Christian Mildenberger & Reiner Priggen: Schwarz-grünes Lobbygespann in NRW

Doppelportrait: Links Reiner Priggen, Rechts Christian MildenbergerFotos: LEE NRW (r) Guido Bröer (l)
Führungsduo des LEE NRW: Reiner Priggen (l) und Christian Mildenberger (r)
Reiner Priggen und Christian Mildenberger leiten den Landesverband Erneuerbare Energien Nordrhein-Westfalen. Priggen, 68-jähriges Urgestein der Grünen in NRW ist LEE-Vorsitzender. Mildenberger 37-jähriger ehemaliger Geschäftsführer des CDU-Landesverbandes NRW ist LEE-Geschäftsführer. Im Solarthemen-Interview erzählen wie sie als ungleiches Führungsduo politisch an einem Strang ziehen und wofür sie das tun.

Christian Mildenberger (37):

Der Wirtschaftsingenieur hat in leitenden Positionen bei Solarunternehmen wie Wirsol und StoREgio gearbeitet, bevor er als Landesgeschäftsführer der CDU Baden-Württemberg hauptamtlich in die Politik wechselte. Und schließlich zurück in den Grenzbereich zwischen Politik und Wirtschaft: Seit gut zwei Jahren ist Mildenberger Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien (LEE NRW).

Reiner Priggen (68):

Der Diplomingenieur war 17 Jahre Mitglied des Landtages, stets in führender Position als stellvertretender Fraktionsvorsitzender, energie- und wirtschaftspolitischer Sprecher und Fraktionsvorsitzender der Grünen. Seit 2016 ist er Vorsitzender des Landesverbandes Erneuerbare Energien (LEE NRW). Er hat als Mitglied der Kohlekommission den Kohleausstieg mit ausgehandelt.


Solarthemen: Sie beide sind ein ungewöhnliches Gespann an der Spitze des LEE NRW: Der eine emeritierter Spitzenpolitiker der Grünen, der andere Ex-Topmanager eines CDU Landesverbandes. Angesichts dieser politischen Vitae und des Abstands einer Generation zwischen Ihnen, Herr Priggen: Welchen Ihrer politischen Leitsätze könnte Christian Mildenberger problemlos unterschreiben?

Reiner Priggen: Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.

Sie nicken, Herr Mildenberger. Haben sie auch so einen Leitsatz auf Lager, der auch Reiner Priggen sofort gefällt.

Christian Mildenberger: Der Umbau der Energieversorgung ist eine Generationenaufgabe.
Und bei welchen Themen wird zwischen dem altgedienten Öko und dem Jung-Konservativen hitzig diskutiert?

Priggen: Wir haben keine strittigen politischen Grundsatzfragen. Vor dem Hintergrund dessen, was energiepolitisch gemacht werden müsste, ist die Verzweiflung über die energiepolitische Performance der Bundesregierung bei uns beiden so tiefgehend, dass wir gar keine Zeit haben, uns in den Details politischer Grundvorstellungen zu verzetteln.

Mildenberger: Wir haben tatsächlich einen Grundkonsens, und das macht auch unsere Stärke aus. Die Knackpunkte liegen eher im Detail. Ich versuche immer, einen konservativen Blickwinkel mit reinzubringen: Themen wie Finanzierbarkeit oder den Blick aufs Stromnetz. Und es gilt eine Begrenztheit der Vorstellungskraft zu berücksichtigen im konservativen Milieu. Visionäre sind dort nicht so zahlreich. Wenn Sie da eine sehr visionäre Idee reinbringen wollen, dann müssen Sie sehr viele Jahre Überzeugungsarbeit leisten. Ich glau­be, da versteht mich Reiner Priggen sehr gut. Und er kann auch gut nachvollziehen, was ich da bisher schon in meiner Partei an Aufklärungsarbeit leisten musste. Manchmal muss man mit Rücksicht auf die eigene Coleur einen Schlenker in der politischen Diskussion drehen, um die eigenen Leute mitzunehmen.

Priggen: Lass uns mal überlegen, wo wir jeweils am meisten leiden: Ich leide am meisten unter der Heuchelei mancher Naturschützer – was der NABU macht, ist der Gipfel der Heuchelei. Und Christian leidet wahrscheinlich am meisten unter seinem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.

Mildenberger: So ist das.

Priggen: Wir beide wissen, es gibt keine Alternative zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Dabei verzweifeln wir beide immer wieder an Teilen der eigenen Leute.

Was kann Christian Mildenberger, das Sie nicht können?

Priggen: Aus seiner Erfahrung als Landesgeschäftsführer der CDU Baden-Württemberg bietet er eine Ansprechebene in Wirtschaftskreisen und konservativen Kreisen. Es nützt ja nix, wenn ich mir andere politische Mehrheiten wünsche. Wir brauchen, um etwas zu bewegen, im Moment an vielen Stellen die Schwarzen. Und auch bei den Schwarzen gibt es Leute, die eine vernünftige Grundeinstellung haben. Aber die Linnemänner, Altmaiers und Laschets dieser Welt verkörpern das nicht. Also muss man die anderen erreichen. Und da hat Christian bessere Zugangsmöglichkeiten als ich. Und er kann mit diesen Leuten auch wirklich gut reden.

Stichwort Laschet, Herr Mildenberger: Wie kommen Sie mit einem Parteifreund klar, dessen Koalition im Landtag ein Klimaschutzgesetz beschließt und am gleichen Tag 1000-Meter-Windkraftabstand durchboxt?

Mildenberger: Der Tag ist hart für mich gewesen. Wenn man zwei bis drei Erfolge und eine Niederlage am gleichen Tag von derselben Regierung erfährt, dann ist das erstmal schwer zu verarbeiten, das muss ich zugeben. Das Klimaschutzgesetz NRW wurde in Teilen so verschärft, wie es der LEE NRW schon im Januar empfohlen hatte. Und in der Landesbauordnung sind für Photovoltaik – auch auf unsere Initiative hin – durchaus gute Instrumente eingefügt worden. Aber auf der anderen Seite beschließt die Landesregierung für die Windkraft ein extrem starkes Verhinderungsinstrument. Ich habe viel mit eigenen Leuten darüber gesprochen und ihnen gesagt, dass uns dies nicht zum Ziel führt. Aber in der CDU muss man einfach die Genese von diesem Beschluss mit berücksichtigen. Die NRW-Landesregierung hat nur eine Stimme Mehrheit; 2017 haben die FDP, aber auch Teile der CDU einen sehr harten Wahlkampf gegen Windenergieanlagen geführt. Und da glaubt man jetzt einfach, der eigenen Klientel, der man diese Abstandsregelungen versprochen hat, liefern zu müssen. Das ging sogar teilweise gegen die eigenen Überzeugungen. Aber die Geschlossenheit an sich ist in der Union ein extrem hohes Gut, das – gerade jetzt im Wahlkampf – durch Dissens in solchen „Detailfragen“ nicht gefährdet werden soll.

Ein paar PV-Anlagen auf Kranstellflächen neben WIndkraftanlagen und einige Solarparkplätze sind doch ein schwacher Trost gegenüber 1000 Meter Abstand beim Wind, oder?

Mildenberger: Absolut! Wenn man aber so lange in der Photovoltaik dabei ist wie ich, dann ist selbst das schon ein Fortschritt. Das Thema Kranstellflächen gibt es noch in keinem anderen Bundesland. Es macht schon Schule. Wenn man überlegt, wo die Solarenergie in NRW herkommt, ist es ein Schritt Richtung Ziel, mit dem ich mich motiviere, weiterzumachen.

Priggen: Was mich wirklich anfrisst, ist die Arroganz des Naturschutzes. Wie man gleichzeitig auf allen Ebenen gegen Windkraft sein kann, gegen Freiflächen-PV, gegen Agri-PV, gegen Floating PV und dann auch noch gegen Wasserkraft und Biogas, aber dann erzählt, wir wollen die Pariser Klimaziele einhalten, geht in meinen Kopf nicht rein.
Auf der konservativen Seite sehe ich eine ähnliche Wirklichkeitsverweigerung, aber in ökonomischer Hinsicht. Wir schließen richtigerweise jetzt ein Kohlekraftwerk nach dem anderen. In NRW ist die Wertschöpfung aus der Steinkohleförderung schon weg. Jetzt geht sie weg aus der Braunkohleförderung, aus der Stromerzeugung und aus dem Kraftwerksbau. Aber was gibt es dafür an neuer Wertschöpfung?
Ja, wir haben in NRW beim Wind ein kleineres Potenzial als die Küstenländer. Aber bei der PV haben wir aufgrund des immens hohen Anteils an Dächern die Chance, unseren Teil beizutragen. Allein in Köln könnten wir beispielsweise 4 Gigawatt PV auf Dächern installieren. Die Landesregierung hat den Zusammenhang von Klima- und Wirtschaftpolitik noch nicht begriffen. Dass man so fahrlässig die Potenziale dieses Landes aufs Spiel setzt – als wirtschaftsorientierte Partei – das macht mich fassungslos. Industrie und Wertschöpfung gehen dorthin, wo erneuerbare Energie gewonnen wird. Ich verstehe nicht, warum sich diese Erkenntnis gerade bei den Konservativen nicht durchsetzt.

Mildenberger: Als CDU-Landesgeschäftsführer habe ich in Baden-Württemberg eine sehr enge Verbindung zum Handwerk gepflegt. Ich verstehe bei meiner eigenen Partei nicht, wa­rum wir nicht längst gemeinsam mit dem Handwerk die Ausbildungsprogramme gestartet haben, die wir für die Energiewende dringend brauchen. Und warum wir nicht durch eine Photovoltaikpflicht dem Handwerk die notwendige Sicherheit geben, um in neue Arbeitsplätze und Qualifizierungsmaßnahmen zu investieren.

Kann NRW wirklich das Energieland Nr. 1 bleiben, als das es sich gern sieht?

Priggen: Bei der Windenergie haben wir eine gute Chance und bei PV eine sehr gute. Entweder wir kämpfen um unsere Industrie oder wir verschenken sie. Wenn wir keine erneuerbare Erzeugung im Land haben, fahren wir nach den Zechen demnächst die Chemieparks runter und alles Neue entsteht woanders. Beispiel Tesla: Die Fabrik haben wir in NRW nicht bekommen, weil die dahin wollten, wo es Windstrom gibt.

Was wäre Ihre wichtigste Forderung an eine neue NRW-Regierung, falls Herr Laschet nach Berlin umzieht

Mildenberger: Eine klare Industriepolitik mit Blick auf die Zukunft. Wir haben ja nicht nur Tesla nicht bekommen, sondern auch den Solarzellenproduzenten Meyer Burger. Dessen Schweizer Management hat sich für Standorte in zwei CDU-geführten Bundesländern entschieden. Energie- und Industrieland Nr. 1 – das hängt stärker zusammen als manche denken.

Es gibt Regionen in Deutschland, die sich heute schon von Energie-Import- zu -Exportregionen gewandelt haben. Ist das für NRW eine Perspektive?

Priggen: Für alle ländlichen Regionen Nordrhein-Westfalens geht das – ganz klar! Und die Städte haben auch ein Riesen-PV-Potenzial. Die Hauptaufgabe ist, den Löwenanteil vor Ort zu produzieren und damit die Wertschöpfung vor Ort zu halten. Wenn am Ende noch 10 Prozent fehlen sollten, die importiert werden müssten, ist das nicht weiter schlimm.

13.8.2021 | Autor: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH

Beliebte Artikel

Schließen