Interview: Verteilnetzstudie – EE-Integration kein Problem

Solarthemen 432. Dr. Jens Büchner ist Geschäftsführer der E-Bridge Consulting GmbH. Sie hat im Auftrag des Bundesenergieministeriums die Federführung bei einem Forschungsprojekt zum Einfluss erneuerbarer Energien auf die Verteilnetze (siehe Seite 7). Beteiligt an dem Projekt sind auch das Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft an der RWTH Aachen und OFFIS e. V. (Institut für Informatik).

Solarthemen: Was sind aus Sicht der erneuerbaren Energien die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Studie?

Jens Büchner: Das aus Sicht der erneuerbaren Energien wichtigste Ergebnis der Studie ist, dass der erwartete Netzausbaubedarf in den Verteilernetzen grundsätzlich kein Umsetzungshindernis für die Energiewende bilden wird und die Ausbauziele der erneuerbaren Energien erreicht werden können. Nach unseren Berechnungen ist ein Investitionsbedarf bis 2032 zwischen 23 Milliarden Euro und 49 Milliarden Euro erforderlich, der in die Verteilernetze investiert werden muss. Durch die Anwendung von intelligenten Planungskonzepten kann dieser Netzausbau um mindestens 60 Prozent und die Gesamtkosten um mindestens 20 Prozent gesenkt werden. Ein wesentlicher Baustein zur Reduktion der Kosten ist das Erzeugungsmanagement. Beim Erzeugungsmanagement wird in der Netzplanung berücksichtigt, dass die Einspeisung aus erneuerbaren Energien in Anlagen in wenigen Stunden eines Jahres herabgesetzt werden kann. Wir haben in der Studie abgeschätzt, dass dadurch maximal 3 Prozent der Jahresenergiemenge von EE-Anlagen abgeregelt werden müssen. Wir gehen in der Studie davon aus, dass zusätzliche EE-Anlagen errichtet werden, um diese abgeregelte Energiemenge zu kompensieren.

Sie haben Szenarien verglichen, die sich bei den Kosten stark unterscheiden. Würde man aus Ihrer Studie ableiten müssen, dass der Ausbau der Erneuerbaren nach den Vorgaben des EEG der maximal machbare ist?

Nach dem neuen EEG würde sich der Anteil der erneuerbaren Energien bis 2032 etwa verdoppeln. Natürlich kann man auch mehr erreichen. Wenn wir etwa die Ziele der Bundesländer addieren, so würde sich der EE-Zubau sogar verdreifachen. Die Ausbaukosten für die Netze würden sich in diesem Fall verdoppeln. Wie man damit umgeht, ist eine politische Entscheidung. Ganz wichtig ist dabei aber ein zusätzlicher Aspekt, den wir herausgefunden haben. Der Ausbaubedarf ist bei den verschiedenen Netzbetreibern extrem unterschiedlich. Er wird vor allem in den Netzen verursacht, die bislang nicht auf die Einspeisung so großer Mengen dezentraler Energie ausgelegt sind. Das sind ländliche Netze mit vielen Photovoltaik- und Windkraftanlagen. Würde man nun, mit welchem Mittel auch immer, auf die Standorte für die Anlagen einwirken, dann könnte man den Netzausbau nicht unerheblich reduzieren.

Sie verweisen auf schwache Netze. Deutet das nicht darauf hin, dass in diese unabhängig von den Erneuerbaren investiert werden müsste?

Wir haben den Netzausbaubedarf berechnet, der ausschließlich auf die erneuerbaren Energien zurückzuführen ist. Dabei gehen wir von einer unveränderten Höhe der Last aus. In diesem Fall reichen die heutigen Netze aus und wir würden dort keinen zusätzlichen Investitionsbedarf ohne den Zubau erneuerbarer Energien erwarten. Falls sich allerdings die Lastentwicklung verändert, zum Beispiel durch den Einsatz von Speichern, so kann zusätzlicher Netzzubaubedarf entstehen. Solche Effekte sind aber nicht Gegenstand der Studie und wurden von uns nicht berücksichtigt.

In welchem Maße könnten die Ausbaumaßnahmen, die man nun den erneuerbaren Energien zurechnet, reduziert werden durch eine flexiblere Steuerung von konventionellen Kraftwerken? 

Die Studie hat sich auf die Verteilnetze konzentriert. Das heißt, die konventionellen Großkraftwerke, die direkt an die Übertragungsnetze angeschlossen sind, liegen nicht im Fokus dieser Studie. Durch sie kann der Ausbaubedarf in den Verteilnetzen nicht reduziert werden. An die Verteilnetze, die auch die Mittel- und Hochspannung umfassen, sind KWK-Anlagen und kleinere konventionelle Anlagen angeschlossen. Diese Anlagen können allerdings sehr wohl zur Vermeidung von Engpässen in Verteilnetzen abgeregelt werden. Was wir fordern, ist die Berücksichtigung der Abregelbarkeit von Photovoltaik- und Windkraftanlagen in der Netzplanung. Wenn ich im Betrieb eine Engpasssituation erlebe, die durch die Abregelung von erneuerbaren oder konventionellen Anlagen behoben werden kann, dann gilt natürlich die übliche Vorrangsregelung. Dann müssen konventionelle Kraftwerke vor den Erneuerbaren abgeregelt werden – und das ist auch aus ökonomischer Sicht vernünftig. Es ist ganz wesentlich für das Verständnis, zwischen den Anforderungen in der Netzplanung und in der Einsatzreihenfolge im tatsächlichen Betrieb zu unterscheiden.

Mit Blick auf die Bundesländerpläne veranschlagen sie für einen reinen Netzausbau 48,9 Milliarden Euro bis 2032. Was könnte man durch Einspeisemanagement und regelbare Ortsnetztransformatoren davon sparen?

Die prozentuale Einsparung ist in allen Szenarien in etwa gleich. Wir haben ausgerechnet, dass der Netzausbau selbst um 60 Prozent reduziert werden könnte. Bei den Gesamtkosten, also Investitionen und Betriebskosten plus Entschädigungen, kommen wir auf eine Einsparung von mindestens 20 Prozent. Bei diesen Gesamtkosten spielt dann eine Rolle, dass wir die Zahlungen für die abgeregelte Energie aus EE-Anlagen hoch bepreist haben.

Nun sollen erneuerbare Energien in den kommenden Jahrzehnten weiter ausgebaut werden. Macht es dann Sinn, jetzt an den Netzausbaukosten zu sparen, wenn man sie später sowieso braucht?

Nach unseren Berechnungen würden wir sagen: ja. Wenn ich den Ausbau mit einem Planungshorizont von 5 Jahren betrachte, komme ich natürlich zu einem anderen Ergebnis, als wenn ich 20 Jahre in den Blick nehme. Würde ich genau wissen, welchen Bedarf ich 2032 habe, dann könnte das gesamte Investitionsvolumen reduziert werden. Aber durch die frühere Investition fallen auch höhere Finanzierungskosten an, sodass man nicht sagen kann, ob sich eine frühere Investition tatsächlich immer rechnet. Letztlich muss das jeder Netzbetreiber individuell ermitteln. Und die Bundesnetzagentur sollte berücksichtigen, dass das System zur Kostenregulierung so ausgestaltet ist, dass es auch langfristige Effizienzentwicklungen adäquat berücksichtigt.

Netzbetreiber müssen für den Ausbau sorgen. Sie können Kosten für das Einspeisemanagement und regelbare Ortsnetztransformatoren aber nicht unbedingt auf die Netzgebühren umlegen. Haben Sie Vorschläge, wie man die Regulierung optimieren könnte?

Wir haben zwei Punkte identifiziert. Derzeit setzt der Regulierungsrahmen eher Anreize, zu viel in den Netzausbau zu investieren. Er belohnt nicht, wenn langfristig Gesamtkosten gespart werden könnten, die aber mit einer Erhöhung von Betriebskosten, etwa durch das Einspeisemanagement, verbunden sind. Daher besteht ein gewisser Anreiz, eher in Kupfer zu investieren als intelligente Technik einzusetzen. Bei der Weiterentwicklung des Regulierungsrahmens sollte dies korrigiert werden. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Langfristigkeit. Man muss einen Regulierungsrahmen schaffen, der den Netzbetreibern eindeutig vermittelt, dass auch die langfristige Effizienzentwicklung belohnt wird. Nur wenn diese beiden Forderungen eingehalten werden, erhalten Netzbetreiber das richtige Signal zum kosteneffizienten Netzausbau und die Netzausbaukosten verbleiben in einem erträglichen Maß.

Ab welcher Anlagengröße sollte eine aktive Steuerung der Anlagen erfolgen, also nicht nur die statische Reduktion der Leistung? Sollte man schon bei Anlagen ab 800 Watt intelligente Zähler in Verbindung mit Steuerungsmöglichkeiten vorschreiben?

Das ist nicht Gegenstand unserer Studie. Man müsste berechnen, welche Vorteile eine entsprechende IKT-, also Informations- und Kommunikations-Technlogie-Ausstattung tatsächlich bewirken würde. Natürlich macht es Sinn, die Abregelung von sehr kleinen Anlagen in der Netzplanung zu berücksichtigen. Aber ab welcher Größe es sinnvoll wäre, Anlagen mit IKT auszustatten, kann man so pauschal nicht sagen. Wir haben das für eine Grenze von 7 kW untersucht. Wenn wir Anlagen kleiner 7 kW die Spitzenlast fest kappen, sparen wir Netzausbaukosten von 50 Millionen Euro. Wir verlieren aber auch etwa 8 Millionen Euro an Energie, die nicht eingespeist wird. Wenn wir diese kleinen Anlagen nun aber mit IKT ausstatten würden, dann würde uns das 50 Millionen Euro kosten. Eine pauschale Pflicht zur Ausstattung von Kleinstanlagen mit fernsteuerbarer IKT ist nicht vernünftig. Uns erscheint die bestehende Grenze bei 30 kW, mit einem Wahlrecht für PV-Anlagenbetreiber, ein sinnvoller und pragmatischer Ansatz zu sein.

Was erwarten Sie nun, wie Ihre Studie aufgenommen wird?

Bislang haben wir sehr positive Reaktionen bekommen. Wir haben die Studie dem Plenum der Netzplattform vorgestellt und viel Zustimmung geerntet. Was ich mir nun wünschen würde, wäre die Umsetzung unserer Vorschläge. Die Netzagentur sollte unsere Anforderungen bei der Weiterentwicklung des Regulierungsrahmens aufgreifen und die Netzbetreiber sollten ihre Planungsprozesse entsprechend anpassen. Das ist mein Wunschtenor. Werden die Ziele der Bundesregierung umgesetzt, werden die Netzausbaukosten wohl nicht bei den maximal genannten fast 50 Milliarden Euro liegen, sondern eher bei 23 bis 25 Milliarden. Und dies über einen Zeithorizont von 20 Jahren. Das ist eine Steigerung der jährlichen Netzkosten um rund 10 Prozent in 20 Jahren. Der Punkt ist nur, dass es die einzelnen Netzbetreiber äußerst unterschiedlich trifft. Das sollten die Politik und die Regulierung in geeigneter Weise auffangen.

Interview: Andreas Witt

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