Technologieoffenheit: Wasserstoff als Versprechen

Auf einer grünen Wiese stehen links Solarmodule, im Hintergrund Windkraftanlagen, rechts Container mit der Aufschrift H2 - Hydrogen (Wasserstoff)Foto: malp / stock.adobe.com
Technologieoffenheit gilt derzeit als Wert an sich. Verknüpft wird die Forderung nach dieser Offenheit mit der für eine Existenzgarantie für Verbrennermotoren und Gasheizungen. Die Technologieoffenheit soll mit Wasserstoff zu erreichen sein. Aber kann dieses Versprechen gehalten werden?

„Wir müssen die Interessen der Bevölkerung im Blick haben, und die hat ein Interesse an Technologieoffenheit“, erklärt Bundesverkehrsminister Volker Wissing, als er in Europa den Verbrennungsmotor verteidigen wolle: „Das weiß jeder und diejenigen, die Verengung wollen, müssen sich immer dem Vorwurf aussetzen, wie das am Ende bezahlbar sein soll.“ Als Alternative zum Elektromotor propagierte er Wasserstoff (H2) und daraus gewonnene synthetische Kraftstoffe.

Technologieoffenheit durch Wasserstoff

Ähnlich ist dies nun bei der Diskussion um das Gebäudeenergiegesetz 2024. Einer der wesentlichen Vorwürfe der FDP und wohl auch von Teilen der SPD gegenüber Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) lautete, es fehle die Technologieoffenheit. Daher finden sich nun mehr Optionen zur Erfüllung der gesetzlichen Pflichten im jüngsten Gesetzentwurf zum GEG. Und diese sollen den Einsatz von Wasserstoff und synthetischem Gas erleichtern.

Freuen wird das auch die Union im Bundestag, die in ihrem Antrag zur Wärmewende u.a. fordert, sie technologieoffen zu gestalten. Sie will die Gasnetze weiter auszubauen beziehungsweise ertüchtigen, „um diese sowohl für Biomethan und andere grüne Gase als auch nach dem Ausstieg aus dem fossilen Gas für H2-Gas nutzen zu können.“ Außerdem fordert sie, die Förderung von H2 ready Gas-Heizkessel auf den Weg zu bringen, da sie ein wichtiger Lösungsbaustein auf dem Weg zur Klimaneutralität sind“.

Kommunale Spitzenverbände: Gasnetzstrukturen nicht aufgeben

In den Stellungnahmen der Verbände zu diesem Antrag und auch zur geplanten Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) spricht sich auch ein Teil der Verbände für Wasserstoff und die damit verknüpfte Technologieoffenheit aus. So wendet sich die Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände dagegen, bestehende Netzinfrastrukturen in den Kommunen aufzugeben: „So kann beispielsweise das Gasnetz etwa durch den Einsatz von Wasserstoff eine zentrale Rolle bei der klimaneutralen Wärmeversorgung haben.“

Auch der Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZDH) plädiert für ein technologieoffenes „Level Playingfield“. Verknüpft damit ist für ihn die Entwicklung unterschiedlicher Transformaionspfade: „Was für Strom- und Fernwärmesysteme gilt, sollte auch für das Gassystem gelten.“ Damit spricht der Verband die Option an, dass der Anschluss an ein Wärmenetz schon in den ersten Entwürfen für das GEG eine Erfüllungsoption für die gesetzlichen Pflichten gelten sollte. „Der Einsatz von Wasserstoff und anderen „grünen Gasen“ muss auch im Wärmesektor unter Nutzung einer vorhandenen, ertüchtigten Gasinfrastruktur mitgedacht und forciert vorangetrieben werden (z.B. Beschaffungskooperationen und PV-/H2-Projekte mit sonnenreichen Ländern).“

Ebenso fordert der Zentralverband des Deutschen Handwerks, „Gasnetze weiter auszubauen bzw. zu ertüchtigen, um diese sowohl für Biomethan und andere grüne Gase als auch nach dem Ausstieg aus dem fossilen Gas für H2-Gas nutzen zu können“.

Wasserstoff für resiliente Energieinfrastruktur

Lamia Messari-Becker, Professorin am Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und Bauphysik der Universität Siegen und Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen warnt: „Die Elektrifizierung aller Sektoren (Gebäude, Verkehr, Industrie) und der daraus abgeleitete Einsatz von ausschließlich auf Elektrizität basierenden Systemen ist ein Irrweg.“ Sie empfiehlt: „Die Bundesregierung sollte Untersuchungen, etwa zur H2-Tauglichkeit
der Gasnetze fördern. Mit Blick auf zukünftige Entwicklungen sind bestehende Netze keineswegs abzubauen, sondern als Teil einer resilienten Energieinfrastruktur zu warten und H2-fit zu machen.“

Wasserstoff führt zu Energieverlust

So gibt es Zuspruch für die Option, Wasserstoff und synthetisches Gas oder auch Biomethan in bestehenden Gasnetzen zu nutzen. Andererseits melden sich sehr kritische Gegenstimmen. Karsten Neuhoff, Abteilungsleiter Klimapolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Professor für Energie- und Klimapolitik an der Technischen Universität Berlin, spricht sich zwar für die parallele Umsetzung verschiedener Lösungsansätze bei der Wärmewende aus. Doch er weist auch auf ein großes Problem beim Einsatz von Wasserstoff hin: „Bei der Herstellung von Wasserstoff wiederum geht rund die Hälfte der Energie verloren, noch deutlich mehr, wenn Wasserstoff verflüssigt und auf Schiffen transportiert wird. Wenn stattdessen mit Strom Wärmepumpen betrieben werden, kann Umweltwärme genutzt werden, so dass sich der Strombedarf um rund den Faktor 3 reduziert. Damit wird durch den Umweg über Wasserstoff insgesamt sechsmal mehr erneuerbare Energie benötigt als bei direkter Nutzung von Strom mithilfe von Wärmepumpen. Die daraus resultierenden Kosten und Ressourcenbedarfe stehen einer großflächigen Anwendung im Wege.“

Die Agora Energiewende sieht drei Hebel, um die Klimaziele im Wärmebereich zu erreichen. Das sind die Gebäudesanierung, erneuerbare Heizungen und (grüne) Wärmenetze. Dabei sei es unerlässlich, den Einbau neuer Öl- und Gaskessel zu beenden. Der Think Tank warnt vor dem Weg in den Wasserstoff. Dieser sei keine Hilfe zur Klimaneutralität im Gebäudesektor. „Bis 2030 wird Wasserstoff nur in geringen Mengen zur Verfügung stehen“, so die Agora. Auch sei der Energieträger für die Verwendung in einzelnen Heizungen selbst bei steigenden Mengen ungeeignet. „Die Verbrennung von Wasserstoff in Einzelheizungen braucht fünf bis zehn Mal so viel erneuerbaren Strom wie Wärmepumpen.“ Knappheitspreise machten Wasserstoff in diesem Einsatzbereich selbst bei höheren Importanteilen unrealistisch.

Technologieoffenheit kein Argument für Wasserstoff

Technologieoffenheit ist für die Agora kein Argument. Sie betont, im Wärmemarkt habe es auch bisher keine „echte Technologieoffenheit“ gegeben. Das Entscheidungsfeld sei für Hauseigentümer:innen eingeschränkt gewesen. Sie hätten überwiegend Gaskessel gewählt. Gelegen habe dies am vorhandenen Gasnetz, der Ausrichtung der meisten Handwerksbetriebe auf Gas- und Ölheizungen, der fehlenden Internalisierung von Klimaschäden durch Öl und Gas sowie auch den hohen Anfangsinvestitionen der Alternativen.

Der Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) geht nun eine Art Mittelweg zwischen den Positionen. Er ermöglicht grundsätzlich, Wasserstoff in Gasnetzen und damit auch für entsprechend ausgerüstete Gaskessel zu nutzen. Er nimmt die Gasverteilnetzbetreiber aber auch stark in die Verantwortung. Wenn sie dem Wasserstoff eine zentrale Rolle beimessen, so sollen die Gasverteilnetzbetreiber dies beweisen, indem sie ihren Kund:innen entsprechende Garantien bieten.

Entwurf für GEG ermöglicht Wasserstoff, legt aber Hürden auf

Laut dem in dieser Woche vom BMWK vorgelegten Entwurf für das Gebäudeenergiegesetz 2024 dürfen Hauseigentümer:innen zwar auch nach dem 1. Januar 2024 neue Erdgasheizungen, die dann auch für 100 Prozent Wasserstoff geeignet sein sollten, einbauen. Aber dies ist geknüpft daran, dass ein Gasverteilnetzbetreiber „einen Transformationsplan für die verbindliche, vollständige Umstellung der Versorgung seiner Kunden auf Wasserstoff bis zum 1. Januar 2035 nach Maßgabe dieses Gesetzes vorgelegt hat“. Ab dem 1. Januar 2030 muss 50 Prozent des von diesen Gasheizungsbetreibern bezogenen Gases grün sein. Ab dem 1. Januar 2035 schreibt das Gesetz einen 65-prozentigen Anteil grünen oder blauen Wasserstoffs am Gasbezug vor.

Drittens muss für das Gasverteilnetz, an das eine solche Heizung angeschlossen ist, zum 1. Januar 2035 die rechtliche Voraussetzung zur Einstellung der Erdgasversorgung aller angeschlossenen Kunden erfolgt sein. Die Entscheidung, einen Teil der Kund:innen über das Netz mit Wasserstoff zu versorgen, hat also für den Gasverteilnetzbetrieber die Konsequenz, dieses Netz komplett umzustellen. Und er muss außerdem garantieren, dass er die Wasserstoffinfrastruktur spätestens am 1. Januar 2025 in Betrieb nimmt. Dies hat die Regulierungsbehörde zu überwachen. Ihr muss der Gasverteilnetzbetreiber schon frühzeitig einen Transformationsplan vorlegen.

Schafft es der Gasverteilnetzbetreiber nicht, dem jeweiligen Hauseigentümer ein passendes Wasserstoffprodukt zum Start des Jahres 2035 zur Verfügung zu stellen, so muss er ihm die daraus entstandenen Mehrkosten erstatten.

Die Hürden, Wasserstoff in Einzelheizungen einzusetzen, sind also durchaus hoch gesetzt. Nur dann können die Anbieter dieser technologischen Lösung aber nach Ansicht des BMWK wohl für sich in Anspruch nehmen, dass sie tatsächlich ausreichend zur Klimaneutralität beiträgt.

9.4.2023 | Autor: Andreas Witt
© Solarthemen Media GmbH

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