Debatte um Netzausbauszenarien: Entscheidungen zur Zukunft des Energiesystems

Collage aus Strommast, Windkraft- und PhotovoltaikanlagenFoto: vencav / stock.adobe.com
Zu den kürzlich von den Übertragungsnetzbetreibern vorgelegten neuen Netzausbauszenarien hat der Bundesverband Erneuerbare Energien seine Stellungnahme veröffentlicht. Schon die Szenarien zeigen, wie abhängig die Zukunft des Energiesystems von Entscheidungen ist, die heute zu treffen sind.

Die Netzausbauszenarien, die die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) für die Bundesnetzagentur erstellen, sind eine wichtige Basis für den Netzentwicklungplan. Auf dessen Grundlage wiederum beschließt der Bundestag später den Bundesbedarfsplan für den Ausbau des Stromnetzes.

Die jetzt von den ÜNB vorgelegten Szenarien zeigen bereits die starke Abhängigkeit von der Politik. Der Ausbau der Netze folgt also nicht vorrangig deren technischen und wirtschaftlichen bzw. planerischen Realisierbarkeit, sondern den politischen Prämissen.

Große Bandbreite

Bereits die drei auf das Jahr 2035 bezogenen Szenarien der ÜNB zeigen eine große Bandbreite. Wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung hat die Ausrichtung des Energiesystems. Sie unterscheiden sich durch die Intensität der Sektorenkopplung, die Grad der Flexibilisierung der Stromnachfrage und die netzorientierte Betriebsweise neuer Stromanwendungen. Als viertes Element kommen Anreize für eine netzorientierte Regionalisierung hinzu.

Die Netzausbauszenarien bewegen sich aber immer in dem Rahmen, der durch das Klimaschutzgesetz, das derzeitige Erneuerbare-Energien-Gesetz und den Koalitionsvertrag mit seinem gegenüber dem EEG höheren Ausbauziel für Erneuerbare vorgegeben ist. Darauf gestützt gehen die ÜNB von einen Ausbau der Photovoltaik auf 112 GW (Szenario A), 119 GW (Szenario B) und 128 GW (Szenario C) bis 2035 aus. Bei der Onshore-Windkraft bewegt sich die Leistung zwischen 84 und 98 GW und bei der Offshore-Windkraft zwischen 27,1 und 35 GW. Für Biomasse nehmen die ÜNB 5,6 bis 8,4 GW an; Ende 2018 waren es 7,4 GW.

Einfluss auf Sektorenkopplung

Einfluss auf die Sektorenkopplung haben vor allem bestimmte Energieverbraucher. So liegt die Zahl der Elektroautos im Szenario A bei 8 Millionen, im Szenario B bei 12 und im Szenario C bei 17 Millionen. Die Zahl der Wärmepumpen bewegt sich zwischen 4 und 9 Millionen. Bei Großwärmepumpen gehen die ÜNB generell von 4,1 GW in allen Szenarien aus. Für Power-to-Wasserstoff erwarten die ÜNB einen Leistungsbereich zwischen 2,5 und 7,5 GW. Dagegen soll Power-to-Methan bei nur 0,5 GW in allen Szenarien liegen. Abhängig von den Verbrauchern schwankt der Bruttostromverbrauch zwischen 637,5 THW in Szenario A und 728,9 THW in Szenario C.

Die Bundesnetzagentur erklärt: „Der Szenariorahmen und damit die darin abgebildete Bandbreite wahrscheinlicher energiewirtschaftlicher Entwicklungen ist von fundamentaler Bedeutung für die Höhe des Netzausbaubedarfs.“ Es gehe um die Prognose, welcher Erzeuger wann, wo und wieviel Strom produziert, der dann zur Deckung der Stromnachfrage zu den Endverbrauchern, Speichern oder Grenzkuppelstellen zu transportieren ist.

Auswertung durch Bundesnetzagentur

Die Bundesnetzagentur ist jetzt dabei, die von den ÜNB vorgelegten Netzausbauszenarien und auch die Stellungnahmen dazu auszuwerten. Daraus wird sie konkrete politische Empfehlungen ableiten und wohl auch auf Annahmen der ÜNB zurückgreifen. So gibt es das Modell einer netzorientierten Regionalisierung. Darunter ist zum einen zu verstehen, dass neue Anlagen eher dort zu errichten sind, wo Stromnachfrage besteht. Das kann die Stromnetze entlasten. Es beinhaltet aber auch, dass der Ausbau insbesondere der Windkraft in den nördlichen Bundesländern restriktiver angegangen wird. „Die netzorientierte Regionalisierung“, so erklärt die Bundesnetzagentur, „wird besonders bei der regionalen Verteilung von Windkraftanlagen an Land deutlich. Hier erfolgt in Szenario C 2035 erstmals eine Berücksichtigung des Nord-Süd-Engpasses im Übertragungsnetz, indem in einem Gebiet der nördlich gelegenen Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Bremen kein Zubau von Windkraftanlagen jenseits der von den Landesregierungen formulierten Ausbauzielen angenommen wird.“

Kritik des BEE

Mit dieser Annahme ist der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) jedoch nicht einverstanden. Er hat das Bedenken, „ob die Netzorientierung der Szenarien an den richtigen Stellschrauben ansetzt.“ Eine harte Deckelung der Windenergie an Land in nördlichen Bundesländern, sowie eine abnehmende Geschwindig- keit des Zubaus von PV-Freiflächenanlagen sei nicht der richtige Weg. „Dies käme einer planwirtschaftlichen Übersteuerung gleich, die die Welt des Jahres 2035 nicht abbilden kann“, so der BEE. Er setzt Innovationen dagegen, wie die direkte Kopplung von Erzeugungsanlagen mit Sektorenkopplungsanwendungen und Speichern. Der BEE kritisiert, diese blieben in den Szenarien ausgeblendet, obwohl sein einen netzorientierten Betrieb ermöglichten ohne den Zubau an Erneuerbare Energien-Anlagen einzuschränken.

Der BEE geht von einem höheren Bruttostromverbrauch als die ÜNB aus, Er erwartet schon im Jahr 2030 einen Verbrauch von 740 TWh. Entsprechend müsste auch der Ausbau der Erneuerbaren schneller voranschreiten, um einen Anteil von 65 Prozent bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Erforderlich wären laut BEE ein jährlicher Zubau von 4,7 GW bei Onshore-Wind, 1,2 GW bei Offshore-Wind, 0,6 GW bei Biomasse und 10 GW bei der Photovoltaik. „Diese Zubauzahlen erachten wir als notwendig um die Energiewende so fortzuführen, dass die Treibhausgasminderungsziele des Bundes Klimaschutzgesetzes erreicht werden“, erklärt der Verband.

Entscheidungen durch die Politik

Schon die Netzausbauszenarien der ÜNB zeigen den politischen Gestaltungsspielraum. Letztlich beschließen diesen die Parlamentarier. Dabei zeigen Stellungnahmen wie die des BEE noch weitergehende Spielräume auf.

21.2.2020 | Autor: Andreas Witt, Solarthemen | solarserver.de
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