Solarpflicht als Aufgabe der Koalition

Einfamilienhaussiedlung am Südhang mit vielen PhotovoltaikanlagenFoto: Ingo Bartussek / stock.adobe.com
Nicht in jeder Gemeinde geht der Ausbau der Photovoltaik voran wie hier, wo auch ohne Pflicht kaum ein Dach ohne Solarmodule ist.
Eine erste Solarpflicht für Gewerbegebäude hat es bereits ins Sondierungspapier der möglichen Ampelkoalition geschafft. Ob das ausreicht oder die Pflicht ausgedehnt werden sollte, dazu gibt es auch unter den Solar­ver­bän­den sehr unterschiedliche Positionen.

Positiv bewertet Jörg Ebel, Präsident des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW), den Plan der Sondierungsgruppe von SPD, Grünen und FDP, im gewerblichen Sektor eine Solarpflicht einzuführen. Wichtig ist für ihn dabei auch die Aussage im Sondierungspapier, diese Pflicht finanziell auszugleichen. „Jede Solarpflicht kann immer nur Teil eines Maßnahmenmixes sein“, betont Ebel.

„Alle geeigneten Dachflächen sollen künftig für die Solarenergie genutzt werden”, heißt es im Sondierungspaper. „Bei gewerblichen Neubauten soll dies verpflichtend, bei privaten Neubauten soll es die Regel werden. Bürokratische Hürden werden wir abbauen und Wege eröffnen, um private Bauherren finanziell nicht zu überfordern.”
Bei Bestandsgebäuden will die angehende Regierungskoalition offenbar keine verpflichtende Nutzung von Photovoltaik und/oder Solarthermie einführen.

Bedenken gegen PV-Pflicht für alle

Ebel hielte das auch für richtig. Er warnt davor, das Potenzial der Solarpflicht zu überschätzen. Eine allgemeine Solarpflicht für jedes Dach, nicht nur auf Neubauten, sei verfassungsrechtlich nicht möglich, erklärt der Jurist Ebel. Das Bundesverfassungsgericht schreite häufig dann ein, wenn Freiheitsrechte auf dem Spiel stünden. Das könne der Fall sein, wenn der Gesetzgeber strenge Solarpflichten vorschreibe, der gleiche Zweck aber mit anderen, milderen Mitteln erreichbar sei. Eine Solarpflicht auch für Bestandsgebäude erfülle aus Sicht des Gerichtes möglicherweise nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) habe schon gezeigt, dass der Bundestag mit ihm grundsätzlich den Ausbau der PV anregen könne. Wenn das einige Jahre nicht der Fall gewesen sei, liege das an den vielen Hürden, die die bisherige Regierung in das Gesetz eingebaut habe.

Susanne Jung, die Geschäftsführerin des Solarenergie-Fördervereins Deutsch­land (SFV), schätzt die Position des Verfassungsgerichts nach dem Urteil zum Klimaschutzgesetz allerdings anders ein. Das Gericht habe dem Klimaschutz Priorität gegeben. Für den SFV stünden Solarpflichten in allen Bereichen neben der Beseitigung zu vieler Hürden im EEG auf der Agenda. „Diese Stellschrauben beim Klimaschutz müssen wir angehen”, so Jung. Denn von allein passiere zu wenig. Die Politik müsse auch über das Ordnungsrecht Anreize setzen.

Solarpflicht in Bundesländern

Nach Aussage von Fabio Longo, dem Eurosolar-Vizepräsidenten, sieht die Solarenergie-Vereinigung beim Gebäudebestand im Hinblick auf die PV-Pflicht derzeit vor allem die Bundesländer am Zug. „Der Bund sollte sich zunächst darauf konzentrieren, das EEG in Ordnung zu bringen und eine neue Energiemarktordnung mit den Erneuerbaren im Zentrum des Marktes aufzubauen.” Zuerst gehe es um Entbürokratisierung und Entfesselung des PV-Zubaus durch einfachere Regelungen im EEG und die Aussetzung sowie Reform des atmenden Deckels, erst dann um PV-Pflichten im Neubau, so Longo. Allerdings setze sich Eurosolar für die Einführung eines Solarstandards für alle Neubauten ein. „Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) wird um eine Mindestpflicht für den Einsatz der Photovoltaik auf allen Neubauten nach dem Vorbild des Solargesetzes Berlin ergänzt”, erklärt der Verband in einer aktuellen Resolution.

Verfassungsrechtlich zulässig?

Longo teilt nicht die rechtlichen Bedenken von Ebel. So weist Longo, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, auf die PV-Pflicht auch für Bestandsgebäude des Landes Berlin hin. Er unterstreicht, dass das Land Berlin die Rechtslage in der Gesetzesbegründung korrekt dargestellt habe. „Wenn man PV-Pflichten im Bestand – so wie das Land Berlin – richtig gestaltet, sind PV-Pflichten im Altbau zulässig. Auch das Land Baden-Württemberg hat gerade erst das Klimaschutzgesetz geändert und eine PV-Pflicht im Bestand eingeführt.”

Das Land hatte sich in seinem Beschluss ausdrücklich auch mit der Verfassungskonformität der Solarpflichten im Neu- und Altbau befasst. Die Begründung zum Solargesetz erklärt, es sei erforderlich. „Der Klimaschutz und die Steigerung der regionalen Wertschöpfung können auch nicht durch ein ebenso wirksames, aber weniger belastendes Mittel erreicht werden. „Die freiwillige Errichtung von PV-Anlagen sei kein ebenso effektives Mittel. Die im Prozess zum Masterplan Solarcity gewonnene Erfahrung zeigt, dass es in der Praxis vielfältige Gründe gibt, nicht zu handeln, selbst wenn eine grundsätzliche Zustimmung zur Solarenergie vorliegt.”

Kein Allheilmittel

Kein Solarverband hält eine Solarpflicht für ein Allheilmittel. Der BSW-Präsident fürchtet jedoch auch direkte Nachteile. Ebel weist auf die geringen Mindestverpflichtungen in bestehenden Landesgesetzen hin, die wohl auch notwendig seien, um sie rechtssicher zu machen. In Berlin habe man etwa eine Mindestgröße von nur 30 Prozent des Daches vorgeschrieben, in Hamburg gebe es gar keine Mindestgröße.

Eine Pflicht-PV-Anlage würde daher eher klein ausfallen, meint Ebel. Sei eine solche Anlage aber erst einmal auf dem Dach, sinke die Chance, sie zu erweitern. Als Beispiel nennt Ebel Fertighäuser. Die würden zwar häufig mit Solaranlagen angeboten, die aber zu klein ausfielen. „Und eine Nach-Akquise bei Fertighäusern kann man vergessen.“ Genau wegen der rechtlichen Lage, die die Möglichkeiten der Solarpflicht von vornherein einschränke – nur auf Neubauten und nur mit einer beschränkten Mindestgröße – werde das Potenzial einer Solarpflicht oft überschätzt. „Wir brauchen jetzt einen massiven Zubau an Photovoltaik, um die Klimaziele zu erreichen und ausreichend Grünstrom für Mittelstand und Industrie zu erzeugen”, so Ebel. Die Solarpflicht beispielsweise für Gewerbedächer oder auf Parkplätzen könne dafür nur ein Baustein von vielen sein. Wichtig sei, bei der Umsetzung dafür zu sorgen, dass die Akzeptanz der Solarenergie erhalten bleibe.

Keine Zeit für Freiwilligkeit

Der SFV sieht diese nicht durch Solarpflichten gefährdet. Wie Jung erklärt, sei angesichts der Klimagefährdung nicht mehr die Zeit, den solaren Ausbau allein der Freiwiligkeit zu überlassen. Dabei spricht sie besonders auch den Mietwohnungsbau an, wo die Photovoltaik fast gar nicht genutzt werde. Hier sei jeder Hauseigentümer zur Solarnutzung zu verpflichten. Er sollte dieser Pflicht aber auch dadurch entsprechen können, dass ein Dritter auf dem Dach eine Solaranlage betreibe. Für Jung und den SFV ist es dabei aber auch selbstverständlich, dass der Betrieb einer solchen Anlage nicht zum wirtschaftlichen Nachteil sei. Dem Grundsatz der kostendeckenden Vergütung folgend, müsse sich jede Anlage in einem nicht zu langen Zeitraum amortisieren können, so Jung: „Wenn wir es nicht schaffen den Leuten die PV-Nutzung lukrativ anzubieten, dann haben wir eh verloren.”

Dabei glaubt Jung nicht daran, dass sich zunächst kleine PV-Anlagen nicht nachrüsten ließen. „Es ist ein wesentliches Thema unserer Beratungen, weil viele Betreiber ihre Anlagen erweitern wollen, sie aber die unterschiedlichen gesetzlichen Bedingungen für früher und später gebaute Anlagen kaum nachvollziehen können.”

Solarpflicht für bestimmte Sektoren

Ebel vom BSW weist selbst auch auf Marktbereiche hin, in denen eine Solarpflicht sinnvoll sei. Dies sei einerseits regional dort der Fall, wo sich ein Markt nur langsam entwickele. So seien große Städte wie Hamburg und Berlin bisher Schlusslicht beim Solarausbau gewesen. Hier eine vorsichtig angelegte Solarpflicht einzuführen, könne den Markt beleben. Das könne analog auch in einigen Kommunen gelten. Und für längst überfällig hält Ebel eine Solarpflicht auf öffentlichen Gebäuden. Der Staat gehöre zu den „Oberdrückebergern“ bei der PV-Nutzung. 
Zu diesem Aspekt ist im Sondierungspapier nichts zu lesen. Wenn die mögliche Ampel-Koalition mit knappen Budgets rechnet, wird es wohl nur verhältnismäßig wenige neue Solaranlagen auf Bundesbauten geben. Denn angesichts der derzeitgen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bekäme auch der Bund das investierte Geld erst nach vielen Jahren zurück.

Aber auch für andere Sektoren sollte die Ausgangslage für eine Solar­investition attraktiver gestaltet werden. Die laut Sondierungspapier geplante Solarpflicht für gewerbliche Neubauten würde sonst wohl vom Unmut der Wirtschaft begleitet. Will die Koalition dies vermeiden, kann sie gleichzeitig die Anreize verbessern und bürokratische Hürden abbauen. Und das würde auch die PV-Nutzung im Allgemeinen erleichtern.

21.10.2021 | Autor: Andreas Witt
© Solarthemen Media GmbH

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