Kerstin Andreae, BDEW: Wir fordern massiven PV-Zubau

BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin AndreaeFoto: BDEW /Roland Horn
Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW
Die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) fordert im Interview mit den Solarthemen einen stärkeren Ausbau der Photovoltaik und Erleichterungen für Eigenverbraucher. Andreae arbeitet seit November 2019 beim BDEW. Von 2002 bis 2019 war sie für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.

Solarthemen: Frau Andreae, der BDEW hat zur Novelle des EEG Forderungen aufgestellt, die auch von Solar- und Windverbänden stammen könnten. Das war nicht immer so. Haben Sie eine Erklärung für diese Verwandlung des BDEW?

Kerstin Andreae: Der BDEW marschiert schon seit langem in Richtung erneuerbare Energien und Energiewende. Bereits im Jahr 2009 hat sich der Verband geschlossen für eine CO2-neutrale Energieversorgung im Jahr 2050 ausgesprochen. Anders wäre es der Energiewirtschaft wohl kaum gelungen, innerhalb der vergangenen 30 Jahre ihre CO2-Emissionen um 44 Prozent zu senken. Das 2020-Ziel der Bundesregierung haben wir damit als einziger Sektor erreicht und sogar übererfüllt.

Langwierige Genehmigungsverfahren

Man hat fast den Eindruck, dass der Ausbau der Erneuerbaren dem BDEW gar nicht schnell genug gehen kann. Wo sehen Sie eine Grenze?

Es muss immer die Balance zwischen Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltschutz gewahrt werden. Ich denke, dass uns das in Deutschland bislang gut gelingt, auch wenn es an der einen oder anderen Stelle natürlich noch Nachbesserungsbedarf gibt, zum Beispiel mit Blick auf die viel zu hohe Umlagen- und Abgabenlast beim Strompreis. Die eigentlichen Grenzen werden uns aber durch die Politik gesetzt. Sie haben recht, unsere Unternehmen möchten den Ausbau der Erneuerbaren noch viel stärker vorantreiben, doch langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren, fehlende Flächen für neue Anlagen und andere regulatorische Hemmnisse bremsen viele Vorhaben aus.

Wenn Sie einen sehr hohen Anteil an erneuerbaren Energien an der Energieversorgung anstreben, ziehen dann all Ihre Mitglieder tatsächlich mit? Einige verdienen ihr Geld – noch – mit der Kohle. Wie integrieren Sie diese Mitglieder?

Unsere Mitgliedunternehmen stehen fest hinter der Energiewende und den Klimazielen. Keines stellt in Frage, dass unser Energiesystem klimaneutral werden muss. Die Unternehmen, die noch Kohlekraftwerke betreiben, benötigen einen fairen Ausgleich für die Abschaltung. Dafür haben wir uns in der Kohlekommission und im Prozess um das Kohleausstiegsgesetz eingesetzt. Aber auch mit einem klimaneutralen Energiesystem lässt sich Geld verdienen. Das ist ein Geschäftsmodell und steigert gleichzeitig die Wertschöpfung in Deutschland.

Netzausbau und EE-Ausbau

Ein wesentlicher Kritikpunkt, der gegen Erneuerbare ins Feld geführt wird, ist der aus Sicht der Kritiker nicht ausreichende Netzausbau. Diese Kritik legt nahe, den EE-Ausbau eher langsam angehen zu lassen, damit zunächst der Netzausbau vorangebracht wird. Wie berechtigt ist diese Forderung?

Wir brauchen beides: einen forcierten Netzausbau und mehr Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Unsere Unternehmen sind auch bereit, in den Netzausbau zu investieren. Doch oftmals bremsen langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren ihre Investitionen aus. Auch ein nachhaltig wirkender Regulierungsrahmen ist für die milliardenschweren Investitionen in die Netzinfrastruktur grundlegend.

Die Bundesregierung hatte in ihrem Gesetzentwurf zum EEG vorgesehen, in den kommenden Jahren alle Anlagen schon ab 1 Kilowatt Leistung mit intelligenten Messsystemen auszustatten. Nun lehnt der BDEW das aber ab. Wäre es nicht toll für die Energieversorger bzw. die Netzbetreiber, wenn sie alles digital regeln könnten?

Der BDEW unterstützt die Digitalisierungsstrategie der Bundesregierung, allerdings muss Augenmaß gerade bei den Anforderungen für kleine Anlagen gelten. Der Aufwand für die Ausrüstung von Kleinstanlagen mit Kommunikationsanschluss und Steuerungstechnik ist enorm und steht in keinem Verhältnis zum Nutzen der „Sichtbarkeit“ dieser Anlagen im Netz. Die Kosten hierfür müssten zu einem großen Teil die Anlagenbetreiber tragen. Das wird eher abschrecken und den Ausbau und die Nutzung von PV auf dem Dach schmälern.

Kosten des Netzes gerecht verteilen!

Im Rahmen der EEG-Debatte fordern Sie deutliche Erleichterungen für den Eigenverbrauch. Vor einigen Jahren sprach man in Energiewirtschaft und Politik aber noch von Entsolidarisierung, weil Anlagenbetreiber zwar vom EEG profitierten, aber dessen Finanzierung andere zu schultern hätten. Warum positioniert sich der BDEW inzwischen anders bei dieser Frage?

Für die Erreichung der Ausbauziele von 65 Prozent erneuerbare Energien bis 2030 ist die Photovoltaik eine wichtige Säule. Die Aussicht, sich auch aus größeren PV-Anlagen EEG-umlagefrei versorgen zu können, wird nach unserer Einschätzung Neubauten deutlich anreizen. Neben dem Eigenverbrauch bieten sich hier auch Möglichkeiten für den nachbarschaftlichen Stromhandel und die gemeinschaftliche Nutzung einer Erzeugungsanlage durch viele Abnehmer. Allerdings muss die Finanzierung des neuen Systems so aufgestellt werden, dass auch bei einem hohen Anteil dezentraler Erzeugung die Kosten gerecht verteilt sind. Die aktuellen Regelungen über Befreiungen von umgelegten Kosten, die dann auf weniger Zahler gewälzt werden, funktionieren dann nicht mehr. Klar muss sein: Je dezentraler die Energieversorgung wird, umso wichtiger wird ein stabiles und ertüchtigtes Netz.

Weniger restriktive Personenidentität beim Eigenverbrauch!

Derzeit ist das EEG von vielen Restriktionen geprägt. Es könnte einfacher sein, wenn Eigenversorgung ohne hohe EEG-Umlage auch in Arealen oder in Mietshäusern möglich wäre. Dafür müsste man sich vom Paradigma der Personenidentität verabschieden. Fände der BDEW das gut?

Im Rahmen der aktuellen EEG-Novelle fordert der BDEW eine weniger restriktive Haltung bei der Personenidentität generell. Aktuell diskutieren wir aber auch mit unseren Mitgliedsunternehmen intensiv, wie attraktive vertriebliche Modelle ermöglicht werden können. In diesem Zusammenhang sind aber noch etliche Fragen zu klären, beispielsweise in Bezug auf Messen, Bilanzieren und Abrechnung an Netzverknüpfungspunkten. Wie alles im Energierecht ist auch dieses Thema hochkomplex und greift tief in angrenzende Bereiche ein. Der BDEW versteht sich als Komplexitätsmanager. Es ist Aufgabe des Verbandes bei solchen komplexen Fragen sinnvolle Lösungen zu entwickeln.

Beteiligung am Backup!

Allerdings sind Sie offenbar in Sorge, dass ein wachsender Eigenverbrauch zu Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Netze führen könnte. Sie fordern, alle Anlagen müssten einen angemessenen Beitrag zur Netzinfrastruktur leisten. Können Sie kurz skizzieren, wie Sie sich das vorstellen?

Wie gesagt: Wir brauchen ein stabiles Netz. Wer sich (weiter) über das Netz der öffentlichen Versorgung absichert, sollte sich auch an den Kosten für das Backup beteiligen. Auch dazu gibt es im BDEW einen Diskussionsprozess, wie man diese finanzielle Beteiligung am besten ausgestalten könnte. Hier stehen aktuell viele sehr unterschiedliche Modelle im Raum, die nun von allen Seiten beleuchtet werden, um zu einer guten gemeinsamen Lösung zu kommen.

Wie kann man sicherstellen, dass dies nicht zu so hohen Kosten für die Anlagenbetreiber führt, dass sich der Betrieb von Eigenversorgungsanlagen dann doch nicht mehr lohnt?

Wie gesagt, die Diskussionen im Verband laufen auf Hochtouren. Dabei haben wir natürlich auch im Blick, dass eine Beteiligung von Eigenversorgern an den Kosten für die Sicherheitsleistung des Netzes angemessen sein muss. Auch hier gilt es, eine komplexe Anforderung sinnvoll zu lösen: Dezentrale Energieversorgung und die Finanzierung eines stabilen Netzes, ohne den Ausbau bei den erneuerbaren Energien zu mindern.

„PV-Standard“ für Neubauten

Was ist Ihnen mit Blick auf die EEG-Novelle besonders wichtig?

Es ist gut, dass die EEG-Novelle klare Ausbaupfade festschreibt. Mit Blick auf einen steigenden Stromverbrauch und absehbar höhere Ausbauziele sollte bei Zubaumengen und Ausschreibungsvolumina aber flexibel nachgesteuert werden können. Wir fordern zudem einen massiven Zubau von Photovoltaik-Anlagen, sowohl in der Freifläche als auch auf den Dächern. Hierauf zielt auch unsere gerade besprochene Forderung ab, Anlagen bis 30 kW von der EEG-Umlage zu befreien. Die Einführung der Ausschreibung für PV-Dachanlagen ist positiv. Wir fordern zudem einen „PV-Standard“ für Neubauten. Im Hinblick auf Anlagen, für die nach 20 Jahren die EEG-Förderung endet, muss das Repowering im Mittelpunkt stehen, um bestehende Standorte mit modernen, effizienteren und leistungsstärkeren Anlagen weiter zu nutzen.

Was denken Sie, wie wird das EEG in ein paar Jahren aussehen?

Ich kann Ihnen nur sagen, was ich mir wünschen würde: Eine grundlegende Reform des Abgaben- und Umlagensystems für erneuerbare Energien. Das aktuelle Förderregime stößt schon jetzt an seine Grenzen. Hier muss grundlegend neu gedacht werden. Ein wichtiger Baustein ist hierbei die ab 2021 geltende nationale CO2-Bepreisung. Es ist gut, dass nicht mit 10, sondern mit 25 Euro gestartet wird und dass auch die Sektoren Gebäude und Verkehr eingebunden werden. Und wir können damit die Finanzierung der Erneuerbaren ein Stück weit flankieren. Aber die Erneuerbaren können und sollen auch mehr und mehr ohne Förderung ausgebaut werden. Dazu brauchen wir sinnvolle Marktinstrumente, die sich teilweise jetzt schon entwickeln.

17.12.2020 | Interview: Andreas Witt
© Solarthemen Media GmbH

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