Interview mit Oliver Krischer: Wir stellen die Weichen neu
Solarthemen: Herr Krischer, zunächst herzlichen Glückwunsch zum neuen Amt. Hatten Sie selbst schon damit gerechnet, sich hier engagieren zu können, oder kam das überraschend?
Oliver Krischer: Bei der Bildung einer Bundesregierung ist es immer in Teilen eine Überraschung, ob und welches Amt man bekommt. Es hat da ja einige Überraschungen gegeben – auch bei anderen Parteien. Natürlich ist man, wenn man so wie ich jahrelang Energiepolitik gemacht hat, im Gespräch. Und ich konnte mir das auch vorstellen. Aber natürlich ist es am Ende toll, wenn man eine solche Aufgabe tatsächlich übernehmen darf.
Wo sehen Sie im neuen Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Ihre Aufgaben und Schwerpunkte?
Ich konzentriere mich auf die Klima- und Energiepolitik und in diesem Zusammenhang auch auf die Transformation der Industrie. Es ist die große Aufgabe dieses Ministeriums, dass wir das, was seit vielen Jahren eher als Floskel verwendet wurde, nämlich die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie, jetzt beim Klimaschutz im Ministerium praktizieren. Und damit machen wir auch deutlich, dass die Transformation der Wirtschaft eine Basis für den Klimaschutz und ebenso für künftig erfolgreiches Wirtschaften ist. Die damit verbunden Aufgaben werde ich da auf jeden Fall bearbeiten.
Kommt es nun auf die ersten 100 Tage an oder geht es von vornherein um einen längeren Lauf?
Das ist nicht nur ein längerer Lauf, sondern ein Marathon. Denn in den letzten 16 Jahren ist viel zu wenig gemacht worden. Es sind sogar wie bei den erneuerbaren Energien unzählige Bremsen installiert worden. Das alles in eine andere Richtung zu bewegen, wird nicht in den ersten 100 Tagen zu machen sein. Aber wir werden natürlich ein Klimaschutzsofortprogramm vorlegen, dass innerhalb des ersten Jahres umgesetzt werden soll. Das ist auch das erklärte Ziel des Koalitionsvertrages. Dabei sind die Ziele klar definiert. Bis 2030 wollen wir bei den Erneuerbaren im Stromsektor bei einem Anteil von 80 Prozent sein. Das bedeutet innerhalb von acht Jahren eine Vervielfachung des Ausbaus. Da liegt der Fokus nicht so sehr auf den ersten 100 Tagen, sondern es geht darum, die Weichen in eine ganz andere Richtung zu stellen.
Jetzt beschleunigen!
Sie sagten, es sei ein Marathon, und es geht um viele Aufgaben. Doch womit fangen Sie an?
Ganz entscheidend ist für uns, dass wir den Ausbau der Erneuerbaren jetzt beschleunigen, insbesondere bei Wind- und Solarenergie. Dass wir all das, was es an Hürden, Bremsen, falschen Weichenstellungen gegeben hat, beseitigen. Das werden wir ganz systematisch angehen, und das wird dann auch im Klimaschutzsofortprogramm verankert werden. Wir werden bald prüfen, ob wir jetzt einzelne Maßnahmen auch schon schneller realisieren können. Das hat zusammen mit dem vorzeitigen Kohleausstieg bis 2030 die absolute Priorität. Der Ausbau der Erneuerbaren ist dabei der Dreh- und Angelpunkt. Wir brauchen Strom aus Wind- und Solarenergie für die Versorgung. Und wenn wir das mit der Transformation der Industrie ernst meinen, wenn wir etwa CO2-freien Stahl in Deutschland herstellen wollen, dann brauchen wir erneuerbaren Strom in ganz anderen Mengen als bisher.
Dabei ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz sicherlich ein ganz wesentliches Instrument. Doch mit welchen Ausbaukorridoren wollen Sie das gesetzlich unterlegen? Oder wollen Sie vielleicht ganz darauf verzichten?
Angesichts der Ziele, die wir uns gegeben haben, ist völlig klar, dass wir die nach oben legen. Und wir werden von Deckeln eher zu Untergrenzen kommen müssen. Die Zeiten, wo man gebremst hat und wo man das Signal eher auf weniger Erneuerbare gesetzt hat, sind vorbei. Das drehen wir jetzt um. Die Bremsen haben zunächst die Solarbranche und in vergangenen Jahren die Windbranche getroffen. Wir wollen jetzt eine Politik der Ermöglichung und Entfesselung. Ich weiß, dass das in vielen einzelnen Fragestellungen auch nicht einfach zu lösen ist, und es sind auch Abwägungsentscheidungen zu treffen. Aber das, was da an Bremsen, Deckeln und Schikanen in Gesetzen in den letzten Jahren eingebaut wurde, das versuchen wir natürlich an den Stellen, wo es möglich ist, herauszunehmen.
Absurde Situation beim Mieterstrom
Im Koalitionsvertrag steht, dass sie bei der Photovoltaik bürokratische Hürden abbauen wollen. Aber was heißt das konkret? Wo sehen Sie selbst die größten Hürden?
Man kann das nur an einzelnen Beispielen zeigen. So haben wir die absurde Situation, dass man in Deutschland als normaler Vermieter praktisch keinen Strom für seine Mieter erzeugen und ihnen verkaufen kann. Der damit verbundene bürokratische Aufwand führt dazu, dass Vermieter das nicht machen. Das sind Dinge, die wir schnell und bald ändern wollen. Wir wollen Energy-Sharing möglich machen. Das lässt ja auch die Europäische Union ausdrücklich zu. Sie fordert sogar, dass sich Menschen im lokalen Kontext zu Energieerzeugungsgemeinschaften zusammenschließen können. Das ist heute bislang leider gar nicht möglich oder mit einem so großen Aufwand verbunden, dass es fast niemand macht. Das sind all die Fragestellungen, die wir jetzt angehen. Das muss man natürlich so tun, dass es am Ende auch verträglich für das Energiesystem und das Stromnetz ist. Daher wird es nicht ganz ohne Regeln gehen. Aber wir wollen das deutlich vereinfachen.
Krischer will weniger Komplexität
Ein Punkt, der nach meinem Eindruck in den vergangenen Jahren zur Komplexität des Gesetzes beigetragen hat, ist die geforderte Personenidentität, die eng mit der Befreiung von der EEG-Umlage verknüpft ist. Wollen Sie sich davon verabschieden?
Wie wir es genau im Detail umsetzen, müssen wir noch sehen. Aber es ist eines der Probleme. Wir haben eine verrückte Situation. Die erlebe ich selbst bei mir zuhause. Mein Nachbar kann keinen Strom erzeugen, ich kann mehr erzeugen als ich verbrauche. Aber ich kann mich mit meinem Nachbarn nicht zusammentun, um die Solaranlage gemeinsam zu nutzen. Das sind die Punkte, wo die Menschen nur den Kopf schütteln können und fragen, was das für Regeln sind. Genau das wollen wir vereinfachen und eine Strategie des Ermöglichens umsetzen.
Im Vertrag ist auch zu lesen, dass Sie die Vergütungssätze anpassen wollen. Heißt das, Sie wollen sie anheben oder nur langsamer abzusenken?
Grundsätzlich sehen wir natürlich erstmal, dass Solarstrom günstig geworden ist. Wir haben inzwischen die Möglichkeit, dass er selbst vermarktet und selbst verbraucht werden kann. Dafür sollte er auch vor allen Dingen eingesetzt werden. Dabei ist aber auch klar, dass gerade für große Solaranlagen und auch für Freiflächenanlagen entsprechende Vergütungen bzw. Marktprämien zur Absicherung der Investitionen erforderlich sind.
Neues Strommarktdesign
Da werden wir uns den Markt und die Situation genau angucken. Damit eben nicht das passiert, was in der Vergangenheit passiert ist, dass durch zu schnelle Absenkungen Projekte unwirtschaftlich geworden sind und so der Ausbau verlangsamt worden ist. Das knüpft an ein weiteres grundsätzlicheres Thema an: Wir werden ein Strommarktdesign entwickeln, wo Erneuerbare nun endgültig die bestimmende Energie sind und wo wir am Ende auch für große Anlagen mehr Möglichkeiten schaffen, dass diese Anlagen auskömmlich im Markt betrieben werden können. Es ist das Ziel, dass wir in der Perspektive keine festen Vergütungssätze mehr brauchen.
Bei großen Dachanlagen wurden gerade die Grenzen für die Ausschreibungspflicht abgesenkt. Wollen Sie die wieder anheben?
Das ist eine der Maßnahmen der letzten Regierung, für die ich selbst gar kein Verständnis aufbringen konnte. Ich kenne selbst solche Beispiele, wo Dächer nur im beschränkten Umfang genutzt werden, weil man verhindern wollte, sich an einer Ausschreibung beteiligen zu müssen. Wir werden natürlich darüber sprechen müssen, dafür andere Grenzen zu ziehen. So haben wir es auch im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir wollen die im EU-Recht vorgesehenen De-minimis-Regelungen in Deutschland möglichst analog übernehmen. Das europäische Recht gibt uns viel mehr Spielräume.
Ausschreibung ist nicht das große Problem
Soll sich das auch auf Windparks beziehen? Folgte Deutschland den europäischen Vorgaben, bräuchten Projekte wie kleinere Windparks nicht in die Ausschreibung. Das würde auch komplizierte Vorschriften für Bürgerenergie erübrigen. Wird die Koalition das Thema noch einmal anpacken?
Das ist auf jeden Fall vorstellbar. Ich glaube, bei der Windenergie sind die Projekte allerdings aufgrund der hohen Investitionssummen ohnehin immer sehr aufwändig. Daher ist auch bei Bürgerenergieprojekten die Ausschreibung nicht das große Problem. So höre ich es aus der Branche. Aber auch da werden wir gucken, wo wir die De-minimis-Regelungen der EU sinnvoll anwenden und zu Vereinfachungen kommen können. Unser generelles Ziel ist es, mehr möglich zu machen. Denn wir haben hohe Ausbauziele mit 200 Gigawatt Photovoltaik und 100 GW Windenergie bis 2030 nicht umsonst in den Koalitionsvertrag geschrieben. Dafür müssen wir eine Menge tun und eine Menge lockern, um das zu ermöglichen.
Krischer: Schnellere Genehmigungsverfahren
Das betrifft sicherlich auch schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Wir haben in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben, dass Erneuerbare jetzt im öffentlichen Interesse und im Sinne der öffentlichen Sicherheit sind. Das ist eine ganz grundsätzliche Weichenstellung. Bisher war das nicht so. Und das hat bei Projekten dazu geführt, dass andere Interessen höher gewichtet worden sind. Wir sagen jetzt, dass das Interesse an einer CO2-freien Energieversorgung in der Abwägung weiter nach vorn zu rücken ist. Damit setzen wir gleichzeitig das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz um. Das werden wir sicherlich zügig machen. Und ich bekomme auch immer wieder die grundsätzliche Rückmeldung zum notwendigen Ausbau der Erneuerbaren. Niemand von den Naturschutzverbänden bis zum BDI sagt mehr, das sei ein randständiges Thema. Es ist ein ganz zentrales Thema. Daher werden wir auch versuchen, die Regeln mit allen, so weit es geht, abzustimmen. Wenn das aber nicht möglich sein sollte, werden wir die Möglichkeiten des Bundes nutzen, um das voranzutreiben und gesetzgeberisch zu verankern.
Aber bei einigen Naturschutzverbänden wird es Widerstand geben. Die möchten zum Beispiel jedes einzelne Rotmilanpaar schützen. Und wenn Sie tun, was Sie eben beschrieben haben, wird das nicht mehr möglich sein.
Ich kann über manche Diskussion, die ich vor Ort im Konkreten erlebe, ganz offen gesagt, nur den Kopf schütteln. Ich bin selbst Hobby-Ornithologe und kenne mich in der Vogelwelt ganz gut aus. Und wer die Windenergie zum Problem des Artenschutzes macht, der hat meines Erachtens die Herausforderungen beim Artenschutz nicht verstanden. Wir haben eine Biodiversitätskrise. Das hat aber nichts mit der Windenergie zu tun. Sondern das hat seine Gründe in der Landwirtschaft, in der überbordenden Flächenversiegelung und so weiter. Und gerade auch die Klimakrise selbst führt auch in unserem Land zu Artenschwund. Das sind die Herausforderungen.
Vor Erneuerbaren profitiert auch der Artenschutz
Ich nehme wahr, dass sich Naturschutzverbände positiv und konstruktiv zum Ausbau der Windenergie stellen. Mit dem NABU-Präsidenten Jörg Andreas Krüger habe ich ja auch ein gemeinsames Papier zum Windkraftausbau verfasst. Es ist klar, der NABU und auch kein anderer Naturschutzverband können ein Interesse daran haben, dass Verfahren einfach nur lange dauern und einen großen bürokratischen Aufwand verursachen. Am Ende hat weder der Naturschutz etwas davon noch trägt dies zum Ausbau der Erneuerbaren bei. Eigentlich sollten alle ein Interesse daran haben, dass durch den Ausbau der Erneuerbaren auch der Artenschutz profitiert. Und wir wollen auch weitere Schutzgebiete schaffen. Im Koalitionsvertrag haben wir ein riesiges Biodiversitätsprogramm verankert. Da gibt es viele Möglichkeiten, wie wir das Thema aus dieser Konfliktnische herausholen können. Wir können etwas für den Ausbau der Erneuerbaren und gleichzeitig für den Artenschutz tun.
Sie wollen sich für eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung und den Ausbau der Wärmenetze einsetzen. Aber welche konkreten Instrumente stellen Sie sich hier vor? Soll das ähnlich sein wie in Baden-Württemberg.
Von Seiten des Bundes müssen wir erstens rechtlich geeignete Rahmenbedingungen für die Kommunen schaffen. Sie brauchen bessere Möglichkeiten, solche Planungen zu erstellen. Das geht bis zu finanziellen Unterstützungen, denn das kostet erstmal Geld und viele Kommunen haben das Geld nicht. Ich nehme überall wahr, beispielsweise in meiner Heimatstadt Aachen, dass es häufig an der Perspektive mangelt. Wie kommen wir allerspätestens 2045 dahin, dass wir dann tatsächlich klimaneutral sind? Wie schaffen wir es, in verdichteten Stadtquartieren die Gasetagenheizungen in den nächsten 20 Jahren umzubauen? Und wie kommen wir hier zu klimaneutralen Lösungen, etwa mit Wärmepumpen oder Wärmenetzen? Das ist mindestens eine genauso große Aufgabe wie der Ausbau der Erneuerbaren im Strombereich. Baden-Württemberg hat da einen richtigen Ansatz gewählt, den wir gerne verbreitern und bundesweit umsetzen würden.
30 Milliarden jährlich für Wärme-Transformation
Wie soll es mit den Förderprogrammen des Bundes für den Umbau der Wärmeversorgung weitergehen. Sollen die so weiterlaufen wie bisher oder sich ändern?
Grundsätzlich wollen wir das ausbauen und mehr machen. Wir haben verankert, dass jedes Jahr 30 Milliarden Euro für Investitionen für die Transformation insgesamt bereitgestellt werden sollen. Davon wird ein großer Teil wie bisher auch schon und noch mehr in den Wärmebereich fließen. Auf der anderen Seite wollen wir hier allerdings auch Kontinuität wahren. Die Erwartung auf andere Förderbedingungen könnte dazu führen, dass sich Investoren zurückhalten. Ich finde es wichtig, dass es hier Verlässlichkeit und Planbarkeit gibt. Das ist die Basis für Weiterentwicklungen.
Viele warten auf die neuen Regelungen zur Förderung von Wärmenetzen, also die BEW. Wann ist nun nach dem Regierungswechsel damit zu rechnen?
Das Thema liegt jetzt in den ersten Tagen schon auf meinem Schreibtisch. Wir sind dran, das sehr schnell auf die Reise zu bringen. Wie wir das konkret, etwa auch Fragen aus Brüssel, lösen, muss jetzt schnell geklärt werden. Frisch nach dem Amtsantritt kann ich dazu zwar momentan im Detail noch nichts sagen. Aber es ist auf dem Schirm. Wir hoffen, dass wir die lange Unklarheit, die es hier gegeben hat, nun schnell lösen.
Wo sehen Sie sich am Ende der Legislatur? Wie erfolgreich werden Sie dann bei der Energiewende gewesen sein?
Es ist auf jeden Fall das Ziel, dass wir am Ende der Legislaturperiode an dem Punkt sind, dass wir wirklich in die Richtung des 1,5-Grad-Pfades gekommen sind und auf dem Weg sind, die Klimaschutzziele einzuhalten. Das wird eine Herausforderung, weil die letzten 16 Jahre zu wenig getan oder sogar gebremst wurde. Das müssen wir umdrehen. Aber das ist auch das Ziel, das im Koalitionsvertrag formuliert ist.
19.12.2021 | Interview: Andreas Witt
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