2-mal Koalitionsvertrag Schwarz-Grün: Energiewende in NRW und Schleswig-Holstein

In NRW versprach Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in der heutigen Pressekonferenz zum Abschluss der Koalitionsverhandlungen, NRW werde der „erste klimaneutrale Industriestandort in Europa”. So steht es wörtlich auch im NRW-Koalitionsvertrag. Den Anspruch, „erstes klimaneutrales Bundesland” zu werden hatte auch Wüsts Amtskollege Daniel Günther (CDU) einen Tag früher erklärt. Schleswig-Holstein hat dafür im dortigen Koalitionsvertrag das Jahr 2040 terminiert. In NRW konnten sich die künftigen Koalitionäre in diesem Zusammenhang hingegen nicht auf ein festes Datum einigen. Sie fanden nur die Formulierung „so schnell wie möglich”.
1000 neue Windräder statt 1000 Meter Abstand
Besonders umstritten war in NRW die restriktive Windkraftpolitik der bisherigen schwarz-gelben Koalition. Sie umzukehren war eine Schlüsselfrage für die Koalitionsbereitschaft der Grünen. Nun setzen die Partner sich ein sportliches Ziel, das man so zusammenfassen könnte: 1000 neue Anlagen statt 1000 Meter Abstand. Im Polit-Deutsch des Koalitionsvertrages klingt das so: „Wir werden durch eine Ermöglichungsplanung die Voraussetzungen dafür schaffen, dass in den kommenden fünf Jahren mindestens 1000 zusätzliche Windenergieanlagen in unserem Land entstehen.”
An den besonders umstrittenen 1000-Meter-Abständen von der Wohnbebauung kamen die Verhandler:innen zwar nicht vorbei. Im Bewusstsein des bundesweiten Gesetzgebungsverfahrens zum Windenergie-an-Land-Gesetz machten sie daraus aber keinen Knackpunkt. Die grüne NRW-Landeschefin Mona Neubaur konnte somit heute klar verkünden: „Wir haben vereinbart, dass wir pauschale Abstandsregeln abschaffen wollen”. Das betrifft neben dem von der Vorgängerregierung eingeführten 1000-Meter-Mindestabstand von Wohnbebauung auch einen 1500-Meter-Vorsorgeabstand im Landesentwicklungsplan.
Allerdings sollen die Abstandsregeln nur „stufenweise” fallen. In einem ersten Schritt entfallen demnach die 1000 Meter bei Repoweringprojekten. Zugleich will die Koalition kurzfristig Kalamitätsflächen im Wald, auf denen Sturm, Trockenheit und Borkenkäfer gewütet haben, für die Windkraft öffnen. Gleiches soll für Gewerbegebiete gelten.
Planungs- und Genehmigungsverfahren für Wind verkürzen
Einen entscheidenden Ansatz sieht die NRW-Koalition bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren, die sie „standardisieren, vereinfachen, verkürzen und verpflichtend digitalisieren” will. Dazu will Schwarz-Grün zeitnah eine Task Force einsetzen.
Bürgerenergiegesetz in NRW
Ein eigenes „Bürgerenergiegesetz” soll die Beteiligung von Anwohner:innen und Kommunen NRW-weit quasi zum Standard machen. Der Koalitionsvertrag erwähnt dazu Stiftungsmodelle, Nachrangdarlehen und regional günstigere Stromtarife. Weiter heißt es: „Zudem werden wir Projektträger verpflichten, für neue Windparks eine haftungsbeschränkende Gesellschaft zu gründen und Anteile von mindestens 20 Prozent dieser Gesellschaft den Anwohnerinnen und Anwohnern und Kommunen im näheren Umkreis anzubieten.” Damit ginge NRW deutlich über ähnliche Landesgesetze in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern hinaus.
15 Gigawatt Wind in Schleswig-Holstein
Auch in Schleswig Holstein, wo Bürgerwindparks ohnehin stärker verwurzelt sind, haben sich die beiden künftigen Koalitionsparteien darauf verständigt, über die bisherige Planung hinaus weitere Flächen für die Windkraft an Land zu öffnen. So wollen sie perspektivisch 15 Gigawatt installierte Leistung erreichen. Bis zum Jahr 2030 sollen in Schleswig-Holstein von jährlich geplanten 40 bis 45 Terawattstunden (TWh) Strom aus erneuerbaren Energien allein 30 bis 35 TWh aus Windrädern an Land stammen. Die künftige Koalition will dazu umgehend überprüfen, wie eine Fortschreibung des Landesentwicklungsplans Wind und der Regionalpläne unter Erhalt der bisher ausgewiesenen Vorrangflächen möglich ist.
Koalitionsvertrag verspricht Regeln für Repowering
Zudem strebt Schwarz-Grün im Norden offenbar Sonderregeln für das Repowering an: „Wir werden prüfen, welche landesrechtlichen und bundesrechtlichen Vorgaben angepasst werden müssen, um das Repowering auch auf solchen Flächen zu ermöglichen, die nach Fertigstellung der Regionalplanung Wind aus der Gebietskulisse herausgefallen sind.” Außerdem will die Koalition in spe prüfen, ob und wie ein nicht-flächengleiches und zeitversetztes Repowering ermöglicht werden könne, sodass zu repowernde Windkraftanlagen länger in Betrieb bleiben können.
Photovoltaik: Solarpflicht soll kommen
Für Neubauten soll es im Norden ab 2025 „eine Solarpflicht auf Dächern” geben. Die NRW-Koalition will zumindest in Teilbereichen noch schneller zur Tat schreiten. Ihr Koalitionsvertrag formuliert in puncto Solarpflicht sehr detailliert: „Diese wird bereits ab dem 1. Januar 2023 für alle neuen öffentlichen Liegenschaften gelten. Geeignete Dachflächen von Landesliegenschaften müssen möglichst bis Ende 2025 nachgerüstet werden. Ab dem 1. Januar 2024 gilt die Solarpflicht für alle gewerblichen Neubauten und ab dem 1. Juli 2024 im Bestand der kommunalen Liegenschaften, sofern das Dach umfassend saniert wird. Für private Neubauten gilt die Solarpflicht ab dem 1. Januar 2025. Ab dem 1. Januar 2026 gilt die Solarpflicht auch für private und gewerbliche Bestandsgebäude, bei denen eine umfassende Dachsanierung durchgeführt wird.” Ausdrücklich soll die Solarpflicht neben Photovoltaik zumindest in NRW auch durch Solarthermieanlagen erfüllbar sein.
Brandschutzabstände für Photovoltaik sollen fallen
Zugunsten der Photovoltaik sollen in Schleswig-Holstein ebenso wie in NRW die Brandschutz-Abstände auf Reihen-Doppelhäusern verändert werden. „Die Abstandsregelung für nicht brennbare Photovoltaik-Anlagen wird im Abgleich mit der Schutzfunktion der Landesbauordnung als Gefahrenabwehrrecht auf den Prüfstand gestellt und wenn möglich abgeschafft”, heißt es dazu im NRW-Papier.
Das dicht besiedelte Bundesland will unter Schwarz-Grün außerdem die Länderöffnungsklausel des EEG nutzen und den EEG-geförderten Zubau von Freiflächen-PV in sogenannten benachteiligten Gebieten schrittweise auf 300 MW erhöhen. Auch wenn es so im Koalitionsvertrag nicht ausdrücklich steht, dürfte diese Zahl sich nicht auf das kumulierte, sondern auf das jährliche Volumen an EEG-Zuschlägen beziehen. Denn 150 MW pro Jahr hatte bereits die noch amtierende CDU/FDP-Regierung vor wenigen Tagen per Verordnung zugelassen.
Kommunaler Klimaschutz
Kommunen will die Schleswig-Holstein-Koalition mit einem Sondervermögen „Klimaneutrale Kommune“ unterstützen, das unter anderem nachhaltige Fern- und Nahwärmenetze fördern soll. Es soll dazu eine eigene „Landesförderrichtlinie für kommunalen Klimaschutz” geben. In NRW ist diese Fördermöglichkeit bereits angelegt. Die Koalitionäre versprechen dort die Förderrichtlinie „progres.nrw-Programmbereich Klimaschutz und -anpassung in Kommunen“ aber schnellstmöglich neu aufzulegen und finanziell deutlich besser auszustatten.
Schwarz-Grün forciert kommunale Wärmeplanung
Während Schleswig-Holstein für den Bereich der kommunalen Wärmeplanung bereits in der vergangenen Legislaturperiode Grundlagen gelegt hat, will nun auch NRW hier aktiv werden. Im NRW-Koalitionsvertrag heißt es: „Ab 2023 werden wir die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, die Kommunen dazu zu verpflichten, einen kommunalen Wärmeplan als informelles Planungsinstrument zur langfristigen Gestaltung der Wärmeversorgung zu erstellen.” In diesem Zusammenhang findet sich im Text ein klares Bekenntnis zum Ausbau der erneuerbaren Fernwärme: „Der Einsatz Erneuerbarer Energien für die Wärmeversorgung erfordert in den Kommunen eine Umstellung auf eine netzgebundene Wärmeversorgung.” Dafür soll es nach dem Vorbild Baden-Württembergs auch in NRW künftig ein „Kompetenzzentrum Wärmewende” geben.
Energiewende im Wohnbereich
Für Privatleute, die in der Regel auch von bundesweiten Förderungen profitieren können, will Schwarz-Grün zwischen Nord- und Ostsee das bestehende Förderprogramm auf Hausübergabestationen für den Anschluss an Wärmenetze, Ladeboxen für E-Fahrzeuge sowie Wärmepumpen und Stromspeicher ausweiten.
Für die Wärmewende kündigt der Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein außerdem ein neues Förderprogramm zur Unterstützung „netto-kaltmieten-neutraler Sanierung” an. Zudem sollen Quartiersmaßnahmen kommen und – zwischen den Zeilen – eine stärkere Sektorenkopplung: „Wir wollen uns beim Dämmen gezielt auf die Gebäude konzentrieren, bei denen es am meisten bringt. Schleswig-Holstein hat als Energiewendeland die Möglichkeit, Klimaneutralität von Gebäuden auch durch die Verwendung klimaneutraler Energien zu erreichen. Das wollen wir nutzen und darüber hinaus die Umsetzung energetischer Quartiersmaßnahmen gezielt fördern.”
23.6.2022 | Autor: Guido Bröer
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