Windkraft-Repowering: Neue Gesetze wirken
Wer im Bereich des westfälischen Werl regelmäßig die Autobahn 44 benutzt, erlebt dort in diesen Tagen ein Windkraft-Repowering-Projekt, wie es im Buche steht. Fünf Windenergieanlagen, die sich dort seit dem Jahr 2001 drehen und jeweils 1,5 Megawatt leisten, werden aktuell durch zwei Anlagen der neuesten Generation ersetzt. Die beiden neuen können mit ihrem Rotordurchmesser von 170 Metern bei einer Gesamthöhe von 250 Metern unter Volllast jeweils 6,2 Megawatt Windenergie produzieren. Somit hofft die SL Naturenergie GmbH aus Gladbeck, auf der gleichen Fläche künftig mit den zwei modernen Anlagen doppelt so viel Stromertrag zu erzielen wie mit den fünf Vorgänger-Turbinen.
Um diesem Ziel näher zu kommen, musste das Unternehmen der Genehmigungsbehörde rund 1.200 Seiten an Unterlagen einreichen. Solch ein Papierberg war bislang Standard – egal ob es um die Erschließung eines neuen Standorts ging oder um ein Repowering-Projekt. „Wir haben dieses Projekt noch nach der alten Rechtslage genehmigt bekommen“, berichtet Sebastian Gampe aus der Projektentwicklung bei SL. Mehrere weitere Repowering-Vorhaben habe das Unternehmen inzwischen allerdings auf Basis der von der Ampelkoalition im Bund im vorigen Jahr angeschobenen neuen Gesetzgebung zur Genehmigung eingereicht. Und damit habe sich der Aufwand – und wohl auch die schiere Menge einzureichenden Papiers – mindestens für Repowering-Fälle deutlich verringert, berichtet Gampe.
EU-Verordnung wirkt
Noch wichtiger ist aber, dass die neue Rechtslage offenbar bereits in den Amtsstuben angekommen ist. Aus der Praxis berichtet Gampe: „Die Genehmigungsbehörden haben die neue Rechtslage aufgegriffen.“ Allerdings, und auch das gehöre zur Wahrheit, herrsche noch eine gewisse Unsicherheit in der Anwendung der neuen Paragrafen. Der Projektierer sagt: „Es ist schon eine Herausforderung, sich diese neuen Gesetze gemeinsam mit der Behörde zu erschließen und sie anzuwenden.“ Denn manche der neuen Formulierungen, die Bundestag und Bundesrat speziell zur Vereinfachung für das Windkraft-Repowering im Sommer 2022 in das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und das Bundesnaturschutz-Gesetz (BNatSchG) hineingeschrieben haben, bieten noch Interpretationsspielräume.
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Repowering-Paragraf 16 b im BImSchG
Grundsätzlich sorgt der neu eingeführte „Repowering-Paragraf“ 16b im BImSchG dafür, dass die Standorte der bisherigen Anlagen neu überplant werden können. Er greift immer dann, wenn eine neue Windturbine nicht weiter als um das Zweifache ihrer Gesamthöhe entfernt ist von der Altanlage, die sie ersetzen soll. Der Clou dabei: Hier darf auch dann repowert werden, wenn das Gelände, auf dem seinerzeit das Windrad entstanden ist, außerhalb heutiger Vorranggebiete beziehungsweise Konzentrationszonen liegt. „Damit besteht jetzt Bauplanungsrecht für viele Standorte, die bislang nicht beplanbar waren“, sagt Gampe.
Und die wesentliche Neuerung dieses Planungsrechts ist die sogenannte „Delta-Betrachtung“ oder „Delta-Prüfung“. Einfach gesagt wird in puncto Immissionsschutz nur noch der Unterschied (das Delta) des neuen zum vorherigen, durch das alte Windrad vorbelasteten Zustand geprüft. Das gilt vor allem für die Artenschutzprüfung.
Wenn sich zum Beispiel Lärmimmissionen rings um den Standort nicht erhöhen – und das tun sie dank der moderneren Flügelkonstruktionen meist nicht –, dann müsste das RepoweringProjekt sogar dann von den Behörden durchgewunken werden, wenn die Schallimmissionen etwas über den heute gültigen Grenzwerten lägen.
Delta-Prinzip für Artenschutz
Noch entscheidender ist das „Delta“-Prinzip für die Artenschutzprüfung innerhalb der BImSchG-Genehmigung. Tatsächliche oder vermeitliche Populationen von fliegender Fauna, vor allem von einigen Greifvogelarten und Fledermäusen, stellen in den Genehmigungsverfahren immer wieder Hindernisse da. Auch sind sie oft der Stoff, aus dem sich anschließend langwierige Gerichtsverfahren ergeben. Zwar hat auch nach dem neuen Recht in Windkraft-Repowering-Fällen weiterhin eine gewissenhafte Artenschutzprüfung zu erfolgen. Allerdings ist der vorherige Zustand einschließlich des bestehenden Windparks zu berücksichtigen. Auch hier gilt also das Delta-Prinzip: Nur wenn sich das Gefährdungspotenzial für die einschlägigen Vogel- und Flugsäugerarten durch die neuen Anlagen gegenüber den alten erhöht, sind die Naturschutzbehörden zum Einspruch gegen die Repowering-Pläne berechtigt oder es werden artspezifische Vermeidungsmaßnahmen erforderlich. Dass dies in der Regel nicht der Fall ist, dafür sorgt allein schon die höhere Lage der modernen Rotoren. Denn die meisten Flugbewegungen finden in den tieferen Regionen statt.
Und deshalb ist die Gefährdung dadurch geringer, dass die Blattspitzen in der unteren Position viel weiter über Grund liegen als bei den abzubauenden Altanlagen. Zwar ist andererseits die von den Rotorblättern überstrichene Fläche größer, dieser Nachteil wird allerdings durch die geringere Anzahl und die geringere Winkelgeschwindigkeit der Rotoren ausgeglichen.
EU-Verordnung gilt für Windkraft-Repowering direkt
Beschleunigen dürften sich die Genehmigungsverfahren für Repowering-Vorhaben auch durch die EU-Notfallverordnung vom 19. Dezember 2022. Die ist seit dem 30.12.2022 von allen Behörden auch in Deutschland unmittelbar zu beachten. Befristet bis Mitte 2024 entfallen Artenschutzprüfung und UVP laut EU-Recht nunmehr komplett. Über die bisherigen Verfahrenserleichterungen in Deutschland geht das unmittelbare EU-Recht somit noch deutlich hinaus.
Zudem gibt die EU-Verordnung nun für alle Repowering-Verfahren eine maximale Bearbeitungsdauer von sechs Monaten vor, die entgegen den bis dahin gültigen deutschen Verfahrensfristen nicht verlängert werden kann. Werden die Fristen nicht eingehalten, drohen den Landkreisen, bei denen die Genehmigungsbehörden zumeist angesiedelt sind, Schadensersatzklagen der Windkraftprojektierer.
25 Monate Verfahrensdauer
Sechs Monate sind im Vergleich zu den heute üblichen Verfahrenszeiten wahrlich kurz. In den letzten fünf Jahren betrug der Zeitaufwand für die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren laut einer aktuellen Studie der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) 23 Monate, Tendenz steigend. Ein Viertel der Antragsteller wartete sogar mehr als 31 Monate auf seine Genehmigung. Das Tempo muss sich also laut geltendem EU-Recht durchschnittlich vervierfachen. Für die kommunalen Genehmigungsbehörden ist das eine sehr sportliche Ansage.
Bislang lasse sich die neue Rechtslage noch nicht in seinen Statistiken ablesen, berichtet Jürgen Quentin, der Zahlenexperte bei der FA Wind. Was Projektierer bestätigen, ist allerdings, dass sie seit einer Weile Repowering-Projekte in der Hoffnung auf einen geringeren Verfahrensaufwand gegenüber neuen Windparks zeitlich vorziehen.
Nach Quentins jüngsten Erhebungen liegt die Repowering-Quote aktuell bei 28,3 Prozent gemessen an der neu errichteten Leistung. Diese Zahl könnte also demnächst ansteigen.
6.8.2023 | Autor: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH
Dieser Artikel ist original in der Ausgabe 7/2023 der Zeitschrift Energiekommune erschienen. Energiekommune ist der Infodienst für die lokale Energiewende. Er erscheint monatlich. Bestellen Sie jetzt ein kostenloses Probeabonnement mit drei aktuellen Ausgaben!