Franziska Heß: Klimaschutz ist einklagbar

Porträt von Franziska HeßFoto: Torsten Repper
Rechtsanwältin Dr. Franziska Heß vertrat eine der Klagen zum Klimaschutzgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht
Dr. Franziska Heß hat eine der Klagen gegen das Klimaschutzgesetz beim Bundesverfassungsgericht vertreten. Die Fachanwältin für Verwaltungsrecht ist Partnerin der Kanzlei Baumann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft in Leipzig. Die Solarthemen sprachen mit ihr über rechtliche Konsequenzen, die aus dem Urteil des Verfassungsgerichts zu ziehen sind - auch für das Energierecht.
Solarthemen: Ich vermute, dass Sie nicht jede Woche mit einer Verfassungsklage zu tun haben. Wie toll ist es, mit einer solchen Klage zum Klimaschutz beim Bundesverfassungsgericht erfolgreich gewesen zu sein?

Dr. Franziska Heß: Das ist selbstverständlich ganz toll. Damit haben wir in dieser Deutlichkeit auch nicht gerechnet. Denn wir haben hier klar juristisches Neuland betreten. Wir vertreten zwar durchaus auch Verfassungsklagen. Aber eine solche Klage gegen den Gesetzgeber ist schon sehr ungewöhnlich. Umso mehr freut es uns natürlich, dass das ein so durchschlagender Erfolg geworden ist.

Wie lässt sich das jetzt getroffene Urteil zum Klimaschutzgesetz kurz bewerten und einordnen?

In aller Kürze kann man sagen: Verfassungsklagen auf mehr Umwelt- und Klimaschutz können erfolgreich sein. Und das ohne dass der letztlich fast unmögliche Nachweis geführt werden müsste, dass jedes einzelne Klimaschutzgesetz untauglich ist. Es gibt ein Grundrecht auf Klimaschutz. Und die Grundrechte schützen dabei auch die intertemporale und die grenzüberschreitende Freiheit der Einzelnen. Das ist ein Meilenstein für das Recht. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist zudem ein vom Gericht festgestelltes Grundrecht auf das ökologische Existenzminimum.

Ist es denn wichtig, dass das Gericht Artikel 20 des Grundgesetzes auch auf den Klimaschutz bezieht?

Dass Klimaschutz eine Staatsaufgabe ist, ergibt sich aus Artikel 20a des Grundgesetzes, woraus letztlich auch eine Pflicht zur Berücksichtigung bei jeglichem staatlichen Handeln folgt. Neu ist, dass Artikel 20a den Gesetzgeber zum Klimaschutz ganz konkret nach Maßgabe des Paris-Abkommens verpflichtet und den Bürger:innen zugleich insoweit ein einklagbares Grundrecht zuerkannt wurde. Folglich wird ein in dieser Form sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Verwaltung bisher nicht vorhandener gewichtiger Belang zu berücksichtigen sein, in dessen Licht staatliches Handeln dann auch bewertet werden muss.

Die Richter:innen beziehen sich auch auf das vom Sachverständigenrat für Umweltfragen ermittelte Restbudget an CO2 für Deutschland. Folgt man dem, ist unser Budget schon 2030 fast verbraucht. Das Gericht spricht dem Gesetzgeber aber einen Ermessensspielraum zu, weil die Berechnung des CO2-Restbudgets noch mit Unsicherheiten behaftet sei. Inwiefern muss der Gesetzgeber nach dem Urteil die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Blick behalten und bei Maßnahmen vor 2030 eventuell nachlegen?

Generell hat das Gericht klargestellt, dass sich die Politik an der Wissenschaft orientieren muss. Die Tatsachen müssen also sorgfältig ermittelt werden, und zwar auch dann, wenn diesbezüglich Lücken bestehen. Beispielsweise zur Frage der 1,5-Grad-Grenze hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, das sei zum jetzigen Zeitpunkt aus ihrer Sicht noch nicht verfassungsrechtlich verbindlich. Aber dem Gesetzgeber ist hier eine sehr strenge Beobachtungspflicht aufgegeben. Und in dem Moment, wo die 1,5-Grad-Grenze etwa in einem IPCC-Bericht als eine verbindlich einzuhaltende vorgegeben wird, wirkt das Ganze aus Sicht des Gerichtes auch auf den Inhalt des Artikels 20a Grundgesetz und die 1,5-Grad-Grenze erstarkt zu verfassungsrechtlicher Verbindlichkeit. Das ist der eine Punkt.

Zur Frage, ob auch schon für den Zeitraum vor 2030 Maßnahmen ergriffen werden müssen, kann man sagen, dass formal betrachtet nach dem Beschluss des Gerichts natürlich nur der Minderungspfad ab 2031 angepasst werden muss. Rein faktisch wird aber eine Änderung des Klimaschutzgesetzes für die Zeit ab 2031 nicht reichen. Sondern man muss auch an die bisher vorgesehenen Verbräuche des CO2-Budgets heran. Wichtiger und wirksamer wären zudem Änderungen auf EU-Ebene. Also ist hier eine nicht mehr bremsende, sondern antreibende Rolle Deutschlands erforderlich. Das gilt zum Beispiel für die Integration aller fossilen Brennstoffe in den EU-Emissionshandel und die Streichung aller Alt-Zertifikate.

Das Urteil bezieht sich allein auf das Klimaschutzgesetz. Kann es sich auch auf andere Gesetze auswirken?

Davon bin ich überzeugt. Es wird nicht ausreichen, nur das Klimaschutzgesetz anzugehen und dessen Zielsetzungen zu verändern. Sondern der Gesetzgeber muss natürlich die entsprechenden Maßnahmen sektorspezifisch angehen. Und da wird am Ende gar nichts anderes übrig bleiben, als auch andere Agrar- und Energiegesetze, wie das EEG und das Kohleausstiegsgesetz, auf den Prüfstand zu stellen. Denn ein realistischer Transformationspfad wird den hohen Budgetverbrauch bis 2030 reduzieren müssen. Und dafür brauchen wir in allen Sektoren entsprechende Änderungen, die dann auch umgesetzt werden müssen.

Nehmen wir als Beispiel das Gebäudeenergiegeseetz, das GEG. Die Vorgaben sind relativ lasch. Gleichzeitig lassen sich heute schon recht gut Gebäude errichten, die bessere Energiestandards erfüllen. Ist es noch im Einklang mit dem Urteil, wenn GEG-Vorgaben nicht einmal dem Stand der Technik entsprechen?

Na ja. Man darf das Urteil und seine Begründung nicht als Prüfungsmaßstab für jedes einzelne Gesetz und jede Maßnahme heranziehen. Das entspräche weder dem Grundsatz der Gewaltenteilung noch dem vom Bundesverfassungsgericht auch betonten weiten Ermessensspielraum des Gesetzgebers. In der Entscheidung wurden – so kann man sagen – äußere Grenzen definiert und gefordert, dass die Gesamtbilanz stimmen muss. Das erlaubt es dem Gesetzgeber selbst zu entscheiden, ob und wann er stärkere Maßnahmen in den einzelnen Sektoren vornimmt. Bezogen auf das Gebäudeenergiegesetz wird man sicher berücksichtigen müssen, dass Verbesserungen hier ein sehr hohes Energiesparpotenzial aufweisen. Zugleich hat der Gesetzgeber aber eine breite Palette an Maßnahmen, die in Frage kommen. So gibt es nicht nur strikte gesetzliche Maßnahmen, sondern auch Anreizsysteme. Daher kann man nicht sagen, das Gebäudeenergiegesetz sei unvereinbar mit dem Beschluss.

Wie stark wirkt dieses Urteil zum Klimaschutz dann nun generell auf den Gesetzgeber? Muss er neue oder bestehende Gesetze daraufhin überprüfen, ob sie mit dem vom Verfassungsgericht formulierten Staatsziel Klimaschutz in Einklang stehen?

Davon kann man ausgehen. Ich hatte eingangs schon gesagt, dass Klimaschutz eine Staatsaufgabe ist. Das ergibt sich bereits aus Artikel 20a des Grundgesetzes. Und schon aus dieser Staatsausgabe folgt eine grundsätzliche Pflicht zur Berücksichtigung der Klimaschutzziele bei jeglichem staatlichen Handeln. Jetzt ist dies aber subjektiv rechtlich außerdem mit einklagbaren Grundrechten unterlegt. Damit ist klar: Wir haben einen in dieser Form sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Verwaltung gewichtigen Belang zu berücksichtigen. Und in diesem Lichte muss jegliches staatliches Handeln ganz konkret bewertet werden. Und wenn die Zielsetzungen im Klimaschutzgesetz verstärkt werden, zwingt das zu Anpassungen in den einzelnen Sektorgesetzen, damit die Maßnahmen überhaupt geeignet sind, verschärfte Klimaziele zu erreichen.

Folgt generell aus dem Urteil zum Klimaschutzgesetz des Bundesverfassungsgerichts, dass gesetzliche Grundlagen am Ziel des Klimaschutzes zu messen sind?

Vor allem bezogen auf die Gesamtbilanz – ja. Erforderlich ist letztlich ein integriertes Vorgehen in allen betroffenen Bereichen. Die Politik muss den Transformationsprozess in eine klimaneutrale Lebens- und Wirtschaftsweise mit Hochdruck einleiten. Und dabei wird es nicht nur um eine Verschärfung der Ziele gehen, sondern vor allem auch um konkrete Maßnahmen. Und dabei sind schwierige Fragen der grundrechtlichen Betroffenheiten zu entscheiden, wie Eigentumsbelange und sonstige Freiheitsrechte, die durch verschärfende Klimaschutzmaßnahmen beeinträchtigt sein könnten. Da brauchen wir einen offenen Diskurs, um die geeignetsten Maßnahmen zu finden, die mit einem möglichst grundrechtsschonenden Eingriff verbunden sind, aber dennoch in einer geeigneten Art und Weise zur Klimaneutralität führen.

Noch mal konkret: Welche Bedeutung kann das jetzt getroffene Urteil für das Erneuerbare-Energien-Gesetz und den Ausbau der Erneuerbaren haben?

Darüber kann man jetzt nur spekulieren. Die Änderung des EEG ist aber bereits in der Diskussion. So haben die Grünen gerade einen Gesetzentwurf eingebracht, der eine kurzfristige Erhöhung der Ausbauziele für erneuerbare Energien für die Jahre 2022 und 2023 vorgeschlagen hat mit den entsprechenden Anpassungen beim Ausbaupfad und bei den Ausschreibungen. Zugleich wurde in Grundzügen eine Überarbeitung des EEG vorgeschlagen, die aber sicherlich mehr Zeit braucht. Da der Ausbau der Erneuerbaren zuletzt ins Stocken geraten ist, sind sicherlich auch hier entsprechende Maßnahmen in den Blick zu nehmen, um die Staatsaufgabe Klimaschutz zu erfüllen.

20.5.2021 | Interview: Andreas Witt | Solarserver
© Solarthemen Media GmbH

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