Mit Wind und Wasserstoff zu grünem Stahl

Im Vordergrnd Stahlseile, im Hintergrund das Stahlwerk mit einem Windrad. Hier soll auch Wasserstoff zum Einsatz kommen.Foto: Oliver Ristau
Im Stahlwerk von Acelor soll Wasserstoff zum Einsatz kommen.
Die Stahl- und Ölindustrie im Norden Deutschlands will mit zwei Wasserstoffprojekten die Dekarbonisierung voranbringen. Dafür braucht sie nicht nur eine finanzielle Förderung, sondern auch mit knapp zwei Gigawatt viel Windenergie. Und auch grauer Wasserstoff spielt eine Rolle.

Dass der Norden Deutschlands stürmisch ist, ist nicht nur eine Binsenweisheit. Es wird auch daran deutlich, dass ein bedeutender Teil der sich an der Westküste Schleswig-Holsteins drehenden Windenergieanlagen dem Einspeisemanagement unterliegt, de facto also abgeregelt werden muss. Diesen Umstand will sich künftig die Raffinerie Heide in Dithmarschen zunutze machen. In der Region habe es 2019 Abregelungen von 45 Prozent gegeben, sagt Jürgen Wollschläger, Geschäftsführer der Raffinerie. Es sei also eine gute Idee, wenn einer der größten Energieverbraucher der holsteinischen Küste künftig Strom abnimmt, um damit einen Elektrolyseur für grünen Wasserstoff zu betreiben.

Die Raffinerie ist Teil des Wasserstoff-Reallabors Westküste 100. Es will die Vernetzung verschiedener Industriezweige und Sektoren bei der Nutzung des grünen Gases erproben. Dazu zählen die Öl- und Zementindustrie, der Verkehr und die Wärmenutzung für Gewerbe. Außerdem sind Speicherung und Transport zentrale Themen. 90 Millionen Euro wollen die beteiligten Unternehmen dafür investieren. Ein Drittel davon stammt aus Bundesmitteln.  

Start mit 30-MW-Elektrolyseur

Anfangen will die Raffinerie mit einem Elektrolyseur mit 30 Megawatt (MW) Leistung. Der könne ausreichend Wasserstoff erzeugen, um ein Viertel des Bedarfs der Raffinerie zu decken. Sie beliefert Chemie- und Ölunternehmen im 40 Kilometer entfernten Brunsbüttel mit dem derzeit noch grauen Gas. „Wir unterhalten dafür eine eigene Pipeline für Kunden mit einer Wasserstoffnachfrage von einem Gigawatt“, erklärt Wollschläger. „Dieser Wasserstoff stammt derzeit noch aus fossilen Quellen.“

Im nächsten Schritt will die Raffinerie eine Pilotanlage mit bis zu 100 MW bauen und den Elektrolyseur schließlich auf 700 MW hochskalieren. Dann könnte er ausreichend Wasserstoff liefern, um eine Tankstelle zu betreiben, mit der Abwärme ein Gewerbegebiet zu versorgen und synthetisches Kerosin zu produzieren.

E-Kerosin für Flughafen Hamburg

Die Dithmarscher sind beim Thema E-Fuels schon ziemlich weit. Sie haben mit dem Flughafen Hamburg und der Lufthansa eine Absichtserklärung geschlossen, ab 2024 synthetisches Kerosin zu liefern. „Es geht um 5 Prozent der Menge, die wir jährlich an den Flughafen in einer Größenordnung von 350.000 Tonnen absetzen“, sagt Wollschläger. Die synthetischen Kraftstoffe seien wichtig für Flugzeuge, Schiffe und den Schwerlastverkehr. „Dort gibt es keine Alternativen. Der Luftverkehr hat den höchsten Druck zu dekarbonisieren.“ Der Kohlenstoff dafür soll aus einem Zementwerk stammen. Dieses könnte einen zentralen Prozess komplett auf Sauerstoff umstellen. Das Gas würde die Raffinerie Heide liefern als „Abfallprodukt“ aus der Wasserstoffherstellung. Das Zementwerk wiederum könnte dadurch als Abgas reines CO2 freisetzen. Der aufgefangene Kohlenstoff würde in Heide zusammen mit Wasserstoff zu Kerosin synthetisiert.

Doch der Bedarf an grünem Strom für diese Vision ist groß. „Wir brauchen für 700 MW Elektrolyse einen Offshore-Windpark mit 900 MW Leistung“, sagt Wollschläger. Wie der Strom exakt beschafft werde, ob über einen Stromliefervertrag, den Spotmarkt oder eine Kombination aus beidem, sei noch nicht klar. Die Gaskavernen, die in der Umgebung der Raffinerie vorhanden, aber nicht mehr im Einsatz sind, spielen dabei eine wichtige Rolle.

Wasserstoff bei viel Wind und Sonne

„Das ganze System funktioniert nur, wenn Sie auch einen Speicher haben“, so der Manager. „Also werden wir die Kavernen nutzen, um Wasserstoff dann zu erzeugen, wenn wir hier viel Wind und Sonne haben.“ Allerdings stößt eine flexible Fahrweise des Elektrolyseurs schnell an ihre Grenzen. Das erwartet jedenfalls die Denkfabrik Agora Energiewende. So benötige eine industrielle Wasserstoffanlage 3.000 bis 4.000 Betriebsstunden, schreiben die Berliner in einer Studie. Über Abregelungen seien bestenfalls 2.000 Stunden drin.

„Diese Dinge wollen wir mit dem Reallabor erproben“, sagt Wollschläger. Für die Wirtschaftlichkeit seien aber Absatzfragen entscheidend. So sei die Europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED II zügig in nationales Recht umzusetzen. „Nur dann können wir den grünen Wasserstoff auf unsere Quoten anrechnen“. Alle, die Mineralöle in den Verkehr bringen, sind nach der RED verpflichtet, Bio-Quoten zu erfüllen. Mit der RED II zählt erstmals grüner Wasserstoff dazu. Auch die Befreiung des grünen Stroms von der EEG-Umlage sei wichtig.

Wollschläger räumt zugleich ein, dass für Heide als eine der kleinsten Raffinerien in Europa der grüne Wasserstoff eine Chance darstellt. „Wir müssen unser Geschäftsmodell überdenken, um noch in 10 Jahren hier eine Zukunft zu haben.“

Wasserstoff für grünen Stahl

Wirtschaftlichkeit und Windkraft sind auch die entscheidenden Parameter für den grünen Stahl, wie ihn ArcelorMittal künftig im Hamburger Hafen gewinnen will. Dafür plant der größte Stahlerzeuger der Welt in einem ersten Schritt den Bau eines 50-Megawatt-Elektrolyseurs. 

Der soll künftig den Wasserstoff für eine Demonstrationsanlage liefern, in der der Stahlspezialist seine Eisenerze chemisch zu so genanntem Eisenschwamm reduziert. 

Bisher kommt für diesen Prozess, bei dem den Erzpellets der Sauerstoff entzogen wird, Synthesegas auf Basis von Erdgas zum Einsatz. Das sorgt aktuell noch für CO2-Emissionen von 800 Kilo pro Tonne des Endproduktes Walzdraht. Das ist zwar nur halb so viel wie das in der Branche gängige Hochofenverfahren unter Verwendung von Kokskohle, aber dennoch reichlich. „Mit 100 Prozent Wasserstoff können wir auf 100 Kilogramm kommen. Das nenne ich dann grünen Stahl“, sagt Uwe Braun, Sprecher der Geschäftsführung der ArcelorMittal Hamburg GmbH.

Die Demoanlage könnte die Erzeugung von 100.000 Tonnen der insgesamt jährlich produzierten 600.000 Tonnen Eisenschwamm klimafreundlich machen. Der geplante 50-MW-Elektrolyseur würde dafür Ökostrom in der Größenordnung von 22 Offshore-Windkraftanlagen mit je 5 MW Leistung  benötigen. Wolle man das gesamte Werk auf grünen Wasserstoff umstellen, so stiege der Bedarf auf 350 Gigawattstunden oder mehr als 1.000 MW Windkraft-Leistung vom Meer, rechnet Braun vor.

Bezahlbarkeit erforderlich

Unter den aktuellen Bedingungen würde das ökonomisch keinen Sinn ergeben. Wegen der Stromkosten, aber vor allem wegen der neuen Technologie, die bisher weltweit noch niemand einsetze. „Wir wären mit 100 Prozent Wasserstoff bei drei Euro pro Kilo. Mit Erdgas kostet uns das nur einen Euro. Das bezahlt uns aktuell niemand“, so der Stahlmanager.

Denn die Nachfrage für Öko-Stahl sei bei Großabnehmern wie der Automobilindustrie nicht vorhanden. Deshalb werde es ohne politische Unterstützung nicht gehen. Einen Anreiz könnten die in Diskussion stehenden Differenzkontrakte für CO2 bieten. Dabei geht es im Kern darum, dass der Staat denjenigen, die den Ausstoß von CO2 durch neue Technologien vermeiden, einen bestimmten Preis für ihre dadurch überschüssigen Emissionszertifikate garantiert. Die Logik: Sie können dann ihre Zertifikate zu einem attraktiven Preis verkaufen und erhalten somit einen finanziellen Ertrag, der die Investition in die kohlenstoffarme Technologie lukrativ macht. Noch ist es allerdings nicht so weit, denn ArcelorMittal will zur technischen Erprobung des neuen Verfahrens zunächst auf grauen Wasserstoff setzen.

Einstieg mit grauem Wasserstoff

Das hat auch Gasnetz Hamburg 25 Kilometer weiter in einem neuen Wohnkomplex in Bergedorf vor. Dort will der kommunale Versorger in einem Inselnetz für die Wärmeversorgung von 270 Wohneinheiten bis zu 30 Prozent Wasserstoff testen. Zwei BHKW sollen so ihren Bedarf decken. Dazu stehen an der Energiezentrale vor den neuen Häuserblöcken Anschlüsse für klassische Gasflaschen. Künftig sollen dort Bündel mit 12 Flaschen zu je 150 Liter über einen Mischer in das Netz einspeisen. „Es geht darum Erfahrungen zu sammeln, wie sich ein hoher Anteil an Wasserstoff auf Motoren und Brenner auswirkt“, erläutert Projektmanager Tom Lindemann. Das sei eine wichtige Frage für den künftigen grünen Wasserstoff. Mehr als 30 Prozent im Erdgasnetz sieht der kommunale Netzbetreiber übrigens wegen der unterschiedlichen Brennwerte der Gase kritisch. Nicht alle Geräte kämen damit zurecht. Für mehr Wasserstoff müssten dann eigene Leitungen her.

18.9.2020 | Autor: Oliver Ristau
© Solarthemen Media GmbH

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