Christian Maaß (BMWK): In der Krise Weg ebnen für Zukunft jenseits Öl und Gas

Christian Maaß, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), dort unter anderem für die Wärmewende verantwortlichFoto: BMWK
Christian Maaß, im Ministerium von Robert Habeck für die Wärmewende verantwortlich, ist überzeugt, dass trotz akuten Krisenmanagements schon Weichen in Richtung Klimaschutz gestellt werden konnten.
Christian Maaß leitet im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz die Abteilung II für Wärme, Wasserstoff und Effizienz. Der Jurist wurde nach dem Regierungswechsel von Robert Habeck ins Ministerium geholt. Zuvor war er als Mitgründer 10 Jahre lang einer der Geschäftsführer des Hamburg Instituts. Im Solarthemen-Interview spricht Maaß über die Organisation der Wärmewende in turbulenten Zeiten.

Solarthemen: Als Sie Anfang des Jahres Ihren neuen Job im Klimaministerium als Chef der Wärmewende-Abteilung antraten, haben Sie sich den vermutlich anders vorgestellt, als es nach dem Angriff auf die Ukraine dann gekommen ist. Können Sie in dieser Lage mit Lust gestalten oder erleben Sie sich und Ihre Kolleg:innen eher als Getriebene der Energiekrise?

Christian Maaß: Viel krassere Beamtenjobs als bei uns im Ministerium dürfte es im Moment tatsächlich kaum geben. Natürlich haben wir damit nicht gerechnet. Meine Idee war es, die Wärmewende voranzubringen, aber wir sind jetzt seit Monaten vor allem damit beschäftigt, Versorgungssicherheit herzustellen. Dennoch spü­re ich, wie auch die Wärmewende beschleunigt wird und wie sehr unsere Entscheidungen auch den Weg eb­nen für eine Zukunft jenseits von Gas und Öl. In diesen Momenten macht es schon auch viel Spaß zu sehen, wie Dinge vorankommen. Wir müssen uns jetzt für eine Übergangszeit noch am Alten festhalten, aber gleichzeitig können wir den Sprung ins Neue gerade mit viel mehr Kraft tun.

Gleich zum Start musste Robert Habeck im Januar einen Förderstopp in der BEG verkünden. Kürzlich dann überraschten Sie mit Fördersenkungen in der BEG. Solche Diskontinuitäten bei der Förderung sind aber doch Gift für den Markt.

Der Förderstopp im Januar resultierte aus einem schweren handwerklichen Fehler der Vorgängerregierung. Das muss man leider so sagen. Mit einer so langen Ankündigungszeit ein Programm auslaufen zu lassen, ist ein Unding. Uns sind täglich Hunderte Millionen Euro für den Neubau in den Händen zerronnen. Wenn wir das hätten weiterlaufen lassen, wäre die Konsequenz gewesen, dass die Mittel für die Sanierung uns heute fehlen würden, wo der Klimaschutzeffekt viel höher ist. Das war eine schmerzhafte Entscheidung, die keiner von uns gern getroffen hat. Aber sie hat dafür gesorgt, dass wir jetzt überhaupt noch weiter fördern können.

Die hohe Nachfrage nach Förderung war gewünscht

Die neue Situation, die zur jüngsten BEG-Änderung geführt hat, haben wir uns hingegen gewünscht – die hohe Nachfrage nach erneuerbaren Energien. Die Leute wollen jetzt sanieren; sie wollen beispielsweise Wärmepumpen einbauen. Die Gründe dafür sind natürlich misslich und die konnte niemand voraussehen, aber dennoch mussten wir reagieren. Wenn die Förderung so gut nachgefragt wird, dann muss man natürlich sehen, dass man mit dem Geld, was man hat und das ja begrenzt bleibt, möglichst viele Leute bedient. Dass wir so viele Maßnahmen wie möglich umsetzen wollen, ist im Sinne der Energiewende.

Wie wollen Sie wieder Vertrauen in die Förderprogramme schaffen?

Natürlich ist in Zeiten wie diesen, in denen alles aus den Fugen gerät – die Geopolitik, die Energiepreise –, nichts stabil. Es ist sehr viel im Fluss und wir müssen sehr dynamisch entscheiden. Insofern ist der Wunsch nach Kontinuität zwar richtig, aber letztlich werden wir immer reagieren müssen auf solche Umwälzungen. Und in diesem Fall war es unumgänglich, dass wir die BEG noch mal reformieren.

Sie haben die Förderung für Biomasse überproportional gekürzt. Warum?

Die Biomasse ist ein begrenztes Gut. Unsere Energieszenarien zeigen deutlich, dass wir mit diesem knappen Gut sorgfältig umgehen müssen. Deshalb wollen wir die Biomasse dort einsetzen, wo andere Lösungen schwer umsetzbar sind, weil die Gebäudesubstanz es nicht hergibt. Daher auch die Präferierung bei der Förderhöhe für möglichst effiziente Wärmepumpen. Wir wollen vorrangig diejenigen Energien zum Heizen einsetzen, die wir in Deutschland haben. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien auf der Stromseite ist das erneuerbarer Strom.

Ist die Zukunft des Wärmesektors für das BMWK „all electric“?

Von All-Electric-Wärme kann nicht die Rede sein

Sie wird zu einem guten Teil elektrisch sein, aber nicht nur. Es werden auch andere Energieträger eine Rolle spielen, insbesondere in den Wärmenetzen. Dort ist Abwärme natürlich die allerbeste Lösung, weil kein zusätzlicher Strombedarf erforderlich ist. Das ist leider in meinen Augen noch völlig unterbelichtet. Auch Geothermie ist bislang noch zu schlecht gefördert worden und die Hemmnisse sind nicht zielgenau adressiert worden. Auch Solarthermie wird natürlich weiterhin eine Rolle spielen und auf der KWK-Seite gegebenenfalls auch Wasserstoff. Deshalb kann von einer „All-Electric-Wärme“ nicht die Rede sein, aber ein großer Anteil wird sicherlich auf Strom basieren müssen.

Für Ihr zweites großes Förderprogramm, die BEW für den Umbau der Fernwärme, hat die EU-Kommission endlich ihr O.k. gegeben. Warum hat das so lange gedauert und wie muss man sich die Verhandlungen mit Ihren Kollegen in Brüssel vorstellen?

Ja … Die Anforderung der Kollegen in Brüssel waren umfangreich. Es gab immer wieder Forderungen und Dis-kussionen, woraufhin wir die Richtlinie anpassen mussten. Stichwort: Müllverbrennung gilt nun nicht als Abwärme.

Das kann man nachvollziehen, oder?

Wir hätten uns hier eine andere Entscheidung gewünscht. Müll ist eine wichtige Wärmequelle für die Fernwärme gerade in Großstädten. Wichtig ist, dass die Wärme nicht durch den Schornstein verloren geht, sondern eingespeist wird.

Welche weiteren Punkte gab es?

Viel Anforderungen an die BEW-Förderung aus Brüssel

Es gab vielfältige anspruchsvolle und kleinteilige Anforderungen. Aber mit erheblichem Aufwand ist es uns schließ­­lich gelungen, für Brüsseler Verhältnisse gut durch die Tür zu kommen. Die geltenden Beihilfeleitlinien schaffen einen enormen Begründungsaufwand für Förderprogramme der Energiewende. Es war ein sehr langer Prozess, auf den die Branche schon viel zu lange warten musste. Insofern bin ich sehr froh, dass wir den jetzt endlich abschließen konnten.

Die Fernwärmebranche klingt erleichtert. Aber man hört auch die Kritik, der Etat sei zu knapp bemessen. Werden die veranschlagten drei Milliarden Euro über sechs Jahre reichen?

Wir wollen jetzt erst einmal sehen, wie die Anträge reinkommen. Wenn wir feststellen, dass die Mittel tatsächlich nicht ausreichen sollten, wird man in den nächsten Haushalten auch weitere Mittel anmelden können. Und da die BEW eine sehr effiziente Form der Förderung ist, mit der man viel CO2-Einsparung erreichen kann, sehe ich gute Möglichkeiten, hier in Zukunft bei Bedarf umzuschichten.

Wie sollen die über die BEW geförderten Transformationspläne für die Fernwärmenetze verzahnt werden mit Ihrem nächsten Projekt, der bundesweiten kommunalen Wärmeplanung?

Wir wünschen uns natürlich, dass Stadtwerke und Kommunen bei der Wärmeplanung und Transformations-planung eng zusammenarbeiten. Letztlich sollen in beiden Prozessen die Partner gemeinsam Strategien entwickeln, wie Wärmenetze umgebaut und die Stadt klimaneutral versorgt werden kann. Diese beiden Prozesse laufen komplementär zueinander.

Wird es, wenn die kommunale Wärmeplanung 2024 Pflicht wird, eine dafür ausreichende Zahl qualifizierter Planerinnen und Planer geben?

Planer:innen für kommunale Wärmewende wird es geben

Ich glaube schon, dass wir ausreichend viele fitte Planungsbüros in Deutschland haben, die in Lage sein werden, sich in diese neue Aufgabe einzuarbeiten. Und der Markt ist attraktiv für Planungsbüros. Insofern setzen wir darauf, dass die Nachfrage nach Wärmeplänen vom Markt befriedigt werden kann. Außerdem werden wir mit Übergangsfristen arbeiten, sodass nicht alle gleichzeitig einen Wärmeplan brauchen. Auch werden wir seitens des Bundes den Kommunen und den Planern Unterstützung anbieten.

Eine weitere Großbaustelle, auf der Sie für diesen Herbst noch Nägel mit Köpfen angekündigt haben, ist das Gebäudeenergiegesetz, das GEG. Nach der sogenannten 65-Prozent-Regel sollen beim Einbau einer neuen Heizung ab 2024 zwei Drittel der Energie aus erneuerbaren Energien stammen. Wie weit sind Sie mit den Details?

Das ist eine sehr zentrale Regelung. Indem wir jede neue Heizung erfassen, wollen wir Standards im Markt etablieren. Und der Markt kommt uns entgegen: Schon jetzt installieren Hausbesitzer ohne gesetzliche Pflicht im Gebäudebestand Wärmepumpen. Bislang waren ja Wärmepumpen im Gebäudebestand eher etwas Exotisches. Wir haben dafür jetzt allein in den drei Wochen vor dem Inkrafttreten des novellierten BEG über 150.000 Anträge bekommen. Das ist mehr als im vergangenen Jahr insgesamt an Wärmepumpen – damals vor allem im Neubau – installiert wurde. Wir vollziehen somit mit der GEG-Novelle etwas, das sich im Markt bereits abzeichnet.

Wir wollen dafür die Rahmenbedingungen jetzt klar setzen für Heizungsindustrie und Installateure, damit alle wissen, was auf sie zukommt: Weiterbildung bei den Installateuren und Hochlauf der Produktionskapazitäten in der Industrie. Das begleiten wir übrigens auch mit weiteren Verfahren für Wärmepumpen, etwa in der Bauordnung, in der TA Lärm, in den Netzanschlussbedingungen. Das sind kleine Hindernisse, die aber in der Praxis doch sehr störend sind und den Hochlauf behindern.

Wie läufts mit der 65-Prozent-Regel in der GEG?

Kürzlich haben Sie zwei Varianten für die 65-Prozent-Regel zur Diskussion gestellt. Die eine Option setzt eher auf Technologieoffenheit, die zweite gibt Wärmepumpen und Fernwärme einen klaren Vorrang; sie akzeptiert Biomasseheizungen nur als Ersatzlösung. In welche Richtung läuft der Hase?

Wichtig ist uns insgesamt, dass am Ende eine technologieoffene Lösung steht, so wie es der Koalitionsvertrag vorgibt, die zur Klimaneutralität des Gebäudes führt. Wir glauben, dass man Biomasse gezielt da einsetzen sollte, wo keine anderen Wärmeversorgungslösungen möglich sind. Aber es gehen in speziellen Fällen grundsätzlich auch Hybridlösungen, beispielsweise wenn vor einer Gebäudesanierung schon eine Wärmepumpe installiert werden soll. Dann böten sich übergangsweise sogar kombinierte Geräte aus Wärmepumpe plus Gaskessel an. So könnten die Spitzenlasten mit dem Kessel abgefedert werden, während die Wärmepumpe Grund­last und Übergangsjahreszeiten abdeckt und mit fortschreitender energetischer Sanierung die Versorgung alleine übernimmt. Gerade in Altbauten, die übergangsweise weniger gut saniert sind, könnten so unmittelbar Wärmepumpen eingesetzt werden, ohne dass sie ineffizient arbeiten.

Die 65 Prozent beziehen sich auf den Wärmeverbrauch, nicht auf die Leistung der Anlagenkomponenten – also anders als einst bei den Hybridanlagen in der BEG, oder?

Ja, es geht um Arbeit, nicht um Leistung. Beispielsweise wird man es allein mit einer Solarthermieanlage schwer haben, 65 Prozent zu erreichen.

Haben wir genug EE-Strom für die Wärmewende?

Sind sie sicher, dass das Angebot an erneuerbarem Strom schnell genug wächst, sodass ein massiver Wärmepumpenhochlauf nicht übergangsweise sogar den CO2-Ausstoß erhöht?

Da sind wir uns sehr sicher. Mit den bisherigen Gesetzespaketen haben wir ja schon einiges auf den Weg gebracht, vor allem um den Windkraftausbau zu beschleunigen. Es folgen jetzt weitere Schritte wie Abbau von bürokratischen Hürden für die Photovoltaik, mehr Stromproduktion in den bestehenden Biogasanlagen. Diese Schritte werden zu einer deutlichen Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren führen. Noch dazu sehen wir in der derzeitigen Situation ein riesiges Interesse von Investoren und eine stärkere Akzeptanz der Bevölkerung für die Erneuerbaren. Sehr viele haben jetzt erkannt, dass erneuerbare Energien die einzige Möglichkeit sind, um Deutschlands Versorgungssicherheit herzustellen.

Im Wärmebereich hat die Ampelregierung die meisten großen Vorhaben, die der Koalitionsvertrag aufzählt, im ersten Jahr mindestens schon angeschoben. Was bleibt Ihnen da für die nächsten drei Jahre noch zu tun?

Wenn die GEG-Novelle mit der 65-Prozent-Regelung durch ist, dann steht noch eine weitere GEG-Novelle an. Zum einen steht laut Koalitionsvertrag noch der Effizienzhaus-40-Neubaustandard auf der Agenda. Zum anderen müssen wir auch an der Grundsystematik des GEG arbeiten. Denn wenn wir künftig nur noch erneuerbare Brennstoffe haben werden, steht die Frage im Raum, was überhaupt die richtige „Währung“ ist, an der sich das GEG orientieren sollte. Heute ist es der Primärenergiebedarf. Hier gibt es noch viel Diskussionsbedarf.

Sehr viel Arbeit liegt aber auch noch vor uns, um Hochlauf und Dekarbonisierung der Wärmenetze voranzubringen. Allein mit der BEW wird das nicht getan sein. Bei der Geothermie und der Abwärmenutzung ist noch viel zu tun. Auch beim Thema Energieeffizienz, wo wir vonseiten Brüssels Mindesteffizienzstandards umsetzen müssen. Und dann liegt ja auch noch der Wasserstoff-Hochlauf komplett vor uns. Ich bin mir sicher, dass uns in den nächsten drei Jahren nicht langweilig wird.

7.9.2022 | Interview: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH

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