien oder die drei baltischen Staaten für die kommenden Jahre Ausbaupläne für die Offshore-Windenergie angekündigt. Außerdem habe das polnische Parlament ein „historisches Gesetz“ beschlossen, das den Aufbau zahlreicher Offshore-Windparks mit zusammen 28.000 MW bis 2050 vorsieht. So geht Lobbyismus für die erneuerbaren Energien heute.

Dass Dickson keine bessere Ausbaubilanz bei der letztjährigen Seewindnutzung verkünden konnte, das hat ein Land verbockt: Deutsch­land. Vor der deutschen Nord- und Ostseeküste sind im vergangenen Jahr lediglich 32 Windturbinen mit zusammen 219 Megawatt Leistung neu ans Netz gegangen. Eine traurige Bilanz, die noch geschönt ist: Denn der Start beider vom Zahlenwerk erfassten Offshore-Windparks, des EnBW-Vorhaben Albatros sowie der zweiten Baustufe von Trianels Seekraftwerk Borkum, hätte eigentlich jeweils schon 2019 erfolgen sollen. Sprich: in der 2020er Statistik wäre eine Null zu erwarten gewesen.

Was Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Windparkbetreiber Offshore e.V. (BWO), durchaus bewusst ist. Auch deshalb fiel seine Bewertung zu dem 219 MW-Ausbau drastisch aus: „Die aktuellen Zubau-Zahlen in der deutschen Nord- und Ostsee stehen zu der von WindEurope veröffentlichten Investitionssumme leider im traurigen Kontrast und befinden sich auf dem niedrigsten Niveau der letzten 10 Jahre. Die deutsche Politik sollte das zum Anlass nehmen, hierzulande kurzfristige Potenziale zu finden, um den gegenwärtigen Stillstand im nationalen Zubau zu überwinden.“

Erst 2022 geht’s weiter

Schön wär`s. Der Stillstand wird noch mindestens anderthalb Jahre anhalten. 2021 wird keine einzige Offshore-Windturbine vor den deutschen Küsten neu in Betrieb gehen. Und die Aussichten für die kommenden Jahre sind auch nicht viel besser: Für 2022 will RWE Renewables in der Nordsee mit dem 342-MW-Meerwindkraftwerk Kaskasi loslegen, im Jahr darauf folgt der belgische Projektentwickler Parkwind mit „Arcadis Ost 1“ in der Ostsee – mit einer Leistung von 257 MW auch ein eher kleineres Projekt. Bis 2025 umfasst das von der Bundesregierung festgelegte Ausbauvolumen, für das es 2017 und 2018 zwei Ausschreibungsrunden gegeben hatte, lediglich gut 3100 MW.

Was vor allem mit der wenig stringenten Offshore-Windenergiepolitik aus dem Berliner Regierungsviertel in den vergangenen Jahren zusammenhängt. Angefangen hatte alles mit einem ambitionierten Ausbauziel zu Zeiten von Jürgen Trittin als Bundesumweltminister. Nach seinen Vorstellungen sollte 2030 in der deutschen Nord- und Ostsee eine maritime Kraftwerksleistung von 25.000 MW in Betrieb sein – Anfang der 2000er Jahre bewusst geplant als Alternative für Atomkraftwerke.

Mehrfach revidierte Ziele

Dieses Ziel kappte gut ein Jahrzehnt später eine schwarz-rote Bundesregierung mit Sigmar Gabriel als Bundeswirtschaftsminister um gleich 40 Prozent, auf 15.000 MW. Das Zwischenziel von 10.000 MW bis 2020 wurde auf gut 7700 MW gedeckelt, eine Kapazität, die heute auch wirklich in Betrieb ist.

Die heute angesichts von Null-Cent-Geboten bei zwischenzeitlich erfolgten Ausschreibungen für die Offshore-Windenergie verwunderlich anmutende Begründung für diesen Einschnitt: Der Seewindstrom sei zu teuer und trage deutlich zu den ständigen Strompreiserhöhungen für die Verbraucher bei. Gabriel und sein damaliger Energie-Staatssekretär Rainer Baake setzten nicht nur Auktionen für die Förderung von Offshore-Windparks in der EEG-Novelle 2017 durch, sondern veränderten beispielsweise auch die Zuständigkeiten für die Planung von Hochseewindparks. Das alles brachte Verzögerungen mit sich.

Erst mit ihren Aktivitäten aus dem Klimapaket hat die Bundesregierung auch eine Kehrtwende auf See eingeleitet: Das im vergangenen Spätherbst nach längerem Ringen der Koalitionsfraktionen geänderte Windenergie-auf-See-Gesetz sieht nun als neues Ausbauziel 20 Gigawatt (GW) bis 2030, und sogar 40 GW bis 2040 vor. Für den zuständigen Wirtschaftsminister Peter Altmaier Anlass genug, nur lobende Worte zu finden: „Mit ambitionierten Ausbauzielen bis zum Jahr 2040 baut Deutschland seine Vorreiterrolle im Bereich Windenergie auf See weiter aus.“

Deutsche Vorreiterrolle?

Das mit der Vorreiterrolle ist so eine Sache. Die Ausbaupläne bis 2025 mit den erwähnten 3100 MW sind bescheiden. Danach soll nach den Plänen der Bundesregierung allein zwischen 2026 und 2030 eine Offshoreleistung von 9100 MW entstehen. „Es zeichnet sich aber ab, dass die meisten dieser Projekte erst in den Jahren 2029 und 2030 gebaut und in Betrieb gehen“, ordnet Dennis Kruse vom Consultingbüro Deutsche WindGuard den zu erwartenden Baufortschritt auf See ein.

Was übersetzt heißt, dass die Offshorewind-Unternehmen hierzulande in den kommenden Jahren angesichts des überschaubaren Zubauvolumens zu kämpfen haben werden. Für sie wird die Bedeutung des Heimatmarktes sinken. Was mit Windturbinenhersteller Siemens Gamesa anfängt, der vor wenigen Jahren für einen dreistelligen Betrag ein neues Produktionswerk in Cuxhaven hochgezogen hat. „Für Deutschland haben wir bis 2025 nur einen Auftrag vorliegen“, bekannte jüngst der für Finanzen zuständige Geschäftsführer Pierre Bauer.

Produktion für den Weltmarkt

Und zwar kommen aus Cuxhaven 38 Anlagen für das Kaskasi-Projekt von RWE Renewables. Die Konsequenz für den hierzulande einzig verbliebenen Hersteller von Offshore-Windturbinen lautet nach Worten Bauers deshalb schon längst: „Wir produzieren für den Weltmarkt und setzen voll auf die Internationalisierung.“

Nicht nur Siemens Gamesa setzt auf die Internationalisierung des Geschäftes, sondern auch ein mittelständisches Ingenieurbüro wie die B.Offshore GmbH aus Bremerhaven. B.Offshore konzentriert sich mit seinen 25 Mitarbeitern auf das Design für Gründungsstrukturen und Trafostationen. „Vom deutschen Markt allein können wir nicht leben“, betont Geschäftsführer Thomas Pontow. Neben dem verstärkten Auslandsengagement will B.Offshore nun gezielter Aufträge für „Retrofit-, Wartungs- und Betriebsaufgaben“ anpacken.

Wertschöpfungskette in Deutschland halten!

Der Gang ins Ausland sei allerdings nicht für alle deutschen Unternehmen aus dem Offshore-Sektor möglich, warnt Heike Winkler, Geschäftsführerin des Branchennetzwerkes WAB e.V.: „Wir wollen die komplette Wertschöpfungskette für Offshore-Windenergie in Deutschland halten, was zunehmend schwieriger wird.“ Wie wahr: Nach der Pleite der Ambau-Gruppe gibt es in Deutschland beispielsweise bereits keinen Hersteller von Türmen mehr, die speziell für den Einsatz auf See zusammengeschweißt werden. Den Branchenwunsch nach einer zusätzlichen Ausschreibung vor dem Jahr 2025, um für mehr Aufträge zu sorgen, wird die Bundespolitik vorerst kaum erfüllen. Die schwarz-roten Regierungsfraktionen sind froh, sich über­haupt auf das neue Ausbauziel von 40 GW bis 2040 verständigt zu haben.

Hohe Erwartungen in Europa

Was, wie gesagt, gut klingt und durchaus ambitioniert ist. Aber den Aufwind für die Windenergienutzung auf See gibt es hierzulande nicht morgen, sondern Ende des Jahrzehnts. Solange muss Giles Dickson nicht warten. Der Geschäftsführer von WindEurope scheint Anfang 2022 für das laufende Jahr neue Rekordzahlen vermelden zu können. Nach einer aktuellen Übersicht seines Offshore-Windexperten sind derzeit sieben Projekte mit einer Gesamtleistung von gut 4000 MW in europäischen Gewässern in Bau. Sollten alle Offshore-Windparks bis Jahresende auch am Netz sein, wäre das mit einem neuen Rekordausbau für Europa verbunden. Da stört dann nicht einmal die Null aus Deutschland.

19.2.2021 | Autor: Ralf Köpke
© Solarthemen Media GmbH

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