Sektorenkopplung in lokalen Energiesystemen optimieren

Grafik des Reallabors zur Sektorenkopplung am Fraunhofer IISBGrafik: Anja Grabinger / Kurt Fuchs / Fraunhofer IISB
Energietechnische Anlagen im Reallabor für dezentrale Energiesysteme am Fraunhofer IISB mit intelligenter Betriebsstrategie.
Das Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB steuert mit der Optimierungs-Plattform ToSyCo (TotalSystemControl) sektorengekoppelte Energiesysteme mit Hilfe intelligenter Betriebsstrategien. In einem Reallabor hat es jetzt mögliche Effekte nachgewiesen.

Die Algorithmen aus ToSyCo können für sektorenübergreifende Energiesysteme angepasst und in diese eingebaut werden. Am eigenen Beispiel hat das IISB den Effekt gezeigt: Als Reallabor und Beispiel für die Sektorenkopplung in lokalen Energiesystemen würde das Institut selbst mit Hilfe von ToSyCo 25 Prozent des Leistungspreises und 6,5 Prozent des Arbeitspreises einsparen.

Die Energiesysteme vieler Industrie- oder Produktionsbetriebe benötigen neben elektrischem Strom noch weitere Energieformen. Für die Beheizung, Luftaufbereitung oder auch für einzelne Prozesse nutzen die Unternehmen Wärme auf verschiedenen Temperaturniveaus. Daneben ist aber auch Kälte notwendig, zum Beispiel für Klimatisierung und Prozesskühlung. Andere Anwendungen im Produktionsbereich werden mit Dampf, Druckluft oder Vakuum versorgt.

Komplexität durch Kopplung

In komplexen industriellen lokalen Energiesystemen führen gerade unter den Bedingungen der Sektorenkopplung Verbesserungen in einem Teilsystem in Bezug auf das gesamte System nicht unbedingt zu Effizienzerhöhungen und wirtschaftlichen Vorteilen. Deshalb ist stets das Gesamtsystem zu betrachten. Die Optimierungsziele Effizienzerhöhung, Lastspitzenreduktion und Eigenverbrauchserhöhung führen häufig zu Widersprüchen.

Beispielsweise sind bei der isolierten Betrachtung der Kälteanlagen Optimierungen bezüglich des Betriebspunkts möglich, im Gesamtkontext kann dies aber zu höheren Lastspitzen führen und die Kosten für elektrische Energie erhöhen.

ToSyCo für sektorenübergreifende Energiesystemoptimierung

Die Plattform TotalSystemControl (ToSyCo) zur Gesamtsystemsteuerung hilft, Zusammenhänge zwischen den (Teil-)Systemen zu identifizieren, intelligente Betriebsstrategien zu entwickeln und Optimierungsmaßnahmen für die Sektorenkopplung in lokalen Energiesystemen zu validieren. Als Rahmen nutzt ToSyCo ein Energiemonitoringsystem, in dem alle energierelevanten Daten zusammenlaufen. Die Wissenschaftler haben verschiedene Anlagen aus dem Reallabor für dezentrale Energiesysteme am Fraunhofer IISB in ToSyCo integriert: Ein Batteriespeichersystem mit einer Kapazität von 60 kWh (aktuell Ausbau auf 100 kWh), ein Großkältespeicher mit einem Volumen von 80 m³, ein Blockheizkraftwerk (BHKW) mit einer elektrischen Leistung von 150 kW und einer Wärmeleistung von 210 kW, zwei Wärmespeicher mit jeweils 12 m³ Volumen sowie eine Wärmepumpe mit einer Wärmeleistung von 50 kW. Die zukünftige Integration weiterer Anlagen, wie eine Redox-Flow-Batterie, ist bereits geplant und vorbereitet.

Zwei-Ebenen-Strategie

Die Betriebsstrategie hat das Projektteam in zwei Ebenen aufgeteilt: Zum einen führt es im Rahmen einer globalen Betriebsstrategie übergeordnete Funktionen aus. Dazu gehören die Lastprognosen der Energiebedarfe, das modellbasierte Fahrplansystem für Energiespeicher sowie die sektorenübergreifende Lastspitzenreduktion. Weiterhin berücksichtigt die Forschungsarbeit verschiedene Preismodelle. Neben dem Arbeitspreis (Entgelt für bezogene Energie) und dem Leistungspreis (Entgelt für höchsten Leistungsbezugs in einem Abrechnungszeitraum in Bezug auf die 15-Minuten-Mittelwerte) gehören zu diesen auch die Intensive und die atypische Netznutzung. Die zweite Ebene beschreibt dagegen die Funktionalität der lokalen Anlagensteuerungen (z. B. SPS), zu welcher die Basis-Funktionen (z.B. Durchflussregelung, Motorklappenansteuerungen etc.), Sicherheitsfunktionen wie Messwertüberwachung und die Bedienung der Anlage gehören. Für den Fall von Kommunikationsstörungen ist auch eine eigenständige lokale Betriebsstrategie für jede Anlage vorhanden, welche den Betrieb auch bei einem Ausfall von ToSyCo sicherstellt – dann aber möglicherweise nicht im idealen Betriebspunkt.

Steigerung der Effizienz von Erzeugungsanlagen

Die Effizienz vieler Erzeugungsanlagen hängt maßgeblich vom Betriebspunkt ab. Bei einer Schraubenverdichter-Kältemaschine ist der Teillastbereich vergleichsweise ineffizient, mit der Erhöhung der abgegebenen Kälteleistung steigt auch die Effizienz der Kältemaschine. Weiterhin benötigt eine Kältemaschine ein sogenanntes Rückkühlwerk, das die aus dem Trägermedium (z. B. Wasser) entzogene Wärme an die Umgebung abführt. Ein Rückkühlwerk arbeitet, je nach eingesetzter Technologie, bei niedriger Außentemperatur und geringer Luftfeuchtigkeit am effizientesten.

Im Rahmen von ToSyCo wurde eine Betriebsstrategie entwickelt, welche einen Kältespeicher unter optimalen Bedingungen be- und entlädt. Die Beladung findet unter Erhöhung der Kältemaschinenauslastung und priorisiert bei niedrigen Außentemperaturen statt. Dazu wird der optimale Beladungszeitraum basierend auf einer Last- und einer Wetterprognose bestimmt. Die Entladung des Kältespeichers erfolgt, wenn das Temperaturmaximum erreicht wird, die Rückkühlwerke also ineffizient arbeiten, oder bei auftretenden elektrischen Lastspitzen. Der erreichbare Effizienzgewinn durch diese Betriebsstrategie beträgt für die Kälteerzeugung des Reallabors IISB 21 %. Unter der Annahme, dass die Kältebereitstellung 30 % des elektrischen Energiebedarfs ausmacht, ist (abhängig vom Preismodell) so eine Reduzierung der Energiekosten um ca. 6,5 % möglich.

Sektorenübergreifende Lastspitzenreduktion

Um eine möglichst hohe und damit wirtschaftliche Lastspitzenreduktion zu erreichen, wurden im Rahmen von ToSyCo intelligente Algorithmen entwickelt, mit denen auf eine Abschaltung von Produktionsanlagen vollständig verzichtet werden kann. Stattdessen werden die Infrastrukturanlagen, wie Batterie, BHKW und Kältespeicher zusätzlich zur Reduktion von Lastspitzen eingesetzt. Die nötigen Betriebsstrategien lassen sich auch in Bestandssysteme integrieren, wenn eine gewisse Flexibilität durch Energiespeicher gesichert ist. Es wird dabei unterschieden zwischen Lastspitzenreduktion durch Speicher, Erzeuger und Verbraucher.

Mittels elektrischer Speicher ist eine direkte Lastspitzenreduktion möglich: Bei zu hohen Lasten werden Batterien durch optimierte Algorithmen entladen und in Niedriglastzeiten wieder beladen. Zusätzlich können Erzeuger zugeschaltet werden. So unterteilten die Forscher in ToSyCo die Speicherkapazität der Pufferspeicher des BHKW softwareseitig in zwei Bereiche, wobei sie einen Bereich exklusiv für den Lastspitzenbetrieb reserviert haben. Der Normalbetrieb (in der Regel wärmegeführter BHKW-Betrieb) wird mit dieser Vorgehensweise nur sehr wenig beeinflusst. Im Lastspitzenfall wird durch das reservierte Volumen eine gewisse Laufzeit des BHKW sichergestellt. Die Parameter dazu werden durch mathematische Optimierungsverfahren und Maschinenlernverfahren (ML) bestimmt.

Zuletzt schaltet das System Verbraucher der Versorgungsinfrastruktur ab, um die elektrische Leistungsaufnahme zu reduzieren. Ein Kältespeicher ermöglicht die Abschaltung der Kältemaschine und des Rückkühlwerks während einer Entladung, auch hierfür berechnet die Software die nötigen Randbedingungen. Mit Hilfe der vorgestellten Anlagen würde das Fraunhofer IISB seine Lastspitze um etwa 25 % reduzieren. Bei einer Lastspitze von einem Megawatt und einem angenommenen Leistungspreis von 100 Euro pro Kilowatt würde das einer Einsparung von 25.000 Euro pro Jahr entsprechen.

System ermittelt beste Kombination

Bei der sektorenübergreifenden Lastspitzenreduktion verwendet ToSyCo ein modulares und erweiterbares Konzept. Alle verfügbaren und in ToSyCo integrierten Komponenten sind mit Prioritäten versehen und melden zu jedem Zeitpunkt die für die Lastspitzenreduktion verfügbare Reduktionsleistung sowie die verfügbare Dauer. Bei Auftreten einer Lastspitze wird aus diesen Informationen die am besten geeignete Einzelanlage oder eine Kombination von mehreren Anlagen ermittelt, um die aktuelle hohe Last abdecken können. Dabei werden die verschiedenen Randbedingungen der Anlagen, wie z. B. Mindestlaufzeiten berücksichtigt. Außerdem beachtet das System den momentanen Zustand der Anlage, um Schaltvorgänge zu reduzieren. Besonders wichtig für die Komponentenauswahl ist die Unterscheidung, ob die verfügbare Leistung konstant oder variabel ist. Das Batteriesystem als flexibler und dynamischer Speicher nimmt dabei eine Sonderrolle ein. Aufgrund seiner schnellen Reaktionszeit wird es zur Überbrückung während der Einschaltvorgänge langsamerer Anlagen genutzt.

2.6.2020 | Quelle: Fraunhofer IISB | www.solarserver.de
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