Regeln für ein neues Strommarktdesign
Der eigene Anspruch und die Besonderheit dieser Studie zum Strommarktdesign besteht laut BEE darin, dass die Studienautor:innen hier nicht nur die technische und volkswirtschaftliche Machbarkeit einer 100-prozentig erneuerbaren Stromversorgung samt Sektorenkopplung belegt hätten. Vielmehr hätten die beteiligten Institute Fraunhofer IEE und das Fraunhofer ISE erstmals auch die betriebswirtschaftliche Brille aufgesetzt, betont der BEE. Denn Betreiber von Anlagen müssen Geld verdienen, um die für eine vollständige Energiewende notwendigen Erzeugungskapazitäten und Flexibilitäten zu investieren. Außerdem sei der regulatorische Rahmen so zu setzen, dass die Betreiber dieser Kapazitäten ihre Anlagen auch sinnvoll im Sinne einer hohen Versorgungssicherheit bei möglichst geringen volkswirtschaftlichen Kosten einsetzen.
Der BEE legt nun mit den Instituten einen Katalog von teils tiefgreifenden Maßnahmen zur Veränderung des Strommarktdesigns vor. Der ist von der Kanzlei Becker, Büttner, Held auch auf seine juristische Machbarkeit abgeklopft worden ist.
Neues Strommarktdesign: die Grundidee
Die Grundidee ist die: In einem System, in dem die fluktuierenden Energien Wind- und Photovoltaik den meisten Strom liefern sollen, muss das staatliche Strommarktdesign verhindern, dass deren Wert im Vergleich zum Strombörsenpreis immer weiter verfällt. In den letzten Jahren war aber genau dies zu beobachten. Während ein Sturmtief über Norddeutschland ebenso wie eine sonnige Hochdruckwetterlage über Deutschland immer massiver auf die Preise an der Strombörse drücken, sinkt der durchschnittliche Marktwert von Wind- und PV-Strom überproportional. An dieser Tendenz ändert auch die Tatsache nichts, dass aufgrund kurzfristiger externer Effekte aktuell das allgemeine Börsenpreisniveau die Marktwerte auf hohe Rekordwerte mitzieht.
Bliebe es beim heutigen regulatorischen Rahmen für den Strommarkt, so würden noch in den nächsten zwei Dekaden die am Strommarkt erzielbaren Marktwerte erneuerbarer Energien weit unterhalb der Stromgestehungskosten der einzelnen EE-Technologien liegen. Das will der BEE in seinem Basisszenario zeigen. Darin kommt es in der Mittagsspitze so oft zu negativen Börsen-Strompreisen, dass Solarbetreiber mit 10 bis 20 Prozent ihrer möglichen Jahreseinspeisung keinen finanziellen Ertrag erzielen könnten.
Mehr Flexibilität anreizen!
Langfristig verhindern lassen sich negative Strompreise und der relative Verfall der Marktwerte fluktuierender Stromquellen nur durch ausreichende Flexibilitäten. Gefragt sind neben Speichern und Power-to-X-Elektrolyseuren auch weitere zu- beziehungsweise abschaltbare Lasten. Außerdem geht es um eine flexible Erzeugung. Die Abschaltung von Wind- und Solarkraftwerken, die schon heute volkswirtschaftlich viele Millionen Euro verschwendet, ist hingegen weitmöglichst zu vermeiden. All dies soll sich laut BEE mit dem vorgeschlagenen Maßnahmenkatalog erreichen lassen. Gleichzeitig bliebe im gesamten Transformationsprozess die Versorgungssicherheit gewährleistet. Und die Gesamtkosten des Energiesystems ebenso wie die Stromkosten für Verbraucher sollen sogar schrumpfen.
Regeln für Elektrolyseure
Auf der Verbraucherseite möchte der BEE die bereits geltende Netzentgeltbefreiung für Elektrolyseure an Vorgaben knüpfen und auf Power-to-Heat-Anlagen erweitern. Dieses Privileg soll künftig nur noch dann gelten, wenn die Elektrolyseure netzdienlich im Gleichklang mit der erneuerbaren Einspeisung betrieben werden. Und außerdem sollen Elektrolyseure nur noch im nördlichen Teil Deutschlands installiert werden. Damit lasse sich unnötiger Netzausbau verhindern, argumentiert der BEE.
Auch mit der Absenkung der Stromsteuer auf den EU-rechtlich zulässigen Mindestbetrag sowie mit der von der Ampelkoalition bereits angekündigten Abschaffung der EEG-Umlage möchte der Verband angebotsorientiertes Verbraucherverhalten anreizen. Das Argument der BEE-Studie: Wenn der Strommarktpreis einen höheren Anteil am Endkundenpreis ausmache, werde das Verbrauchsverhalten stärker auf die erneuerbare Einspeisung ausgerichtet.
Boostern soll diesen Effekt noch ein zeitvariables Netzentgelt. Die Gebühren sollen dann sinken, wenn die Einspeisung erneuerbarer Energien hoch ist und umgekehrt. Die an der Studie beteiligten Juristen von BBH beurteilen diesen Plan vor dem Hintergrund der europäischen Richtlinien als unproblematisch. Zwar bestehe europaweit noch keine Pflicht zum Angebot flexibler Netzentgelte: „Jedenfalls ist es aber zulässig, Netzentgelte zeitvariabel zu erheben.“
Um mehr Speicherflexibilität anzureizen, findet sich im Maßnahmenkatalog des BEE die Senkung der Stromnebenkosten für Stromspeicher. Zwar gibt es seit dem vergangenen Jahr in Deutschland die Netzentgeltbefreiung für Speicher nach § 118 Absatz 6 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG). Diese gilt aber noch nicht für alle Anwendungsfälle eines bivalenten Betriebs. Gerade potenziell netzdienlich zu betreibende private PV-Speichern, die bislang aber nur der Eigenverbrauchs-Optimierung dienen, schreibt die Studie ein hohes Potenzial zur Stützung der Marktwerte zu.
Deshalb sollte der Bund für diese Speicher einen zehnprozentigen Investitionsanreiz anbieten, meint der BEE. Auch deshalb, weil mit dem Entfall der EEG-Umlage und der Senkung anderer Stromnebenkosten der finanzielle Anreiz zur Optimierung des Eigenverbrauchs abnehme.
Wichtige Rolle für Biogas
Einen ganz wesentlichen Unterschied gibt es zwischen den BEE-Positionen und anderen Strommarktstudien was die Rolle der Bioenergie betrifft. Während die offiziellen Szenarien der letzten Bundesregierungen die Bioenergie im Strommarkt allenfalls als Auslaufmodell akzeptieren, möchte der BEE die Kapazitäten zur Erzeugung von Biogas im jetzigen Umfang erhalten. Allerdings will er massiv die Leistung der biogasbefeuerten Generatoren erhöhen. Die Studie empfiehlt eine „bis zu sechsfache installierte Leistung im Vergleich zur Jahresdurchschnittsleistung“. Zugleich sollen die Biogasanlagen an Gasspeicher angeschlossen werden. Dadurch könne Biogas den Bedarf an neuen Gaskraftwerken im Reformszenario vollständig ersetzen und der grüne Wasserstoff stehe für andere Zwecke, beispielsweise im Verkehr und der Industrie, zur Verfügung.
Strommengen-Förderung
Das zweite massive Umdenken verlangt der BEE für ein Kernelement des EEG – die Einspeisevergütung beziehungsweise die Marktprämie. Zwar sieht der Verband bis 2040 auch mit einem neuen Strommarktdesign noch einen gewissen Förderbedarf für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Grundlegend neu ist dabei aber, dass pro Anlage nur noch eine bestimmte Energiemenge gefördert werden soll. Dies erinnert an Regelungen, die sich heute bereits bei der Förderung von Kraft-Wärme-Kopplung im KWK-Gesetz finden. Die Betreiber sollen dadurch einen Anreiz bekommen, sich marktkonform zu verhalten, anstatt über die heutige fixe Förderdauer von 20 Jahren so viel Strom zu erzeugen, wie irgend möglich.
Im Gegenzug soll § 51 EEG gestrichen werden, der bei neuen Anlagen dazu führt, dass nach 4 Stunden mit negativen Preisen die Förderung entfällt. Die Regelung birgt nicht nur ein schwer kalkulierbares wirtschaftliches Risiko für Anlagenbetreiber und Finanzierer. Weil wegen § 51 EEG schlagartig viele EE-Kraftwerke gleichzeitig vom Netz gehen, sehen die Studienautor:innen darin auch ein Problem für die Netzstabilität.
24.1.2022 | Autor: Guido Bröer
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