Großes Photovoltaik-Potenzial in Hamburg

Ein Luftbild von Hamburg mit vielen Dächern ohne PhotovoltaikFoto: engel.ac / stock.adobe.com
Die Dächer von Hamburg zeigen ein noch häufig ungenutztes Potenzial für die Installation von Photovoltaik-Anlagen.
Wie viel Potenzial für die Nutzung von Photovoltaikanlagen bieten die Dachflächen tatsächlich? In Hamburg wurde dazu eine neue Studie erstellt, einer Stadt, die im Vergleich mit anderen bei der Photovoltaik-Nutzung recht weit hinten liegt. Am Potenzial kann das nicht liegen. Laut der Studie sollen sich zwei Drittel des Hamburger Strombedarfs bilanziell mit lokal erzeugtem Solar­strom decken lassen. Doch es sind Zweifel angebracht, ob die wirtschaft­li­chen Rahmenbedingungen so gut sind, wie sie die Studie nahelegt

„Das wichtigste Fazit der Studie ist für uns die Größenordnung des solaren Erzeugungspotenzials”, bilanziert Daniel John von der Technischen Universität Hamburg (TUHH): „Wir müssen nicht mehr darüber diskutieren, ob Hamburg grundsätzlich einen wesentlichen Anteil seines Stroms durch Photovoltaik selbst bereitstellen kann, sondern können uns auf das Wie konzentrieren.

„John hat gemeinsam mit Christina Rullán-Lemke (ebenfalls TUHH) und Nicholas Tedjosantoso von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) das Solarpotenzial in der Hansestadt untersucht. Wissenschaftliche Unterstützung erhielt das Autorentrio von den Professoren Martin Kaltschmitt (TUHH) und Hans Schäfers (HAW). Auftraggeber für die Studie war das Erneuerbare-Energien-Cluster EEHH.

Dass sich Solarstrom in einem hoch verdichteten Gebiet vor allem auf Dächern erzeugen lässt, überrascht kaum. In Summe gelten fast 6.400 Gigawattstunden (GWh) So­lar­strom­ernte als realisierbar. Dabei sind es vor allem die Dächer der Einfamilien- und Reihenhäuser, die sich zu einem erklecklichen Solarpotenzial zusammenläppern. Auf Platz zwei folgen Mehrfamilienhäuser, an dritter Stelle Gewerbe- und Industriehallen. Letztere punkten vor allem mit riesigen zusammenhängenden Dachflächen. Zusätzlich haben die Autor:innen auch Potenziale für Agri-PV (574GWh) und urbane Photovoltaik – im Wesentlichen auf Parkplätzen (30 GWh) – ausgemacht.

Dreidimensionales Stadtmodell für Photovoltaik in Hamburg

Der Dachanalyse liegt ein dreidimensionales Stadtmodell der Detaillierungsstufe zwei (LOD2) in CityGML zugrunde. Diese Stufe erlaubt es, auch verschiedene Teildächer zu erkennen. Diese 3-D-Daten kombinierte das Autorenteam mit den Informationen aus dem Liegenschaftsregister, sodass für die Gebäude jeweils auch die Nutzungsform hinterlegt ist. Auf dieser Grundlage basiert der Eigenverbrauch, der Grundlage der Wirtschaftlichkeitsanalyse ist.
„Das im ersten Teil erhobene Solarpotenzial zeigt, was möglich ist. Auf diese Daten werden wir zehn bis 20 Jahre bauen können. Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung aus dem zweiten Teil ist eine Momentaufnahme. Hier können sich einzelne Größen deutlich schneller ändern”, erklärt John.

Mithilfe des 3-D-Modells kam das Autorenteam zu dem Schluss, dass es in Hamburg fast 79 Millionen Quadratmeter theoretisch solartaugliche Dachfläche gibt. Sehr kleine Dächer sind hier schon abgezogen. Das technische Potenzial schätzten sie ab, indem sie für Schrägdächer einen Belegungsgrad von 60 Prozent annahmen. Für Flachdächer sind es 80 Prozent. Dieser Wert stammt aus einer Metastudie. Sie soll zum Beispiel die Einschränkungen durch Dachgauben oder Schornsteine wiedergeben, die im LOD2-Modell nicht erkennbar sind.
Übrig blieb so ein technisches Potenzial von rund 56 Millionen Quadratmetern.

Ertragsbewertung für Photovoltaik in Hamburg

Erst im letzten Schritt betrachtete das Autorenteam den möglichen Ertrag und strich diejenigen Dächer, auf denen sich weniger als 80 Prozent der maximal in Hamburg möglichen Solarstromernte erzielen lassen. Das betrifft im Wesentlichen die Seiten von Schrägdächern, die mehr oder weniger nach Norden zeigen. Damit bleiben noch gut 43 Millionen Quadratmeter nutzbarer Dachfläche übrig. Auf dieser lassen sich laut den Autoren 8,7 Gigawatt Photovoltaik-Leistung installierten. Den Ertrag kalkulieren die Autoren mit 6.400 Gigawattstunden. Dabei haben sie vom Maximalertrag ein Zehntel abgezogen, um zum Beispiel suboptimale Ausrichtungen und Verschattungen durch Bäume oder Nachbargebäude zu kompensieren.

Dieses Solarpotenzial zu erschließen, wird allerdings eine Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte sein, hieß es vom Cluster EEHH bei der Studienvorstellung. Das liegt nicht nur an knappen Fachkräften. Sondern auch daran, dass der Ausbau so eingetaktet werden muss, dass eine gerade gebaute Solaranlage nicht drei Jahre später für eine Dachsanierung wieder beiseitegeräumt werden muss.

John gibt zu bedenken, dass auch das Hamburger Stromnetz an seine Grenzen käme, wenn wirklich das gesamte Potenzial gehoben würde. „Die elektrische Grundlast in Hamburg liegt bei etwa einem Gigawatt. Wenn wir 1 bis 2 Gigawatt PV-Kapazität installieren und damit im Sommer die Grundlast der Stadt selbst decken, wäre das schon ein sehr großer Schritt”, sagt er.

Wirtschaftlichkeit fraglich

Im zweiten Teil der Studie nahm das Autorenteam die Wirtschaftlichkeit anhand archetypischer Beispielgebäude unter die Lupe. Ziel sei es dabei gewesen, die besonders attraktiven Dächer auszumachen, um schnell mit dem Solarausbau voranzukommen. Bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung handele es sich um eine „Momentaufnahme” und „beispielhafte Darstellungen”, die nie allgemeingültig sein könnten, schränkt Constantin Lange vom Cluster EEHH ein.

Laut der Studie fallen die Renditen bei Einfamilienhäusern nur knapp positiv aus. Für Mehrfamilienhäuser seien hingegen mehr als sieben Prozent Rendite möglich, bei Industriedächern sogar mehr als neun Prozent. Dafür, dass die beiden letzteren Anlagentypen trotzdem deutlich seltener gebaut werden als Einfamilienhaus-Anlagen, nennt die Studie an erster Stelle „Informationsdefizite” als Grund.

Bei näherer Betrachtung könnte es aber auch daran liegen, dass die Studie die Wirtschaftlichkeit schlicht überschätzt. Das beginnt bei den Kosten. „Wir haben die verfügbaren Daten aus einer IRENA- und einer Fraunhofer-Studie genutzt, um dadurch Preise über alle Anlagengrößen abschätzen zu können”, sagt John. Allerdings stammen die Daten in den Studien von 2021. Eine 10-Kilowatt-Anlage fürs Einfamilienhaus kostet heute nicht mehr 1.450 Euro/kW wie in der Studie angesetzt. Sondern es seien eher 2.000, sagt ein Hamburger Energieberater. Und Großanlagen mit 100 kW und mehr schlagen selbst bei ausgezeichneten Randbedingungen eher mit 1.200 als mit 1.040 Euro pro kW zu Buche. Für eine eigene wissenschaftliche Studie reichen diese punktuellen Auskünfte natürlich nicht – wohl aber, um festzustellen, dass man die Renditen mit großer Vorsicht genießen sollte.

Hoch aufgeständerte PV-Anlagen auf Gründächern, Leichtsysteme für statisch schwache Dächer oder kleinteilige Anlagen für Schrägdächer mit vielen Gauben kommen nochmal deutlich teurer, von Ertüchtigungen der Hauselektrik ganz zu schweigen.

Einsparung mit Photovoltaik in Hamburg überschätzt

Auch bei Rechenweg und Strompreis setzt die Studie auf Einheitlichkeit. Solarstrom, der zum eigenen Ver­brauchs­­profil passt, wird in allen Anlagentypen als Eigenverbrauch ein­­gestuft und mit 40 Cent pro Ki­lo­wattstunde bewertet.
Beim Einfamilienhaus kommt das in etwa hin, bei Industriebetrieben ist es fraglich. In Mehrfamilienhäusern oder Gewerbegebäuden mit mehreren Nutzern ist der unterstellte Eigenverbrauch zudem rechtlich gar nicht möglich. Die Alternative zur Volleinspeisung heißt hier „Mieterstrom”, aber die bringt pro Anlage mehrere Tausend Euro Zusatzkosten für Messtechnik mit sich.

Somit zeigt die Studie in Bezug auf Mehrfamilienhäuser vor allem, dass PV-Strom durchaus attraktiv sein könnte, wenn auch Deutschland den Eigenverbrauch endlich ermöglichen würde. Wenn Hamburg beim Klimaschutz schnell vorankommen will, sollte es hingegen auf die Besitzer von großen Lagerhallen zugehen. Dort stünden rund 1,5 Millionen Quadratmeter auf weniger als 500 Einzelgebäuden zur Verfügung.

22.4.2023 | Autorin: Eva Augsten
© Solarthemen Media GmbH

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