China als Photovoltaik-Markt begreifen: Ein Interview mit Chris Brown von Asia Cleantech Gateway

Chris Brown ist Hauptgeschäftsführer für Nordamerika bei Asia Cleantech Gateway. Sowohl im asiatisch-pazifischen Raum als auch im Westen unterstützt Asia Cleantech Gateway Technologie-Unternehmen beim Austausch von Geschäftsideen und fördert die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen. Brown hat über zehn Jahre für die Regierung der USA als Experte der chinesischen Energiepolitik gearbeitet, außerdem für private Unternehmen und […]

Chris Brown ist Hauptgeschäftsführer für Nordamerika bei Asia Cleantech Gateway. Sowohl im asiatisch-pazifischen Raum als auch im Westen unterstützt Asia Cleantech Gateway Technologie-Unternehmen beim Austausch von Geschäftsideen und fördert die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen.
Brown hat über zehn Jahre für die Regierung der USA als Experte der chinesischen Energiepolitik gearbeitet, außerdem für private Unternehmen und als selbstständiger Unternehmer. Zuletzt hat er das Unternehmen Itochu beim Eintritt in die nordamerikanische Solar-Industrie beraten. Auch unterstützte er Applied Materials beim Ausbau seines Geschäftsbereichs Photovoltaik in China. Chris Brown leitete chinesische Energieforschungs-Projekte bei der Gerson Lehrman Group und bei Ergo Advisors. Zudem war er leitender Analytiker für Energieforschung in China bei dem Beratungsunternehmen CENTRA.
Von 1998 bis 2004 war Brown China-Experte und Sprachkundiger für den chinesischen Dialekt Mandarin im US-Verteidigungsministerium. In dieser Position war er Co-Autor eines Geheimdienstdossiers, beriet die hochrangigsten Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums in politischen Fragen zu China und veröffentlichte mehrere Schriften über Chinas Aufstieg zur Weltmacht.

Solar Server: Lassen Sie uns zunächst ein Thema behandeln, das sich derzeit aufdrängt: Was denken Sie über die Handelsbeschwerde, die SolarWorld gegen China eingereicht hat? Welche Reaktionen erwarten Sie von der chinesischen Photovoltaik-Industrie und von der chinesischen Regierung? Und was bedeutet das für die globale PV-Industrie?
Chris Brown: Zunächst halte ich die Angelegenheit für weit komplizierter. Dies nur als Streit zwischen China und den USA zu behandeln, ist meiner Meinung nach nicht nur schlecht für die Industrie allgemein, es ist auch nicht angemessen. Schließlich gibt es auch in den USA Installateure, die gegen die Beschwerde sind und die darunter leiden werden. Die Industrie ist ein zusammenhängender Komplex, und jede Form von Handelsstreit wird allen Akteuren schaden.
Ich kann ehrlich gesagt nicht nachvollziehen, dass sich diese Beschwerde hauptsächlich mit den staatlichen Subventionen Chinas beschäftigen soll sowie der Frage, ob Unternehmen von der Regierung unterstützt werden dürfen Letztlich werden die Regeln des Handelsgesetz über den Ausgang entscheiden.
Alles in allem kann ich die Handelsbeschwerde nicht befürworten, weil die Solarindustrie international vernetzt ist. Ich denke, SolarWorld und die sechs anderen Unterzeichner stellen der Solarindustrie ein Bein – wir stellen uns selbst ein Bein.

Solar Server: China wurde bislang in der globalen Solarindustrie hauptsächlich als Fertigungsstandort gesehen. Können Sie unseren Lesern einen kurzen Überblick über die Entwicklung der chinesischen Märkte für Photovoltaik und solarthermische Kraftwerke geben?
Chris Brown: China wollte immer mehr sein als nur ein billiger Fertigungsstandort. Der Entwicklung Chinas zu einem Zentrum der Photovoltaik gehen einige politische Maßnahmen voraus, welche die Technologie unterstützten.
Beispielsweise unterstütze das 863-Programm, offiziell der nationale Hochtechnologie-Entwicklungsplan, zwischen 2001 und 2005 Cleantech-Unternehmen mit insgesamt drei Milliarden Dollar. Daneben gab es das 973-Programm zur Grundlagenforschung. Beide wurden nicht richtig gewürdigt, denn China war nie damit zufrieden, lediglich billiger Produktionsstandort zu sein. Ich denke, die Chinesen waren immer sehr daran interessiert, die Technologie voranzutreiben.
Mit Programmen wie den beiden genannten wurde viel Geld in die Technologieentwicklung investiert, um Vorreiter zu werden. Gleichzeitig sind die Chinesen sehr bestrebt, ihre heimischen Märkte zu entwickeln. Letztlich wollen sie ihre PV-Module selbst nutzen. Die besten Beispiele dafür sind das Rooftop-Programm von 2009 und das aktuelle Golden Sun-Programm. Ersteres war für kleinere Anlagen gedacht, Golden Sun fördert Projekte im Versorger-Maßstab.
Hinsichtlich solarthermischer Kraftwerke ist es merkwürdig. Ein guter Freund von mir in Peking schwört, China wolle die konzentrierende Solarthermie ernsthaft fördern. Ich kann das nicht erkennen. Als eSolar ein solarthermisches Kraftwerk in Yulin in der Provinz Shaanxi bauen wollte, hatte ich große Hoffnung. Es schien, als würde es nun wirklich vorangehen, doch letztlich geschah nichts.
Ich bin eher skeptisch bezüglich der großen solarthermischen Kraftwerke. Ich halte Photovoltaik-Großkraftwerke für wahrscheinlicher, wie etwa das von First Solar in der Inneren Mongolei. Kritische Stimmen sagen, dass China kaum beträchtlich in eigene solarthermische und Photovoltaik-Kraftwerke investieren wird, solange die Kohle so billig ist wie derzeit. Ich bin jedoch überzeugt, dass die Chinesen es ernst meinen. Das Problem ist viel eher die Umsetzung.
Die Entwicklung der Windenergie-Industrie ist ein gutes Beispiel dafür, dass China aus der Vergangenheit lernen kann. Sie zeigt, wie die Solarenergie ausgebaut werden kann, besonders die Photovoltaik, aber auch solarthermische Kraftwerke. In die Windenergie wurde viel Geld investiert, doch es gibt noch immer Probleme dem Stromnetz und der erforderlichen Fachkompetenz. Auch gab es viele Fälle Misswirtschaft bis hinunter auf die regionale Ebene. Ich erwarte, dass sich Chinas heimischer Solarmarkt eher schrittweise und mit regionalen Schwerpunkten entwickeln wird.
Einige Provinzen werden aus verschiedenen Gründen erfolgreich Anlagen im Kraftwerksmaßstab entwickeln, andere hingegen nicht. Die Ursachen reichen von der Korruption bis hin zur mangelnden technischen Expertise.
Ich glaube, der Wille ist da. Das Geld steht zur Verfügung und wird durch die nationale Entwicklungskommission (NDRC) in Peking bis in die Provinzen und Kommunen geleitet. Doch die Frage, wie dieses Geld in netzgekoppelte Elektrizitätsversorgung umgesetzt wird, hängt entscheidend von den einzelnen Kommunen und Regionen ab.

Solar Server: Wie beeinflussen Chinas Kultur, die chinesische Regierung und die Energieversorger die gegenwärtigen und die künftigen Märkte?
Chris Brown: Chinas Energiepolitik wird immer vom Streben nach Versorgungssicherheit geprägt sein. Politische Entscheidungen werden stets unter übergeordneten Gesichtspunkten getroffen werden. China ist sehr unzufrieden, so stark von Energieimporten abhängig zu sein.
Aus meiner Sicht ist eine unabhängige Energieversorgung der entscheidende Antrieb. Die Umweltverschmutzung kommt hinzu, aber nur wenn sie ein gesundheitliches Problem wird und damit die politische Stabilität gefährdet. Eine Besonderheit Chinas ist sein Bedarf an unabhängiger, und somit auch dezentraler, Energieversorgung in einem höchst zentralistisch ausgerichteten politischen System.
Die zweite Besonderheit Chinas und eine wirkliche Herausforderung sind die konkurrierenden Interessen des Landes und der Parteifunktionäre. Die Zahl der Funktionäre, mit denen verhandelt werden muss um ein Projekt zu verwirklichen, ist in China einzigartig.
China hat sich über ein traditionelles kommunistisches System hinaus entwickelt, doch die Bürokratie ist geblieben. China ist vielschichtig, es ist geprägt von kapitalistischen und kommunistischen Elementen. Und genau das bereitet westlichen Unternehmen Kopfschmerzen, die dort Fuß fassen wollen.
Ich sprach mit Mitarbeitern von Duke Energy, die ein Projekt in China realisieren wollten. Sie sagten, das habe sich hingezogen und die Zusammenarbeit mit einem chinesischen Unternehmen erfordert, um dort Fuß zu fassen. Die chinesischen Partner erklärten ihnen, dass sie gleichermaßen Parteifunktionäre, Regierungsvertreter und die Unternehmensspitze der Geschäftspartner einbeziehen müssen.
Außerdem sind die Beziehungen, die man pflegen muss, wenn man mit Chinesen arbeitet, außerordentlich kompliziert.

Solar Server: Was sind die größten Hindernisse für die Marktentwicklung von Photovoltaik und solarthermischen Kraftwerken in China?
Chris Brown: Genau darüber haben wir jetzt gesprochen. Diese Unordnung und Komplexität führt zu politischen Entscheidungen wie dem Einspeisetarif, der im August vorgestellt wurde. Anders als viele Analytiker habe ich dies nicht für eine großartige Nachricht gehalten.
Das stimmt mich zwar nicht durchweg pessimistisch, doch wenn eine derartige Entscheidung in Peking getroffen wird, hat sie noch einen langen Weg bis zur Umsetzung auf regionaler Ebene vor sich. Sie kann auf viele Weisen verändert und gestört werden, bevor sie tatsächlich zu netzgekoppelten Anlagen führt, die Strom liefern. Dieses komplexe, unübersichtliche politische System ist eines der größten Hindernisse.
Die Infrastruktur ist ein weiterer Gesichtspunkt, der mich bei Ankündigungen wie dem Einspeisetarif pessimistisch stimmt. Hinsichtlich der Infrastruktur bin ich sehr besorgt. Hier kann man viel von der Wind-Industrie lernen, die einen ähnlichen Weg beschreiten musste. Auch hier war von Anlagen zu hören, deren Turbinen letztlich niemals an das Netz angeschlossen wurden.
Wie in den meisten Ländern sind auch die Regionen Chinas sehr unterschiedlich. Doch meine größte Sorge ist, dass die Infrastruktur nicht unterstützt wird. Ich glaube, China ist noch weit entfernt von den Übertragungsnetzkapazitäten, die für große Solaranlagen nötig sind.
Fehlende Leitungen und Infrastruktur auf der einen Seite und die vielschichtige politische Unordnung auf der anderen Seite sind meines Erachtens die größten Hindernisse.

Solar Server: Können Sie etwas über die Schwierigkeiten sagen, zuverlässige Informationen über die Politik und Marktentwicklung aus China zu beschaffen?
Chris Brown: Ich habe meine Abschlussarbeit über die Zu- und Abwanderung in China geschrieben und mich deshalb lange mit chinesischen Statistiken beschäftigt. Als ich dann für die Regierung gearbeitet habe und mich mit offiziellen Zahlen und anderen Quellen beschäftigt habe, wichen diese stark voneinander ab. Ich versuche eher, die Dinge im größeren Rahmen zu betrachten. Mich interessiert das 863-Programm als Ganzes, den Zahlen traue ich nicht.
Heute Morgen etwa habe ich gelesen, dass die chinesische Energiebehörde NEA die Ziele hinsichtlich der Solarenergie-Kapazität für den zwölften Fünfjahresplan neu formuliert. Das wird jedoch so oft geändert, dass ich die Zahlen nicht nur mit Vorsicht genieße, sondern eher als Richtwert betrachte, und lieber die Programme generell bewerte.
In meinem Unternehmen, Asia Cleantech Gateway, erstellen wir eine Preisliste. Doch vieles wird geheim gehalten. Es scheint eine Art Reflex zu sein, Zahlen geheim zu halten, selbst wenn sie eigentlich nicht geheim sind. Dazu neigen auch die Unternehmen. Sie sind zurückhaltender mit Preisinformationen als Unternehmen in den USA.

Solar Server: Gibt es etwas Wissenswertes über China, das noch nicht zur Sprache kam?
Chris Brown: Ich denke, dass es entscheidend ist, China eher wie einen Kontinent zu sehen. Ich kann nicht genug betonen, dass in China einzelne Märkte unterschieden und analysiert werden müssen, statt von einem großen, zusammenhängenden Markt auszugehen. Die Unterschiede sind beträchtlich, nicht nur von Provinz zu Provinz oder von Bezirk zu Bezirk. Sie werden selbst dann sichtbar, wenn man die Versorgungsunternehmen betrachtet, die bedeutende Akteure sind. Oder wenn man die die Geschäfte im ganzen Land mit den Erfolgsbilanzen einzelner Kommunen und Bezirksregierungen vergleicht und auch dabei die Versorger im Auge behält.
Grade heute Morgen habe ich gelesen, dass Solarbuzz eine Studie über den kommerziellen PV-Markt in China veröffentlicht hat.
Demnach verteilen sich die Projekte des Auftragsbestandes auf 29 Provinzen. Gemessen an der geplanten Leistung führen Qinghai, Gansu, Ningxia und die Innere Mongolei.
Dann habe ich mehr über Qinghai gelesen. Seltsamerweise ist Qinghai eine sehr arme Provinz im Nordwesten. Doch weshalb soll dies eine der führenden Provinzen werden? Warum soll es dort so viele Projekte geben? Doch dann habe ich mir das genauer angesehen und erfahren, dass die Provinz Qinghai ein eigenes 930-Programm hat, das zusätzlich zu den in Peking beschlossenen Einspeisetarifen Subventionen beisteuert. Die wichtigen Förderprogramme der Provinzen zeigen ebenfalls, dass man diese als einzelne Solarmärkte begreifen sollte.
Ich erinnere mich, dass Solarbuzz darüber spricht, wie viele der neuen Großanlagen in den nordwestlichen Provinzen gebaut werden sollen. Als Grund dafür nannten sie die dortige hohe Sonneneinstrahlung.
Der wirkliche Grund ist jedoch die Politik der Provinzen, und manchmal sind es deren politische Führer. Aus welchen Gründen auch immer treiben einige Provinz- und Bezirksregierungen den Ausbau der Solarenergie sehr aggressiv voran, während andere das nicht tun.
Ich kann nicht genug betonen, was für ein analytisches Puzzle China ist, und wie nötig es ist, einzelne chinesische Märkte voneinander zu unterscheiden.

Solar Server: Was halten Sie von den Solarbuzz-Prognosen für den chinesischen Photovoltaik-Markt?
Chris Brown: Diese Prognosen gefallen mir. Wieder fällt mir auf, dass es darauf ankommt, wie reibungslos der Strom an das Netz gekoppelt werden kann. Ich glaube, viele Standorte in China haben nicht die Expertise, sie haben nicht die Techniker, und sie haben nicht die Erfahrung, solche Anlagen in Stand zu halten oder den Strom problemlos in das Netz einzuspeisen.
Ich glaube diesen Zahlen. Aber ob das alles so elegant funktioniert, sollte diskutiert werden.

Das Interview führte Solarserver-Korrespondent Christian Roselund im November 2011.

Beliebte Artikel

Schließen