Lokaler Strom aus Wind und Sonne für Wärmenetze

Seit fünf Jahren schon steht am Rande des 130-Einwohner-Dorfs Nechlin in der Uckermark der vier Meter hohe grüne Zylinder mit einem Durchmesser von 18 Metern. Als „Windwärmespeicher“ hat es der 1.000 Kubikmeter fassende Heißwasser-Topf in Dutzenden Medienberichten zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Ein erfolgreiches Pilotprojekt der Energiewende, können doch die Nechlinerinnen und Nechliner bezeugen, dass sie in den vergangenen Jahren stets günstige Wärme bezogen und nie gefroren haben. Denn der Speicher ist über eine direkte 800 Meter lange 20.000-Volt-Stromleitung mit dem Windpark nebenan verbunden. Beides, Fernwärmenetz und Windenergieanlagen, betreibt die Enertrag AG aus dem 20 Kilometer entfernten Gut Dauerthal.
Immer wenn die Rotoren mehr Wind ernten, als über das Stromnetz abtransportiert werden kann, verwandelt ein Elektrodenkessel den Windstrom in Wärme und speist diese in den Speicherbehälter. Ist der nach einigen Stunden voll, reicht die gespeicherte Energie aus, um das Dorf selbst im Winter für etwa zwei Wochen mit Energie für Heizung und Warmwasser zu versorgen.
Bei Netzsperre springt der Elektrokessel an
Die Elektroheizung des Windwärmspeichers wird über das Steuersystem von Enertrag automatisch zugeschaltet, sobald der Übertragungsnetzbetreiber ein Abschaltsignal gibt. Das passiert nur dann, wenn in der ländlichen Region so viel Windstrom produziert wird, dass er nicht über das Netz abtransportiert werden kann. Früher wären die Rotoren auf dem Nechliner Windfeld dann schlicht abgeschaltet worden – heute produzieren sie extrem preisgünstige Wärme. Das habe seit Anfang 2020 so zuverlässig geklappt, berichtet der Wärmenetzbetreiber, dass seitdem noch nie Netzstrom zum Heizen genutzt werden musste.

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Deshalb verwundert es, dass der Nechliner Windwärmespeicher bislang der einzige seiner Art in Deutschland geblieben ist. Enertrag-Gründer Jörg Müller, der selbst in Nechlin wohnt, begründet dies mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen: „Bis 2022 war es wirtschaftlich nicht sinnvoll möglich, Windwärmespeicher zu betreiben, da auf den Wärmepreis zusätzlich die EEG-Umlage zu entrichten war, was die Wärmekosten verdoppelt hätte. Dieser Grund ist 2022 mit dem Wegfall der EEG-Umlage entfallen. Und tatsächlich wird seitdem an Nachfolgeprojekten gearbeitet, die aber kaum vor 2026 gebaut werden – denn die Planung eines Wärmenetzes braucht Zeit.“
In Nechlin konnte der Wärmespeicher nämlich seinerzeit nur realisiert werden, weil dieses Pilotprojekt als eines der im Windnode-Netzwerk geförderten Schaufensterprojekte von der Experimentierklausel des Sinteg-Förderprogramms profitierte. Vor allem die Reduzierung der EEG-Umlage mittels der befristeten SINTEG-Verordnung gab damals den Ausschlag in Nechlin und anderen Pilotprojekten für eine 100-prozentig regenerative Versorgung. Seit die EEG-Umlage nicht mehr über den Strompreis, sondern vom Bundeshaushalt finanziert wird, ist zumindest diese Hürde für Power-to-Heat-Projekte gefallen.
Nun sind es eher die Netzgebühren, die den Stromeinsatz in Wärmenetzen noch erschweren. In den wenigen Projekten, die es bislang gibt, setzen die Betreiber deshalb – wie in Nechlin – auf eigene Direktstromleitungen.
Solarstrom für Großwärmepumpe
In Mertingen, nördlich von Augsburg, ist nicht einmal das nötig. Dort versorgt seit 2023 eine 750 kW starke Photovoltaikanlage eine Großwärmepumpe für das örtliche Wärmenetz. Weil die PV-Anlage auf der Freifläche direkt neben der Heizzentrale steht, arbeiten Wärmepumpe und Photovoltaik hinter demselben Netzanschluss. Außerdem gehören die Photovoltaikanlage als Erzeuger und die Wärmepumpe als Verbraucher demselben Unternehmen. Das habe einen entscheidenden Vorteil, erklärt Felix Schwahn, Geschäftsführer der GP Joule Wärme: „Prinzipiell können wir die PV-Anlage wie ein normaler Eigenverbraucher betreiben. Sie versorgt die Wärmepumpe und falls wir Überschüsse haben, geben wir sie ans Netz ab.“
Betreiberin des Wärmenetzes und aller Aggregate ist in Mertingen die ProTherm Mertingen GmbH. Die Gesellschaft, an der die 5.000-Einwohner-Gemeinde 55 Prozent und die Firma GP Joule 45 Prozent der Anteile halten, betreibt das Wärmenetz bereits seit 2017. Zunächst waren zwei Biogasanlagen und ein Hackschnitzelheizwerk für die Wärmelieferung verantwortlich. Doch im Zuge der Erweiterung des Netzes auf weitere Ortsteile entschieden sich die Verantwortlichen, beim Ausbau der Erzeugungsseite neue Wege zu gehen. „Im Holz sehen wir eine Sackgasse“, erklärt Schwahn.
Wärmespeicher als Puffer
Zukunftsträchtig ist es hingegen in den Augen der kommunalen Betreibergesellschaft, mittels einer Großwärmepumpe das lokale Potenzial von Solarstrom, aber indirekt auch der Windenergie zu erschließen. Denn so viel ist klar: Der erweiterte Anlagenpark ist in der jetzigen Konstellation dafür ausgelegt, sich an den Verhältnissen auf dem Strommarkt zu orientieren und dort eine aktive Rolle zu spielen. Am günstigsten heizt man in Mertingen vor allem im Sommerhalbjahr mit Solarstrom. Wenn damit bei einer Einspeisung ins Netz an sonnigen Tagen ohnehin nicht viel zu verdienen wäre, füllt die Photovoltaikanlage über die Luftwärmepumpe die beiden insgesamt 84 Kubikmetern fassenden Wärmespeicher. Die Heißwasserbehälter sind groß genug, um mit ihrer Hilfe auch mal ein paar Regentage im Sommer locker zu überbrücken.
„Wir nutzen die Speicher, um Stromangebot und Wärmebedarf zu entkoppeln“, erklärt Schwahn. Und das funktioniert in vielfältiger Weise. So können Wärmepumpe und Speicher im Winter auch aus dem Netz Strom beziehen. Das lohnt sich vor allem dann, wenn Windstrom reichlich zur Verfügung steht und die Preise an der Strombörse in ganz Deutschland nahe null drückt – mitunter sogar in den negativen Bereich. In solchen Fällen kann auch ein Elektroheizstab zum Einsatz kommen, der die Wärmespeicher noch schneller füllt und damit zugleich das Stromnetz entlastet.
Sollte hingegen wirklich mal eine der berüchtigten „Dunkelflauten“ – kaum Sonne, kaum Wind – für längere Zeit anhalten, dann müssen die Mertinger:innen dennoch nicht frieren, denn der Hackschnitzelkessel steht ja für den Fall der Fälle weiterhin als regeneratives Backup und als Spitzenlastkessel zur Verfügung. Das Brennmaterial stammt aus einem holzverarbeitenden Betrieb vor Ort.
Künstliche Intelligenz hilf bei der Steuerung des Wärmenetzes
Weil das System derart viele Möglichkeiten bietet, aber insgesamt auch recht komplex ist, hilf seit dem Frühjahr 2024 eine künstliche Intelligenz (KI) dabei, das Wärmenetz noch ökonomischer zu betreiben und zugleich das Stromnetz zu entlasten. Die KI sagt anhand von Erfahrungswerten und aktuellen Wetterprognosen den Wärmebedarf sowie den Stromertrag aus dem angrenzenden Photovoltaik-Park voraus. Sie gibt auf dieser Basis den Fahrplan für die Wärmepumpe sowie die Betriebsweise des Wärmenetzes vor. Wie viel Wärme produzieren die doiversen Erzeuger gerade und speisen sie direkt ins Wärmenetz? Wie viel Energie ist im Speicher? Welchen Bedarf gilt es in den kommenden Stunden und Tagen zu decken? Die künstliche Intelligenz soll die Antworten finden. So wird möglichst nie zu viel, aber auch nie zu wenig Energie genutzt, gespeichert oder ins Nahwärmenetz eingespeist.
Die Technik, die dahintersteckt, besteht aus einem „Digital Twin“, einem digitalen Zwilling, der das reale Wärmenetz nahezu identisch digital spiegelt, und einem Machine-Learning-Algorithmus, der es immer besser steuert.
Mertingen sehen die Verantwortlichen bei GP Joule als Pilotprojekt. „Da wird die Reise im Wärmesektor hingehen“, ist sich Schwahn sicher. Im Unternehmen seien bereits zwei Anlagenkombinationen dieser Art in Betrieb, eine weitere in Bau und die Nummern vier und fünf seien bereits bestellt.
Joint Venture mit der Kommune betreibt Wärmenetz mit Strom
Eine Blaupause sei dabei auch die Betreibergesellschaft, für die die Kommune und GP Joule ein Joint Venture eingegangen sind. Die beiden Seiten ergänzten sich ideal, findet Schwahn. Auf der einen Seite stehe das technische Know-how des Unternehmens, das mit Windparks und PV-Anlagen, aber auch mit Biogasanlagen und Wärmenetzen groß geworden ist. Auf der anderen Seite sorge die Kommune für Bürgernähe und für das langfristige Interesse an einer günstigen und stabilen Energieversorgung. Dass das private Projektierungsunternehmen selbst mit einer Minderheitsbeteiligung dauerhaft in das Versorgungsunternehmen investiere, könne dabei nach Erfahrung von Schwahn durchaus bei Bürger:innen und Gemeinderäten für einen Vertrauensvorschuss sorgen.
Bürgernähe ist zweifellos auch für das Solarstrom-Wärmeprojekt im bayerischen Bundorf gegeben. Dort betreibt die Energiegenossenschaft Egis eG seit gut einem Jahr einen riesigen Bürgersolarpark auf 125 Hektar und damit verbunden ein 1.600 Meter langes Wärmenetz für die Gemeinde. Mehr als 20 Gebäude, einschließlich kommunaler Liegenschaften, sind daran angeschlossen.
Ähnlich wie in Mertingen wird auch in Bundorf die Wärmepumpe überwiegend vom Solarpark aus versorgt. Freilich dient nur ein kleiner Teil, etwas mehr als 1 Prozent, der 125 Kilowatt starken PV-Freiflächenanlage zu Heizzwecken. Diese Anlagenteil wird separat von der Egis betrieben und ist über eine direkte Stromleitung mit der Heizzentrale verbunden, um Netzgebühren und Bürokratie zu vermeiden.
Viele Varianten für Wärmenetz mit Erneuerbaren durchgespielt
Das Projekt habe eine jahrelange Vorlaufzeit gehabt, während derer man verschiedene Varianten geprüft habe, berichtet Egis-Vorstand Pascal Lang: „Erst wollten wir Holz nehmen. Über Solarthermie und PVT hatten wir auch nachgedacht. Aber dann hätten wir jetzt im Winter keinen Ertrag gehabt.“ Die PV-Anlage erzeuge freilich auch im Winter oft ausreichend Heizenergie für die Luftwärmepumpe. Zusammen mit dem Wärmespeicher und dem Holzkessel für die Spitzenlast sei man auf jeden Fall auf der sicheren Seite. Übers Jahr werde das Bundorfer Netz zu 70 Prozent mit der Wärmepumpe und zu 30 Prozent mit Holzwärme versorgt. Dabei würden nur 3 bis 5 Prozent der Energie aus dem Netz bezogen – und zwar idealerweise bei negativen Strompreisen. „Strom beziehen wir nur, wenn wir selbst zu wenig produzieren und wenn Holz teurer wäre“, erklärt Lang.
Auch bei der Egis ist nach dem Piloten in Bundorf das erste Folgeprojekt in Vorbereitung: In Amerang wird das Wärmenetz für 250 bis 300 Haushalte ausgelegt. Zusätzlich werden Gewerbebetriebe angeschlossen und es ist auch ein Kühlprozess damit verbunden. Das macht die Kombination mit der Solarstromanlage, die hier 30 Megawatt groß werden könnte, besonders attraktiv.
Pascal Lang ist sich sicher, dass diese Modelle Schule machen werden: „Es hört sich zwar alles einfacher an, als es es in der Praxis ist. Aber es stecken in dieser Kombination die größten Chancen für die Energiewende im ländlichen Raum drin.“
Autor: Guido Bröer | Solarthemen Media GmbH

Dieser Artikel ist original in der Ausgabe 1/2025 der Zeitschrift Energiekommune erschienen. Energiekommune ist der Infodienst für die lokale Energiewende. Er erscheint monatlich. Bestellen Sie jetzt ein kostenloses Probeabonnement mit drei aktuellen Ausgaben!