Agora: 100 Prozent Erneuerbare bis 2035; so funktioniert es

Collage von PV-Kraftwerken, Windenergie, Wolken und StromnetztrassenFoto: gopixa / stock.adobe.com
100 Prozent erneuerbare Energien sind bis 2035 möglich und erfordern einen Ausbau der Stromnetze.
Um die Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen, muss sich die Produktion von regenerativen Strom in Deutschland noch einmal mehr als verdoppeln, schreibt Agora Energiewende in einer neuen Studie. Denn nur so ließen sich Technologien zur Sektorenkopplung wie Wärmepumpen und Wasserstoff im notwendigen Maß ausbauen.

Eine neue Studie von Agora Energiewende zeigt den Weg für 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2035 auf. Um das zu erreichen, müsse die Bundesregierung die bisher in Oster- und Sommerpaket vorgelegten Maßnahmen noch deutlich nachschärfen. Wie die Berliner Denkfabrik schreibt, sei eine stärkere Priorisierung und konsequente Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren nötig. Zugleich brauche es die Absicherung von Investitionen in Windkraft und Solarenergie. Dazu komme die Absicherung für den Bau regelbarer Kraftwerke, die bereit für den Betrieb mit grünem Wasserstoff sind.

Zentral sei weiterhin ein Ausbau des Übertragungsnetzes um 40 Prozent bis 2035 und eine umgehende Reform der Netzentgelte. Damit sei möglich, die flexible Einbindung von Elektrofahrzeugen, Wärmepumpen, Elektrodenkessel und Elektrolyseuren anzureizen. Ein System mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien im Jahr 2035 erfordere außerdem ein Maßnahmenportfolio zur Systemsicherheit und effiziente Lösungen im Umgang mit Netzengpässen. Dazu gehört auch, die Einführung geografischer Preissignale im Stromsystem zu prüfen.

„Wir müssen das Ziel einer vollständig erneuerbaren Stromversorgung so schnell wie möglich erreichen. Gerade angesichts der aktuellen fossilen Energiekrise ist das wichtiger denn je“, sagt Simon Müller, Direktor Deutschland bei Agora Energiewende. „Ein erneuerbarer Stromsektor ist zudem das Fundament der Klimaneutralität. Im Verkehr, beim Heizen und in der Industrie ist die Verfügbarkeit von grünem Strom die Voraussetzung für das Erreichen der Klimaziele.“ Daher müsse die Bundesregierung jetzt den nötigen Paradigmenwechsel einläuten, um den Boden für ein klimaneutrales Stromsystem bis 2035 zu bereiten. „Dafür müssen bis zum Jahresende die Lücken aus dem Oster- und Sommerpaket geschlossen werden“, sagt Müller.

Die in der Agora-Studie vorgeschlagenen Maßnahmen sicherten zudem das 80-Prozent-Erneuerbaren-Ziel sowie den rechtzeitigen Kohleausstieg bis 2030. Damit schüfen sie gleichzeitig die Grundlage für ein erneuerbares Stromsystem bis 2035.

EE-Strom muss sich mehr als verdoppeln

Für die Ziele im Stromsektor muss sich die Erzeugung erneuerbaren Stroms von heute 243 auf 595 Terawattstunden bis 2030 mehr als verdoppeln – und bis 2035 auf 845 Terawattstunden mehr als verdreifachen. ​Die steigende Stromnachfrage geht vor allem auf neue Verbraucher wie etwa Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen, Elektrodenkessel und Elektrolyseure für die Erzeugung von grünem Wasserstoff zurück, die maßgeblich für die Senkung der Treibhausgasemissionen in den Bereichen Industrie, Verkehr und Gebäude sind.

Die Regierung müsse laut Agora die Fristen der Bundesländer für die Bereitstellung von zwei Prozent der Fläche für Windkraftanlagen verkürzen. Außerdem gelte es, eine endgültige Klärung der Vereinbarkeit von Artenschutz und Windkraft erreichen. „Indem die Bundesregierung jetzt das Ausbautempo bei Solarenergie und Windkraft an Land konsequent erhöht, können wir in den nächsten vier Jahren ein Ausbauniveau erreichen, das uns bis 2035 zu einem klimaneutralen Stromsektor führt“, so Müller.

Einführung symmetrischer Marktprämie

Neben dem Ausbau der Infrastruktur sind verlässliche Investitionsbedingungen für den Zubau von Windkraft- und Solaranlagen entscheidend. Ferner wichtig: ein Geschäftsmodell für regelbare Kraftwerke, die als Ausgleich für fehlenden Wind und Sonnenstrom zum Einsatz kommen. Für Erneuerbare Energien schlägt die Agora-Studie etwa die Absicherung langfristiger Stromlieferverträge vor und die Einführung einer symmetrischen Marktprämie vor. Diese garantiere Anlagenbetreibern eine feste Einspeisevergütung, fordere aber ab einem bestimmten Gewinn auch Rückzahlungen.

Zusätzlich gelte es laut Agora auch die Voraussetzungen für flexiblen Stromverbrauch zu schaffen. Hierfür müssten beispielsweise Preissignale den Betrieb oder das Laden von Elektrofahrzeugen, Wärmepumpen, Elektrodenkesseln, Elektrolyseuren oder Batteriespeichern attraktiv machen. Und zwar in den Stunden, in denen viel erneuerbarer Strom vorhanden ist. Bisher werden flexible Strommengen durch hohe Netzentgelte bestraft. „Die längst überfällige Reform der Netzentgelte ist die entscheidende Stellschraube, um bei neuen Verbrauchern und in der Industrie einen flexiblen Betrieb anzureizen“, sagt Agora Deutschlandchef Müller. „Es braucht eine schnelle Lösung noch diesen Herbst, damit wir für neue Elektroautos und Wärmepumpen gleich die Flexibilitäten fördern, die hohe Anteile Erneuerbarer Energien absichern.“

40 Prozent mehr Stromnetzkilometer

Die Agora Studie weist einen nötigen Netzaus- und Umbau von zusätzlichen 15 000 Stromkreiskilometern im Jahr 2035 für ein klimaneutrales Stromsystem aus (+40 Prozent). Für einen effizienten Netzbetrieb müssten außerdem der Ort von Erzeugung und Verbrauch von Strom stärker Berücksichtigung finden. Das könnte durch die Einführung von regional unterschiedlichen Preisen geschehen. Ein Beispiel dafür wäre eine Reform der Netzentgelte, um die Verfügbarkeit von grünem Strom im lokalen Netz widerzuspiegeln. Daher sei es empfehlenswert, die Optionen für die Einführung solcher geografischen Signale zu untersuchen.

Zentral sei zudem die Ausarbeitung und Implementierung eines Maßnahmenpakets für einen sicheren Systembetrieb bei 100 Prozent Erneuerbaren Energien. Eine integrierte Systemplanung von Stromnetzen und Wasserstoffinfrastruktur statt der aktuell überwiegend getrennten Planung kann zudem dafür sorgen, dass sich der Infrastrukturausbau sinnvoll und kostensparend ergänzt.

Die Studie „Klimaneutrales Stromsystem 2035 – Wie der deutsche Stromsektor bis zum Jahr 2035 klimaneutral werden kann“ ist in Zusammenarbeit mit der Prognos AG, die für die Strommarktmodellierung zuständig war, und der Consentec GmbH, die dazu eine ergänzende Netzmodellierung durchgeführt hat, erschienen. Sie entwickelt die Berechnungen der Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045“ weiter, indem das Modell die neuen Regierungsziele für erneuerbare Stromerzeugung und -verbrauch integriert. Die 72-seitige Publikation berechnet damit einen gangbaren Pfad zum Erreichen von 80 Prozent Erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch bis 2030. Zudem zeige sie, dass die konsequente Fortsetzung des Wegs zum Ziel eines klimaneutralen Stromsektor bis 2035 in Deutschland führt.

23.6.2022 | Quelle: Agora Energiewende | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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